Am Ende war der alte Kämpfer erstaunlich milde gestimmt. Sogar bei den Journalisten entschuldigte sich Joschka Fischer nach seinem Abschied von der Bündnis 90/Die Grünen-Fraktion im Bundestag am 27. Juni für manche Ruppigkeit. Sie erklärte er mit dem Druck, dem er als Außenminister, Vizekanzler und Spitzenpolitiker ausgesetzt gewesen sei: "Ich habe Sie nicht immer so behandelt, dass Sie es genossen haben." Dann fuhr der Politiker, der 1983 zum ersten Mal in den Deutschen Bundestag eingezogen war, im Fahrstuhl von der Fraktionsetage nach unten, trat ganz allein aus der Reichstagspforte und verabschiedete sich mit Handschlag von einem Fahrer und mehreren Personenschützern, die ihm in seiner Ministerzeit gedient hatten und nun auf seinen Nachfolger Frank-Walter Steinmeier (SPD) warteten.
Die menschlichen Gesten, die zumindest für die öffentlichen Auftritte des Grünen-Politikers über Jahre hinweg nicht eben typisch waren, betonten die Endgültigkeit seines Abschieds und seinen Willen zum Neuanfang. "Die Tür ist zu. Der Schlüssel wird umgedreht und weggeworfen", versicherte der Ausnahmepolitiker, der in den kommenden Wochen sein Bundestagsmandat zugunsten des 31-jährigen Deutsch-Iraners Omid Nouripour aufgeben will. Von Herbst an lehrt der ehemalige Schulabbrecher an der amerikanischen Elite-Universität Princeton als Professor Internationale Politik und Krisendiplomatie.
Ganz überraschend kommt das nicht: Tatsächlich hatte Fischer seinen Abschied von der Berliner Bühne schon eingeleitet, als er kurz nach der verlorenen Bundestagswahl im September 2005 vor seiner Fraktion erklärte, er wolle keine herausgehobenen Ämter mehr übernehmen und nur noch sein Bundestagsmandat ausfüllen. "Ich bin einer der letzten Rock 'n' Roller der deutschen Politik", erklärte er damals der "tageszeitung" (taz) und beschrieb kommende Politiker als weit weniger authentisch als sich selbst: "Jetzt kommt die Playback-Generation." Genau dieser Generation hat er nun das Schicksal der Grünen überlassen, die künftig ohne den Publikumsmagneten und ohne den Realpolitiker auskommen müssen, der sie in einem mehr als 20-jährigen Kampf auf den Marsch von der Protest- hin zur Regierungspartei gezwungen hatte.
Wie andere seiner Generation aus dem linksalternativen Milieu hatte der 1948 geborene Fischer dem politischen Betrieb der alten Bundesrepublik lange ablehnend gegenüber gestanden. Nachdem er mit den Grünen 1983 zum ersten Mal in den Deutschen Bundestag eingezogen war, schimpfte er über die "Alkoholikerversammlung, die teilweise ganz ordinär nach Schnaps stinkt." Genau in diesem Bundestag sollte er dann zu einem der besten Parlamentsredner aufsteigen, dessen rhetorischer Kraft und Unterhaltsamkeit sich auch seine politischen Gegner nicht entziehen konnten.
Doch da hatte die Wandlung des Joschka Fischer "vom Wilddieb zum Förster" (so sein späterer erster Koalitionspartner, der hessische Ministerpräsident Holger Börner von der SPD) längst eingesetzt. Den Grünen-Politiker, der in Jeans und den mittlerweile im Museum ausgestellten weißen Turnschuhen erschienen war, vereidigte Börner zwei Jahre später im hessischen Landtag als Umweltminister - die erste Regierungsbeteiligung der neuen Partei.
Dass seine eigene Vergangenheit ihn viel später, als er schon Außenminister war, noch einmal einholen würde, konnte Fischer damals nicht ahnen. In Frankfurt musste er 2001 im Prozess gegen seinen früheren linken Weggefährten und späteren Terroristen Joachim Klein aussagen. Einige Medien und die Opposition im Bundestag konfrontierten ihn mit seiner Zeit als Frankfurter Straßenkämpfer. Doch in dem Moment, da er die Übergriffe bereute, versöhnte sich ein Großteil der Republik mit diesem Teil ihrer Geschichte.
Nur noch einmal, in der Visa-Affäre Anfang 2005, kam der Grünen-Politiker im Bundestag in eine ähnlich kritische Lage. Noch bevor sie ganz überstanden war, verlor die SPD im Mai die Landtagswahlen von Nordrhein-Westfalen, weshalb Kanzler Gerhard Schröder Neuwahlen ankündigte - gegen den Widerstand Fischers und der Grünen, die damals für das Durchkämpfen der ganzen Legislaturperiode plädierten.
Eine seiner wichtigen Leistungen für die politische Kultur der neuen Republik war Fischer damals schon nicht mehr zu nehmen: Einen großen Teil der politischen Linken hatten er und die Grünen dazu gebracht, die bitteren Realitäten der neuen, gefährlichen Weltordnung und ihre Herausforderungen nach 1989 und nach dem 11. September 2001 nicht zu leugnen, sondern sich verantwortlich mit ihnen auseinanderzusetzen. Dazu gehörte auch, militärische Einsätze als Notmittel einer Friedenspolitik zu akzeptieren.
Nach der verlorenen Bundestagswahl im Herbst 2005 hatten dann nur wenige Menschen glauben wollen, dass es dem "einfachen Abgeordneten" gelingen würde, was er sich vorgenommen hatte: "Ich werde hinten im Reichstag sitzen und nachdenken und schweigen." Wer jemals Zeuge wurde, wie das politische Instinktwesen Fischer auch fern von Bonn oder Berlin, 24 Stunden am Tag, von den Nachrichten aus Bundestag, Kanzleramt oder Bundespressekonferenz umgetrieben wurde, nie müde, Szenarien der Machteroberung oder -verteidigung durchzuspielen, kann die damalige Skepsis vieler seiner Mitstreiter noch heute gut verstehen.
Den anderen Grund für seine Schweigsamkeit umschrieb der Ex-Minister mit dem Satz: "Ich will das den beiden nicht antun." Gemeint waren Renate Künast und Fritz Kuhn, die Fraktionschefs der Grünen. So sehr waren die Medien auf die Person Joschka Fischers konzentriert, dass fast jeder seiner seltenen öffentlichen Auftritte die Berichterstattung über die Grünen bestimmte.
Dabei war es dem Abgeordneten aus Hessen sehr ernst gewesen mit seiner Rücktrittsankündigung. Schon vor Monaten, als in der Debatte um die Geheimdienste Vorwürfe laut wurden, die rot-grüne Regierung habe im Irak-Krieg heimlich mitgebombt, wollte Fischer zwar noch die Zustimmung seiner Fraktion zu dem Untersuchungsausschuss verhindern: Öffentlich auf die Vorwürfe eingehen und seine eigene Politik rechtfertigen aber wollte er schon nicht mehr. "Schröder und Fischer sind Geschichte", lautete sein knappes Fazit. Über diese Geschichte, die rot-grünen Regierungsjahre, schreibt er nun sein neues Buch.
Für die Grünen geht das politische Leben auch ohne ihn weiter. Das war am Rande von Fischers Abschied zu beobachten. Als der zur Presse sprach, dröhnten aus dem Fraktionssaal laute Gesprächsfetzen, als ob die Abgeordneten keine Rücksicht mehr nehmen wollten. Erst als auf einen Wink von Fritz Kuhn hin die Tür geschlossen wurde, war Fischer wieder ungestört zu hören. Er sagte gerade: "Alle Vorstellungen, der kommt wieder, sind nicht von dieser Welt."