Rede von Dr. Jürgen Meyer im Europäischen
Konvent
am 12. Juni 2003
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich möchte mich denjenigen anschließen, die dem Präsidium dafür danken, dass in dem heute vorgestellten Entwurf eine Reihe unserer Wünsche berücksichtigt worden ist. Unter dieser neuen Verfassung wird die Europäische Union demokratischer und rechtsstaatlicher sein als unter dem Regime des Nizza-Vertrages.
Es wird niemand wundern, dass ich mich besonders darüber freue, dass das Bürgerbegehren nun in den Entwurf aufgenommen ist. Das wird die Akzeptanz der Verfassung erhöhen.
Lassen Sie mich noch eine Bemerkung als ein Mitglied des ersten Konvents zur Grundrechtecharta machen: Der Hinweis in der Präambel der Charta auf die Erläuterungen ist ein schmerzlicher Kompromiss! Herr Voggenhuber hat die Vorgeschichte wiedergegeben. Wir haben im ersten Konvent sogar das Präsidium aufgefordert, die Erläuterungen nicht in der Vorkonferenz von Nizza vorzulegen, weil wir sie eben nicht aufgewertet haben wollten. Und wir haben ausdrücklich festgestellt, dass diese Erläuterungen keine Rechtswirkung haben.
Trotzdem hat António Vittorino bei seiner rechtlichen Würdigung in jedem Punkt recht. Die Erläuterungen mussten geändert werden, weil wir die allgemeinen Bestimmungen im Schlusskapitel der Charta geändert hatten, so dass die Erläuterungen dazu geändert werden mussten. Ich habe diese Erläuterungen kürzlich bei der Arbeit für den Kommentar, den ich Ihnen, Herr Präsident, persönlich übergeben habe, sehr genau durchgelesen. Sie sind inhaltlich nicht zu beanstanden. Dadurch, dass der Hinweis auf sie in der Präambel steht, steht er in einem Text, der selber keine unmittelbare Rechtswirkung hat, sondern für die Auslegung der Charta wichtig ist. Es handelt sich also um die Verweisung durch ein Auslegungsinstrument auf ein weiteres Auslegungsinstrument, und davon gibt es künftig eine Menge. Denn es werden viele Kommentare entstehen, und die Erläuterungen werden als etwas schmalbrüstiger Versuch einer ersten Kommentierung zunehmend eine geringere Rolle spielen.
Was mich schmerzt, das ist das Verfahren, nämlich, dass dieser Konvent genau wie der letzte sich mit den Erläuterungen inhaltlich nicht befasst hat, dass viele Delegierte den Inhalt im Einzelnen nicht kennen und trotzdem nun zustimmen sollen, dass dazu hier etwas beschlossen wird. Ben Fayot hat aber recht: Wir brauchen eine einstimmige Zustimmung zu der Rechtsverbindlichkeit der Charta. Und die ist eben nur so zu bekommen. Deshalb: Es schmerzt mich zwar, aber es ist notwendig. Und für mich ist die Verfassung auch deshalb ein Riesenfortschritt, weil sie eine rechtsverbindliche Grundrechtecharta enthält. So wird deutlich: Die Europäische Union ist nicht zuletzt eine Wertegemeinschaft. Und dazu bekennen wir uns alle.