Lob und Kritik für die EU-Dienstleistungsrichtlinie
Berlin: (hib/SUK) Der Entwurf einer "Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt" ist unter Experten umstritten. Das wurde am Montagvormittag während einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie deutlich. Die so genannte Dienstleistungsrichtlinie hat das Ziel, den europäischen Binnenmarkt zu liberalisieren und soll dem Europäischen Parlament im Herbst dieses Jahres zur zweiten Lesung vorgelegt werden.
Während Vertreter der deutschen Industrie und Unternehmen den ausgehandelten Kompromiss lobten, äußerten Experten der Gewerkschaften Kritik. Peter Korn vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) nannte die Dienstleistungsrichtlinie "positiv" und "überfällig" und bescheinigte ihr, zu mehr Liberalisierung beizutragen. Sie werde für die Wirtschaft in Deutschland und Europa "erhebliche Vorteile" bringen, "besonderen Profit" würden daraus die mittelständischen Unternehmen ziehen. Bislang sei es beispielsweise nicht möglich, wenn deutsche Handwerker vom Niederrhein nach Holland oder Belgien gingen, um dort kurzfristig Arbeit anzunehmen - dies werde sich ändern. Wie Korn begrüßte auch Dirk Palige vom Zentralverband des Deutschen Handwerks die Richtlinie. Man bewerte den Entwurf "grundsätzlich positiv" und sei insbesondere "sehr zufrieden mit der Streichung des Herkunftslandsprinzips". Der Kompromiss werde dabei helfen, "unfaire Praktiken" in den Mitgliedstaaten ebenso abzubauen wie Bürokratie. Durch die geplante Einrichtung einheitlicher Ansprechpartner würden Existenzgründungen "erleichtert und beschleunigt". Die jetzt vorliegende Richtlinie "verhindert einen Wettbewerb um das laxeste Recht", während der ursprüngliche Vorschlag zu einem Wettbewerb um die geringsten Standards geführt hätte.
Gänzlich anderer Ansicht waren die Gewerkschaftsvertreter: Sowohl Annelie Buntenbach vom DGB als auch von IG-Bau-Vertreter Frank Schmidt-Hullmann kritisierten die Richtlinie. Dass die Richtlinie tatsächlich zu mehr Arbeitsplätzen führen werde, sei nicht sicher. Annelie Buntenbach befürchte einen Verlust sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse und damit die "Beschleunigung einer Tendenz, mit der wir ohnehin zu kämpfen haben". Insbesondere bei den Regelungen zum Herkunftslandsprinzip gebe es eine "Reihe von Unklarheiten, die zu Rechtsunsicherheiten führen". Darauf wies auch Schmidt-Hullmann hin. Mit dem Inkrafttreten seien große Teile der Handwerksordnung nicht mehr umzusetzen und "große Teile des nationalen Rechts nicht mehr anwendbar". Daher seien "Rechtschaos" und ein "Stillstand der Rechtspflege" zu befürchten. Auch Margret Mönig-Raane von der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di wie darauf hin, alle bisherigen Untersuchungen zur Zahl der Arbeitsplätze, die sich aus der Dienstleistungsrichtlinie ergeben könnten, seien "hochspekulativ" und es gelte in diesem Punkt lediglich "Nichts genaues weiß man nicht."
Massive Kritik an der Richtlinie - jedoch aus einer gänzlich anderen Perspektive - übte Christoph von Knobelsdorff von der Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer. Er bemängelte, das ursprüngliche Ziel, den europäischen Binnenmarkt zu vollenden, sei mit dem vorgelegten Entwurf "kaum noch erreichbar". Dafür wäre das Herkunftslandsprinzip "der Schlüssel" gewesen. Durch eine konsequente Anwendung dieses Prinzips hätten "zahlreiche Rechtsunklarheiten" vermieden werden können, mit denen man nun konfrontiert sei.
Martin Gornig vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung urteilte in seiner Bewertung der Auswirkungen der Richtlinie differenziert: Während in dem Bereichen, in denen es um Standardisierungen gehe, vor allem die großen Unternehmen profitieren würden, hätten kleine und mittelständische Unternehmen die Chance, sich über Produktspezialisierungen zu profilieren und könnten einen "großen Markt für kleine Ideen" erschließen. Aussagen über die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt zu treffen, gehe jedoch in den "Bereich der ökonomischen Spekulation". Aus ökonomischer Sicht plädiere er dafür, abzuwarten, "wie die Wirkungen sind" und die Effekte der Richtlinie zu beobachten.