Jerusalem. Da stehen sie beisammen: Die Israelin Avital Ben Chorin und die palästinensische Künstlerin Samar Ghattas. Die Holocaustüberlebende und die Frau, auf deren Bruder das israelische Militär irrtümlich schoss, da man ihn für einen Gesuchten gehalten hatte. Die deutsche Jüdin, die mit ihrem verstorbenen Mann eine Reformsynagoge gegründet hat und die Christin aus Bethlehem.
Was viele Dialoginitiativen im Heiligen Land Tag für Tag versuchen - und was nicht immer gelingt - haben drei Deutsche in kurzer Zeit geschafft: Israelis und Palästinenser zusammenzubringen. Und dabei wirkte alles so spielerisch leicht bei dieser Vernissage.
Doch der Reihe nach: Seit August studieren Stefan Zinsmeister von der Universität Bamberg und Ralf Sedlak von der theologischen Fakultät Tübingen Archäologie, Ostkirchenkunde, Judentum und Islamwissenschaften in Jerusalem. Als sie die Kunstvermittlerin Janina Achtmann kennen lernten, erfuhr Ralf endlich eine Antwort auf seine Frage: "Wie kann man aus der ,deutschen Insel' unseres Studienhauses Beth Joseph heraus mit Menschen im Land ins Gespräch kommen?" Dies hatte sich der Schwabe seit Monaten gefragt. Binnen Minuten war die Idee geboren, den eigenen Vorlesungssaal in einen Ausstellungsraum zu verwandeln. Nach der Durchsicht von Bildern verschiedener Künstler fiel die Wahl auf Samar Ghattas.
Die beiden "Gotteswissenschaftler" müssen Charisma und Verhandlungsgeschick besitzen. Wie sonst ist es ihnen gelungen, nicht nur ihre Mitstudenten, sondern auch ihren Studiendekan sowie Abt Benedikt Lindemann - an dessen Kloster das Studienjahr angeschlossen ist - von der Dringlichkeit einer Ausstellung zu überzeugen? Nach Überspringen dieser Hürde holten sich die beiden Kulturförderer wie alte Hasen im Veranstaltungsgewerbe die Konrad-Adenauer-Stiftung Ramallah als Mitveranstalter ins Boot. Doch ein Hindernis sollte bis zum Tag der Vernissage im Wege stehen. Würde die Künstlerin einen "Passierschein" erhalten, um ihre eigene Austellung "Emotion" besuchen zu können? Dieser wird von Palästinensern benötigt, wollen sie israelisches Staatsgebiet betreten.
Nachdem die dazu erforderlichen Empfehlungsschreiben des Abtes und des Studiendekans nicht den gewünschten Erfolg gezeitigt hatten, half nur noch eines: ein Anruf in der Religionsabteilung des israelischen Innenministeriums. Nach dem Telefongespräch machte sich Janina Achtmann auf zum Innenministerium.
Das Schreiben, das sie dort erhielt, mit der Bitte um eine Erlaubnis für den Besuch Jerusalems am Tag der Vernissage in der Zeit zwischen 16 und 22 Uhr musste nun nach Bethlehem gelangen. Janina Achtmann fuhr in die Geburtsstadt Jesu, traf sich mit der Künstlerin und machte sich mit ihr gemeinsam auf den Weg zum israelischen Militärgouverneur. "Zweieinhalb Stunden warteten wir in der Kälte", berichtet Janina Achtmann. Keiner der Soldaten habe die Papiere entgegennehmen wollen. "Wenn nicht zufällig dazustoßende israelische Frauen von ,Checkpoint Watch' vermittelt hätten, wäre die Geschichte wohl nicht gut ausgegangen." Anderntags - am Tag der Vernissage - kam dann der Bescheid: "Passierschein am 1. Februar von 16 Uhr bis Mitternacht." Geschafft.
Mittwoch, 1. Februar, nach 19 Uhr: Im "Beth Joseph" - im Niemandsland zwischen West- und Ostjerusalem - dringen hebräische Wortfetzen ans Ohr, vorne am Rednerpult klingt es arabisch, und dazwischen mischt sich Deutsch und Englisch. Nicht nur der Jerusalemer Klerus ist zahlreich vertreten, auch Botschaftsangehörige und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen haben sich ein Stelldichein gegeben. Israelische und palästinensische Künstler geben ihre Jacken an der Garderobe ab. Im Willkommensgruß erzählt Studiendekan Joachim Negel, dass das Studienjahr auf 32 reiche Jahre zurückblicken könne. Eine Ausstellung habe es allerdings noch nicht gegeben. Konrad-Adenauer-Stiftungsdirektor Thomas Birringer macht in wenigen Worten die politische Dimension eines solchen Projektes deutlich. Janina Achtmann stellt die Kunst von Samar Ghattas als "Einblick in die menschliche, frauliche, christliche und palästinensische Seele" dar. Die Künstlerin selbst ist voll des Lobes über die Möglichkeit der Ausstellung. Im palästinensischen Ost-Jerusalem gebe es nämlich dafür kaum Räume. Nach Deutschland, Italien und den Vereinigten Staaten ist durch das Engagement der Deutschen ihr Traum endlich wahr geworden: einmal in Jerusalem auszustellen. Diala Husseini-Dajani erläutert die Bedeutung von Kunst für das palästinensische Volk, dem man das Existenzrecht streitig gemacht habe. Kunst sei der Beweis, dass dieses Volk lebe. "Samar Ghattas gibt mir Hoffnung." Und Stefan Zinsmeister fasst den für ihn "überwältigenden" Abend so zusammen: "Der Vorlesungssaal war brechend voll mit Menschen unterschiedlichster Konfession und Nationalität." Für ihn hat sich als "Bild des Abends" das "angeregte Gespräch der palästinensisch-christlichen Künstlerin mit der deutschstämmigen Jüdin Avital Ben-Chorin" eingeprägt.
Ein Abend voller Hoffnung im Niemandsland von Jerusalem. Doch nicht nur das. Er hat auch den, wie ein deutscher Kleriker es nannte, "Hunger nach Kultur in dieser Stadt" geoffenbart. Doch keine Bange. Das bayrisch-sächsisch-schwäbische Veranstaltungstrio sitzt schon wieder zusammen. Und bastelt an der März-Ausstellung - mit einer israelischen Fotografin.