Das Parlament: Der Streit um die Novelle des Stasi-Unterlagengesetzes ist beigelegt. Wie zufrieden sind Sie mit dem Kompromiss der Koalition?
Marianne Birthler: Ich bin erleichtert. Vor einem halben Jahr wäre ein solcher Kompromiss ja kaum mehrheitsfähig gewesen. Mir war wichtig, dass eine Überprüfung für Abgeordnete und Spitzenpositionen in Politik und Verwaltung weiterhin möglich ist. Und mindestens genauso wichtig war es, dass der Aktenzugang für Forschung und Medien erleichtert wird. Das bringt die zeitgeschichtliche Forschung weiter und hilft, so manche Geschichtsklitterung mit Hilfe der Stasi-Akten zu widerlegen.
Das Parlament: Die Stasi-Regelüberprüfung wird damit um fünf Jahre verlängert. Für wie sinnvoll halten Sie ihren Fortbestand?
Marianne Birthler: Zu Beginn des Jahres sah ja noch alles danach aus, als würde die Möglichkeit zur Überprüfung auf eine frühere Tätigkeit für die Stasi am Jahresende ersatzlos auslaufen. Deshalb hat sich meine Behörde schon zu diesem Zeitpunkt mit ersten Vorschlägen an den Gesetzgeber gewandt, um die Diskussion in Gang zu bringen. Dass es mit der Novelle auch in den nächsten fünf Jahren möglich ist, Personen in Spitzenpositionen der Politik und Verwaltung zu überprüfen, scheint mir für das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den öffentlichen Dienst von einiger Bedeutung zu sein.
Das Parlament: Ab 2007 dürfen aber nur noch höhere Beamte, Politiker und Richter auf eine frühere Stasi-Tätigkeit überprüft werden. SED-Opferverbände befürchten, dass mit der Einengung des Personenkreises ein Schlussstrich unter die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit gezogen wird.
Marianne Birthler: Zur Aufarbeitung der SED-Diktatur gehören ja nicht nur Überprüfungen. Es geht doch vor allem darum, die Mechanismen der Macht aufzudecken und die Geschichten der Opfer und die des Widerstands weiterzuerzählen. Das wird künftig erleichtert, denn das Gesetz verbessert ausdrücklich die Rahmenbedingungen für die Aufarbeitung der SED-Diktatur. Die öffentlich diskutierten Fälle von Inoffiziellen Mitarbeitern (IM) der vergangenen Jahre sind doch eher selten durch Überprüfungen bekannt geworden, sondern überwiegend durch Recherchen von Forschern und Journalisten. Genau in diesem Bereich wird es die größten Erleichterungen geben: Die Unterlagen Verstorbener, auch wenn sie nicht Personen der Zeitgeschichte sind, können jetzt unter bestimmten Bedingungen herausgegeben werden. Das war bisher nicht möglich. Ingesamt erhalten Medien und Forschung erweitere Zugangsrechte zu den Akten.
Das Parlament: Bisher ist der Zugang aus datenschutzrechtlichen Gründen ja sehr restriktiv geregelt.
Marianne Birthler: Richtig. Das macht es Wissenschaftlern und Publizisten oft schwer, mit den MfS-Unterlagen zu arbeiten. Eine Hürde, die seit dem Rechtsstreit mit Helmut Kohl noch beschwerlicher geworden ist. Wir haben nach Möglichkeiten gesucht, die Restriktionen trotz der nur geringen Spielräume zu lockern - und ich bin sehr froh, dass der Bundestag diesen Vorschlägen gefolgt ist. Ich erwarte, dass die Medien und die Forschung die neuen, erweiterten Zugangsrechte und Recherchemöglichkeiten rege nutzen werden: Die Impulse für die zeitgeschichtliche Forschung und die geschichtliche Bewertung der DDR werden spürbar sein.
Das Parlament: Gegen die Verlängerung der Regelanfrage gab es ja vor allem verfassungsrechtliche Einwände. Sie widerspreche dem rechtstaatlichen Prinzip der Verjährung, argumentierte etwa Wolfgang Thierse. Sind nun alle Bedenken ausgeräumt?
Marianne Birthler: Der rechtsstaatliche Grundsatz, dass dem Einzelnen Verfehlungen nicht lebenslang vorgehalten werden dürfen, hat den Gesetzgeber seinerzeit dazu veranlasst, die Möglichkeit der Überprüfungen auf 15 Jahre zu begrenzen. Dieser Grundsatz gilt auch heute. Aber für Personen in verantwortungsvollen oder öffentlichen Funktionen gelten strengere Maßstäbe.
Das Parlament: Im Zusammenhang mit der Regelanfrage wird gern das Strafrecht herangezogen: Hier gelten für gefährliche Körperverletzung Verjährungsfristen von 10 Jahren. Warum verjährt eine frühere Stasi-Tätigkeit erst so viel später?
Marianne Birthler: Die Zusammenarbeit mit der Stasi ist - zumindest für ehemalige Bürger der DDR -kein Straftatbestand, insofern hinkt der Vergleich. Es ging und geht bei den Überprüfungen nicht um Verurteilungen, sondern um eine personelle Erneuerung in Politik und Verwaltung; darum, dass wieder Vertrauen in öffentliche Institutionen wachsen kann.
Das Parlament: Gerade wurde bekannt, dass die Birthler-Behörde ehemalige Stasi-Mitarbeiter beschäftigt. Drücken Sie in der eigenen Verwaltung ein Auge zu?
Marianne Birthler: Dieser Sachverhalt ist nicht neu, er ist seit langem bekannt. Fakt ist, dass 1990 auch einige hauptamtliche Mitarbeiter des MfS übernommen worden sind, weil sie aus fachlichen Gründen für unverzichtbar gehalten wurden. Von ihnen arbeiten heute noch elf in der Behörde. Als ich im Jahr 2000 mein Amt antrat, war daran aus arbeitsrechtlichen Gründen nicht mehr zu rütteln, Kündigungen waren nicht durchsetzbar. Die Beschäftigten der Behörde werde regelmäßig auf eine frühere Stasi-Mitarbeit überprüft. Bisher wurde sechs Beschäftigten nach genauer Prüfung des Einzelfalls gekündigt. Es kann keine Rede davon sein, dass wir ein Auge zudrücken.
Das Interview führte Johanna Metz.