streitgespräch
Streitgespräch über die NPD
Verbot oder politische Auseinandersetzung?
Anstößig ist sie für alle – die rechtsextreme NPD. Mit ihrer braunen Ideologie und dem aggressivem Verhalten verpflichtet sie zur Gegenwehr. Darüber sind sich alle Parteien im Bundestag einig. Doch wie mit den Gegnern der Demokratie umgehen? Die NPD als Partei verbieten? Oder die Auseinandersetzung politisch führen? Darüber herrscht Uneinigkeit im Parlament. Blickpunkt
Bundestag führte zu diesem Thema ein Streitgespräch mit dem F.D.P.-Präsidiumsmitglied Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und dem innenpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, Dieter Wiefelspütz.
Blickpunkt Bundestag: Herr Wiefelspütz, die SPD unterstützt vorbehaltlos den Verbotsantrags-Kurs der Bundesregierung. Warum?
Wiefelspütz: Der Rechtsextremismus ist eine Herausforderung, die wir annehmen müssen. Deshalb ist meine Partei ganz entschieden für die Einleitung eines Verbotsverfahrens, wohl wissend, dass Verbote Rechtsextremisten noch lange nicht zu Demokraten machen. Aber wir müssen den Rechtsextremismus in allen seinen Ausformungen offensiv bekämpfen. Mit allen Mitteln des Rechtsstaates und einer wehrhaften Demokratie. Dazu gehört auch ein Parteienverbot.
Die F.D.P. ist als einzige Fraktion fast geschlossen gegen einen Verbotsantrag. Auch an Sie, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, die Frage: Warum?
Leutheusser: Natürlich gehen auch wir ganz entschieden gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit vor. Wir setzen uns offensiv und knallhart mit jenen auseinander, die Fremdenfeindlichkeit und Rassismus auf ihren Schild gehoben haben. Wir haben aus zwei Gründen Probleme mit einem Verbotsverfahren: einmal, weil die Aussichten auf einen Erfolg offen sind. Zum anderen, weil wir daran Zweifel haben, mit einem Parteienverbot wirklich etwas bewirken zu können. Denn es bleibt ja die Gesinnung, es bleiben die Anhänger.
Sehen Sie diese Gefahren auch? Und: Wie stichhaltig ist die Beweislage? Wiefelspütz: Die Beweise sind nach meiner Einschätzung absolut überzeugend. Aber natürlich kann niemand heute sagen, wie das Verfassungsgericht letztlich entscheiden wird. Dennoch: Wir müssen den Mut haben, diese Strukturen zu zerschlagen. Sie sind ja auch nur ein Baustein einer konsequenten Strategie gegen Rechtsextremismus. Selbstverständlich müssen präventive Maßnahmen im Bereich von Erziehung, Bildung, Sozialpolitik hinzukommen.
Was ist, wenn Karlsruhe dem Verbotsantrag nicht folgt? Wäre dann die NPD weiß gewaschen und mit einem "Gütesiegel" versehen? Leutheusser: Ja. Diese Gefahr sehen wir, und deshalb haben wir Bedenken. Würde das Verfahren nicht zum Erfolg führen, wäre das ein Desaster, eine Katastrophe. Denn die NPD hätte dann eine Art TÜV-Plakette. Ihre Anhänger würden in ihrer Gesinnung eher noch bestärkt. Hinzu kommt das Risiko, dass während des Verfahrens, das ja mindestens zwei Jahre dauern wird, der NPD eine zusätzliche Darstellungsbühne geboten wird. Selbst bei einem Verbot sehe ich vieles ungelöst: Man kann dann die Organisation zerschlagen, aber die Anhänger bleiben bestehen. Was macht man mit denen? Die werden doch sofort in andere rechte Parteien wechseln. Die warten doch nur darauf. Dann haben wir das Problem nur verlagert. Wiefelspütz: Solche Befürchtungen teile ich überhaupt nicht. Ich habe nicht die geringste Sorge, dass die NPD eine Chance auf einen Persilschein hätte. Leutheusser: Das heißt, Sie rechnen mit einem Erfolg in Karlsruhe? Wiefelspütz: Die große Mehrheit aller Landesinnenminister ist jedenfalls der Auffassung, dass das Material für ein Verbot ausreicht. Ich selbst stecke seit Jahren in diesem Metier und sage ebenfalls: Das Material ist so gravierend, dass es einen Verbotsantrag gut begründet und aussichtsreich macht. Aber selbst im schlimmsten Fall des Nicht-Verbots würde im Urteil stehen, dass die NPD verfassungsfeindlich ist. Leutheusser: Das steht auch jetzt schon in den jährlichen Berichten der Verfassungsschutzämter! Und reicht für ein Verbot nicht aus. Wiefelspütz: Richtig. Aber wenn das Bundesverfassungsgericht dies feststellt, ist das alles andere als ein Persilschein. Über den verfügt die NPD jetzt, weil sie sich als erlaubte Partei auf das Parteienprivileg und auf staatliche Parteienfinanzierung stützen kann.
Ist es nicht in der Tat unerträglich, wenn die NPD besondere Privilegien hat und Millionenbeträge aus der staatlichen Parteienfinanzierung kassieren kann? Leutheusser: Ja, das stört mich gewaltig. Genauso wie mich stört, dass auch DVU und Republikaner sehr viel Geld erhalten. Aber das kann nicht das entscheidende Argument für ein Verbotsverfahren in Karlsruhe sein, das eben im Ausgang sehr ungewiss ist.
Was wären die konkreten Konsequenzen eines NPD-Verbots? Wiefelspütz: Die Partei würde illegal, ihr Vermögen eingezogen. Die Parteiorganisation würde zerschlagen. Veranstaltungen und Demonstrationen wären nicht nur rechtswidrig, sondern strafbar. Nachfolge-Organisationen könnten verboten werden. Das wären schon erhebliche Konsequenzen. Zumal zugleich auch ein klares gesellschaftliches Signal gesetzt würde. Schon jetzt hat ja die intensive Verbotsdiskussion zu einer breiten gesellschaftlichen Debatte über Rechtsextremismus und seine Folgen geführt, die wir so bitter brauchen, die jahrelang aber leider vermieden wurde. Dennoch räume ich ein: Man sollte von einem Verbot keine Wunder erwarten.
Besteht die Gefahr, dass ein Verbotsverfahren zur politischen Alibi-Veranstaltung nach dem Motto gerät: Damit haben wir unserer Pflicht Genüge getan? Leutheusser: Das ist eine ganz große Sorge, die ich habe. Die Suche nach den Ursachen des Rechtsextremismus und die Präventiv-Möglichkeiten gegen ihn können dabei unter die Räder kommen. Ich befürchte, dass nicht wenige sagen könnten: Jetzt wird ja etwas gegen die NPD unternommen, da brauche ich nicht selbst Flagge zu zeigen. Wir benötigen aber das Engagement der Bürger dringend. Wiefelspütz: Hier sind wir absolut gemeinsamer Auffassung. Wir wollen und müssen die gesellschaftlichen Ursachen anpacken. Es liegt deshalb an uns, dass wir solche Befürchtungen nicht Wirklichkeit werden lassen. Wir dürfen es nicht zulassen, dass jetzt nur über die NPD gesprochen wird. Wir brauchen den breiten öffentlichen Diskurs über das ganze Spektrum rechtsextremistischen Unwesens. Leutheusser: Den hätte man schon vor vielen Jahren beginnen müssen!
Wäre es für andere rechtsextremistische Parteien wie Republikaner und DVU ein Gütesiegel, wenn sie selbst legal blieben, die NPD aber verboten ist? Wiefelspütz: Eines muss völlig klar sein: Niemand in der rechtsextremistischen Szene darf glauben, dass er außen vor wäre. Das sage ich ausdrücklich an die Adresse von DVU und Republikaner und andere Organisationen, die wissen, dass man ein Auge auf sie geworfen hat. Die ganze Szene muss im Blickfeld der Aufmerksamkeit bleiben. Und wenn nötig, muss es zu repressiven Maßnahmen kommen. Leutheusser: Genau das ist problematisch, denn bislang hat noch kein Landesinnenminister ernsthaft von einem Verbotsantrag etwa gegen die DVU gesprochen. Offenbar auch wegen des darin steckenden Risikos. Das bedeutet, dass ausgerechnet diese Parteien Auffangbecken sein könnten für einen Teil der Anhänger und Sympathisanten der NPD. Der entscheidende Durchbruch, den man mit einem NPD-Verbot zu erzielen glaubt, wird also gerade nicht erreicht. Deshalb setzen wir Liberale ganz entscheidend auf die offensive inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus und dessen verquerem Gedankengut.
Hat es an dieser inhaltlichen Auseinandersetzung bislang gefehlt? Wiefelspütz: Offenkundig hat die gesamte Gesellschaft – Politik, Medien, Schulen, Elternhäuser – dem Thema nicht den Stellenwert gegeben, den es verdient hätte. Es hat erst diesen Sommer mit seinen rechtsextremistischen Anschlägen bedurft, um endlich den Alltags-Rechtsradikalismus wahrzunehmen und über ihn zu reden. Wir alle müssen uns selbstkritisch an die Nase fassen und sagen: Die jetzige Debatte hätten wir schon vor Jahren führen müssen. Leutheusser: Und dabei genauer formulieren müssen. Denn der Politik kommt eine Teilschuld zu, wenn sie mit ihrer Sprache etwa zur Ausländer- und Zuwanderungspolitik teilweise das Denken bedient, was dann wieder dem Rechtsradikalismus Vorschub leistet.
Die SPD möchte gerne, dass neben der Bundesregierung auch Bundestag und Bundesrat den NPD-Verbotsantrag unterstützen. Warum eigentlich? Fühlt sich die Regierung mit ihrem Antrag so schwach? Wiefelspütz: Rechtlich genügt für den Verbotsantrag natürlich ein Verfassungsorgan. Aber ich habe als Bundestagsabgeordneter auch das Recht, einen solchen Antrag zu stellen. Warum soll ich davon keinen Gebrauch machen? Der Deutsche Bundestag spricht für sich. Leutheusser: Ich sehe das etwas anders. Mein Eindruck ist, dass die Bundesregierung bewusst alle Verfassungsorgane mit im Boot haben möchte, weil sie die Schwierigkeiten sieht, die mit einem Parteienverbotsverfahren einhergehen und sie bei einer Niederlage nicht die alleinige Verantwortung tragen will. |