ANHÖRUNG DES EUROPAAUSSCHUSSES
DGB plädiert bei Freizügigkeit für längere Übergangsfristen
(eu) Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hat sich dafür ausgesprochen, die Frage der Übergangsfristen für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer bei der bevorstehenden Erweiterung der Europäischen Union mit der Einwanderungsdiskussion insgesamt zu verbinden. Anlässlich einer Anhörung des Europaausschusses zu den wirtschaftlichen Chancen und Herausforderungen der EU-Erweiterung am 14. Februar erklärte Karin Alleweldt vom DGB, Übergangsfristen zwischen sieben und zehn Jahren seien notwendig. Die enormen wirtschaftlichen und sozialen Ungleichgewichte würden zum Zeitpunkt des Beitritts nicht behoben sein.
Deshalb seien Strategien erforderlich, wie einer sozialen Unterbietungskonkurrenz wirksam begegnet werden könne. Dabei seien Übergangsregelungen zur Arbeitnehmerfreizügigkeit aktiv zu gestalten: Sie müssten eher an inhaltliche Kriterien und weniger an starre Zeitpunkte geknüpft werden. Übergangsregelungen beträfen insbesondere Branchen, in denen die Arbeitslosigkeit besonders hoch sei. Auf die Angst von Arbeitnehmern dort müsse man mit konkreten Initiativen und nicht mit "Hochglanzbroschüren" reagieren, so Alleweldt.
Für den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) erklärte hingegen dessen Hauptgeschäftsführer Ludolf-Georg von Wartenberg, der von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) im Dezember vergangenen Jahres vorgeschlagene Übergangszeitraum bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit sei zu lang bemessen. Zwar greife das Konzept der Bundesregierung die Forderungen der deutschen Wirtschaft nach einer flexiblen und differenzierten Handhabung solcher Fristen auf. Doch hätte sich die Wirtschaft einen "weniger defensiven und stärker zukunftsgewandten Ansatz" gewünscht.
Bedarf an Dienstleistungen
Für die Dienstleistungsfreiheit, so der BDI weiter, sollten grundsätzlich keine Übergangsfristen vorgesehen werden. In Deutschland bestehe zum Teil großer Bedarf an Dienstleistungen gerade auf Seiten der im internationalen Wettbewerb stehenden Unternehmen. Gleichzeitig hätten viele deutsche Firmen ein wirtschaftliches Interesse, ihre industriellen Dienstleistungen in den Märkten der Beitrittsländer ohne Einschränkungen zu erbringen.
Für regional und sektoral differenzierte Übergangsregelungen gerade bei der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und der Dienstleistungsfreiheit plädierte auch der brandenburgische Minister der Justiz und für Bundes- und Europaangelegenheiten, Professor Kurt Schelter. Zugleich erwarte die Landesregierung in Potsdam das Aktionsprogramm der EU-Kommission zur Sicherung und Wettbewerbsfähigkeit der Grenzregionen. Schelter argumentierte im Übrigen, gefordert seien "neue oder deutlich wirksamere Maßnahmen", um bei Bürgern und Unternehmen die Bereitschaft zu fördern, sich den Beitrittsländern zuzuwenden.
"Nur geringe Belastungen"
Nach Auffassung von Herbert Brücker vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) wird die Einführung der Freizügigkeit für mittel- und osteuropäische Beitrittskandidaten zu keinen oder nur zu geringen Belastungen auf den Arbeitsmärkten in Deutschland und den gegenwärtigen EU-Staaten führen. Eine Beschränkung der Freizügigkeit sei deshalb voraussichtlich nicht notwendig.
Wolfgang Quaisser vom Osteuropa-Institut in München vertrat die Auffassung, die von der Bundesregierung vorgeschlagene Konzeption von flexiblen und auch vorzeitig aufhebbaren Übergangsregelungen zur Arbeitnehmerfreizügigkeit erscheine angemessen. Ein stärkerer Wettbewerb in einigen Dienstleistungsbereichen, wie beispielsweise dem Handwerk, sei unvermeidbar.
Der Generalsekretär des Europäischen Umweltbüros, John Hontelez, sprach sich dafür aus, Übergangsfristen im Umweltbereich soweit wie möglich zu vermeiden. Keinerlei derartige Fristen dürften für die horizontale Umweltgesetzgebung sowie für den Naturschutz erlaubt werden, so der Sachverständige.