Der rechte Winkel
Als die Ägypter ihre Pyramiden bauten, übernahmen so
genannte Harpedonapten die Aufgabe der Bauüberwachung. Aber
wie einen rechten Winkel ohne entsprechendes Messgerät zu Stande bringen? Mit einem Seil,
das in bestimmten Abständen Knoten hatte, mit deren Hilfe man
beim Ausspannen des Seiles Dreiecke
mit vorgegebenen Seiten und Winkeln bilden konnte.
Ein Seil mit Knoten in Abständen von 30, 40 und 50 Metern
ergab zwischen den Seiten mit 30 und 40 Metern einen rechten
Winkel. Eine geniale Methode, die später in winzig kleinen
– infinitesimalen – Schritten bei der Differenzialgeometrie angewendet wurde.
Mehr als 2.200 Jahre später, rund 300 Jahre vor Christus,
brachte Euklid revolutionäre Erkenntnisse und Poesie in die
geometrischen Angelegenheiten. Unter den fünf Postulaten, die er aufstellte, fand
sich auch jenes, dass alle rechten Winkel einander gleich sind.
Das klingt langweilig? Ganz und gar nicht. Denn das Spannende ist: Rechte Winkel sind einander
gleich, doch sehen sie nicht gleich aus. Das immer Gleiche
erscheint dem Betrachter in erstaunlicher Vielfalt. Dafür
bietet die Architektur unzählige Beispiele. Sie macht aus der
geraden Linie ein Abenteuer und aus
dem rechten Winkel ein Geheimnis. Wenn sie gut ist.
Text: Kathrin Gerlof/Fotos: studio kohlmeier