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Lotsen im Besucher strom
Der Besucherdienst des Deutschen Bundestages betreute bisher über elf Millionen Gäste
Noch bevor die 669 Bundestagsabgeordneten ihre Arbeit in Berlin aufgenommen hatten, kamen die Neugierigen in Scharen. Rund 430.000 Berliner und Touristen aus aller Welt schauten sich während der Tage der Ein- und Ausblicke im April und im August den Reichstag einmal ganz genau an. Inzwischen sind den "Normalbürgern" nur noch Teile des Reichstags zugänglich, aber die Besucherströme reißen nicht ab.
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Tagtäglich nehmen zwischen 5.000 und 7.000 Interessierte stundenlanges Schlangestehen auf sich, um von der Kuppel aus den Blick über die alten und neuen Gebäude und die vielen Baustellen rings um das Reichstagsgebäude schweifen zu lassen. Der Besucherdienst des Deutschen Bundestages, der seit Bestehen der Bundesrepublik den Bürgern den Parlamentsbetrieb näher bringt, kann sich über einen Mangel an Arbeit nicht beklagen.
Mit etwa doppelt so vielen Besuchern wie in Bonn rechnete Jörg Allkämper, der Chef des Besucherdienstes, noch vor einem halben Jahr. "Es können auch dreimal so viele werden", fasst er jetzt die Erfahrungen der ersten Monate zusammen. Auch die Zahl der Prominenten, die bei ihm eine Sonderführung beantragen, hat zugenommen. So besichtigten bei der Einweihung der skandinavischen Botschaften die königlichen Majestäten aus Schweden, Dänemark und Norwegen den Reichstag.
Auch viele ausländische Parlamentarier interessieren sich für den Ort in Deutschland, an dem die politischen Entscheidungen fallen. Fast 700 VIPs hatte der Bundestag im vergangenen Jahr zu Besuch.
Insgesamt kümmerte sich der Besucherdienst seit Bestehen der Bundesrepublik um rund elfeinhalb Millionen Neugierige. In Zukunft werden es voraussichtlich etwa eine halbe Million Besucher pro Jahr sein. Das belegen auch die Anfragen, die der Besucherdienst schon im Vorfeld bekommen hat. Ein großer Teil stammt von Reiseveranstaltern, die einen Besuch im Reichstagsgebäude in ihr Programm aufnehmen wollen. Dem Besucherandrang wird der Bundestag nur mit Hilfe zusätzlicher Mitarbeiter Herr. Die Zahl der Honorarkräfte wurde von 16 auf 20 erhöht. Voraussichtlich wird aber auch das feste Personal aufgestockt.
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Moderne Architektur begeistert Majestäten: König Harald von Norwegen, Frau Sonia und Bundestagsvizepräsidentin Petra Bläss besichtigen die Reichstagskuppel. |
Lange Öffnungszeiten sind ein weiteres Mittel, um dem großen Interesse gerecht zu werden. Zwischen acht und 22 Uhr ist die Kuppel geöffnet, bei den zweiten Tagen der Ein- und Ausblicke Ende August wurden die letzten Besucher noch um Mitternacht durch das Reichstagsgebäude geführt.
Für die normalen Gäste ist das Parlamentsgebäude an 351 Tagen geöffnet. Nur an hohen Feiertagen schließt der Bundestag seine Pforten. Ansonsten herrscht Sieben-Tage-Woche. Bis zu 220 Besucherinnen und Besucher werden stündlich durch den Bundestag geführt, an sitzungsfreien Tagen genauso wie während der Sitzungswochen.
Keine leichte Aufgabe für die Mitarbeiter des Besucherdienstes: In 40 Minuten halten sie einen Schnellkurs in Demokratie und beantworten die zahlreichen Besucherfragen: Welche Aufgaben hat das Parlament, wie arbeitet es, wie funktioniert Gewaltenteilung, wie kommt die Sitzordnung zustande?
Und das nicht nur in Deutsch. Wenigstens eine Fremdsprache - Englisch oder Französisch - müssen die Mitarbeiter beherrschen, um auch die 1998 über 13.000 ausländischen Besucher optimal zu betreuen. Die Fremdenführer des Bundestages müssen aber nicht nur historisch, politisch und sprachlich auf der Höhe sein. Auch Organisationstalent, Improvisationskraft und Menschenkenntnis sind notwendig. "Manchmal müssen sie auch verirrte Teilnehmer wieder einsammeln", verrät Allkämper über die Lotsen in den Besucherströmen.
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An den "Tagen der Einblicke und Ausblicke" warteten Besucher stundenlang, um in das umgebaute Reichstagsgebäude zu gelangen. |
Unverzichtbar ist politische Neutralität. Dennoch kommt die politische Auseinandersetzung bei der Besichtigung des Bundestages nicht zu kurz. Beim Treffen der Besucher mit ihren Wahlkreisabgeordneten oder den Vertretern der Fraktionen entbrennen häufig lebhafte Diskussionen. Die Frage nach den Diäten der Abgeordneten steht dabei ganz oben auf der Liste. Und natürlich die Tagespolitik: Steuerreform, Renten, die Arbeitslosigkeit sind häufig angesprochene Themen. Ins Auge fallen die unterschiedlichen Interessen der Generationen. Die 78.000 Schüler und Studenten, die 1998 den Bundestag besuchten, bewegte vor allem der Rechtsradikalismus. Die Pflegeversicherung brachte eher die 14.000 Senioren in Fahrt.
Die Zahl der Neugierigen, die wissen wollen, wie es da im Zentrum der Bundespolitik aussieht, ist seit der Gründung der Bundesrepublik immer größer geworden. Aber erst seit Mitte der 50er Jahre werden die Zahlen erfasst. Zwischen 250.000 und 300.000 Gäste hat der Besucherdienst in jedem Jahr betreut, genau 251.657 waren es 1998. Den zwölfmillionsten Besucher wird Allkämper voraussichtlich im kommenden Jahr begrüßen.
Ein großer Teil folgt der Einladung ihres Wahlkreis-Abgeordneten, die damit nicht nur den Kontakt zu ihren Wählerinnen und Wählern pflegen. Sie haben auch die Möglichkeit, im Wahlkreis Verständnis für ihre Arbeit in Berlin zu wecken. Kein Wunder also, dass häufig ein Lokalreporter mit von der Partie ist, um einen authentischen "Bericht aus Berlin" zu schreiben. Jeder Abgeordnete kann in jedem Jahr vier Gruppen mit je 50 Besuchern für einen Tag nach Bonn oder Berlin einladen. Ein Kontingent, das fast komplett ausgeschöpft wird.
Doch der Besucherdienst bietet weit mehr als reine Führungen. Besonders seine Parlamentsseminare sind ein großer Erfolg. Über 3.000 Multiplikatoren der politischen Bildung wurden bei diesen eintägigen Veranstaltungen im vergangenen Jahr intensiv über Aufgaben und Arbeitsweise des Bundestages informiert. Diese Seminare sind vor allem bei politischen Stiftungen, Lehrerverbänden und der Bundeswehr gefragt.
Daneben sind für den Leiter des Besucherdienstes die Seminare mit Journalisten wichtig. Er berichtet, vielen Redakteuren werde durch die sachliche Auseinandersetzung mit der Bundespolitik abseits der Tagespolitik ein anderes Bild von der Arbeit der Parlamentarier vermittelt. Jedes Jahr werden auch zwei Seminare für amerikanische Journalisten veranstaltet, die auf Einladung der RIAS-Berlin-Kommission die Bundesrepublik besuchen.
Der Politikverdrossenheit junger Leute will der Bundestag mit seinen Jugendprojekten begegnen. Auch daran ist der Besucherdienst beteiligt. Bei der Aktion "Jugend und Parlament" zum Beispiel reisen jedes Jahr 450 junge Leute für drei Tage nach Berlin. Dort schlüpfen sie in die Rollen der Parlamentarier und debattieren im Plenum sogar unter der Leitung des echten Bundestagspräsidiums.
Einmal den Plenarsaal besichtigen - das können auch Einzelbesucher: Allein über die Homepage des Bundestages meldeten sich 1998 44.000 Bürger dazu an. Mit regelmäßigen Führungen sorgt der Besucherdienst dafür, dass möglichst alle Besichtigungswünsche erfüllt werden. Wer allerdings hofft, kurzfristig eine Plenarsitzung miterleben zu können, wird oft enttäuscht: Nur zehn Plätze stehen dafür pro Sitzung zur Verfügung. Die Fraktionen haben größere Kontingente. Auch für Interessierte ohne Parteibuch.
Infos
Dachterrasse und Kuppel können über den Westeingang täglich von 8.00 bis 24.00 Uhr besucht werden (letzter Einlass 22.00 Uhr). Für Behinderte besteht ein Zugang zur Dachterrasse und zu den Tribünen unterhalb der Freitreppe an der Westseite des Gebäudes.
Der Besucherdienst des Deutschen Bundestages informiert über die Teilnahme an einer Plenarsitzung und über Informationsvorträge auf der Tribüne des Plenarsaales.
Anschrift:
Deutscher Bundestag
Besucherdienst
Platz der Republik 1
11011 Berlin
Telefon: 030/227-321 52 oder 030/227-221 52.
Dort wird auch Auskunft über die ab Januar 2000 vorgesehenen Architektur- und Kunstführungen durch das Reichstagsgebäude erteilt.