interview
Serie: Junge Journalisten fragen junge Abgeordnete
"Ich will nah an den Menschen bleiben"
Dominik Ohlig: Wie war das Gefühl, als du endgültig gewusst hast, dass Klaus Müller Umweltminister in Schleswig-Holstein wird und du in den Bundestag nachrücken wirst?
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Dominik Ohlig (24) im Gespräch mit der gleichaltrigen Abgeordneten Grietje Bettin. |
Grietje Bettin: Da ich direkt an den Koalitionsverhandlungen beteiligt war, zeichnete es sich recht früh ab, dass zumindest eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür bestand, dass ich in den Bundestag nachrücken könnte.
Ein schönes Gefühl?
Ja, ich habe mich riesig gefreut. Es wäre zwar schöner gewesen, wenn ich mein Pädagogikstudium ganz abgeschlossen hätte. Leider hat es nicht ganz geklappt, obwohl ich mir eigentlich vorgenommen hatte, bis zur Landtagswahl fertig zu sein. Aber auch jetzt werde ich alles daransetzen, meine Diplomarbeit in der Sommerpause fertig zu schreiben. Im September ist Abgabetermin. Das passt noch ganz gut.
Wie war denn dann der erste Tag im Bundestag?
Ich habe ja die Büromitarbeiterin von meinem Vorgänger übernommen. Sie hat mir den groben Ablauf erklärt. Dann ging's nach sehr vielen Presseterminen schon gleich in die Fraktionssitzung. Hier gab es viele, die auf mich zugekommen sind, mir einige Tipps gegeben und den Ablauf hier in Berlin erklärt haben. Zunächst muss man schon gucken, wo es welche Sitzordnungen und sonstige Rituale gibt. Aber das war schnell zu begreifen. Der ganze Apparat ist an sich ja sehr durchschaubar.
Hast du vorher denn schon deine jetzigen Kollegen gekannt?
Eigentlich nur sehr wenige. Ich war in erster Linie auf Landesebene als Mitglied im Landesvorstand der Partei und bei der grünen Jugendorganisation aktiv. Auch war ich Mitglied der Ratsversammlung in Flensburg. Hier wollte ich Prioritäten setzen, so dass für die Bundespolitik kaum Zeit blieb.
Kamen die Fraktionskollegen auf dich zu und haben dich begrüßt?
Ja klar. Viele hatten durchaus Interesse zu erfahren, mit wem sie es in den nächsten zweieinhalb Jahren zu tun haben würden. Doch insgesamt geht alles sehr schnell in Routine über. Der Alltag wartet nicht. Zunächst ging es dann darum, welches Arbeitsfeld ich übernehmen werde.
Du bist jetzt im Innenausschuss und im Unterausschuss "Neue Medien". Außerdem bist du medienpolitische Sprecherin der Fraktion und stellvertretendes Mitglied im Bildungsausschuss. Bist du damit zufrieden?
Auf jeden Fall. Gerade der Bereich Medienpolitik ist superspannend. Hier kann ich in einem innovativen Bereich vieles mitgestalten. Neue Medien interessieren mich sowieso auch schon aufgrund meines Studiums. Meine Diplomarbeit schreibe ich ja zum Thema "Politische Jugendbildung im Zeitalter der neuen Medien".
Was willst du in diesem Bereich erreichen?
Medien, speziell die neuen Medien, betreffen mittlerweile ja fast alle Bereiche: Wirtschaft, Innenpolitik, Bildungspolitik usw. Ich begreife den Medienbereich als Querschnittsthema. Aus allen Bereichen sollen sich die Medienfachleute an einen Tisch setzen. In Berlin läuft das doch alles sehr getrennt ab.
Neue Medien – dieser Begriff ist noch ziemlich jung, das Gebiet betrifft vor allem junge Menschen. Siehst du als junge Abgeordnete bei solchen Themen deine Stärken?
Nein, ich glaube nicht, dass das grundsätzlich eine Frage des Alters ist. Es gibt viele erfahrene Abgeordnete, die eine Menge Ahnung von der neuen Technologie haben.
Reden die jungen Bundestagsabgeordneten untereinander darüber, mal die jungen Themen anzupacken – vielleicht auch parteiübergreifend?
Junge Themen an sich gibt es ja nicht, weil irgendwie alle Themen die nachfolgenden Generationen betreffen. Aber es gibt schon eher einen Draht zu den jüngeren Abgeordneten, und das ist auch parteiübergreifend. Man hat eine etwas andere Sicht auf Politik als die um die 50-Jährigen, oft eine ähnliche Kritik an Strukturen, aber andere junge Politiker, die beispielsweise vor eineinhalb Jahren gewählt worden sind, haben sich irgendwie schon an den ganzen Apparat gewöhnt und ihn akzeptiert.
Was stört dich genau?
Ich bin sehr auf Teamwork eingestellt. Schon seit der Zeit bei der Jugendorganisation der Grünen. Und auch später haben wir trotz politischer Differenzen doch versucht, auch mal überparteilich die Themen auf den Weg zu bringen. Das ist in Berlin sehr schwer. Man ist oft auf sich gestellt.
Musstest du dich in irgendeiner Weise ändern oder anpassen?
Ich glaube, das macht man ganz automatisch. Ich ziehe mich hier schon häufiger schick an. Der Kapuzenpulli bleibt zu Hause. Das muss im Plenum nicht sein. Aber wenn mich die schicke Kleidung einschränken würde, würde ich mich auch legerer für den Bundestag anziehen. Das ist mir ziemlich egal. Was manchmal nervt, sind so bestimmte Rederituale, Endlosmonologe der Kollegen. Da habe ich das Gefühl, dass dies in Berlin noch ausgeprägter ist als in Flensburg.
Bei deiner ersten Rede im Bundestag am 11. Mai kamen gleich spitze Bemerkungen von den Oppositionsbänken. War das schwer für dich?
Nein, das bin ich schon im Kleinen von kommunaler Ebene gewöhnt. Teilweise waren sie ja auch nett und witzig gemeint. Aber ich glaube schon, dass es im Bundestag eine Nummer härter zugeht. Aber nicht so, dass man es nicht bewältigen könnte. Das ist eher eine Herausforderung.
Was war bei dir der Auslöser, zu den Grünen zu gehen und sich so in der Politik zu engagieren?
Ich war in der Schülervertretung schon seit der fünften Klasse sehr aktiv. Mit 17 engagierte ich mich im grünen Jugendverband. Dort war ich auch im Landesvorstand, sträubte mich aber zunächst dagegen, Parteimitglied zu werden. Ich dachte früher, dass man hundertprozentig hinter dem Programm einer Partei stehen müsse. Ich habe irgendwann gemerkt, dass dies natürlich nicht so sein muss. Mit 19 Jahren bin ich dann Mitglied bei den Grünen geworden – da ich mit den Grundwerten insgesamt sehr übereinstimme.
Und zwar?
Umweltschutz, soziale Gerechtigkeit, Friedenspolitik und auch die Gleichberechtigung. Da liegt beispielsweise noch viel im Argen. Je höher man kommt, umso mehr merkt man, dass es mit der Gleichberechtigung noch nicht so klappt. Es gibt da noch viel zu tun, auch wenn teilweise die Schlagworte abgegriffen sind. Man muss sie nur wieder mit neuen Inhalten füllen und neue Wege ausprobieren.
Wie willst du das machen?
Politik interessant zu machen, ist eine Strukturfrage. Ich will nah an den Menschen bleiben. Also mich selbst nicht zu wichtig nehmen und nicht nur Podiumsdiskussionen besuchen. Ich will den Menschen zuhören. Wenn man ihre Meinung kennt, ist es viel einfacher, in einen Dialog zu kommen. Bei Podiumsgesprächen können die Menschen ja meist nur zuhören. Auch auf Internetseiten möchte ich besonders mit jüngeren Leuten in Dialog treten und sie so zumindest ansatzweise am politischen Prozess beteiligen.
Meinst du, dadurch dass Politik oft staatsmännisch verkauft wird, ist auch die Politikverdrossenheit so hoch?
Auf jeden Fall. Ich spreche oft zu Schülerinnen und Schülern und ermutige sie, Fragen zu stellen. Die meisten wollen etwas über meinen Alltag als Abgeordnete wissen, weniger über die Themen. Zehnminütige Monologe von Politikern ermüden sie, weil es eben oft Phrasen sind, die da gedroschen werden.
Hat dich die Arbeit schon etwas verändert, wird man härter?
Ich merke es noch nicht so. Aber ich glaube, es kommt sehr schnell. Man muss sich natürlich behaupten. Das ist oft nicht so einfach, da braucht man Fachkompetenz. Aber wenn ich 100 Themen bearbeiten muss, habe ich nicht die Zeit, mich um alles selber zu kümmern. Ich muss mich da auf mein Büro verlassen. Und dann verändert man sich automatisch. Die Gefahr ist, dass man nicht mehr so authentisch ist, wenn man sich selbst nicht mehr so intensiv mit einem Thema beschäftigen kann.
Wie unterstützen dich denn Familie und Freunde?
Naja, mehr oder weniger. Ich wohne ja nicht mehr zu Hause. Es ist aber ganz nett, ab und zu mal wieder zur Familie zu fahren. Ich habe aber in Berlin viele Freunde, die dort studieren. Mit denen kann ich dann abends weggehen und mal über was anderes als über Gleichberechtigung, soziale Gerechtigkeit und Computerviren sprechen – meistens zumindest.
Wie haben deine Freunde auf die politische Blitzkarriere reagiert?
Die kennen das ja schon. Ich mache schon sehr lange Politik, war im Landesvorstand und habe Koalitionsverhandlungen in Schleswig-Holstein mitgeführt. Deshalb war es nicht so sonderlich überraschend.
Als ich auf den dritten Listenplatz gewählt worden bin, bestand zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass es irgendwann mal so weit sein könnte.
Alle haben sich super gefreut, schoben aber gleich die Warnung hinterher: "Bleib schön auf dem Teppich."
Bleibt dir viel Freizeit?
Fast gar nicht. Zurzeit ist das ein 14-Stunden-Job. Aber er macht Spaß. Ich hoffe nur, dass ich bald wieder mehr Sport machen kann. Das kommt im Moment etwas kurz.
Gibt es neben dem Sport andere Sachen, die auf der Strecke geblieben sind? Vielleicht Menschliches?
Ich hoffe nicht. Gerade menschlich versuche ich so zu bleiben, wie ich bin. Deshalb möchte ich auch den Kontakt zu der Basis, zu den normalen Menschen wahren. Das ist die große Herausforderung bei diesem Job.
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Grietje Bettin, im Juli 1975 geboren, ist im April dieses Jahres für Klaus Müller in den Deutschen Bundestag nachgerückt. Die Grünen-Politikerin ist derzeit die jüngste Bundestagsabgeordnete. Bettin, seit 1995 Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen, hat sich schon seit ihrer Jugend in der Politik engagiert. Im vergangenen Jahr wurde die Pädagogikstudentin schließlich auf den dritten Landeslistenplatz gesetzt. Sie kam in den Landesvorstand und nahm an den Koalitionsverhandlungen der Grünen in Schleswig-Holstein teil. Im November 1999 ist die 24-Jährige noch für einige Monate in die Flensburger Ratsversammlung nachgerückt, bevor sie Mitglied des Deutschen Bundestages wurde.
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Dominik Ohlig ist im Mai 1976 in Offenbach am Main geboren. Nach seinem Abitur 1995 leistete er Zivildienst ab. Schon während der Schulzeit arbeitete der 24-Jährige bei der Tageszeitung "Offenbach-Post" mit. Dort volontierte Dominik Ohlig anschließend auch. Seit dem Wintersemester 1999/2000 studiert er an der Kölner Journalistenschule für Politik und Wirtschaft.