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Der Kuppelputzer
Wie das neue Symbol Berlins innerhalb von zwei Wochen auf Hochglanz gebracht wurde
Zum ersten Mal wurde die gesamte Reichstagskuppel gereinigt. Dazu braucht es neben aufwendiger Technik auch Menschen: Detlef Horst verbindet mit seinem Job mehr als nur die schöne Aussicht.
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Ganz oben beginnt die Arbeit. Detlef Horst schiebt die Mütze aus der Stirn, nimmt den Schlauch und richtet ihn auf die Glasfläche. Der Wind zerstäubt den Strahl in tausend Perlen, die in alle Himmelsrichtungen davonfliegen. Nur wenige erreichen ihr Ziel. Also noch mal von vorn. Sein Kollege hält inzwischen den Steigerwagen in Schach, der vom Dezemberwind ein wenig ins Schaukeln gerät. Detlef Horst ignoriert den wankenden Boden unter sich, greift nach dem Schrubber und lehnt sich so weit wie möglich über die Brüstung, um mit Schwung alles, was die Stadt an Dreck in die Luft gewirbelt hat, von den fein gewölbten Glasscheiben zu wischen.
Die beiden Männer stehen fast fünfzig Meter über dem morgendlichen Verkehrschaos, das unten vor dem Reichstag und dem Brandenburger Tor die Straßen beherrscht. Der Lärm dringt kaum bis zu ihnen durch, hier oben behält das Rauschen des Windes meist die Oberhand. Ein lauschiges Plätzchen ist es aber keineswegs, denn sie arbeiten unter Zeitdruck. Für den atemberaubenden Ausblick auf die unter ihnen liegende Stadtlandschaft haben sie kaum Augen. Innerhalb von nur zwei Wochen wird erstmals die gesamte Kuppel des Reichstages geputzt, nicht nur wie bisher von außen, sondern auch von innen.
Insgesamt sind rund 3.000 Quadratmeter Glas- und 360 einzelne Spiegelflächen zu säubern, etwa so viel wie die Fenster und Türen von 100 Einfamilienhäusern. Und die stehen meist ordentlich im Grünen, nicht inmitten der größten Baustelle Europas, wo tonnenweise Dreck und Staub aufgewirbelt wird. Zu Silvester 2000 soll die Kuppel, das neue Symbol Berlins, blank poliert im Stadtbild leuchten und mit dem Brandenburger Tor um die Wette strahlen.
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Säuberung von außen: Beim großen Winterputz sind rund 3.000 Quadratmeter Glas zu reinigen. |
Detlef Horsts Chef hat die Fensterputzertruppe von vier auf zehn verstärkt, die in zwei Schichten und am Wochenende durcharbeiten. Horst gehört zur Frühschicht. Um drei Uhr morgens steht der 46-Jährige auf, damit er Punkt fünf als einer der Ersten im Reichstag seine Arbeit beginnen kann.
Seit einem knappen halben Jahr ist die vierköpfige Putzkolonne für die Reinigung der rund 100.000 Quadratmeter Glas zuständig, die innen und außen im Reichstag verbaut wurden. Sie wischen Fingerspuren vom Treppengeländer, säubern die riesigen Fenster und Glaswände. Als sich seine Firma Anfang des Jahres um den Reichstagsauftrag bewarb, ließ Horst bei seinem Chef gleich durchblicken, dass er gern hier arbeiten würde. An einem Wochenende kam der Anruf: Die Firma habe den Zuschlag bekommen, Horst gehöre dazu.
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Säuberung von innen: Für diese Premiere musste ein spezieller Steigerwagen konstruiert werden. |
Wenn er die Geschichte erzählt, klingt ein bisschen Stolz mit. Natürlich sei der Reichstag ein ganz besonderer Arbeitsplatz, gibt er zu, auch wenn die Bezahlung leider mit der Bedeutung des hohen Hauses nicht mithalten könne. Die Männer werden nach Tarif bezahlt, 21 Mark und 2 Pfennig die Stunde, mehr ist nicht drin, denn die Konkurrenz in Berlin ist groß.
Der Steigerwagen schaukelt gemächlich eine Etage tiefer. Er hängt an einer speziell konstruierten Stahlrippe, die sich über die Kuppel wölbt und unten in einer Schiene fährt. Die Windstärke bestimmt, wie schnell Detlef Horst und sein Kollege Uwe Leibholt eine Reihe mit 17 Glasscheiben reinigen können. Sie arbeiten sich vom kleinsten, oben liegenden, bis zum größten, am Fuß der Kuppel angebrachten Viereck vor. Um den Steiger wieder in die nächste Position zu bringen, müssen sie die Schienen erst freilegen, die unter schweren Eisengittern im Boden liegen. Dafür brauchen sie bis zu einer Stunde und viel Muskelkraft. Dann geht es an die nächste Reihe. Insgesamt 24 nebeneinander liegende Glasteile bilden einen Ring und formen die Kuppel. Drinnen poliert derweil eine weitere Truppe die Lichtspiegel des trichterförmigen Konus, den die Berliner schon mit einem liebevollen Namen bedacht haben: "Mohrrübe" klingt nun mal einprägsamer als "Lichtumlenkelement", auch wenn damit die Eleganz der mit 360 Spiegeln bestückten Beleuchtung nicht ganz erfasst ist, die Architekt Sir Norman Foster so raffiniert ausgeklügelt hat.
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Detlef Horst, der Kuppelputzer. |
Kleine Spiegel lenken das natürliche Licht, das die Kuppel einfängt, nach unten in den Plenarsaal. Gegen direkte Sonneneinstrahlung schützt ein computergesteuertes Stahlsegel. Die Reinigung des verspiegelten Trichters ist kompliziert. Ein zweiter Steiger musste konstruiert werden, der sich an dem Konus entlanghangelt, damit die Arbeiter jeden Spiegel einzeln abwischen können.
Die Säuberung des Kuppelinneren ist eine echte Premiere, und wie bei allen Erstaufführungen sind alle Beteiligten ein wenig aufgeregt. Doch die Männer sind Profis. Sie wissen, dass trotz hoch komplizierter Elektronik handwerkliches Können gefragt ist. Draußen hat der Wind nachgelassen, und das Sonnenlicht gibt den Blick bis in die hintersten Winkel der Stadt frei.
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Die Arbeit im kleinen Steigerwagen verschafft einmalige Ausblicke aufs Parlamentsviertel. |
"Hier zu arbeiten", sagt Detlef Horst während der Frühstückspause, "das habe ich mir wirklich verdient." Der gelernte Zimmerer und Gebäudereiniger verzieht den Mund zu einem schiefen Lächeln und erzählt von seinem Vater, der im Sommer 1961 den Gerüchten von einer Schließung der Grenze mitten durch Berlin keinen Glauben schenken wollte. Er zog mit seiner Familie in den Ostteil der Stadt, um näher am Arbeitsplatz zu wohnen. Kurz darauf, an seinem Geburtstag, dem 13. August, wurde die Mauer hochgezogen, und die Horsts waren vom Rest der Familie abgeschnitten. Auch in den 20 darauf folgenden Jahren fühlten sie sich nie heimisch in der DDR, und Mitte der achtziger Jahre hatte Detlef Horst "endgültig die Nase voll". Er beantragte eine Ausreisegenehmigung. Vier Jahre ließ man ihn, seine Frau und die beiden Kinder warten und dabei spüren, dass sie in den Augen der Staatsmacht Landesverräter waren. Man drohte den Eltern, ihnen die Kinder wegzunehmen. "Aber die haben ja viel geblufft", weiß Horst heute. Die Bespitzelung war dennoch so unangenehm, dass er mit gemischten Gefühlen dem Tag entgegensieht, an dem er von der Gauck-Behörde den Termin für die Einsicht in seine Akte bekommen wird.
Im August 1989 schließlich ließ man sie gehen. Es war zu spät und zu früh zugleich. Viele DDR-Bürger flüchteten bereits ohne jahrelanges Warten auf Genehmigung über Ungarn in die Bundesrepublik. In West-Berlin herrschte Wohnungsmangel für die Ankömmlinge, die Ereignisse überschlugen sich. Detlef Horst musste mit seiner Familie die geliebte Stadt verlassen, um bei Verwandten in Emden unterzukommen. Vier Jahre lang blieben sie dort, aber Detlef Horst zog es zurück nach Berlin. Also verließen sie wieder Haus und Arbeitsplatz, um in der alten Heimatstadt neu anzufangen. Heute wohnen sie in Reinickendorf, es gefällt ihnen in dem Westbezirk, und "von da aus ist es am Wochenende nicht so weit bis zu unserem Wohnwagen in Fürstenwalde".
In seinen alten Bezirk Prenzlauer Berg geht er nur noch selten, aber manchmal sieht er von der Kuppel aus den Bahnhof Friedrichstraße und erinnert sich, wie er dort unter den argwöhnischen Blicken der Grenzposten den Familienbesuch aus dem Westen abgeholt hat.
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Mit seinen Kollegen unterhält er sich heute manchmal über die Politik, die einige Etagen unter ihnen gemacht wird. "Den Schröder habe ich gewählt", erzählt er, "aber als der Lafontaine nach 33 Jahren das Handtuch geschmissen hat, hat mich das doch ein bisschen aus der Bahn geworfen." Die Diäten der Abgeordneten sind ebenfalls ein beliebtes Thema, die Rentenreform natürlich und das 630-Mark-Gesetz. Seit es geändert wurde, hat er seinen Nebenjob als Gebäudereiniger bei einer Bankfiliale aufgegeben. "Das lohnt sich nicht mehr", sagt er.
Die Frühstückspause ist vorbei, und Detlef Horst klettert wieder in den Steiger, beobachtet von neugierigen Besuchern. Manchen von ihnen steht die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben, denn während der Reinigungsarbeiten dürfen sie nicht auf der inzwischen berühmten Rampe bis unter das Glasdach der Kuppel gehen, sondern müssen sich mit dem Ausblick von der Terrasse aus begnügen. Zwischen 5.000 und 7.000 Menschen wollen täglich die zu Berlins größter Attraktion avancierte "Kuppel der Nation" ("Stern") sehen. "Das ist wie in Mekka", schmunzelt Detlef Horst und macht sich wieder an die Arbeit.
Nathalie Hillmanns