Rechtsausschuss/Anhörung II
REFORM DES ZIVILPROZESSES ERNTET KONTROVERSE STELLUNGNAHMEN
Berlin: (hib/BOB) Der Deutsche Anwaltverein hat am Mittwochvormittag die Regierungskoalition von SPD und Bündnis 90/Die Grünen sowie das Bundesjustizministerium aufgerufen, sich mit Vertretern der Praxis zusammen zu setzen, um eine sinnvolle Reform des Zivilprozesses zu ermöglichen.
Eine "Reform gegen die Praxis" sei zum Scheitern verurteilt, so der Vertreter des Anwaltvereins, Felix Busse, in einer Anhörung des Rechtsausschusses.
Die Vorschläge der Koalition zur Reform des Zivilprozesses, die mehr Bürgernähe, Effizienz und Transparenz schaffen sollten, führten nicht etwa zu diesen Zielen hin, sondern würden vielmehr das Gegenteil bewirken, so der Sachverständige weiter.
Kritik übte Busse insbesondere an der vorgesehenen Neuorganisation des Berufungs- und Revisionsverfahrens.
Bernhard Dombek, Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer, sprach sich vor dem Ausschuss ebenfalls dagegen aus, das "bewährte Rechtsmittelsystem" zu verändern.
Uwe Bornhak, Präsident des Amtsgerichts Leipzig, erklärte, eine grundlegende Reform der Zivilprozessordnung halte er nicht für geboten.
Das gegenwärtige Recht biete dem verantwortungsvoll arbeitenden Amtsrichter bereits jetzt genügend Gestaltungsmöglichkeiten.
Im Übrigen stehe der Ungewissheit mit Blick auf notwendige personelle Verstärkung der Amtsgerichte die Gewissheit einer arbeitsaufwändigeren Verfahrensbehandlung gegenüber, würden die Vorschläge der Regierungskoalition Wirklichkeit.
Dies gelte insbesondere für die beabsichtigte obligatorische Güteverhandlung. Der Direktor des Amtsgerichts Bad Iburg, Antonius Fahnemann, äußerte dazu, mit dieser vorgeschlagenen Güteverhandlung werde die Praxis gut leben können.
Die erste Instanz werde aber nur dann effektiv gestärkt, wenn die Länder den vorliegenden Gesetzentwurf konsequent umsetzten.
Fahnemann bestritt im Übrigen eine unzureichende Streitschlichtungskultur bei Gericht. Er attestierte vielmehr den Bürgerinnen und Bürgern eine immer geringer werdende Bereitschaft, Kontroversen vor Gericht gütlich beizulegen.
Demgegenüber bezeichnete es der ehemalige Vorsitzende des Rechtsausschusses Horst Eylmann als "merkwürdig", dass manche Vertreter der Praxis heute so täten, als sei am Amtsgericht "alles paletti".
Noch 1997 sei in einer Anhörung des Ausschusses die überwiegende Ansicht geäußert worden, die erste Instanz sei zu stärken.
Nun liege ein entsprechender Entwurf vor, werde aber als praxisfremd kritisiert. Demgegenüber müsse er, Eylmann, aus seiner Tätigkeit als Anwalt feststellen, dass Amtsrichter immer überlasteter seien.
Sei Jahren nähmen schriftliche Verfahren zu, die Anhörung der Prozessparteien werde immer seltener, die Vorbereitungen auf Verhandlungen falle immer kurzfristiger aus.
Es sei ein "grundlegender Irrtum", so Eylmann weiter, dass die geringe Zahl von Berufungen gegen Urteile des Amtsgerichts für deren Qualität sprächen.
Vielmehr sei es so, dass bei einem Streitwert bis 10.000 DM das Kostenrisiko für die Beteiligten zu groß sei, um in die nächste Runde vor Gericht zu gehen.
Eylmann bezeichnete die Vorschläge der Regierungskoalition als "im Großen und Ganzen" vernünftig. Der ehemalige Präsident des Bundesgerichtshofes, Karlmann Geiß, bedauerte, dass die Standpunkte in der Reformdiskussion sehr verfestigt seien.
Man dürfe die geltende Justizordnung nicht kaputt reden. Die Amtsgerichte erledigten ihre Arbeit alles in allem sehr effektiv; auch die Rechtsmittelzüge funktionierten.
Man dürfe sich aber andererseits auch nicht "in die Tasche lügen", da das Rechtsmittelsystem in verschiedener Hinsicht "Schlagseite aufweise".
Geiß bezeichnete die mit dem Entwurf von Sozialdemokraten und Bündnisgrünen angestrebte Reform dieses Systems als "im konzeptionellen Ansatz und in wesentlichen Eckpunkten sachgerecht".
Auch Iris Fatouros von der Deutschen Justizgewerkschaft sprach sich für eine Reform der Zivilprozessordnung aus.
Diese sei nach nunmehr fast 124 Jahren in der geltenden Fassung "überholt". Die Gesellschaft sei im Wandel, die Justiz müsse diesen nachvollziehen. Ein Umdenken innerhalb der Richterschaft sei deshalb geboten, so Fatouros.