Die Verbindende
„Wenn ich die Plenardebatte leite, will ich, dass die Menschen auf der Besuchertribüne mich verstehen“, sagt Susanne Kastner, Mitglied der SPD-Fraktion und Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages.
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Susanne Kastner auf einem Eisbrecher vor dem Reichstagsgebäude. |
Zu Beginn einer jeden Legislaturperiode wählen die Abgeordneten das Bundestagspräsidium. Es besteht aus dem Präsidenten und in der Regel so vielen Stellvertreterinnen und Stellvertretern, wie es Fraktionen gibt. Sie alle entscheiden über Angelegenheiten, die die Leitung des Hauses betreffen, und sitzen abwechselnd den Plenarsitzungen vor. Eine Ehre ist es, diesem Gremium anzugehören, und eine Herausforderung dazu. Wer aber sind die Menschen, die diese Herausforderung annehmen?
Möglicherweise käme man mit einem Schiff bis nach Rumänien. Wenn die Donau in Serbien befahrbar wäre, wenn auf dem Balkan nicht ein Krieg stattgefunden hätte, wenn alles schneller ginge mit dem Aufschwung in Südosteuropa. Ob das für diese Geschichte wichtig ist? Vielleicht.
Susanne Kastner kann wunderbar lachen. Über Dinge, die passiert sind, Sätze, die der Fröhlichkeit nicht entbehren, Angelegenheiten, die sich zu einem guten Ende fügen. Die 56-jährige Fränkin aus Maroldsweisach, einem kleinen Ort in den Hassbergen, den in Berlin wohl kaum ein Taxifahrer kennt, kann viel erzählen. Und am Ende sagen die Erzählungen dann etwas über sie, die Vizepräsidentin, die Pädagogin, die Politikerin, die Fahrradfahrerin, die Sozialdemokratin, die Träumerin, die Pragmatikerin.
Vizepräsidentin ist sie geworden, weil man es ihr zutraute. Sie kann reden, vermitteln, die Dinge auf den Punkt bringen, moderieren, den Überblick behalten. Das bringt ihr Respekt ein, ohne dass er ständig neu eingefordert werden muss. Wichtig für eine Vizepräsidentin.
Ihre vorherigen Funktionen in der SPD-Bundestagsfraktion, der sie seit Mai 1989 angehört, gaben ein solides Rüstzeug für die neue Arbeit. Als Mitglied im Geschäftsführenden Vorstand der Fraktion hat Susanne Kastner Geschäftsordnungen und geschriebene und ungeschriebene Verhaltensregeln kennen gelernt. Als Parlamentarische Geschäftsführerin war sie verantwortlich für Öffentlichkeitsarbeit und ist erprobt darin, Sachen zu vermitteln, und zwar so, dass andere interessiert sind und verstehen. Als Fraktionssprecherin für das Thema Tourismus hat sie nach innen und außen kommuniziert.
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Schwieriger, als eine neue Arbeit zu lernen, ist eher immer gewesen, sich von einer Arbeit zu trennen. „Jedesmal, wenn ich etwas tue, mich reindenke und engagiere, fällt es mir schwer, loszulassen. Alles, was ich bisher getan habe, hat Spaß gemacht, ich habe es immer geliebt, und was man liebt, gibt man doch nicht so einfach her.“
Aber da ist ja noch die Neugier. Auf das Neue, die andere Arbeit und die andere Sicht der Dinge, auf andere Menschen und vielleicht – hoffentlich – die größeren Herausforderungen. Das hatte für Susanne Kastner schon immer große Zugkraft. Und am Ende war es auch wichtiger als die Vertrautheit des Bewährten. So zumindest hört es sich an, wenn die Politikerin über ihr Arbeitsleben spricht.
1976 beispielsweise kam sie, gerade mal vier Jahre Mitglied der SPD, in den Gemeinderat Maroldsweisach. Sie war die erste Frau in diesem Gremium, und das war ein hartes Brot, wie sie sagt. „Wer sich mehr als zwei Mal in einer Sitzung gemeldet hat, galt als aufsässig. Das heißt, nach deren Lesart war ich sehr aufsässig.“ Was Susanne Kastner, 30-jährig damals, lernte, war überparteiliche Koalitionen zu schmieden, wenn man wirklich etwas durchsetzen will. „Da muss man manchmal über Grenzen gehen in dem Wissen, dass sich sonst gar nichts ändert.“
Es mag ein ganzes Stück weit hergeholt sein, aber die Sache mit den überparteilichen Koalitionen und der Fähigkeit, sie zu denken, könnte was mit der Familie von Susanne Kastner zu tun haben. Ihr Vater, den sie in einem Fragebogen auf ihrer Homepage ihr größtes Vorbild nennt, war Mitglied der CSU, während sich vier seiner fünf Kinder der Sozialdemokratie verbunden fühlen. Also hat man sich über Politik gestritten, auseinander gesetzt, hat sich manchmal gefunden und manchmal nur die Grenzen abgesteckt. „Mein Vater hat es mir trotz aller Auseinandersetzungen leicht gemacht, mich politisch abzunabeln.“
Wahrscheinlich hat auch die Tochter es dem Vater leicht gemacht, denn Susanne Kastners Sache ist es, um Verständnis zu werben und Verstehen zu ermöglichen. Sie will Verbindungen schaffen. Wenn sie vorn im Präsidium des Deutschen Bundestages sitzt, stellt sie sich vor, wie das, was im Plenum debattiert wird, oben auf den Besuchertribünen ankommt. Manchmal, so denkt sie, vermitteln wir mit unseren Reden und Diskussionen nicht gut genug, was wir eigentlich wollen. Wir sind öffentlich und sollten uns immer derer bewusst sein, die uns zuhören und zuschauen. Man kann vielleicht nicht für alles, was wir tun, Verständnis erlangen, aber alles, was wir sagen, sollte verständlich sein.
Susanne Kastner wünscht sich, vor allem auch Kindern und Jugendlichen nahe zu bringen, wie Politik funktioniert und vonstatten geht. Als sie noch als Religionspädagogin an Schulen gearbeitet hat, lagen die Dinge einfacher. Sie stand vor einer Klasse und es hing im Wesentlichen von ihr ab, ob die bestmögliche Verbindung zu Stande kam, ob Neugier, Interesse und Verständnis geweckt wurden.
„Man muss Bodenhaftung haben. Sonst gehen die Ziele verloren.“
Heute muss sich die Abgeordnete mit vielen verbünden, um das zu erreichen. „Aber ich bin hartnäckig“, sagt sie und lacht. Dazu passt auch die Geschichte, wie sie Lehrerin wurde. Als sie ihren Mann kennen lernte, studierte er Theologie und sie verdiente als Erzieherin den Lebensunterhalt für die Familie. Und als dann die drei Kinder geboren waren, der Ehemann das Theologiestudium beendet hatte, hat Susanne Kastner gesagt: Jetzt bin ich dran mit Studium. Sie qualifizierte sich zur Religionspädagogin. Das ist kein ungewöhnlicher Weg, aber einer, für den man hartnäckig sein muss. „Und Bodenhaftung haben“, sagt sie. „Sonst gehen die Ziele verloren.“ In diesen Zusammenhang gehört vielleicht das neue Fahrrad der Abgeordneten, mit dem sie durch Berlin fährt. Einen ganz leichten Alurahmen hat es und breite stabile Reifen, mit denen man sicher auf dem Boden bleibt. Ein symbolischer Akt ist Fahrradfahren deshalb nicht, einfach nur eine Freude, die sich die Vizepräsidentin gönnt, wenn ihre Zeit es erlaubt.
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Vor einiger Zeit erhielt Susanne Kastner die Ehrendoktorwürde der Aurel-Vlaicu-Universität im rumänischen Arad. Das deutet auf eine vielleicht außergewöhnliche Verbindung hin, die sich nicht nur daraus erklären lässt, dass die SPD-Abgeordnete Vorsitzende der Deutsch-Rumänischen Parlamentariergruppe des Bundestages ist.
Ende 1989, während der revolutionären Umwälzungen in Rumänien, erhielt Susanne Kastner den Hilferuf eines deutschen Arztes, der in Arad in einem Krankenhaus arbeitete. Dort war die Not so groß, dass die Abgeordnete sofort in ihrem Wahlkreis Hilfsgüter sammelte und damit nach Rumänien fuhr. Sie gründete eine Hilfsorganisation und begründete ein Patenschaftsprogramm. „Jetzt kaufen wir in Rumänien sogar ein Kinderhaus.“ Und das sagt sie so, als könne sie es selbst kaum glauben, obwohl es doch wahr ist. In Berlin initiierte sie das Deutsch-Rumänische Forum, das als Dach für Vereine und Organisationen fungiert, die sich mit der deutsch-rumänischen Zusammenarbeit beschäftigen. „Lobbyarbeit im allerbesten Sinne“, sagt sie.
So oft ist die Abgeordnete inzwischen in Rumänien gewesen und jedes Mal hat sich das Land verändert. Was geblieben sei, sagt sie, sei die wunderbare Landschaft und die große Gastfreundschaft, mit der ihr jedesmal begegnet werde, wenn sie dort sei. Susanne Kastner fährt immer noch, weil es nötig ist und weil Not herrscht, mit Hilfskonvois in das südosteuropäische Land.
Vielleicht aber könne sie irgendwann einmal wirklich mit dem Schiff dorthin, das nur Gastgeschenke geladen hätte. Weil die Not vorbei wäre.
Text: Kathrin Gerlof
Fotos: studio kohlmeier