streitgespräch
Streitgespräch über die Globalisierung"Nicht nach dem Wildwest-Modell"
Der Kompass der Globalisierung scheint in eine stabile Zukunft zu zeigen: vernetzte Märkte, robustes Wachstum, steigender Wohlstand. Aber: Drohen mit der Globalisierung auch neue Gefahren? Bleiben Solidarität und soziale Gerechtigkeit auf der Strecke? Drohen neue Spaltungen in der Welt? Was kürzlich großes Thema beim Weltwirtschaftsforum in Davos war, wird auch im Bundestag heftig debattiert. Über Chancen und Risiken der Globalisierung sprach Blickpunkt Bundestag mit dem SPD-Abgeordneten und Vorsitzenden der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen Ottmar Schreiner und der F.D.P.-Abgeordneten Gudrun Kopp, die Mitglied der Enquete-Kommission Globalisierung der Weltwirtschaft ist.
Bedeutet die Globalisierung eine neue Form eines unkontrollierten Kapitalismus, Herr Schreiner?
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Im Gespräch: Ottmar Schreiner ... |
Schreiner: Das kann Globalisierung bedeuten, wenn denjenigen gefolgt wird, die sagen, Globalisierung führe zwangsläufig zu einem Abbau von sozialen Schutzrechten, einem Verlust von stabilen Dauerarbeitsplätzen und zu einem ständigen Wechsel des Betriebs- und Arbeitsplatzes. Ich teile diese Thesen nicht, sondern bin der Auffassung, dass Globalisierung ein politisch gestaltbarer Prozess ist.
Sehen Sie das auch so, Frau Kopp?
Kopp: Durchaus. Ich finde ohnehin, dass wir uns in Deutschland davor hüten sollten, ein Volk von Bedenkenträgern zu sein. Globalisierung findet ja schon weltweit statt; sie ist nicht über uns gekommen, sondern von Menschen gemacht. Wir Politiker müssen sehr darauf achten, nicht hoffnungslos hinter der Globalisierung herzulaufen, sondern aktiv und gestaltend an ihr mitzuwirken und auf sie Einfluss zu nehmen.
Wie viel Schutz und Regulierung bedarf es in einer globalisierten Wirtschaft, damit sie sich nicht verselbständigt?
Schreiner: Es ist unbestritten, dass wir mehr Flexibilität brauchen. Zugleich aber wollen die Menschen im Zuge eines raschen ökonomisch-technologischen Wandels auch Sicherheit. Deshalb denke ich, dass man den Globalisierungsprozess nur vernünftig gestalten kann, wenn diesem tief greifenden Bedürfnis nach sozialer Sicherheit Rechnung getragen wird. Weltweit, aber auch in Deutschland. Wir sind in Deutschland nicht überreguliert und haben auch keine zu hohen sozialen Standards. Wir befinden uns im internationalen Vergleich im Mittelfeld. Da ist also noch einiges zu verbessern.
Wer bestimmt die Spielregeln, wer setzt die Grenzen in einer globalisierten Welt?
Kopp: Das macht die Politik. Sie muss international gültige Rahmenbedingungen für den Wettbewerb setzen. Wir wollen keine Globalisierung nach dem Wildwest-Modell. Wir brauchen dazu ein Grundgerüst von Standards. Wobei wir sehen müssen: An den sozialen Standards, die in Deutschland herrschen, können wir unmöglich die ganze Welt gesunden lassen. Aber es besteht umgekehrt die Chance, die einzelnen Regulierungsformen, die Sozialstandards, die Steuer- und Finanzsysteme, die wir haben, auf den Prüfstand zu stellen. Darin liegt auch eine Chance für die ärmeren Länder, zu mehr Wohlstand zu kommen.
Kann eine globale Wirtschaft überhaupt von einer nationalen Politik kontrolliert werden oder müssen sich künftig auch nationale Politiken vernetzen?
Schreiner: Die nationale Politik hat – Globalisierung hin, Globalisierung her – auch in Zukunft eine ganze Reihe von Regelungskompetenzen. Arbeitszeit und Rente sind Beispiele dafür, wo wir nicht internationalen Zwängen unterworfen sind. Auf der anderen Seite brauchen wir verstärkt gemeinsame europäische Regelungen und Initiativen, und wir brauchen drittens und unbestritten weltweite Mindeststandards, etwa bei den Mindestlöhnen, bei Kinderarbeit und der Organisationsfreiheit der Arbeitnehmer, um nur drei Beispiele zu nennen. Ich kann mir noch eine Menge anderer Themen vorstellen, die wir international verbindlich regeln sollten.
Kopp: Ich bin der Ansicht, dass wir uns sehr viel mehr auf die internationale Ebene konzentrieren müssen. Sonst nützt uns das alles nichts. Auch Europa ist ein Teil dieser Welt. Deshalb lege ich Wert darauf, dass es recht bald eine neue Welthandelsrunde gibt. Dort muss über Finanztransfers, über Fusionskontrollen weltweit agierender Firmen gesprochen werden, dort müssen Handelsabkommen und Standards verabredet werden. Ähnliches gilt für den Internationalen Währungsfonds, der auf seine eigentlichen Aufgaben zurückgeführt werden muss.
Entsteht nicht ein Legitimitätsproblem, wenn Wirtschaftsentscheidungen immer mehr durch internationale Konzerne getroffen werden, die Macht, aber keine demokratische Legitimation haben, und immer weniger durch nationale Regierungen, die zwar Legitimität, aber wenig Macht haben?
Schreiner: Wenn die Politik resigniert und freiwillig abdankt, entsteht dieses Problem durchaus. Es wird keine Legitimations-Probleme geben, wenn die Politik ihren Gestaltungsauftrag wahrnimmt. Ich teile im Übrigen die Auffassung meiner Kollegin Kopp, dass wir mehr internationale Regelungen brauchen. Aber ich bin überrascht, dies gerade von einer F.D.P.-Vertreterin zu hören, weil die F.D.P. bislang ja eher der Meinung ist, Globalisierung führe zu eigengesetzlichen ökonomischen Folgeprozessen, die so gut wie nicht gestaltbar sind.
Kopp: Unsinn, wir haben uns immer für internationale Rahmenbedingungen eingesetzt. Wenn die wichtigen Wirtschaftsnationen sich weltweit auf Rahmenbedingungen einigen, haben wir gewissermaßen auch ein Rahmenkonzept für Wettbewerbs- und Fusionskontrolle. Aber wir müssen uns weltweit auf Standards einigen.
Schreiner: Richtig.
Droht durch die rasante Entwicklung in der Informations-, Bio- und Gentechnik eine neue Spaltung der Welt, weil die bildungsarmen Entwicklungsländer hier nicht mithalten können?
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... mit Gudrun Kopp. |
Kopp: Das muss nicht so sein. Ich meine, die Entwicklungsländer haben in einer globalisierten Welt sogar erstmals die Möglichkeit, am weltweiten Informationstransfer teilzunehmen. Insofern ist das auch eine Chance. Die Frage wird sein: Wohin geht das Kapital? Kann man Anreize für reiche Länder schaffen, in einem ärmeren Land zu investieren, um diese überhaupt in die Lage zu versetzen, am internationalen Handel teilzunehmen? Für den, der erst einmal um sein Leben und seine Gesundheit kämpfen muss, ist das nicht möglich. Was noch wichtiger ist: Wir müssen die Märkte öffnen und liberalisieren, um den Entwicklungsländern die Chance zu geben, ihre Produkte frei am Markt handeln zu können.
Schreiner: Einverstanden. Aber ich bin da skeptischer. Denn bei fast der Hälfte der Entwicklungsländer fehlen grundlegende Voraussetzungen, um positiv am Globalisierungsprozess teilzunehmen. So gibt es in vielen Ländern keine funktionierenden Telefonsysteme. Ohne Telefon ist aber eine Beteiligung am Informations- und Globalisierungsprozess nicht denkbar. Die Weltgemeinschaft müsste dazu beitragen, dass überall die infrastrukturellen Grundlagen für eine Teilnahme gegeben sind.
Läuft die Globalisierungsuhr zu schnell?
Kopp: Wir haben gar keine Chance, sie individuell auf unsere Zeitbedürfnisse zu stellen. Der Globalisierungsdruck ist enorm, und wir hinken schon jetzt viel zu sehr nach. Wir stehen unter einem ungeheuren Reformdruck. Wir müssen unsere Standards immer wieder neu überprüfen.
Schreiner: Das Tempo ist in der Tat ungeheuer schnell. Es wäre gut gewesen, die Enquete-Kommission des Bundestages zur Globalisierung der Weltwirtschaft wäre schon in der vergangenen Legislaturperiode eingesetzt worden, dann hätten wir uns einige überflüssige Diskussionen ersparen können.
Ihre Prognose: Überwiegen bei der Globalisierung die Chancen oder die Risiken?
Kopp: Das hängt mit davon ab, wie wir als politisch Handelnde reagieren und tragfähige Rahmenbedingungen schaffen. Wenn wir weltweit und schnell ein stabiles Rahmengerüst aufbauen und gleichzeitig Freiräume für wirtschaftliche Entwicklungen belassen, wird in einigen Jahren unterm Strich die Bilanz positiv ausfallen können.
Schreiner: Deutschland insgesamt wird ziemlich sicher zu den Globalisierungsgewinnern gehören. Aber es wird dabei ein internes Problem geben: Hoch qualifizierte Kräfte bekommen immer bessere Chancen, unqualifizierte Arbeitskräfte immer schlechtere.