Forscher haben herausgefunden, dass Ostdeutsche noch immer einen anderen Geschmack haben als Westdeutsche; kräftiger schärfer, direkter ,arbeiterlicher'. Das geht nicht raus, das dauert, die Hummer müssen warten." So lautet das Fazit der Berliner Journalistin Jutta Voigt in ihrem ebenso amüsanten wie lehrreichen Exkurs über die Versorgung in jenem Teil unseres Landes, der je nach Gusto Ostdeutschland, Neufünfland, die jungen Bundesländer, oder nach dem Geschmack vieler Altbundis Zone genannt wird.
Ihr Text ist eine gelungene Mischung aus den Kapiteln Bockwurst, Broiler, Zukunft, Nudelsalat, Fondue und Stillstand. Die Autorin beschreibt die ständigen Sorgen der Parteiführung in 40 Jahren, für die als bodenständigem Personal die Liebe stets durch den Magen ging. Dafür hat sie noch einmal die Kantinen der Werktätigen durchforscht, die fast regelmäßig unruhig wurden, wenn nicht genügend Fleisch auf den Tisch kam.
Auch ihre eigene Zunge war Teststrecke, wenn sie beispielsweise über die Nachkriegszeit den wunderbaren Geschmack von Milchpulver beschreibt (woran sich auch der Verfasser dieser Zeilen gern erinnert). Jutta Voigt bringt viele Beispiele für den Satz: "Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral." Die Partei fürchtete hungrige Mäuler, eine Erfahrung aus dem 17. Juni, die bis zum Ende des Arbeiter- und Bauernstaates anhielt. 1986 aß jeder DDR-Bürger 96 Kilogramm Fleisch, 43 Kilogramm Zucker, 15 Kilogramm Butter und 307 Eier. Er war im Verbrauchen Weltspitze. "Wir haben unser Geld verfressen, es gab ja nichts anderes."
Jutta Voigt hat viele Sätze aufgeschrieben, die die Stimmung im Land von einst gut charakterisieren. Beispiele: "Bei der HO keine Bekannten, im Konsum keine Verwandten, aus dem Westen kein Paket, da fragste noch, wie's geht?" Oder: "Zwei Apfelsinen im Jahr und zum Parteitag Bananen" nach der Melodie eines bekannten Schlagers, schließlich "Das Einzige, was wir im Überfluss haben, ist der Mangel".
Das untergegangene Land wird als ein proletarisches Pompeji beschrieben. Doch zum Glück ist das Buch keine nostalgische Nummer geworden, sondern ein unsentimentales Erinnerungsbuch, das wir lachend, mit nur geringen Seufzern lesen können. Natürlich weiß die Verfasserin, dass Berlin, die Hauptstadt der DDR, besser versorgt wurde als der Rest. So klingt manches etwas entspannter, als es vielleicht ein Dresdner oder Güstrower empfand. Auch das wird nicht verschwiegen. Sachlich gibt es wenig zu monieren, außer dass der Rotwein Rosenthaler Kadarka nicht aus Rumänien, sondern aus Bulgarien stammte, und dass weiter Frieda Hockauf, die Bestarbeiterin, im Rahmen der DDR-Erfinderwitze nicht den Rucksack, sondern die Klosettbrille erfand. Aber das sind Petitessen.
Zu den amüsant-bösen Kapiteln gehören die über die Kellner der Republik (das ist wahrlich ein Kapitel für sich) sowie über die sozialistische Verkaufskultur. Die Kellner waren die Monarchen des Ostens, die Verkäuferinnen Diktatorinnen hinter dem Ladentisch. Dafür bietet das Büchlein einen wunderbar dialektischen Vers von Heiner Müller: "O nicht genug zu preisende Langsamkeit/ Der nicht mehr Getriebenen! Schöne Unfreundlichkeit!/Der zum Lächeln nicht mehr Zwingbaren!" Natürlich sehen wir, so informiert, auch das Dauerlächeln heutiger Verkäuferinnen in den Konsumtempeln im historisch-kritischen Licht.
Jutta Voigt
Der Geschmack des Ostens.
Vom Essen, Trinken und Leben in der DDR.
Gustav Kiepenheuer Verlag, Berlin 2005; 214 S., 16,- Euro