Bundestagsvizepräsident Burkhard Hirsch (F.D.P.)
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Was war während Ihrer Mitgliedschaft
im Bundestag der spannendste und aufregendste Moment?
Der Tag, an dem die Mauer fiel und wir plötzlich begriffen,
daß wir nach 40 Jahren an dem Ziel angekommen waren, das wir
uns immer gewünscht haben, nämlich die deutsche
Wiedervereinigung. Als zweitwichtigsten Tag möchte ich den Tag
der Regierungserklärung von Willy Brandt nennen, als ich 1972
zum ersten Mal in den Bundestag gewählt worden war und eine
wirklich bewegende Regierungserklärung unter dem Stichwort
"Mehr Demokratie wagen" abgegeben wurde. Ich habe damals kurz
danach bei der Haushaltsberatung meine erste Rede im Bundestag
halten können/müssen, die ich heute noch genauso halten
würde, mit einer einzigen Ausnahme. Ich habe damals die
Kernenergie als besonders umweltfreundlich erwähnt. Eine
Bemerkung, die ich schon kurz danach im Zusammenhang mit der
Lagerproblematik als falsch erkannt habe und die die einzige
parlamentarische Äußerung ist, die ich am liebsten
ausradieren möchte, eine Dummheit, die ich mir nie verziehen
habe.
Was kann der einzelne Abgeordnete
politisch erreichen?
Das kommt darauf an, wie gut er ist und ob er sich mit seiner
Fraktion im Einklang befindet oder nicht. Wenn die Kraft des
gesprochenen Wortes eine politische Bedeutung bekommen soll, dann
nur, wenn man nicht an 6 oder 7 Minuten Redezeit gebunden ist. Aber
wenn ein Abgeordneter sich einen Namen gemacht hat, wenn er den
Zugang zu den Medien gefunden hat, dann kann er erheblichen
politischen Einfluß ausüben. Angesichts der zunehmenden
"Hierarchisierung" des Parlaments ist das aber " wie gesagt " sehr
schwer, wenn der Abgeordnete von den Positionen seiner Partei
abweicht und wenn er trotzdem die Vorstellung hat, eine Karriere
machen zu wollen oder zu können.
Erinnern Sie sich an eine besondere
parlamentarische Anekdote?
Am meisten Vergnügen haben die Wetten gemacht, ob man
bestimmte Redewendungen oder wer als erster eine bestimmte
Redewendung in eine Rede einbauen könne, ohne daß das
auffällt. So hatte ich nach einer Ballonfahrt mit dem
schwergewichtigen Geschäftsführer unserer Fraktion,
Torsten Wolfgram, darüber gewettet, wer als erster das Jules
Verne-Zitat "Ballonfahren ist das Größte" unterbringen
könnte, eine Wette, die ich nur deswegen verloren habe, weil
er als Geschäftsführer eine Änderung der
Tagesordnung des Plenums und damit durchsetzte, daß der Punkt
zuerst behandelt wurde, bei dem er sprechen sollte, nämlich
die Haftung für Unfälle bei Schleppliften, während
ich dasselbe Zitat bei einer Rede über die Reform der
Verwaltungsgerichtsordnung unterbrachte, aber eben " wie gesagt "
als zweiter. Ebenso habe ich gewettet über die Formulierung
"Nieder in den Staub mit den Feinden Brandenburgs" " erfolgreich "
ebenso haben wir gewettet, daß jeder Teilnehmer an einer Reise
nach China in seiner ersten Rede die Worte unterbringen müsse:
"In einer Nacht in der Chinesischen Staatsbahn 1. Klasse" " es
gelang allen in einer Haushaltsdebatte, was dem Plenum aber
schließlich doch auffiel, weil hintereinander vier Redner mit
dieser Formulierung aufwarteten, Frau Vollmer gleich
fünfmal.
Wurden Ihnen Abgeordnete anderer
Fraktionen zu wirklichen Freunden oder Freundinnen?
Ja, wobei ich hinzufügen muß, daß die
Freundschaften, die ich in der sozial-liberalen Koalition gefunden
hatte, die dauerhaftesten waren. Im übrigen ist der Begriff
"Freund" in der Politik so schillernd, daß es schwer ist,
darüber etwas zu sagen. Es ist schwer, in der Politik
Freundschaften zu schließen, und zwar unabhängig davon,
ob sie sich auf die eigene Fraktion beziehen oder auf andere, und
es werden Freundschaften in diesem Bereich auf eine harte Probe
gestellt. Ich habe in meiner Fraktion und zu Mitgliedern anderer
Fraktionen Freundschaften geschlossen, von denen ich weiß,
daß sie halten werden. Ich habe in meiner Fraktion und in
anderen Fraktionen aber auch Menschen kennengelernt, die mich
zunächst interessierten und denen inzwischen meine Verachtung
gilt.