Das Schicksal von oppositionellen Reichstagsabgeordneten
Verhaftet, ermordet, vertrieben
Viele Volksvertreter gehörten zu den ersten Opfern des NS-Terrors. Zum Beispiel Julius Leber. Der Chefredakteur der sozialdemokratischen Zeitung „Lübecker Volksbote“ war 1924 für die SPD in den Reichstag gewählt worden. Schon in der Nacht zum 1. Februar, also nur einen Tag nach der „Machtergreifung“, wurde er nach einer von der SA provozierten Schlägerei erstmals verhaftet. Am 23. März nahm man ihn in Schutzhaft, um seine Teilnahme an der Abstimmung über das „Ermächtigungsgesetz“ zu verhindern. Im Mai wegen „Raufhandels“ zu 20 Monaten Gefängnis verurteilt, hielt das Regime ihn bis Mai 1937 immer wieder in Konzentrationslagern fest. Nach seiner Entlassung knüpfte er Kontakte zu Widerstandskreisen – nach einem Sturz des Regimes war er als Innenminister vorgesehen. Noch vor dem Attentat verhaftet, wurde Leber im Oktober 1944 zum Tode verurteilt und am 4. Januar 1945 in Berlin-Plötzensee hingerichtet.
Zum Beispiel Eugen Bolz. Seit 1912 Zentrumsabgeordneter im
Reichstag, war er zeitweise auch württembergischer
Staatspräsident und ein überzeugter Verfechter der
katholischen Soziallehre. Am 19. Juni 1933 wurde er verhaftet und
bis 12. Juli 1933 in so genannte Schutzhaft genommen. Danach
arbeitete er mehrere Jahre für ein Wirtschaftsunternehmen und
nahm im Winter 1941 Kontakte zum Widerstandskreis um Carl Goerdeler
auf. Nach dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 wurde auch er
verhaftet, im Dezember zum Tod verurteilt und am 23. Januar 1945 in
Berlin-Plötzensee hingerichtet.
Zum Beispiel Franz Stenzer. Der bayerische Eisenbahner und
KPD-Abgeordnete gehörte seit 1924 in München zur
Führungsspitze der Partei, konnte nach der
„Machtergreifung“ zwar untertauchen, wurde aber im Mai
1933 verhaftet und ins KZ Dachau gebracht. Dort wurde er am 22.
August angeblich „auf der Flucht“ erschossen. Der
32-Jährige gehörte zu den ersten Toten des Lagers.
Ein Forschungsprojekt, in dem die Lebensläufe der insgesamt 1.583 am 30. Januar 1933 noch lebenden amtierenden oder ehemaligen Reichstagsabgeordneten untersucht wurden, ergab, dass rund 310 soziale Einbußen hinnehmen mussten, aus ihren Berufen verdrängt und um ihr Vermögen gebracht wurden, wenigstens 416 von der Justiz verurteilt und von SA oder SS inhaftiert wurden. Mindestens 73 Mandatsträger kamen während dieser Haft um. Mindestens 167 ehemalige Parlamentarier waren ab 1933 zur Ausreise gezwungen, und etwa 400 Reichstagsmitglieder starben während der folgenden zwölf Jahre. Von sechs Parlamentariern ist bekannt, dass sie in den Selbstmord getrieben wurden.
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Eugen Bolz. |
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Franz Stenzer. |