BUNDESTAG ÄNDERTE GERICHTSVERFASSUNGSGESETZ Überkommene hervorgehobene Stellung der Vorsitzenden Richter reduzieren(re) Der Bundestag hat sich am 29. Oktober mehrheitlich dafür ausgesprochen, Bestimmungen des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) über die Präsidialverfassung der Gerichte und die Geschäftsverteilung eingetretenen Rechtsentwicklungen und dem veränderten Anforderungsprofil, dem sich die Justiz zu stellen habe, anzupassen. Auf Empfehlung des federführenden Rechtsausschusses ( 14/1875) beschloss das Parlament deshalb einen Gesetzentwurf von SPD und Bündnis 90/Die Grünen ( 14/979) zur Stärkung der Unabhängigkeit der Richter und Gerichte in veränderter Fassung. Die Abgeordneten versprechen sich von diesem Schritt eine effizientere Justiz und eine höhere Eigenverantwortlichkeit der Richter. Durch die Änderungen des GVG soll das Präsidium als eigenständiges zentrales Organ richterlicher Selbstverwaltung gestärkt werden, indem die laut Parlamentsmehrheit überkommene hervorgehobene Stellung der Vorsitzenden Richter zugunsten einer Gleichrangigkeit reduziert werde. Zugleich würde damit das Zustandekommen einvernehmlicher Lösungen für die Geschäftsverteilung und anderer vom Präsidium zu entscheidender Fragen unterstützt. Dies sei auch ein Beitrag dazu, sachlich nicht mehr gerechtfertigte Privilegien, die sich häufig als Hindernis auf dem Weg des Wandels der Justiz erwiesen hätten, zu überwinden. Entsprechend einem vielfach vorgetragenen Bedürfnis der Richterschaft, so die Abgeordneten weiter, werde künftig die so genannte Richteröffentlichkeit der Präsidiumssitzungen eingeführt. Diese sollen im Regelfall den Richtern des Gerichts zugänglich sein, wobei die Möglichkeit des Ausschlusses der Öffentlichkeit im Hinblick auf den Persönlichkeitsschutz betroffener Richter vorgesehen ist. Sonderregelung verlängertDas Parlament beschloss zudem, die Ende dieses Jahres auslaufende Sonderregelung des Rechtspflege-Anpassungsgesetzes, wonach im Gebiet der neuen Bundesländer an einer gerichtlichen Entscheidung mehr als ein abgeordneter Richter mitwirken darf, für den Bereich der Oberlandesgerichte und Landessozialgerichte um weitere fünf Jahre zu verlängern. Damit wurde eine Forderung in einem Gesetzentwurf des Bundesrates ( 14/1124) übernommen. Die CDU/CSU begründete ihre ablehnende Haltung zu der Gesetzesinitiative der Koalition damit, die Änderung der Präsidialverfassung sei allein ideologisch begründet. Ein Handlungsbedarf sei weder ausreichend vorgetragen noch habe er sich aus einer vom Ausschuss am 25. Oktober veranstalteten öffentlichen Anhörung zu den Gesetzentwürfen ergeben. Untersuchungen des Justizministeriums Baden-Württemberg hätten gezeigt, so die Union weiter, dass Mängel in der Wirtschaftlichkeit der derzeitigen Präsidialverfassung nicht zu belegen seien. Bedenken der CDU/CSUZudem erhoben die Oppositionsabgeordneten verfassungsrechtliche Bedenken wegen des während der anstehenden Präsidiumswahlen bei den Gerichten erfolgenden Wechsels des Verfahrens. Es könnte die Frage aufkommen, ob der gesetzliche Richter ordnungsgemäß bestimmt worden sei, wenn ohne Übergangsregelungen gewählte Präsidien Geschäftsverteilungspläne erstellt hätten. Auch für die F.D.P. hat die Anhörung des Ausschusses keinen Nachweis für die Notwendigkeit der vorgeschlagenen Änderungen erbracht. Die PDS hingegen begrüßte die Vorlage, sah aber ebenfalls Probleme bei der Überleitung angesichts der anstehenden Präsidiumswahlen. Keine Mehrheit fand im Bundestag ein Entschließungsantrag der F.D.P. ( 14/1884), den Gebührenabschlag der Anwaltschaft in den neuen Bundesländern aufzuheben. Eine solche Regelung ist nach Ansicht der Liberalen zehn Jahre nach dem Fall der Mauer gerechtfertigt. Die Koalitionsfraktionen lehnten das Anliegen unter anderem mit dem Hinweis auf die im Bundesjustizministerium geplante Neuordnung des Gebührenrechts ab. Den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Rechtspflege-Anpassungsgesetzes ( 14/1124) erklärte das Parlament ebenso für erledigt wie einen weiteren Entwurf der Länderkammer zur Reform der Präsidialverfassung der Gerichte ( 14/597). Bei der Anhörung des Rechtsausschusses zu dem Vorhaben der Koalition hatten SPD und Bündnisgrüne Unterstützung beim Präsidenten des Landgerichts Lübeck, Hans-Ernst Böttcher, gefunden. Sein Fazit lautete, die angestrebten Regelungen seien großenteils geeignet, angezeigte Mängel und Probleme zu beheben. Böttcher unterstützt insbesondere die Absicht, dass künftig alle Richter eines Gerichts einen einheitlichen Wahlkörper bilden und eine gesonderte Wahl durch Vorsitzende Richter nicht mehr stattfindet. Damit sei eine "eklatante Wahlrechtsungleichheit" beseitigt. Eine ähnliche Position nahm Reiner Lips, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Dresden, ein. Für Dr. Markus Wiebel, Richter am Bundesgerichtshof, trägt die Gerichtsverfassung nach wie vor "Züge aus vorkonstitutioneller Zeit", die teilweise den Vorgaben des Grundgesetzes nicht entsprächen. Die vorgeschlagene Beschlussfassung über die Geschäftsverteilung im Spruchkörper durch aller betroffenen Berufsrichter wird Wiebel zufolge für eine beträchtliche Anzahl dieser Spruchkörper und deren Vorsitzende de facto keine Veränderungen bedeuten. In anderen Fällen werde allerdings eine massive Steigerung der Effizienz der gemeinsamen Zusammenarbeit zu verzeichnen sein. Änderungsbedarf verneintKritisch äußerte sich hingegen Walter Dury, Präsident des Oberlandesgerichtes Zweibrücken. Aus der Sicht der Praxis sei Reformbedarf nicht ersichtlich. Bei der herausgehobenen Stellung der Vorsitzenden gehe es insbesondere nicht um Privilegien, sondern um eine funktionsbezogene Aufgabenzuweisung. Diese habe zum Ziel, die Geschäftsverteilung durch das Präsidium möglichst sachgemäß und effektiv zu erfüllen. Ein praktisches Bedürfnis für grundlegende Änderungen in der Präsidialverfassung der Gerichte vermochte auch Peter Gummer, Vizepräsident des Bayerischen Oberlandesgerichtes, nicht zu erkennen. Er habe in 27 Jahren beruflicher Erfahrung keine Anhaltspunkte dafür gewinnen können, dass die Unabhängigkeit der Richter oder die Selbstständigkeit der Gerichte durch die bestehende Form der Präsidialverfassung gefährdet sein könnten. |