Finanzierung der Steuerreform durch Neuverschuldung überwiegend abgelehnt
Berlin: (hib/POT) Der Plan der Regierung, das Vorziehen der dritten Stufe der Steuerreform von 2005 auf 2004 überwiegend durch eine höhere Neuverschuldung zu finanzieren, ist bei Sachverständigen anlässlich einer Anhörung zum Entwurf für ein Haushaltsbegleitgesetz 2004 (15/1502) am Mittwochmittag auf Kritik gestoßen. Von der Zusammenführung der zweiten und dritten Stufe der Steuerreform verspricht sich die Regierung eine "spürbare" Entlastung von Bürgern und Unternehmen im Umfang von insgesamt 21,8 Milliarden Euro.
Matthias Lefarth vom Zentralverband des Deutschen Handwerks betonte, dass die Spitzenverbände der deutschen gewerblichen Wirtschaft grundsätzlich das mit dem Haushaltsbegleitgesetz angestrebte Ziel begrüße, die bereits verabschiedete Steuersenkungsstufe 2005 auf den 1. Januar 2004 vorzuziehen. Eine Finanzierung der Steuerreform über zusätzliche Schulden bezeichnete Lefarth jedoch als "inakzeptabel". Dies enge die Haushaltsspielräume ein und verursache die "Steuererhöhungen von morgen". Aus Sicht der deutschen gewerblichen Wirtschaft sollte der einmalige Finanzierungsbedarf im Haushalt 2004 durch Einmalerlöse aus Privatisierungen und Kürzungen der konsumtiven Staatsaufgaben gegenfinanziert werden, so Lefarth weiter. Besonders kritisierte er, dass den Entlastungen durch das Vorziehen der Steuerreform durch die im Haushaltsbegleitgesetz geplanten Maßnahmen ab 2005 Mehrbelastungen in Höhe von über 10 Milliarden Euro für Bürger und Unternehmen gegenüberstünden. Eine Finanzierung der Steuerreform über den Abbau von Subventionen könne die gewerbliche Wirtschaft nur zustimmen, wenn die Steuertarife in entsprechendem Umfang dauerhaft gesenkt werden.
Nach Ansicht von Alfons Kühn vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag könnte ein Vorziehen der Steuerreform nur dann Konjunkturimpulse auslösen, wenn die Verbraucher sicher sein könnten, im nächsten Jahr über ein höheres Einkommen verfügen zu können. Angesichts der Diskussion um höhere Sozialversicherungsbeiträge durch die anderen geplanten Reformen sei gerade dies jedoch nicht zu erwarten. Laut Lüder Gerken von der Stiftung Marktwirtschaft kann
durch ein Vorziehen der Steuerreform, "kein nennenswerter konjunkturpolitischer Effekt" erzielt werden. Sofern das Vorziehen nicht vollständig durch Privatisierungen, Senkung der Staatsausgaben und Subventionsabbau gegenfinanziert werden könne, solle auf das Vorziehen verzichtet werden. Auch Professor Wolfgang Kitterer (Universität Köln) bezweifelte, dass das Vorziehen der Steuerreform einen wesentlichen Beitrag zur Überwindung der konjunkturellen Stagnation leisten könne, da die Nachfrageschwäche im Konsum- und Investitionsbereich überwiegend struktureller Natur sei. Nach Auffassung von Professor Stefan Homburg (Universität Hannover) ist die Diskussion um ein Vorziehen der dritten Stufe der Steuerreform vor dem Hintergrund, dass Deutschland nach den heutigen Erkenntnissen auch ohne Vorziehen der dritten Stufe das Maastrichter Defizitkriterium von drei Prozent verfehlen werde, eine "Gespensterdebatte". Ein vorsätzliches Überschreiten der Defizitgrenze durch eine zusätzliche Neuverschuldung von 15 Milliarden Euro durch das Vorziehen der Steuerreform wäre von völlig neuer Qualität und bedeutete eine grundsätzliche Gefährdung des Stabilitätspaktes, so Homburg.
Professor Victor Steiner vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) plädierte dagegen für ein Vorziehen der dritten Stufe der Steuerreform ohne sofortige Gegenfinanzierung. Nur für diesen Fall sei von einer solchen Maßnahme ein Beitrag zur Stabilisierung der konjunkturellen Entwicklung zu erwarten. Nach Berechnungen des DIW könnte das Wirtschaftswachstum um 0,3 Prozent höher ausfallen als ursprünglich prognostiziert und damit bei 1,6 Prozent im Jahr 2004 liegen. Die kurzfristige Erhöhung der Budgetdefizits müsse allerdings von einer mittelfristig angelegten, glaubwürdigen Konsolidierungsstrategie zur substanziellen Rückführung der konsumtiven Staatsausgaben und zum Subventionsabbau begleitet werden, so Steiner weiter.