Afghanistan
Beeindruckende Reportagen vom Hindukusch - und ein verklärter Präsident
Das Reportage-Buch von Susanne Koelbl und Olaf Ihlau bezeichnete Afghanistan-Experte Egon Bahr als "Pflichtlektüre" für Bundestagsabgeordnete, Bundeswehr-Angehörige und alle, die über das militärische Engagement Deutschlands am Hindukusch zu entscheiden haben. Der Herausgeber einer Tageszeitung stimmte ihm zu und versicherte, die Lektüre lasse den Leser "zum Augen- und Ohrenzeugen des Zentralkonflikts unserer Zeit" werden. Das laute Lob ist kein Zufall, schließlich geht es um das Buch zweier bekannter "Spiegel"-Journalisten: Olaf Ihlau leitete 16 Jahre lang das Auslandsressort des Hamburger Magazins, seine Kollegin, Susanne Koebl, berichtete in den vergangenen Jahren immer wieder aus Afghanistan.
Auch wenn Koelbl und Ihlau keine "Pflichtlektüre" gelungen ist, handelt es sich doch um das zurzeit beste Buch deutscher Autoren über Afghanistan. Dass sich die Autoren bemühen, die komplizierten Beziehungen in den afghanischen Provinzen und die Loyalitätsbindungen zu erklären, macht eine der wesentlichen Stärken der Veröffentlichung aus. Beschrieben wird ein Umfeld, in dem die Autorität der Stammesführer mehr zählt als die Macht des Präsidenten Hamid Karsai und der von ihm eingesetzten Gouverneure.
Ein weiteres Verdienst der Autoren liegt darin, dass sie durch ihre Kenntnis der Verhältnisse mit zahlreichen in den deutschen Medien verbreiteten Legenden aufräumen. Dazu gehört die Vorstellung der von Osama bin Laden zum Hochtechnologie-Zentrum ausgebauten "Festung Tora-Bora". Tatsächlich fanden sich dort nur ein paar primitive Höhlen. Durch ihre Recherchen vor Ort lassen die "Spiegel"-Reporter die Leser teilhaben an der Entwicklung in Afghanistan nach dem Sturz der Taliban. Zugleich beziehen sie das internationale Umfeld in ihre Analyse ein. In hervorragend gelungenen historischen Rückblenden erklären sie die Ursachen der heutigen Entwicklung. Da es sich bei dem Buch letztlich jedoch um eine Aneinanderreihung von Reportagen handelt, kommt es immer wieder zu überflüssigen Wiederholungen.
Das Hauptproblem des Buches ist jedoch ein anderes: Offensichtlich vertreten die Autoren unterschiedliche Meinungen über die politische Entwicklung am Hindukusch. Ansonsten sind die zahlreichen Widersprüche kaum zu erklären. Einerseits kritisieren sie, dass fünf Jahre lang im Lande nichts geschehen sei, andererseits geraten sie bei der Charakterisierung des "demokratischen" Präsidenten Hamid Karsai regelrecht ins Schwärmen, dessen "Wahl" sie jedoch nicht analysieren. So entsteht das Bild einer Lichtgestalt, die Afghanistan retten werde, während die ausländischen Mächte für die politische Krise im Land verantwortlich sind.
Einig sind sich Ihlau und Koelbl allein darin, die USA für die Misere am Hindukusch verantwortlich zu machen - ohne dabei die Rolle Präsident Karsais zu erwähnen. Mehr noch: Sie sehen Karsai derart unkritisch, dass sie jeden hart kritieren, der auf seine Fehler hinweist.
Bemerkenswert für die Autoren einer demokratischen Zeitschrift ist zudem, dass sie die Vertreter der Opposition im afghanischem Parlament in Grund und Boden schreiben: Den aus der ehemaligen Nordallianz entstandenen Block "Nationale Front" nennen sie ein "gefährliches Oppositionsbündnis". Zwar erfährt der Leser nicht, warum diese Allianz so "gefährlich" sein soll. Immerhin lassen sie durchblicken, dass dem Anführer der Clique, Ex-Verteidigungsminister Fahim, "eine Schlüsselrolle in der organisierten Kriminalität nachgesagt" wird. Auf Beweise verzichten die Autoren leider. Dagegen ziehen sie vehement Informationen des US-Geheimdienstes in Zweifel, wonach Karsais Bruder persönlich am Heroin-Handel beteiligt ist. Schließlich schilderten sie den "sympathischen" Präsidenten-Bruder, der Karsais "Wahlkampf" finanzierte, bei früherer Gelegenheit als waschechten Patrioten.
Geliebtes dunkles Land. Menschen und Mächte in Afghanistan.
Siedler Verlag, München 2007; 320 S., 22,95 ¤