Titelthema
Kampagne des Bundestages
Muntermacher für die Jugend
Eine Informationskampagne des Deutschen Bundestages will Jugendlichen und Jungwählern zeigen, wie politisch ihr persönliches Umfeld ist.
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Jugendliche auf der Zuschauertribüne des Bundestages.
Schießen ohne Blutvergießen: Aktueller könnte der Slogan einer im Juni beginnenden Jugendkampagne des Bundestages nicht sein. Das Anzeigenmotiv zeigt einen Torwart aus der Perspektive des Elfmeterschützen. Sein konzentrierter Blick richtet sich auf den Ball, den er gleich halten wird. Die Angst des Tormanns beim Elfmeter scheint in diesem Moment schon verflogen. Aber was hat Fußball mit dem Waffengesetz zu tun, das im unteren Teil der Anzeige anzitiert wird? Überhaupt, was geht mich die Politik an?
Dieses Anzeigenmotiv und noch zwei weitere haben Berliner Studenten entworfen, um bei Jugendlichen und Jungwählern genau diese Fragen aufzuwerfen und eine Antwort zu finden. Die Informationskampagne soll den Jugendlichen zeigen, wie politisch ihr persönliches Umfeld und ihr Alltag ist. Sie soll deutlich machen, dass die Politik sie etwas angeht und nicht nur etwas für Ältere ist. Etwa dann, wenn der Gesetzgeber den Paragrafen 53 Absatz 3 des Waffengesetzes beschließt oder der Ratifizierung des Artikels 3 der Menschenrechtskonvention zustimmt.
Am 6. Juni wird Bundestagspräsident Wolfgang Thierse die Informationskampagne eröffnen und vor dem Westportal des Reichstagsgebäudes das erste Plakat kleben. Am selben Tag wird auch der Internetauftritt freigeschaltet. Unter " www.mitmischen.de" gibt es dann Hintergrundinformationen, Links auf wichtige politische Webseiten und Diskussionsforen – kurz gesagt, eine zusätzliche Möglichkeit, auf politische Prozesse Einfluss zu nehmen und zu informieren.
Die Idee zu dieser Kampagne hatten Martin Goldbach, Dagmar Kempf und Thomas Zorbach, zwei Studierende und ein Absolvent der Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste Berlin. Dieser Studiengang bildet künftige Fachleute für Werbung und Öffentlichkeitsarbeit aus. Als Teil der Diplomprüfung arbeiteten einzelne Teams an Kommunikationsprojekten. Sie suchten sich einen Auftraggeber aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft und erstellten für ihn innerhalb eines halben Jahres ein Kommunikationskonzept. Wie in einer PR- oder Werbeagentur wurde dabei in Zusammenarbeit mit dem Auftraggeber eine Produkt- oder Imagekampagne entwickelt.
Die Gruppe stellte ihr Kommunikationsprojekt im Sommer letzten Jahres dem Bundestagspräsidium vor und erhielt den Auftrag, den sie nun mit befreundeten Grafikstudenten und Programmierern umsetzt.
Die Informationskampagne spricht die Altersgruppe zwischen 15 und 20 Jahren an. Damit gehören auch die Erstwähler der kommenden Bundestagswahl zur Zielgruppe. Sie sollen das Parlament als politische Einrichtung wahrnehmen und eine Vorstellung davon bekommen, was im Parlament geschieht, was der Bundestag beschließt und damit auch für sie in die Wege leitet.
In der Kampagne werden klassische Werbemittel eingesetzt. Vorgesehen sind neben dem Onlineangebot und Anzeigen in Jugendmagazinen insbesondere Plakatierungen auf Großflächen. Das Motiv "10.000 Watt im Körper" wird bundesweit in einer Auflage von 33.000 Stück geklebt.
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Die drei Anzeigenmotive der Kampagne.
Die drei Anzeigenmotive zeigen Jugendliche in vertrauten Situationen, in denen sie ihre Freiheiten ausleben. Sie spielen Fußball, tanzen oder telefonieren. "Der erste Teil des dazugehörigen Slogans", erklärt Dagmar Kempf, "beschreibt die Alltagssituation, in der sich die Jugendlichen befinden. Der zweite Teil bricht dann mit der heilen Welt und stellt die Selbstverständlichkeit demokratischer Freiheiten in Frage." Der Betrachter soll überlegen: "Was wäre, wenn ich nicht in einer Demokratie leben würde?" Im so genannten Copytext, der unter dem Slogan steht, wird schließlich ein Gesetz zitiert, das der Bundestag verabschiedet hat. So wird deutlich, dass die Gesetzgebung die Grundlage für die Freiheit jedes Einzelnen ist.
Die Freiheit zur persönlichen Entfaltung sei eben alles andere als selbstverständlich, so lautet die Aussage der Kampagne. Man muss selbst etwas dafür tun, sich dafür entscheiden. Aus diesem Grund, erklärt Thomas Zorbach, habe man den Slogan "Entscheidungen für die Freiheit. Deutscher Bundestag" entwickelt.
Hier wird nicht mit erhobenem Zeigefinger argumentiert. Vielmehr bedienen sich die Motive in Wort und Bild der Jugendsprache, mit Anleihen aus der vertrauten Werbewelt. Der "Deutsche Bundestag" wird so zum Markenzeichen, springt neben anderen Produkten ins Auge – und ist doch mehr als ein Produkt. Denn alle Motive machen deutlich, dass Entscheidungen des Gesetzgebers auch den scheinbar unpolitischen Alltag junger Menschen beeinflussen, gestalten und verändern:
Etwa beim Telefonieren: "Flirten, Lästern, Tratschen. Und niemand hört mit." Das Motiv zeigt eine Schülerin in einer vertrauten Situation: beim Telefonieren in den eigenen vier Wänden. Dass hier niemand mithören kann – und damit sind nicht nur die Eltern gemeint -, regelt Paragraf 85 Absatz 1 des vom Bundestag beschlossenen Telekommunikationsgesetzes: "Dem Fernmeldegeheimnis unterliegen der Inhalt der Telekommunikation und ihre näheren Umstände …"
Und nicht zuletzt das Beispiel Waffengewalt, das Motiv, das den Torwart im Visier des Elfmeterschützen zeigt. Dass hier nicht scharf geschossen wird, dass hier fair gespielt wird, regelt Paragraf 53 Absatz 3 des vom Bundestag beschlossenen Waffengesetzes: "Mit Freiheitsstrafe … oder Geldstrafe wird bestraft, wer ohne die erforderliche Erlaubnis … eine Schusswaffe erwirbt oder die tatsächliche Gewalt über sie ausübt …" Die Angst des Tormanns beim Elfmeter soll eine sportliche Angst bleiben, ein Bangen oder Zittern im Wettkampf, nicht im Kampf.
Text: Heiko Fiedler-Rauer
Ab 6. Juni 2002: www.mitmischen.de