INTERVIEW Iris und Oliver Berben lasen zum Holocaust-Tag "Nie eine Normalität"Jugendbegegnung des Bundestages Zum Holocaust-Gedenktag organisierte der Bundestag eine Jugendbegegnung. In deren Rahmen lasen die Schauspielerin Iris Berben und ihr Sohn Oliver aus dem Buch "Mama, was ist Auschwitz?", in dem die französische Historikerin Anette Wieviorka ihrer 13-jährigen Tochter den Holocaust erklärt. Anschließend sprachen Frau Berben und ihr Sohn mit Blickpunkt Bundestag über die Hintergründe ihres noch wenig bekannten Engagements.
Blickpunkt Bundestag: Wie wurden Sie auf das Buch aufmerksam? Oliver Berben: Der Ullstein-Verlag ist an meine Mutter herangetreten, ob sie im Rahmen der ersten Buchpräsentation vor knapp einem Jahr eine solche Lesung machen könne. Das war hier in Berlin in der Freien Volksbühne. Und ursprünglich sollte dies auch die einzige Veranstaltung sein. Doch das hat sich dann per Mundpropaganda verbreitet. Und so sind dann aus den verschiedensten Teilen Deutschlands Anfragen gekommen. Die interessantesten Anlässe kamen da zusammen. Wir waren zum Beispiel beim Hamelner Kulturforum, wir waren in München im Gasteig im Rahmen der Kulturtage, wir waren bei einer Gedenkveranstaltung in Hannover.
Die Nachfrage ist enorm, auch hier am Rande der Bundestagsveranstaltung gab es wieder zahlreiche Anfragen. Oliver Berben: Wir haben sehr viele Nachfragen von Schulen, was ich am tollsten finde. Da wird auch deutlich, wie interessant diese Form der Aufklärung ist. Vielleicht sollte man das Buch im Rahmen des Unterrichtes allen Schulen zur Verfügung stellen.
Wie erklären Sie sich das große Interesse? Iris Berben: Ich gehe ganz pragmatisch damit um, dass ich hier meine Popularität nutzen kann. Das habe ich viele, viele Jahre nicht gemacht. Ich hatte ein wenig Scheu davor, in einer derart medienstarken Welt als modische Attitüde vereinnahmt zu werden. In den vergangenen 20 Jahren habe ich vor allem in den jüdischen Gemeinden gelesen. Aber das war in erster Linie ein privates Bedürfnis – entstanden sicherlich durch die Nähe zu Israel, durch das Leben, das ich dort kennen gelernt habe. Das hat mich sehr früh in die Pflicht genommen und mich mit der Frage konfrontiert, was es bedeutet, mit seiner Geschichte umzugehen. Man hat die Verantwortung des Kennens, des Wissens um seine Geschichte.
War Ihnen das immer klar, oder haben Sie das bei Ihrem Israel-Aufenthalt entdeckt? Iris Berben: Ich wurde 1950 geboren. Ich gehöre also der Generation an, wo in der Schule das Thema Drittes Reich sehr, sehr gerne überflogen wurde. Es gab bei einem Großteil der Lehrer eine ungeheure Scheu, damit umzugehen. Ich war damals im Internat und bin durch die Berichterstattung über den Sechs-Tage-Krieg auf dieses Land derart aufmerksam geworden, dass ich unbedingt dorthin wollte. Es herrschte damals eine Aufbruchsstimmung, es ging eine ungeheure Kraft davon aus, auch von dem Gefühl: Da baut man was mit auf. Und dort ist es mir so ergangen wie der Mathilde, die hier in dem Buch erzählt: Ich habe dort zum ersten Mal in meinem Leben Menschen gesehen, die eine KZ-Nummer in ihrem Arm eintätowiert haben. Das ist ein Bild, das ich wohl niemals vergessen kann. Da ist für mich eine andere Realität entstanden. Das hat mich dann immer wieder beschäftigt. Erst viel später in meiner Entwicklung ist mir bewusst geworden, wie ich mich da selber einbringen und einsetzen muss.
Aber manchmal sind es Zufälle, die Derartiges bewirken – wie hier die Einladung zur Buchpräsentation, die nun derartige Kreise zieht. Iris Berben: Ja, das ist schön. Oliver und ich haben uns sehr gefreut, auf einem solchen Podium lesen zu können. Und dahinter steckt ein weiterer Zufall. Denn die Veranstalter sind aufmerksam geworden, weil ich bei der Großdemonstration zum 9. November geredet habe. Auch das ist mir einfach so passiert. Ich dachte, ich sollte ein Statement vor einer Kamera halten und sprach plötzlich zu 200.000 Menschen. Und obwohl ich überhaupt nicht vorbereitet war, waren die richtigen Worte da. Das wirkte wieder wie eine Zündung. Viele wurden aufmerksam, viele wollten mehr wissen, und so wurde ich jetzt vom Bundestag eingeladen, bin bei der Rede des Bundespräsidenten dabei, und der israelische Botschafter hat mich auch eingeladen, um mich kennen zu lernen.
Da ist also einiges in Bewegung. Neue Formen des Holocaust-Gedenkens werden probiert. Iris Berben: Ich kann immer nur hoffen, dass es nicht eine Art Zwangsverpflichtung ist. Mein Problem ist: Es gibt einen Anschlag in Deutschland, und es gibt einen Gedenktag in Deutschland, und dann geht man zur Tagesordnung über. Also, man stellt sich der Sache in diesem Moment, aber dann ist es vorbei. Denken wir doch einmal darüber nach, warum 25 Prozent der Jugendlichen heute nicht mehr wissen, was Auschwitz bedeutet. Ist das ein Versagen von Schule, von Elternhaus, von was auch immer? Ich will da keinen Schuldigen festmachen, mir geht es darum, dass wir merken, mit welcher Gleichgültigkeit dieses Thema behandelt wird. Oliver Berben: Ja, aber ich habe auch den Eindruck, dass momentan über das Thema wieder so viel gesprochen wird wie schon lange nicht mehr, und das ist das Allerwichtigste. Das ist ganz besonders von Bedeutung für die jetzige Zeit, weil die Leute, die das noch miterlebt haben, bald nicht mehr da sind. Hier wird man sich eine Form überlegen müssen, die das nicht vergessen lässt – und die junge Leute auch bewegt, weiter darüber zu sprechen und nachzudenken.
Zum Beispiel durch dieses Buch, durch diese Lesungen? Iris Berben: Das ist ein kleiner Mosaikstein. Mich beeindruckt auch diese Zusammenkunft der Jugendlichen, die sich intensiv damit auseinander setzen. Ganz wichtig ist diese Vernetzung zwischen den Geschichtsprojekten, die an Schulen und Stiftungen laufen. Genauso wichtig ist das, was wir mit Sat.1 jetzt initiiert haben, dass Jugendliche an 300 Schulen aufgefordert werden, Kurzfilme gegen Rechts zu machen, und zwar in ihrer Sprache, in ihrer Diktion. Oliver Berben: Und das wird immer mehr. Auch bei der Aktion "Gesicht zeigen" tritt eine geballte Ladung von bekannten Leuten auf, und da hört man vielleicht doch anders zu. Iris Berben: Genau: Franz Beckenbauer hat seine Fußballanhänger, Marius Müller-Westernhagen hat seine Musikliebhaber, ich habe meine Fans – das alles kann man schon nutzen.
Herr Berben, Sie haben viele Fragen des jungen Mädchens an ihre Mutter vorgelesen, haben Sie derartige Fragen auch an Ihre Mutter gestellt, und haben Sie, Frau Berben, ähnliche Antworten gegeben wie diese, die Sie heute vorgelesen haben? Oliver Berben: Einige schon. Ganz klar. Aber man muss berücksichtigen, dass es ein Unterschied ist, ob man ohne Bezug zu dem Geschehen aufwächst oder mit Menschen lebt, die persönlich betroffen waren. Iris Berben: Ich lebe seit 26 Jahren mit einem jüdischen Mann zusammen. Da bekam Oliver natürlich vieles mit, etwa beim Gespräch mit Verwandten über die vielen Familienangehörigen, die im Konzentrationslager umgekommen sind. Das Thema kam schon deshalb immer wieder auf, weil ich eine Deutsche bin, die mit einem Israeli zusammenlebt. Das kann, auch für mich persönlich, nie ganz zu einer Normalität werden.
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