Rede von Dr. Jürgen Meyer im Europäischen Konvent am 03. Oktober 2002 (I)
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte zunächst Dank und Anerkennung für die
hervorragende Arbeit der Arbeitsgruppe und den Bericht von Herrn
Vitorino aussprechen. Ich möchte vier Anmerkungen
anschließen. Erstens, ich bin ausdrücklich für die
Aufnahme der Präambel der Charta in die künftige
Verfassung, das heißt, deren Präambel sollte auch
Präambel der künftigen Verfassung werden. Alle Versuche,
eine neue Präambel zu schreiben, haben nach meinem Eindruck
keine neuen Ideen zu Tage gefördert, und die Präambel war
Gegenstand monatelanger Debatten im ersten Konvent, die wir nicht
wiederholen sollten. Wir haben hier andere Aufgaben und sollten die
Arbeit des ersten Konvents respektieren.
Zweitens, die Bedenken, gerade die unserer britischen Freunde,
waren im ersten Konvent Gegenstand langer Debatten, und sie haben
zu dem Artikel 51 Absatz 2 geführt, der eine Bedingung
für Roman Herzog war, diese Charta überhaupt zur Annahme
zu empfehlen, und da steht: "Diese Charta begründet weder neue
Zuständigkeiten noch neue Aufgaben für die Gemeinschaft
und für die Union." Es handelt sich also um eine
Kompetenz-Schutzklausel, die auf Wunsch gerade unserer britischen
Freunde eingeführt wurde.
Drittens, die Frage, die noch in der Arbeitsgruppe zu behandeln
sein wird, nämlich die der individuellen Einklagbarkeit, ist
aus meiner Sicht von zentraler Bedeutung. Grundrechte, die am Ende
nur auf dem Papier stehen und nicht eingeklagt werden können,
wecken Hoffnung, und am Ende - da gibt es auch historische
Beispiele - enden sie in tiefer Enttäuschung. Deshalb sollten
wir bedenken, dass der Gerichtshof Erster Instanz des EuGH die
Charta bereits anwendet, aber der EuGH in einer Entscheidung im
Juni gesagt hat, dass nun der Gesetzgeber am Zuge sei, das
heißt, der Ball liegt beim Konvent. Wir sollten diese
individuelle Einklagbarkeit vorsehen.
Viertens, Beitritt zur Europäischen Menschenrechtskonvention.
Den halte ich für geradezu logisch zwingend, aber mit Herrn
Vitorino nicht für eine Alternative zur Verbindlichkeit der
Charta, sondern für etwas, das selbstverständlich
hinzukommen muss. Man muss nur sehen, dass es gegen nationale
Grundrechtsverletzungen den Schutz durch die Europäische
Menschenrechtskonvention gibt, und wenn Kompetenzen eingeklagt
werden, muss das selbstverständlich auch für eventuelle
Grundrechtsverletzungen durch Organe der Europäischen Union
gelten. Das ist logisch zwingend.
Rede von Dr. Jürgen Meyer im Europäischen Konvent am 03. Oktober 2002 (II)
Herr Präsident! Die Vorschläge von Gisela Stuart haben dadurch besondere Überzeugungskraft, dass sie klugerweise gemeinsam mit der Arbeitsgruppe Subsidiarität entwickelt worden sind. Ich finde, es ist ein guter Ansatz, auf der einen Seite zu sagen, dass wir den Sachverstand und die Erfahrung der nationalen Parlamente benötigen, um etwa die politische Subsidiaritätsfrage zu beantworten, das heißt ob eine Regelung ausreichend auf der Ebene der Mitgliedstaaten erfolgen kann, also durch die nationalen Parlamente. Gleichzeitig sind wir uns aber auch darüber einig, dass es keine neuen Gremien und keine Vermischung der Entscheidungsebenen geben soll, dass die nationalen Parlamente nicht Mitgesetzgeber werden und dass es auch keine Verzögerungen geben darf. Deshalb finde ich diese Vorschläge gut. Das Gewicht der nationalen Parlamente wird dadurch gestärkt, dass hinter Bedenken, über die die Europäischen Organe, Europäisches Parlament und Rat, befinden können, ein Klagerecht steht. Das muss man im Zusammenhang sehen. Im übrigen sollte es aber dabei bleiben. Hauptansprechpartner der nationalen Parlamente sind die nationalen Regierungen. Da gibt es Einwirkungsmöglichkeiten nach unterschiedlichen Modellen. Die können wir aber nicht von hier aus den Mitgliedstaaten aufoktroyieren, denn das wäre eine Verletzung des Subsidiaritätsprinzips. Das muss man klar auseinanderhalten.