Wo steht die Gentechnologie heute - in der Grundlagenforschung, in der Medizin und der Landwirtschaft? Wie groß ist ihre wirtschaftliche Bedeutung? Diesen Fragen geht der Gentechnologiebericht nach, den eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften im vergangenen Herbst vorgelegt hat. Auf Initiative des Biochemikers Ferdinand Hucho von der Freien Universität Berlin fand sich dafür ein elfköpfiges Team aus Natur- und Gesellschaftswissenschaftlern zusammen.
Die Arbeitsgruppe hat vier Bereiche analysiert: die Entwicklung der gentechnologischen Grundlagenforschung am Beispiel der Genomforschung, den medizinischen Einsatz in der Gendiagnostik, die Grüne Gentechnik und die wirtschaftliche Nutzung durch Biotech-Start-Ups.
Das Fazit der Arbeitsgruppe zum Bereich Grundlagenforschung lautet: Die Genomforschung hat die Biowissenschaften von Grund auf verwandelt. Statt einzelne Moleküle oder Lebensmechanismen zu erforschen, geht es immer mehr um komplexe biologische Systemzusammenhänge. Die Fülle der Informationen und Wechselwirkungen lässt sich nur noch mit dem Computer analysieren. Die Bedeutung der Bioinformatik ist daher stark gewachsen. Hypothesen einzelner Wissenschaftler spielen demgegenüber eine immer geringere Rolle.
Im Vergleich zu den USA oder Großbritannien sind deutsche Forscher relativ spät in die Genomforschung eingestiegen, doch von 1995 an hat das Bundesforschungsministerium die Analyse des menschlichen Erbguts mit 170 Millionen Euro gefördert, 54 Millionen Euro gab es für die Erforschung von Pflanzengenomen, 45 Millionen Euro für die Bioinformatik, 16 Millionen Euro für die Untersuchung ethischer Aspekte und sozialer Folgen der Genomforschung. Inzwischen arbeiten Wissenschaftler hierzulande in rund 4.600 gentechnischen Anlagen, ohne dass sich die Öffentlichkeit darum noch besondere Sorgen macht. Die gentechnologische Grundlagenforschung ist weitgehend akzeptiert, erklären die Autoren.
Krankheiten heilen können die Genforscher bis heute nicht, dagegen immer mehr mögliche Leiden vorhersagen. Auf dem Gebiet der Medizin konzentriert sich der Gentechnologiebericht daher auf die Gendiagnostik. Diese Testverfahren spüren Erbanlagen auf, die Krankheiten verursachen oder zumindest wahrscheinlicher machen. Die Zahl solcher Gentests hat sich von 1999 bis 2002 verdoppelt. Rund 600 Labore in Europa, davon 112 in Deutschland, bieten heute Gendiagnosen für mehr als 500 Krankheiten an. In den USA sind es 587 Labore. Keine Anzeichen fanden die Verfasser des Gentechnikberichts dafür, dass Gentests an ungeborenen Kindern die Zahl der Abtreibungen erhöhen. Allerdings fühlten sich viele behinderte Menschen durch die vorgeburtliche Diagnostik als "unerwünscht" diskriminiert.
Mehr Streit gibt es um die Grüne Gentechnik. Während weltweit auf gut 80 Millionen Hektar gentechnisch veränderte Pflanzen kommerziell angebaut werden, wachsen sie in Deutschland nur auf Versuchsfeldern. Auch in den übrigen EU-Ländern mit Ausnahme Spaniens gibt es keinen nennenswerten Anbau von Gentech-Grün. Ferdinand Hucho und seine Kollegen fürchten die Abkopplung von internationalen Forschungsprogrammen und die Abwanderung junger Wissenschaftler. Schuld sei das deutsche Gentechnikgesetz, das vorrangig die Gefahren betone, aber auch die Forschung, die keine für den Verbraucher nützlichen Produkte vorweisen könne.
Noch ganz am Beginn steht die kommerzielle Nutzung der Gentechnologie. Nach anfänglich rasantem Anstieg sinkt die Zahl der Biotech-Unternehmen in Deutschland seit 2001. Viele kämpfen ums Überleben. Zu wenig Kapital, zu viele gesetzliche und bürokratische Hürden, vor allem aber zu wenig wirtschaftlichen Sachverstand bei den Gründern sehen die Autoren des Berichts als Ursachen für den Misserfolg. Ihr Trost: Die deutsche Biotechindustrie verfügt heute dank öffentlicher Förderprogramme über einen "deutlich erweiterten Erfahrungsschatz".
Wiebke Rögener
Informationen im Internet: www.bbaw.de