Rede von Dr. Jürgen Meyer im Europäischen
Konvent
am 31. Mai 2003
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,
Einstimmigkeit begründet die Gefahr der Handlungsunfähigkeit der erweiterten Union. Mit diesem Grundproblem hat auch Teil III der Verfassung immer wieder zu tun. Dazu meine erste Anmerkung:
Die Herausnahme der gemeinsamen Außenpolitik aus der Mehrheitsentscheidung, wie er in einem früheren Entwurf des Präsidiums noch für den Fall vorgesehen war, dass Europäischer Außenminister und Kommission eine gemeinsame Initiative starten, ist ein schwerer Rückschritt. Dieser steht in krassem Widerspruch zur Debatte dieses Konvents und zu dem vielfach geäußerten Wunsch, aus den Erfahrungen der Irak-Krise die notwendigen Lehren zu ziehen. Über den Bereich der gemeinsamen Außenpolitik hinaus erneuere ich meinen Vorschlag, überall, wo in Teil III immer noch Einstimmigkeit vorgesehen ist, die Einführung einer super-qualifizierten Mehrheit im Rat und der vertretenen Bevölkerung zu prüfen. Es gibt zweifellos schwierige Probleme, die sich wegen der unterschiedlichen Verhältnisse in jedem Mitgliedsland der Mehrheitsentscheidung entziehen. Ich nenne als Beispiel die Zuwanderung auf den Arbeitsmarkt. Hier sollte man ehrlich sein und statt der Fata Morgana von Einstimmigkeitsentscheidungen klare Kompetenzen der Mitgliedstaaten vorsehen.
Eine allgemeine Bemerkung zu Teil III:
In der vorliegenden Fassung ist er charakterisiert durch eine schwer verständliche Bürokratensprache und innere Widersprüche. Natürlich hat der Konvent insoweit kein umfassendes Mandat zur Bearbeitung. Eines sollten wir aber wenigstens versuchen, nämlich die Beseiti-gung logischer Widersprüche zwischen Teil I und Teil III. Es ist inakzeptabel, wenn vorne von "sozialer Marktwirtschaft" gesprochen wird und hinten von "offener Marktwirtschaft" oder vorne von dem Ziel der "Vollbeschäftigung" und hinten in Teil III von einem "hohen Beschäftigungsniveau" zu sprechen, um nur zwei Beispiele zu nennen.
Mein letzter Hinweis:
Zu Teil II gehört auch die Präambel, auf die der erste Konvent mehr als drei Monate intensiver Diskussion verwandt hat. Sie muss unverändert bleiben. Wenn das Präsidium der Verfas-sung allen Ernstes eine neue und weitere Präambel voranstellen will, sollte zumindest der mißverständliche Einschub im zweiten Absatz in der zweiten bis vierten Zeile gestrichen und die sinnentstellende Übersetzung des eigentlich sehr schönen Zitates von Thukydides in mehrere Konventsprachen in Ordnung gebracht werden.
Schönen Dank