571 ABGEORDNETE STIMMEN MIT JA
Bundestag billigt mit sehr großer Mehrheit den EU-Vertrag von Nizza
(eu) Der Bundestag hat am 18. Oktober mit sehr großer Mehrheit dem EU-Vertrag von Nizza zugestimmt. Mit Ja votierten 571 Abgeordnete, mit Nein 32 Parlamentarierinnen und Parlamentarier (alle aus den Reihen der PDS-Fraktion). Jeweils ein Abgeordneter der FDP und der PDS enthielt sich der Stimme. Der federführende Europaausschuss hatte zu einem Ratifikations-Gesetzentwurf der Bundesregierung ( 14/6146) eine entsprechende Beschlussempfehlung ( 14/7172) vorgelegt.
Darin hatte der Fachausschuss deutlich gemacht, der Vertrag von Nizza bedürfe einer verfassungsändernden, also einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag. Auch der Rechtsausschuss hatte dazu am 10. Oktober festgestellt, dies sei erforderlich, da für verschiedene Entscheidungen auf EU-Ebene, die bislang vom Ministerrat bzw. dem Europäischen Parlament einstimmig getroffen werden mussten, künftig nur noch eine qualifizierte Mehrheit vorgesehen sei. Es werde also künftig möglich sein, die Bundesregierung in Brüssel zu überstimmen. Zudem würden, beispielsweise durch die Neugewichtung der Stimmen im Ministerrat, auch die strukturellen Gegebenheiten innerhalb der EU verändert.
SPD: Abkommen ein Erfolg
Für die SPD begrüßte Günter Gloser am 18. Oktober den Vertrag von Nizza als "Erfolg". Das Abkommen habe erst die notwendigen Voraussetzungen für die Erweiterung der Europäischen Union geschaffen.
Der Sozialdemokrat würdigte zudem, dass zur Vorbereitung einer weiteren Regierungskonferenz im Jahre 2004 ein auch mit Parlamentariern besetzter Konvent einberufen werden soll. Damit werde der Prozess der europäischen Integration revolutioniert, so Gloser.
Seien die nationalen Gesetzgeber bei der Ratifikation von EU-Abkommen bislang immer in die Rolle eines politischen Notars gedrängt worden, "dem kaum mehr übrig bleibt, als den Vertrag mit den notwendigen Legitimationshäkchen zu versehen", so gelte jetzt: "Mehr Parlament wagen!" Gloser zufolge ist es kaum vorstellbar, dass nationale Parlamente künftig europäische Verträge, die sie selbst mit ausgearbeitet haben, ratifizieren, wenn das Ergebnis der Regierungskonferenz zu weit vom Entwurf des Konvents abweiche.
Union: Magere Ergebnisse
Peter Hintze (CDU/CSU) sprach von "mageren Ergebnissen", die in Nizza produziert worden seien. Wenn die Unionsfraktion dennoch zustimme, dann deshalb, weil der EU-Erweiterungsprozess weiter gehen müsse und weil die Aussicht auf einen europäischen Verfassungsvertrag bestehe. Dabei werde es mit der bevorstehenden "Parlamentarisierung des europäischen Vertragsprozesses" zu einem "Systemwechsel" kommen, der von historischer Bedeutung sei.
Der CDU-Politiker plädierte im Übrigen dafür, eine "echte Gewaltenteilung" auf EU-Ebene einzuführen. Dazu sei es erforderlich, den Rat, die "undemokratischste und langsam nicht mehr sehr effiziente Einrichtung" der EU zu reformieren. Als Gesetzgebungsgremium müsste der Rat künftig öffentlich tagen, so Hintze weiter.
Christian Sterzing (Bündnis 90/Die Grünen) erklärte, der Vertrag von Nizza signalisiere, dass die EU nicht nur erweiterungsbereit, sondern auch erweiterungsfähig sei und hierfür die notwendigen Reformen einleiten wolle. "Nizza hat auch eine Zukunftsdebatte eingeläutet", so Sterzing, der sich ebenfalls zustimmend zur "Parlamentarisierung des Integrationsprozesses" auf europäischer Ebene äußerte. Der Bündnisgrüne geht davon aus, dass eine parlamentarische Dominanz in einem Konvent die Arbeit verändern und zur "Entnationalisierung der Reformdebatte" beitragen wird.
Nach Ansicht von Helmut Haussmann (FDP) weist der Vertrag von Nizza eine Vielzahl von Defiziten auf. Wenn auch die Liberalen zustimmten, so geschehe dies zum einen in der Hoffnung, dass der EU-Gipfel im kommenden Dezember das Mandat der Regierungskonferenz erweitern werde. Dazu zählten eine stärkere Rolle des Europaparlaments und der nationalen Parlamente sowie ein stärkerer Einstieg in das Prinzip der Mehrheitsentscheidungen. Zum Zweiten wollten die Freien Demokraten die EU-Osterweiterung nicht verzögert wissen, zum Dritten dazu beitragen, den EU-Verfassungsprozess zu öffnen.
Stillstand beklagt
Uwe Hiksch (PDS) beklagte, Nizza habe zu einem "Stillstand im Prozess der europäischen Vertiefung" geführt. Es sei nicht gelungen, eine Demokratisierung Europas, eine soziale Komponente oder gar die Grundrechte-Charta rechtsverbindlich festzuschreiben. Statt dessen werde die EU zunehmend militarisiert. Keine Mehrheit fand die Fraktion auf Empfehlung des Europaausschusses ( 14/7002) für ihren Antrag ( 14/6443), den Vertrag nachzuverhandeln.
Ebenso wenig Erfolg hatte die PDS mit einem weiteren Antrag ( 14/6646, 14/5585) zum Stockholmer EU-Gipfel zur Beschäftigungs- und Sozialpolitik im März dieses Jahres. Der Bundestag begrüßte außerdem auf Empfehlung des Fachausschusses ( 14/6708) die Initiative, mittels eines gemeinsamen Aktionsplans gemeinsam beim Aufbau der Informationsgesellschaft in den EU-Mitgliedstaaten vorzugehen.