Rede von Dr. Jürgen Meyer im Europäischen
Konvent
am 24. April 2003
Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,
die künftige Verfassung sollte kurz und klar sein. Im Sinne dieser Forderung möchte ich zwei Ergänzungsartikel und im Gegenzug die Streichung von vier Artikeln anregen.
1. Der Soziale Dialog sollte in dem Titel "Demokratisches Leben" in einem eigenen Artikel aufgenommen werden. Das ist nicht nur der Vorschlag der Arbeitsgruppe Soziales Europa, sondern er würde auch manche Irritationen beseitigen helfen, die dadurch entstehen, dass in Artikel 37 die besondere Rolle der Kirchen und weltanschaulichen Glaubensgemeinschaften betont wird, was ich akzeptiere. Aber dann sollte man bitte die Sozialpartner nicht in Teil II verstecken.
2. Zum Demokratischen Leben gehören nicht nur Bürgerinitiativen sondern gehört auch die Möglichkeit, in Bezug auf die Gesetzgebung aktiv zu werden. Deshalb unterstütze ich den Vorschlag, eine Verfassungsgrundlage für Referenden im Blick auf EU-Gesetze zu schaffen. Die Einzelheiten können dann in einem EU-Gesetz geregelt werden. Und mit Alain Lamassoure und anderen bin ich für ein Referendum über die Verfassung am Tag der EU-Wahl.
3. Aber nun zu meinen Streichungsvorschlägen. Ich bin der Auffassung, dass alle Artikel, die nur Wiederholungen der Grundrechtecharta sind, gestrichen werden können. Das sind die Artikel 33, Demokratisches Leben, Artikel 35, Bürgerbeauftragter, Artikel 35 a, Politische Parteien, und Artikel 36 a, Datenschutz.
Die ständige Wiederholung von Artikeln der Charta in Vorschlägen des Präsidiums nervt langsam. Immer wieder gibt es dazu Steichungsanträge. Das Präsidium bleibt aber hartleibig und benutzt die Charta, so als ob man darin blättert und hier und da etwas Schönes entdeckt, um Vorschläge des Präsidiums zu machen. Das ist sprachlich und inhaltlich nicht überzeugend. Sprachlich führt es zu Wiederholungen. Was in Teil I steht, wird dann in Teil II nochmal wiederholt, eventuell in Teil III. So wird der Bürgerbeauftragte in Artikel 35 vorgeschlagen, er wird in Artikel 43 der Grundrechtecharta auftauchen und dann nochmal in Teil II. Das ist sprachlich deshalb unglücklich, weil wir eine kurze, klare Verfassung brauchen. Das Beste wäre es, die Charta an den Anfang zu stellen. Dann würde das Problem möglicher Wiederholungen gar nicht auftreten können.
Aber inhaltlich, und das finde ich bedenklicher, entsteht der Eindruck, dass die Artikel, die Sie wiederholen, höherrangig sind, als diejenigen, die dann in Teil II eventuell bei der Grundrechtecharta erscheinen sollen. Es entsteht der Eindruck, als ob es ein Zwei-Klassen-System von Grundrechten gäbe. Es fällt doch auf, dass die Sozialen Grundrechte bisher in keinem einzigen Fall in den Vorschlägen des Präsidiums auftauchen. Also lassen Sie doch bitte die Grundrechtecharta in Ruhe. Lassen Sie sie unversehrt. Die Grundrechtecharta ist kein Steinbruch, sondern die verständlich und kohärent formulierte Dokumentation einer Europäischen Werteordnung.