Nur für jene, die nichts über die schwierige deutsch-polnische Nachbarschaft der letzten 200 Jahre wissen, können die gegenwärtigen schwierigen deutsch-polnischen Diskussionen ein Schock sein." Gemeint sind damit vornehmlich die Deutschen, die in ihrer großen Mehrheit kaum oder wenig über Polen wissen, was Jan M. Piskorski immer wieder beklagt; die schwierigen Diskussionen jedoch sind die aktuellen Kontroversen um die Preußische Treuhand und das vom Bund der Vertriebenen geplante Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin.
Aber Piskorski deutet diese Kontroversen eher als Zeichen deutsch-polnischer Normalisierung, offene und schmerzhafte Diskussionen seien unabdingbar für Demokratie und freundschaftliche Verhältnisse. Auf dieser Grundlage muss seine Schrift als ein an der Sache orientierter Beitrag zum Thema Zentrum gegen Vertreibungen gewertet werden; der Autor selbst spricht sich vehement gegen diesen Plan aus und begründet dies ausführlich. Hauptargument ist nach seiner Meinung die fehlende Einbindung des Projektes in den historischen Zusammenhang des Zweiten Weltkrieges. Den Auftakt der Vertreibungen bildeten im Herbst 1938 die Ausweisungen von 20.000 Juden mit polnischen Pässen durch Deutschland. Diese Fakten sind bis heute in Deutschland kaum präsent.
Piskorski adressiert sein Buch an Deutsche und an Polen. Nicht nur Erika Steinbach und der Bund der Vertriebenen werden kritisch beleuchtet, auch Teile der polnischen Gesellschaft in ihrer Haltung zu den Juden. Der Autor bezeichnet sein Buch auch als eine "Streitschrift", die nicht polemisiert, sondern auffordert, sich argumentativ auseinanderzusetzen.
Dabei muss durchaus manchen Positionen widersprochen werden. Zwei Beispiele: Piskorski kennzeichnet die "Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-und Mitteleuropa", vom damaligen Vertriebenenministerium 1954-1961 herausgegeben, als bestelltes und rechtslastiges Werk des Kalten Krieges. Dies sieht nicht nur sein polnischer Kollege Borodziej, Herausgeber der Dokumente zur Vertreibung aus polnischen Archiven, etwas anders. Auch Piskorskis Einschätzung beziehungsweise Überschätzung des Bundes der Vertriebenen als einer Organisation, die bereit ist, "im Kampf ums Überleben die deutsch-polnischen Beziehungen komplett über den Haufen zu werfen" erinnert an die Melodien des Kalten Krieges. Vermutlich steht hinter solchen Ansichten eine immer noch vorhandene Furcht in Polen vor den Deutschen als kollektive Erfahrung aus der Beziehungsgeschichte der letzten beiden Jahrhunderte. Die Deutschen sollten das ernst nehmen.
Diese Konflikte müssen im Sinne von Piskorski durch offene und schmerzhafte Diskussionen aufgearbeitet werden. Die "Streitschrift" eignet sich dafür hervorragend, sie sollte von Polen und von Deutschen aufmerksam und bewusst gelesen werden. Hier spricht ein Historiker und polnischer Bürger, der nicht mehr zur Erlebnisgneration gehört, und der den Blick in die Zukunft deutsch-polnischer Nachbarschaft in einem zusammenwachsenden Europa richtet.
Jan M. Piskorski: Vertreibung und deutsch-polnische Geschichte. Eine Streitschrift. fibre-Verlag, Osnabrück 2005; 180 S., 14,80 Euro