95. Sitzung
Berlin, Freitag, den 27. April 2007
Beginn: 9.00 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich und wünsche uns allen einen guten Morgen und einen erfolgreichen Tag. Es gibt heute Morgen überhaupt keine Ankündigungen, sodass wir in der glücklichen Situation sind, ohne weiteren Verzug in die Tagesordnung einsteigen zu können.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf:
- Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Friedensmission der Vereinten Nationen im Sudan (UNMIS) auf Grundlage der Resolution 1590 (2005) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 24. März 2005 und weiterer Mandatsverlängerungen durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen
- Drucksachen 16/4861, 16/5142 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Brunhilde Irber
Marina Schuster
Wolfgang Gehrcke
Dr. Uschi Eid
- Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/5143 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Lothar Mark
Jürgen Koppelin
Michael Leutert
Alexander Bonde
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen vor. Ich will darauf hinweisen, dass wir über die Beschlussempfehlung später namentlich abstimmen werden, also irgendwann kurz nach 10 Uhr; denn diese Aussprache soll nach einer interfraktionellen Vereinbarung eine Stunde betragen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch.
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst der Kollegin Irber das Wort. - Sie hat so früh noch nicht mit ihrem Glück gerechnet.
Bitte schön, Frau Kollegin Irber.
Brunhilde Irber (SPD):
Guten Morgen, Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Dass wir uns heute mit der Verlängerung des UNMIS-Mandates beschäftigen, ist konsequent und richtig. Es ist auch richtig, dass wir es beschließen. Es gibt in diesem Zusammenhang einen interfraktionellen Entschließungsantrag zum Thema Darfur, der Ausdruck dafür ist, dass wir bei diesem Thema nicht nur den Süden des Sudan betrachten dürfen, sondern den Gesamtsudan im Blick haben müssen. Ich freue mich, dass wir hier an einem Strang ziehen und sich die Fraktionen zu einem interfraktionellen Antrag entschließen konnten. Herzlichen Dank dafür.
Niemand kann bestreiten, dass die 10 000 Soldaten und 715 Polizisten - darunter maximal 75 deutsche Soldaten - wesentlich zur Stabilität im Südsudan beigetragen haben. Sichtbares Ergebnis sind die Flüchtlinge, die wieder in ihre Heimat zurückkehren können und sich dort eine Existenz aufbauen wollen. Ich selbst war in Juba und habe mich von den Bemühungen überzeugt, die dort unternommen werden. Ich möchte an dieser Stelle den zivilen und militärischen Kräften, die sich dort bemühen, meinen sehr herzlichen Dank aussprechen.
Einer der entscheidenden Sätze aus dem Regierungsantrag ist für mich der folgende:
Die Entwicklung im Südsudan kann aber nicht losgelöst von der erschreckenden humanitären und politischen Situation in Darfur gesehen werden.
Deshalb ist und bleibt es eines der wichtigsten Ziele - dies kommt in dem Antrag zum Ausdruck -, dass der unabhängige Allparteiendialog in Darfur und ein nationaler Dialog aller demokratischen Kräfte stattfinden können. Diese Dialoge kann und muss die internationale Staatengemeinschaft mit allen Mitteln unterstützen. Allerdings ist es dazu dringend erforderlich, dass die Waffen schweigen, und zwar auf allen Seiten.
Wir haben in den letzten Tagen und Wochen das unsägliche Leid von Millionen von Menschen, die Anschläge auf die AMIS-Soldaten und den dreisten Missbrauch der UN-Farben an Flugzeugen der sudanesischen Armee gesehen. Dieser Verstoß gegen Art. 100 der UN-Charta ist besonders niederträchtig und muss scharf verurteilt werden.
Mit der Zustimmung der sudanesischen Regierung zum sogenannten ?schweren Unterstützungspaket“ sind große Hoffnungen verbunden. Die diplomatischen Bemühungen des UN-Generalsekretärs und seines Sonderbeauftragten Jan Eliasson scheinen Früchte zu tragen.
Wir sind damit einen kleinen Schritt in die richtige Richtung weitergekommen. Ich kann nur hoffen, dass damit auch die Chance besteht, die humanitäre Hilfe wieder in geordnete Bahnen zu lenken.
Anerkennenswert ist die Zustimmung Khartoums zum zweiten Unterstützungspaket. Wir müssen aber jetzt auch ein glaubhaftes politisches Signal setzen, damit sich Baschir keinen weiteren Wortbruch mehr leisten kann.
Deshalb fordern wir die unverzügliche Umsetzung dieser zweiten Stufe der vereinbarten AU/UN-Hybridmission. Jede Verzögerung wird zur Ausweitung von UN-Sanktionen führen. Sollte dies im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nicht durchsetzbar sein, fordern wir die Bundesregierung auf, sich für einen Sanktionsmechanismus der EU einzusetzen.
Nur damit kein Missverständnis entsteht: Wir reden hier nicht mehr von diffusen Ankündigungen, sondern von konkreten Maßnahmen gegen Mitglieder der sudanesischen Regierung. Ankündigungen ohne Konsequenzen darf es nicht mehr geben.
Wir dürfen dabei aber auch eigene Fehler nicht aus den Augen verlieren. Ich denke hier an die Kriegsgewinner, die Waffenschieber und Geschäftemacher. Kollege Wolfgang Wodarg hat es bereits während der letzten Sitzung des Europarates am 19. April 2007 erwähnt. Es kann nicht sein, dass parallel zu den Bemühungen für den Frieden im Sudan europäische Unternehmen mit Verbrechern paktieren.
An dieser Stelle müssen wir vor der Haustür Europas mit eisernem Besen kehren. Wer sich auf solche Weise bereichert und so Tod und Leid vieler Menschen in Kauf nimmt, sollte mit allen rechtlichen Mitteln zur Verantwortung gezogen werden.
Ist Frieden im Sudan in Anbetracht der komplexen Konfliktlage eine unlösbare Aufgabe? Wird dieses riesige Land 2008 oder 2009 ein stabiles Umfeld für Wahlen überhaupt gewährleisten können?
Im Zusammenhang mit den Wahlen im Kongo habe ich mir ähnliche Fragen gestellt. Der Einsatz der internationalen Schutztruppe wurde kontrovers diskutiert. Heute kann man sagen: Das Risiko hat sich gelohnt.
Alle Parteien im Sudan müssen an den Verhandlungstisch zurückkehren. Dies gilt für diverse Rebellengruppen ebenso wie für die sudanesische Regierung. Wir brauchen einen gesamtsudanesischen Dialog, damit die Zukunft dieses Landes gestaltet werden kann. Und wir sollten die moderaten Kräfte in der Regierung in Khartoum unterstützen.
Die im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beschlossene AU/UN-Hybridmission wird die Voraussetzungen dafür verbessern und die humanitäre Hilfe vor Ort ermöglichen. Wie viel politischer Druck dafür aufgebaut werden muss, wird sich zeigen. Was notwendig ist, um jetzt die zweite Umsetzungsphase zu realisieren, fordern wir in unserem Entschließungsantrag. Ich bitte Sie, diesem heute zuzustimmen.
Ich bitte natürlich auch darum, dem UNMIS-Antrag zuzustimmen, der ein unverändertes Mandat für die Zeit bis zum 15. November 2007 mit bis zu 75 Soldaten ausstellt, wobei immer nur 38 oder 39 im Einsatz sind. Der Einsatz kostet 800 000 Euro.
An dieser Stelle möchte ich unseren Militärs danken, die sich dieser Aufgabe unterziehen. Es ist nicht leicht, im Sudan unter diesen Umständen zu agieren, zu beobachten und dabei zu helfen, Frieden im Südsudan zu schaffen und die Implementierung des Comprehensive Peace Agreement voranzubringen, aber natürlich auch dafür zu sorgen, dass die anderen Teile des Sudans dabei nicht außer Acht gelassen werden.
Herzlichen Dank. Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun die Kollegin Marina Schuster, FDP-Fraktion.
Marina Schuster (FDP):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundeswehr leistet mit ihrer Beteiligung am UNMIS-Einsatz im Südsudan trotz der sehr schwierigen Bedingungen vor Ort eine gute und sehr wertvolle Arbeit. Ich möchte eines gleich zu Beginn deutlich machen: Wer diesen Einsatz als Symbolik bezeichnet, weiß nicht, wie die tägliche Arbeit dort aussieht. Ich konnte mich - genauso wie die Kollegin Irber und andere - in Juba im Südsudan davon überzeugen, dass die Bundeswehr sehr hohes Ansehen genießt.
Nach 20 Jahren Bürgerkrieg und schätzungsweise 2 Millionen Toten ist der Nord-Süd-Friedensvertrag die einzige Chance auf dem Weg zu dauerhaftem Frieden. Die Umsetzung des Comprehensive Peace Agreements hinkt leider hinterher, gerade bei solchen wichtigen Institutionen wie der National Petroleum Commission. Auch aufgrund der Spannungen um die Region Abyei und der zunehmenden Sorge hinsichtlich der Wahlen 2009 bildet der UNMIS-Einsatz einen wichtigen Stabilitätsfaktor. Trotz aller Schwierigkeiten vor Ort gibt es deutliche Zwischenerfolge. Es ist deutlicher denn je: Nur mit dem Comprehensive Peace Agreement geht man den Weg zu dauerhaftem Frieden. Die FDP-Fraktion wird dem vorliegenden Verlängerungsantrag zustimmen, weil wir diesen langfristigen Prozess unterstützen wollen.
Es stellt sich allerdings die Frage, ob sich die Rahmenbedingungen des Einsatzes nicht verändert haben, wie es im Mandatsantrag heißt. Ein Beispiel: Glücklicherweise kehren zunehmend mehr Flüchtlinge in den Süden des Landes zurück. Aber wie geht es dort für die Menschen weiter? Die entscheidende politische Frage ist: Spüren die Menschen vor Ort die Friedensdividende? Zudem hat die Bundesregierung zu Recht darauf hingewiesen, dass die Situation im Südsudan nicht losgelöst von der Lage in Darfur betrachtet werden kann. Die Situation in dieser Krisenregion ist nach wie vor alarmierend. Die hoffnungsvollen Signale von Präsident Baschir hat er leider kurz darauf wieder relativiert. Nun spricht er nicht mehr von 3 000 UN-Blauhelmen, sondern nur noch von Technikern und Ingenieuren. Diese gezielte Verzögerungstaktik scheint sich also leider fortzusetzen.
Ich begrüße es daher und freue mich, dass sich die Fraktionen im Deutschen Bundestag mit Ausnahme der Linksfraktion nach intensiven Verhandlungen auf einen interfraktionellen Entschließungsantrag geeinigt haben, der den Druck verstärken kann.
Denn das ist ein deutliches Signal in Richtung Khartoum.
Ich vermisse allerdings von der Bundesregierung und der EU-Ratspräsidentschaft bislang eine deutliche Reaktion auf einen aktuellen, sehr ernsten Vorgang. Nach Erkenntnissen der Vereinten Nationen hat der Sudan Flugzeuge weißlackiert, mit UN-Hoheitszeichen versehen und hat damit illegal Waffen und Munition nach Darfur transportiert und wohl auch zivile Ziele bombardiert. Die ?New York Times“ hat ein Foto von einer solchen Maschine veröffentlicht. Der Missbrauch von UN-Kennzeichen zu Kriegszwecken ist nicht nur ein unglaublicher politischer Skandal, sondern auch ein schwerer Verstoß gegen das Völkerrecht.
Herr Staatsminister Erler, Sie haben sich bei meiner Frage danach im Auswärtigen Ausschuss darauf bezogen, dass dies eine UN-interne Angelegenheit sei, der man nun nachgehe. Ich verlange von der EU-Ratspräsidentschaft allerdings etwas mehr als solche allgemeinen Verweise.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege Hartwig Fischer, CDU/CSU-Fraktion.
Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Situation in Darfur ist unerträglich. Es geht heute Morgen eigentlich um zwei Bereiche. Diese möchte ich deutlich aufzeigen, weil wir in der Diskussion mit der Bevölkerung leider feststellen, dass dies nicht bekannt ist. Es geht auf der einen Seite um die Absicherung des Friedensprozesses im Südsudan durch die Verlängerung des UNMIS-Mandates. Es geht auf der anderen Seite um friedenschaffende Maßnahmen mit AMIS und einer eventuell verbreiterten Mission von UN und AMIS in Darfur.
Nach 20 Jahren Bürgerkrieg im Südsudan gab es vor zwei Jahren einen Friedensschluss. UNMIS ist die Voraussetzung für den Wiederaufbau und die Stabilisierung des Friedens im Südsudan. Es wurde eine Übergangsregierung gebildet. Diese Übergangsregierung hat sich eine Verfassung gegeben. Viele von uns kennen diese Verfassung. Sie ist vorbildlich für die Entwicklung in diesem Teil des Sudans. Das war die Grundvoraussetzung, um eine neue Infrastruktur mit der Weltgemeinschaft zu schaffen: Verwaltungsaufbau, Wasser, Straße, Energie, Agrarstruktur, Bildung und Gesundheit.
Das war die Voraussetzung dafür, dass die Menschen aus den Flüchtlingslagern, zum Beispiel in Kenia, zurückkommen konnten. In ein Flüchtlingslager in Kenia sind vor 22 Jahren innerhalb weniger Wochen 40 000 Menschen geflohen. Innerhalb von 20 Jahren, in denen diese Menschen nicht zurückkehren konnten, ist die Zahl der Flüchtlinge in diesem Lager allein durch Geburten von 40 000 auf 120 000 gewachsen. Das heißt, es gibt eine ganze Generation, die in einem Flüchtlingslager aufgewachsen ist, die jetzt im Südsudan in Sicherheit leben will.
Mit UNMIS und 38 Beobachtern der Bundeswehr kann ein entscheidender Beitrag geleistet werden. Fünf Soldaten sind in Stabsverwendungen - wir haben uns im Ausschuss am Mittwoch darüber informieren lassen -, 33 Soldaten sind in den Sektoren eingesetzt. Ich beschreibe die Aufgaben von einigen der fünf Soldaten: Der Chief of Staff ist mit für die Überwachung des Friedensvertrages zuständig. Er koordiniert unter anderem den Einsatz der UNMIS-Militärbeobachter. Der Chief J 2, der in Khartoum im Hauptquartier sitzt, gibt die Sicherheitslage für die Gesamtmission entsprechend den eingehenden Einzelberichten weiter. Der Chief J 7 koordiniert die Einsatzausbildung des Personals vor Ort. Er bildet die neu eingetroffenen internationalen Militärbeobachter anlassbezogen aus und nimmt gleichzeitig die Weiterbildung des Personals im Einsatz vor. Der sogenannte Senior Staff Officer Monitoring and Verification ist im Bereich der weiteren Auswertung von Berichten und Meldungen der Militärbeobachter eingesetzt.
In Richtung der Linken, die immer den Eindruck vermitteln wollen, wir seien dort mit Waffen unterwegs, sage ich ausdrücklich: Alle 38 Militärbeobachter sind unbewaffnet. Sie unterstützen die Gesamtmission mit rund 9 500 UNMIS-Soldaten.
All dies ist die Grundlage für die Wahlen, die im Jahr 2009 im Sudan stattfinden sollen. Es ist auch die Grundlage für das Referendum, das 2011 stattfinden soll. Es ist die Grundlage für eine dauerhafte Befriedung des Südsudans. Deshalb wird unsere Fraktion dem Antrag der Bundesregierung auf Verlängerung von UNMIS zustimmen.
Hier mache ich den Schnitt zu AMIS und Darfur. Ich bin ausgesprochen dankbar dafür, dass wir uns trotz schwieriger Verhandlungen auf einen interfraktionellen Antrag einigen konnten. An zwei, drei Punkten - ich sage gleich etwas dazu - hätte ich mir eine Verschärfung des Antrages vorstellen können.
- Herr Trittin, ich sage gleich etwas dazu.
Vier Jahre Krieg, Rebellen gegen Rebellen, vier Jahre Krieg, Rebellen gegen Regierung, vier Jahre Krieg, Regierung mit Rebellen. Die Lage ist also vollkommen unüberschaubar. Gleichzeitig gibt es Waffenlieferungen von der Regierung an die Rebellen. Das heißt, hier führen nicht nur Rebellen innerhalb des Volkes einen Krieg, sondern auch die Regierung einen Krieg gegen das eigene Volk.
In der Bilanz bedeutet das: rund 3 Millionen Flüchtlinge und Binnenvertriebene, 250 000 bis 300 000 Tote, täglich Flucht, Hunger, Durst, Misshandlung, Vergewaltigung und Mord. 400 000 Menschen - ich habe das schon in der letzten Debatte gesagt - sind in Kutum seit Monaten unversorgt. Natürlich sind wir alle froh, dass die Regierung Baschir jetzt einer ersten UN-Mission zugestimmt hat. Ich zweifle aber immer noch sehr an den Zusagen von Baschir. In den vergangenen Jahren haben wir immer wieder erlebt, dass Zusagen im letzten Moment zulasten der Bevölkerung von Darfur zurückgezogen wurden.
Die UN-Berichte und die UN-Resolutionen sind eine Chronik des Leidens in Dafur. Die Mission, die jetzt fortgesetzt und verstärkt werden soll, ist dringend notwendig. Die 3 000 Soldaten, die im Rahmen einer sogenannten Hybridmission von Afrikanischer Union und UN vorgesehen sind, reichen nicht annähernd aus, sind aber ein erster Schritt. Sie wissen, dass Kofi Annan bereits im vergangenen Herbst 22 000 Mann gefordert hat. Er hat gesagt, das sei die einzige Chance, dort einen Friedensprozess einzuleiten.
Ich habe Herrn Staatsminister Erler letztens gesagt, vielleicht kann das Auswärtige Amt zur Information eine spezielle Internetseite aufbauen. Das ist nicht mehr nötig: Schauen Sie einmal bei Google Earth nach! Die haben etwas gemacht, worauf man stolz sein kann: Zeitnah werden jede Woche Satellitenbilder von jedem größeren Flüchtlingscamp eingestellt, sodass man genau vergleichen kann, wie sich die Situation der Menschen dort entwickelt. Dies bedeutet zusätzlichen öffentlichen Druck. Ich sage auch vor dem Hintergrund von Einsätzen der Bundeswehr im Ausland: So etwas ermöglicht auch mehr Information für unsere Bevölkerung, die solchen Einsätzen oft sehr skeptisch gegenübersteht und uns Politikerinnen und Politiker fragt, ob der Einsatz denn notwendig ist.
Zu den schärferen Formulierungen im interfraktionellen Antrag sage ich für meine Fraktion ganz offen: Natürlich hätten wir uns gewünscht, dass in der Flugverbotsfrage nicht nur ein Prüfauftrag erteilt wird.
Ich persönlich und die große Mehrheit meiner Fraktion halten ein Flugverbot für absolut notwendig, gerade vor dem Hintergrund dessen, was die Kollegin Schuster angesprochen hat: dass weiß angestrichene Maschinen der Regierung Bomben bringen, während die Menschen unten meinen, sie bekämen Hilfsgüter. Es ist pervers, was die dortige Regierung macht.
Ich danke allen, die an diesem interfraktionellen Antrag mitgearbeitet haben. Ich bitte Sie, sich bei Google Earth über diese Dinge zu informieren. Sie können dort mehr erfahren als auf allen anderen Wegen. Ich hoffe im Interesse der Menschen in Darfur, dass wir eine große und breite Zustimmung zu dem interfraktionellen Antrag bekommen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile das Wort der Kollegin Monika Knoche, Fraktion Die Linke.
Monika Knoche (DIE LINKE):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die Linke hofft sehr, dass der Prozess der Friedensbildung im Sudan vorankommt.
UNMIS hat zweifelsfrei dazu beigetragen, das Friedensabkommen im Südsudan zu sichern. Diese positive Bilanz würdigen wir. Denn obgleich man sich für diese Militärpräsenz auf Kapitel VI und VII der UN-Charta bezieht, zeichnet sich diese Mission durch Friedfertigkeit aus. Es wäre also töricht und, wie ich meine, politisch fahrlässig, die deutsche Kriegsbeteiligung in Jugoslawien oder die Tornadoeinsätze in Afghanistan nach Kapitel VII in einem Atemzug mit der Mission im Sudan zu nennen.
Deutsche Kriegsbeteiligungen sind und bleiben für uns unannehmbar.
Im Sudan geht es aber um etwas anderes. Hier ist die Frage zu beantworten, wie ein Umlenken von der militärischen auf eine rein zivile Konfliktbearbeitung erreicht werden kann. Wir Abgeordnete müssen genau hinschauen, was das Land Sudan jetzt am dringlichsten braucht. Ich denke, die Bevölkerung, die Konfliktparteien müssen die Erfahrung machen, dass es sich lohnt, Frieden zu schließen, in Frieden zu leben. Ihre vordringlichsten Probleme sind nämlich das Landrecht, der Zugang zu Wasser und zu Weideland und die Wüstenbildung als Folge des Klimawandels. All das ist beständiger Quell von Auseinandersetzungen. Wie die Einnahmen aus dem Verkauf von Rohstoffen zwischen den Volksgruppen aufgeteilt werden, beschwert ebenfalls den Frieden und schürt Konflikte, auf sie sich ethnische und religiöse Konflikte aufsetzen.
?Frieden muss von innen wachsen“, sagt der Evangelische Entwicklungsdienst, Frieden brauche gesellschaftliche Beteiligung, gerade von jenen, die die Zivilgesellschaft ausmachen. Das verweist meines Erachtens darauf, dass das deutsche Engagement eine starke Investition in den zivilen Friedensdienst sein muss.
Zwei Millionen Menschen waren von den grauenvollen Zuständen im Sudan betroffen. 250 000 neue Flüchtlinge sind zu versorgen. Es ist hochkompliziert, die Rebellen auf eine konsistente Position zu einen und die Integration der ehemaligen Kämpfer zu bewerkstelligen. Das sind schon für sich genommen immense Anforderungen. Hinzu kommt der Mangel an Schulen und Gesundheitsversorgung. Wer sich all das vor Augen führt, stellt fest: Zur Lösung dieser Aufgaben bedarf es ganz anderer Kräfte. UNDP, UNHCR und UNFEM, das sind die richtigen Adressen. Da kann es Sie, meine sehr geehrten Herren und Damen, die Sie heute ein weiteres Mal die Bereitstellung von de facto 38 von 75 Militärbeobachtern beschließen, doch eigentlich nicht zufriedenstellen, dass sich der Beitrag Deutschlands auf ein zu eng gefasstes Verständnis von Peacekeeping reduziert.
Zu UNMIS ist auch zu sagen: Wir sollten nicht vergessen, dass eine lang andauernde Militärpräsenz erhebliche negative Auswirkungen hat. Strukturen der Fremdbestimmung und Abhängigkeit greifen Platz. Es entwickelt sich eine an das Militär angedockte Ökonomie. Korruption und die Ausbreitung von Prostitution sind sozusagen die Kollateralschäden eines militärischen Friedenseinsatzes.
Wenn Sie gestern Abend der entwicklungspolitischen Debatte gefolgt wären, hätten Sie bestätigt bekommen, dass das die tatsächlichen Auswirkungen der Präsenz jeglichen Militärs sind.
Deshalb spreche ich mich gegen die Engführung aus, UNMIS als Blauhelmeinsatz zu bewerten. Für uns geht es darum, dass gefestigte zivile Strukturen entstehen. Wir wollen dafür sorgen, dass die Bevölkerung über die Wahlen im Jahre 2009 hinaus bis zum Referendum im Jahre 2011 die gelebte Erfahrung macht, dass die internationale Gemeinschaft all ihr Können darauf richtet, die Ursachen der Konflikte zu bearbeiten. Hier muss selbstverständlich auch China einbezogen werden; denn dieses Land investiert angesichts der aufgeteilten Ölmärkte der Welt in hochriskante Staaten. Die Frage des Ressourcenzugangs ist auch eine Friedensfrage. Das müssen wir immer im Blick behalten.
Das Land Sudan braucht zivile Infrastrukturarbeit, Mediation und eine gerechte Verteilung der Erdöleinnahmen.
Die Linke sagt: Es ist richtig, internationale Polizeikräfte einzusetzen. Demobilisierung und der Schutz ziviler Akteurinnen sind notwendig. Das kann Polizei leisten. Aber bei 100 Millionen Euro für 10 000 Soldaten, 750 Militärbeobachter und 700 Polizisten haben wir schon den Eindruck, dass es sich um ein Missverhältnis handelt.
Ich gebe gerne zu: Die 38 deutschen Soldaten, die im Rahmen von UNMIS eingesetzt werden, schaden einem zivilen Auftrag nicht. Aber es stellen sich die Fragen: Was nützt mehr? Was ist effektiver? Was ist nachhaltiger? Was ist besser? Welche Instrumente sind am wirkungsvollsten, um Stabilität und Friedensgewinn zu erzielen? Hier kommt die Linke zu einem anderen Ergebnis als Sie. Denn die Annahme, dass Militär alles Zivile auch leisten könne oder sogar zivile Schritte ersetzen könne, ist falsch.
Nicht militärisch, auch nicht militärisch-zivil, sondern zivil muss die Hilfe sein. Insofern sticht das Argument nicht, ohne Militärpräsenz hätte es keinen Friedensprozess gegeben. Niemand spricht sich generell gegen Blauhelmeinsätze aus. Aber wir müssen darüber diskutieren, worin der spezifisch deutsche Friedensbeitrag besteht.
Nicht zuletzt möchte ich noch darauf hinweisen: Vielleicht hat sich die ehemalige rot-grüne Regierung erhofft, durch die Beteiligung an UNMIS bessere Chancen auf einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat zu haben. Diese Höhenflüge sind vorbei. Heute müssen wir uns genau ansehen, welches Engagement Deutschland im Sudan leistet. Wir Linken sind nicht der Meinung, dass die Fortsetzung der Beteiligung Deutschlands an UNMIS für den Frieden und für das innere Wachsen des Friedens wirklich dienlich ist. Wir plädieren für einen ausgeprägten zivilen und humanitären Beitrag und stimmen dem Antrag der Regierung nicht zu.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Kerstin Müller ist die nächste Rednerin für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als im Januar 2005 das Nord-Süd-Friedensabkommen im Sudan abgeschlossen wurde, hatten wir alle große Hoffnungen - das ist hier schon zum Ausdruck gebracht worden -, dass es nach mehr als 20 Jahren Bürgerkrieg zu einer friedlichen Entwicklung im Süden kommen und dieser Prozess sogar positiv auf die anderen Konflikte im Sudan ausstrahlen würde.
In dem jüngsten Bericht des UN-Generalsekretärs an den Sicherheitsrat wird leider die umgekehrte Entwicklung aufgezeigt. Der Nord-Süd-Friedensprozess ist in einer absolut kritischen Phase. Fachleute sehen sogar die Gefahr, dass er völlig entgleisen könnte. Der Friedensprozess im Osten des Sudans stagniert, und die Gewalt im Westen des Landes, in Darfur, eskaliert. Im Süden ist die Sicherheitslage angespannt. Zuletzt gab es in Malakal sogar wieder Kämpfe; ich glaube, Sie haben es erwähnt, Herr Kollege Fischer. Es gibt Probleme bei der Grenzziehung in strittigen Provinzen, bei der Bildung integrierter Armeeeinheiten, bei der Demobilisierung der Milizen und vor allem - das ist natürlich sehr schlecht - auch bei der Vorbereitung der für 2009 geplanten gesamtsudanesischen Wahlen.
Meine Damen und Herren, auch liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, der PDS, vor diesem Hintergrund zu sagen, die unbewaffneten Beobachter, die sich in dieser Mission befinden, würden ?nicht schaden“, empfinde ich erstens als eine unglaubliche Missachtung der sehr wichtigen Arbeit, die sie dort leisten,
und zweitens als eine insgesamt wirklich unglaubliche Ignoranz gegenüber den für diesen Friedensprozess erforderlichen Notwendigkeiten. UNMIS ist auch in Zukunft für den Friedensprozeß nötig.
Es geht um unbewaffnete Militärbeobachter. Das müsste Ihnen ja eigentlich entgegenkommen. Das ist auch kein symbolischer Beitrag; vielmehr ist unsere Unterstützung für UNMIS der größte Beitrag aller Europäer. Die Militärbeobachter leisten bei der Vertrauensbildung zwischen den Bürgerkriegsarmeen Wichtiges und sorgen für die Einhaltung der Truppenrückzüge.
Ich will das hier einmal sagen: Nach meinen Informationen leisten unsere Soldaten dort einen sehr schwierigen, risikoreichen und strapaziösen Dienst. Sie sind bei dieser Aufgabe, als Unbewaffnete dort zu vermitteln, auf sich allein gestellt. Ich denke, ich spreche auch in Ihrem Namen, wenn ich diesen Soldaten hier unseren Dank ausspreche.
Wir werden der Verlängerung dieses Mandats daher natürlich zustimmen.
Zu Darfur. Die Gewalt in Darfur hat inzwischen negative Rückwirkungen auf den Nord-Süd-Friedensprozess und ist fast zur Hauptgefahr geworden, weil es immer noch nicht gelungen ist, das Morden in Darfur zu stoppen. Seit Abschluss des Nord-Süd-Friedensvertrages hat sich die Lage sogar noch verschlechtert.
Ich bin sehr froh, dass es uns gelungen ist, vor dem Hintergrund dieser Situation hier einen interfraktionellen Antrag zustande zu bringen. Das ist vielleicht nur ein kleiner Beitrag, aber ich hoffe, dass das ein starkes Signal an die sudanesische Regierung in Khartoum ist, nämlich dass wir ein Ende der Gewalt fordern und dass wir fordern, dass endlich eine robuste UNO-Truppe ins Land gebracht wird, die die Menschen dort schützt.
Der interfraktionelle Antrag ist natürlich auch eine Aufforderung an die Bundesregierung und eine Ermutigung: Setzen Sie sich mit den darin genannten Mitteln für ein Ende der Gewalt in Darfur ein! Sorgen Sie dafür, dass die sudanesische Regierung einen hohen Preis zahlt, wenn sie ihr Katz-und-Maus-Spiel mit der internationalen Gemeinschaft fortsetzt und die Umsetzung der 20 000-köpfigen gemeinsamen Friedensmission der Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union weiter verhindert!
Natürlich hätten auch wir uns an der einen oder anderen Stelle etwas schärfere Formulierungen gewünscht. Ich will nur noch einmal zu bedenken geben - ich glaube, das ist uns allen klar -, was die Zusagen des Sudans in der Vergangenheit wert waren.
Ich hoffe, die Zusage der zweiten Phase bei AMIS - 3 000 Soldaten und sechs Kampfhubschrauber - wird umgesetzt. Das ist zweifelsfrei ein wichtiger Schritt. Wir wissen - das muss uns allen klar sein -: Zusagen des Sudans waren in der Vergangenheit leider auf die Dauer nicht viel wert. Deshalb können wir uns nicht erleichtert zurücklehnen. Der internationale Druck muss aufrechterhalten werden. Weiterhin muss uns klar sein, dass der Sudan der dritten und entscheidenden Aufstockungsphase für AMIS mit 10 000 zusätzlichen Soldaten nicht zugestimmt hat. Ebenso wenig hat er einer UNO-Kommandostruktur oder der Beteiligung nicht afrikanischer Soldaten zugestimmt. Auch das wird nur geschehen, wenn der internationale Druck aufrechterhalten wird. Diese Instrumentarien sind im Antrag benannt. Wenn der Sudan seine Zusagen nicht einhält, dann müssen klare Fristen gesetzt und gezielte Sanktionen gegen die Verantwortlichen des Regimes verhängt werden, damit endlich Soldaten ins Land kommen und die Menschen vor der Gewalt geschützt werden können, zumindest diejenigen, die in den Flüchtlingslagern sind.
Wir hätten uns gewünscht, dass diese Sanktionen nicht nur für die zweite Aufstockungsphase, sondern auch für die Gesamtmission gelten. Wir sind uns hier aber einig, dass wir letztlich die Gesamtmission brauchen. Wir dürfen der sudanesischen Regierung kein Schlupfloch für ihr zukünftiges Katz- und Maus-Spiel lassen.
Auch ich möchte noch einmal dieses schamlose Beispiel nennen. Auf der einen Seite wird gerade verhandelt und es gibt eine Zusage. Auf der anderen Seite ist man dort so dreist, Flugzeuge, die Waffen nach Darfur transportieren, umzulackieren, mit dem UN-Logo zu versehen und als UNO-Flugzeuge zu tarnen. So viel Dreistigkeit angesichts des Bemühens der internationalen Gemeinschaft, entsprechende Vereinbarungen zu treffen, ist wirklich nicht zu überbieten. Ich teile die Auffassung des Kollegen Fischer: Dem Bestreben, über Darfur eine Flugverbotszone zu verhängen, wurde mit diesem völkerrechtswidrigen Verhalten ein zusätzlicher Grund gegeben.
Auch uns ist natürlich klar: UNO-Truppen sind das eine. Es braucht natürlich einen Friedensvertrag. Nur Friedensgespräche werden zu einem dauerhaften Frieden führen. Wir brauchen aber beides gleichzeitig: neue Friedensverhandlungen mit allen Konfliktparteien, die die Europäische Union unterstützen kann, was sie mit dem Sonderbeauftragten tut, und eine entsprechend Truppe, die die Menschen schützt. Ich bin sehr froh darüber, dass wir heute mit dem interfraktionellen Antrag ein klares Signal nach Khartoum setzen und dass wir uns in einer wichtigen Menschenrechtsfrage einig sind und gemeinsam handeln. Ich hoffe, dass dieses Signal in Khartoum vielleicht doch noch gehört wird.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Für die Bundesregierung erhält nun der Staatsminister Gernot Erler das Wort.
Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat am 28. März beschlossen, das UNMIS-Mandat bis zum 15. November dieses Jahres zu verlängern, um die Umsetzung des Nord-Süd-Friedenabkommens im Sudan weiter unterstützen zu können. Das Mandat bleibt unverändert. Wir erwarten den Sicherheitsratsbeschluss für eine Verlängerung um sechs Monate bis zum nächsten Montag. Unser Antrag sieht dieses Mal eine Dauer von sieben Monaten vor, damit wir bei der zu erwartenden nächsten Verlängerung durch die Vereinten Nationen nach der UNO-Entscheidung im Deutschen Bundestag unseren konstitutiven Beschluss treffen können. Die Obergrenze liegt weiter bei 75 einzusetzenden Kräften. Im Augenblick - das ist erwähnt worden - sind es 38 Soldaten und fünf Polizisten, die dort ihren Dienst tun. Die Aufgabe lautet Beobachtung und Kontrolle, um die weitere Umsetzung dieses wichtigen Friedensabkommens sicherzustellen.
Was ist der bisherige Stand des CPA? Es gibt Fortschritte beim Rückzug der Konfliktparteien. Das hat UNMIS ermöglicht, sich aus dem Osten der Region - aus Kassala - zurückzuziehen. Es vollzieht sich ein Prozess der Rückkehr der Flüchtlinge; aber er ist noch zögerlich. Es gibt einen wichtigen Fortschritt bei der Beendigung des Terrors, der von der LRA, der Lord’s Resistance Army, also von ugandischen Rebellen, ausgeht. Es hat gerade gestern wieder Gespräche gegeben; die Südregierung vermittelt erfolgreich.
Aber nach wie vor ist die internationale Unterstützung zur Umsetzung des Friedensabkommens notwendig. Es ist noch nicht gelungen - wir streben das an -, integrierte Verbände aus den früheren kämpfenden Gruppen zu bilden. Es gibt immer wieder - Kerstin Müller hat gerade wieder darauf hingewiesen - aufflammende Kämpfe, zum Beispiel im November letzten Jahres in Malakal.
Natürlich steht dies in einem Gesamtkontext zu der Situation im Sudan. Ich kann nur sagen: Die Situation ist nach wie vor beunruhigend, ja in Darfur sogar bestürzend.
Die nüchternen Zahlen lassen das Ausmaß des Elends allenfalls ahnen. Sie lauten: bis zu 300 000 Tote, mehr als 2 Millionen Flüchtlinge, allein im letzten Jahr 250 000 zusätzliche Flüchtlinge. 4 Millionen Menschen sind von Hilfe von außen abhängig. 1 Million Menschen werden von der Hilfe von außen gar nicht mehr erreicht. Jede Woche gibt es Angriffe auf und Beraubungen von Helfern. Die Übergriffe der Aktivitäten auf den Tschad und die Zentralafrikanische Republik haben längst zu einer Regionalisierung der Instabilität geführt. Bisher ist es leider nicht gelungen, auch hier eine UN-Mission wirksam einzusetzen.
Es ist zu begrüßen, dass nach langem Ringen mit der sudanesischen Regierung nun eine Zustimmung zur zweiten Phase, zur Erweiterung der AMIS-Mission, also der Mission der Afrikanischen Union, stattfinden kann. Aber es wird noch schwierig sein, die 3 000 Soldaten, die AMIS verstärken sollen, zu rekrutieren und die entsprechende Logistik und Finanzierung sicherzustellen. Vor dem Spätsommer wird das nicht der Fall sein. Deswegen gibt es keine andere Alternative, als die AMIS-Mission - sie reicht leider nicht aus, um die Bevölkerung wirklich zu schützen - fortzuführen. Es gehört zu den Erfolgen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, dass wir es - auch durch das gute Beispiel Deutschlands, das 20 bis 25 Millionen Euro zur Verfügung stellen wird - geschafft haben, die Finanzierung sicherzustellen.
Parallel dazu finden intensive Bemühungen statt, die Rebellengruppen untereinander in einen Verständigungsprozess zu führen und sie möglichst dazu zu bringen, dass sie das DPA, also das Darfur Peace Agreement, akzeptieren und sich damit gemeinsam auf eine Friedenskonzeption verständigen.
Insgesamt haben wir hier eine komplexe Aufgabe vor uns. Sie umfasst mindestens sechs Felder bzw. Herausforderungen:
Einmal geht es darum, weiter Gespräche mit der sudanesischen Regierung zu führen, damit sie der dritten Phase der hybriden, gemeinsamen Mission aus afrikanischen und UN-Kräften mit über 20 000 Soldaten zustimmt.
Zweitens ist nach wie vor Druck auszuüben. Das passiert in den Reihen der Vereinten Nationen mit der Debatte über Sanktionen. Ich darf Ihnen, Frau Schuster, Frau Müller und Herrn Fischer, deutlich sagen: Natürlich ist das ein unglaublicher Missbrauch der hochangesehenen UN-Symbole. Das kann so nicht bleiben.
Aber wir haben zu respektieren, dass sich die Vereinten Nationen entschlossen haben, das erst einmal genau zu untersuchen.
Dann wird es eine angemessene Reaktion geben, an der natürlich auch wir uns beteiligen werden.
Drittens liegt die Arbeit mit den Rebellen vor uns, um sie gemeinsam auf ein Friedenskonzept zu verpflichten. Es gibt viertens die Aufgabe, AMIS weiter zu befähigen, und fünftens die Aufgabe, das UN-Paket auch tatsächlich einsatzfähig zu machen. Man darf nicht unterschätzen, was das bedeutet. Das sechste Arbeitsfeld umfasst die Fortsetzung der humanitären Hilfe zum konkreten Schutz der in Not befindlichen, wehrlosen Bevölkerung.
Ich finde, diese Debatte sollte auch Anlass sein, unseren hohen Respekt vor und unseren Dank für den Mut der zivilen Helfer, die in dieses Land gehen, zum Ausdruck zu bringen.
All das ist komplex und langwierig, und der Erfolg ist keineswegs sicher. Aber gerade deswegen brauchen wir UNMIS weiter. Deshalb bittet die Bundesregierung Sie, der Verlängerung dieses Mandates zuzustimmen. Denn alle diese Aufgaben lassen sich nur dann lösen, wenn es wenigstens beim Nord-Süd-Konflikt gelingt, den Friedensweg weiterzugehen. Dazu ist die internationale Hilfe mit UNMIS weiterhin notwendig. Wir bitten Sie um Ihre Zustimmung.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Elke Hoff für die FDP-Fraktion.
Elke Hoff (FDP):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frau Knoche, eigentlich wollte ich nicht näher auf das eingehen, was Sie in Ihrer Rede vorgetragen haben. Ich möchte Ihnen an dieser Stelle nur einen guten Rat geben, nämlich dem Beispiel Ihres Fraktionskollegen Paul Schäfer zu folgen und selber in den Sudan zu fahren.
Dann sollten Sie noch einmal Ihre Rede lesen und sie dahin befördern, wo sie hingehört.
Ich bin sehr dankbar, dass heute fast alle Fraktionen unseren Bundeswehrsoldaten einen herzlichen Dank für die Leistung aussprechen, die sie vor Ort in einer unbewaffneten Militärmission erbringen. Ich bin auch sehr froh, dass diese Leistung zur Kenntnis genommen wird. Leider lag in der Vergangenheit die nötige Wertschätzung an der einen oder anderen Stelle - sei es in Form von finanzieller Unterstützung, sei es bei der Postversorgung oder Ähnlichem - im Argen. Insofern kann es heute einen Schub bewirken, dass wir mit großem Interesse verfolgen, was unsere Soldaten vor Ort leisten.
Ich selber würde mich auch freuen, wenn wir viel mehr Informationen und Berichte - auch schriftlich - über die Erfahrungen der Soldatinnen und Soldaten vor Ort bekommen können. Denn auch nach Auffassung der FDP-Bundestagsfraktion handelt es sich bei diesem Mandat um einen sinnvollen und wichtigen Beitrag zur Implementierung des Friedensvertrages von Nairobi.
Wie fragil die Stabilität im Südsudan ist, konnte man bei den bewaffneten Auseinandersetzungen in Malakal im November letzten Jahres beobachten. Leider kommt die Umsetzung des Friedensvertrages viel langsamer voran als notwendig. Weder die Rückverlegung der Truppen noch die konsequente Entwaffnung der ehemaligen Konfliktparteien ist bisher erreicht worden, obwohl diese Punkte essenzielle Bestandteile des Vertrages sind.
Den zu entwaffnenden Gefolgsleuten der ehemaligen Konfliktparteien muss aber auch gleichzeitig eine Perspektive aufgezeigt werden, wie sie in Zukunft für ihren eigenen Lebensunterhalt sorgen können. Dabei ist die verantwortliche Institution DDR heillos überfordert. Insofern wäre ich froh, wenn wir auch diesen Prozess seitens der internationalen Staatengemeinschaft viel stärker unterstützen würden.
Dazu muss neben den zivilen Perspektiven auch die Einbindung in die aufzustellenden integrierten Verbände zählen. Diese sollten aus den ehemaligen Soldaten der sich bekämpfenden Konfliktparteien gebildet werden. Auch dieses Vorhaben kommt seit Monaten nicht voran. Diese integrierten Verbände müssen aber in Zukunft das Rückgrat einer sich selbst tragenden Stabilität im Sudan werden. Hier muss UNMIS deutlich größere Anstrengungen unternehmen.
Außerdem müssen die Grundlagen für das im Jahr 2011 anstehende Referendum über Teilung oder Einheit des Sudans geschaffen werden. Diese werden nach unserer Auffassung nur auf der Grundlage einer belastbaren Volkszählung Akzeptanz finden. Ohne diese droht das Aufbrechen neuer Rivalitäten.
Im Hinblick auf diese politischen Herausforderungen steht die Bundesregierung in der Pflicht, innerhalb der Vereinten Nationen, aber auch im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft und des G-8-Vorsitzes diese dringend notwendigen Prozesse zu beschleunigen. Deutschland muss im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft darauf hinwirken, dass die Rolle der Afrikanischen Union in der Krisenprävention, Konfliktbeilegung und Friedenskonsolidierung gestärkt wird. Wir müssen eine angemessene Gesprächsgrundlage auch mit der sudanesischen Regierung finden, damit wir unter Beweis stellen können, dass uns die Entwicklung im Sudan am Herzen liegt.
Die nächsten Jahre werden von erheblicher Bedeutung dafür sein, ob es gelingen wird, in Zentralafrika eine Stabilisierung herbeizuführen. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich kann Sie nur ermuntern, sich vor Ort selber ein Bild von der Situation zu machen. Vieles, was uns hier als sehr einfach erscheint, ist nämlich vor Ort unglaublich schwierig und langwierig. Ich denke, hier können wir als Parlamentarier persönlich eine wichtige Unterstützung leisten.
Ich danke Ihnen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat nun der Kollege Hans Raidel, CDU/CSU-Fraktion.
Hans Raidel (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer den Menschen im Sudan, in Darfur, wirklich helfen will, muss dem Antrag der Bundesregierung heute zustimmen. Der deutsche Beitrag war bisher notwendig. Er ist auch in der Zukunft weiterhin wichtig und hilfreich. Auch ich danke der Bundeswehr sehr herzlich. Ich freue mich als Verteidigungspolitiker, dass dieser Einsatz hier so gelobt wird. Wenn Sie das bei den Haushaltsberatungen 2008 mit dem notwendigen Geld unterfüttern, hat die Sache Hand und Fuß. Ich bin gespannt.
Wir unterstützen die Bundesregierung in ihrem Bemühen, den Friedensprozess voranzutreiben, fraktionsübergreifend mit einem entsprechenden Antrag. Die Linken schließen sich weiter aus und erweisen sich damit wieder einmal als Maulhelden; ich will das einmal so sagen.
Wer den Antrag ablehnt, untergräbt die Friedensbemühungen im Allgemeinen und damit auch die Autorität der UNO, der AU, der EU und vielleicht auch der G 8. Er schränkt vor allem deren Handlungsfähigkeit ein. Wir wären durch eine Ablehnung in keiner besonders guten Position, da man die Hilfswilligkeit Deutschlands kritisch betrachten und unter Umständen infrage stellen würde. Weil wir derzeit den Vorsitz des EU-Rates und auch der G 8 haben, beobachtet man genau, wie wir uns in diesen Fragen verhalten.
Hier wurden positive Signale gesetzt. Ich will das gar nicht kleinreden. Aber die internationalen Beobachter, die internationale Presse sehen das etwas kritischer. Wer den Antrag heute ablehnt, muss wissen, dass dem Genozid in Darfur dadurch weiter Vorschub geleistet wird. Wer wegschaut, wenn Kinder, Frauen und Männer weiter wahllos getötet werden und Vergewaltigungen an der Tagesordnung sind, erweist der Sache keinen guten Dienst. Dörfer werden nach wie vor dem Erdboden gleichgemacht, Viehherden werden gestohlen oder getötet, Ernten werden vernichtet und ganze Bevölkerungsgruppen werden vertrieben. Das ist die Realität.
Wer ablehnt, muss wissen, dass der Konflikt sich auch auf die Nachbarregionen, zum Beispiel den Tschad, auszuweiten beginnt und dass damit eine Destabilisierung der ganzen Region stattfindet. Dieser Brandherd droht sich möglicherweise in ganz Afrika auszubreiten. Auch das muss man zur Kenntnis nehmen.
Um was geht es eigentlich? Neben religiösen und ethnischen Fragen geht es - wie immer - um viel Geld, da Öl, Kupfer, Uran und andere Bodenschätze reichlich vorhanden sind. Es geht dabei natürlich auch um einen gerechten Finanzausgleich zwischen Nord und Süd. Wir wissen, dass es sich nicht um einen reinen Rebellenkrieg handelt, sondern dass die Regierung an vielen Greueltaten selbst beteiligt ist und dafür verantwortlich gemacht werden muss.
Wir wissen auch, dass diese Regierung alle Friedensbemühungen mehr hintertreibt, als dass sie sie fördert, und dass nach wie vor eine mangelnde Kooperationsbereitschaft besteht. Im Prinzip sabotiert sie alle Friedenspläne und hält sich nicht an bereits geschlossene Abmachungen. Selbst wenn in Bereichen Fortschritte erzielt worden sind, ist das Friedensabkommen weiter wackelig und in vielen Punkten in seiner Wirksamkeit fraglich.
Die Überwachung des Friedensabkommens gestaltet sich also sehr schwierig. Das gilt auch für die Auflösung und Rückführung der Truppen. Unsere Bundeswehr leistet im ihr zugedachten Rahmen nach wie vor einen wichtigen Beitrag bei Logistik und Beratung.
Wir wissen aber, dass ausländische Soldaten, zum Beispiel in Darfur, die Lage nicht beherrschen und die Sicherheit nicht garantieren können. Dafür ist Darfur viel zu groß. Die Kongomission lässt grüßen. Der Frieden muss also von innen kommen. Zunächst muss es für Darfur eine politische Lösung geben.
Erst dann kann Militär helfen und zur Stabilisierung beitragen.
Natürlich sind wir dafür, dass politischer Druck ausgeübt wird und dass es zu Sanktionen über die UNO, die EU, die G 8, die USA und auch andere kommen sollte und müsste. Aber Somalia lässt grüßen. Wir dürfen, können und wollen uns ein zweites Somalia auf keinen Fall leisten. Daraus müssen wir für unsere weiteren diplomatischen und sonstigen Bemühungen lernen.
Lassen Sie mich auch China und Russland ansprechen. Der Widerstand gegen verschärfte Maßnahmen beispielsweise der UNO muss von diesen Ländern eingestellt werden. Sie müssen ihre wirtschaftlichen Interessen hintanstellen. Es darf nicht passieren, dass China und Russland die Ausbeutung der Rohstoffe betreiben und der Rest der Welt - insbesondere die UNO, die EU und damit auch wir - für die humanitären Fragen von der medizinischen Versorgung bis hin zur Welthungerhilfe zuständig ist. Auch darüber muss man in diesem Zusammenhang reden.
Unser gemeinsames Anliegen muss es sein, Hilfe zur Selbsthilfe für den Sudan, insbesondere für Darfur, zu organisieren, aber langfristig auch für ganz Afrika anzubieten. Das heißt, die bisherigen Instrumentarien und Hilfen sind zu überdenken, neu zu formulieren und effizienter zu gestalten. Good Governance wäre ein gutes Stichwort dafür.
Wir begrüßen deshalb ausdrücklich, dass die Frau Bundeskanzlerin in Heiligendamm das Thema Darfur und das Thema Sudan auf die Tagesordnung nehmen wird und hier neue Perspektiven aufzeigen will, -
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Hans Raidel (CDU/CSU):
- dass eine neue Afrikapolitik insgesamt auf den Weg gebracht werden soll, mit der vielleicht neue Perspektiven für diesen Kontinent eröffnet werden können. Wir unterstützen jede Initiative, die hier weiterhilft.
Wir bitten herzlich, dem Antrag der Bundesregierung zuzustimmen. Die CDU/CSU stimmt diesem Antrag und dem Entschließungsantrag selbstverständlich zu.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile das Wort der Kollegin Gabriele Groneberg, SPD-Fraktion.
Gabriele Groneberg (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben viel Zeit gehabt, um uns mit der Situation im Sudan, im Südsudan und in Darfur zu beschäftigen. Dazu ist auch schon viel gesagt worden. Natürlich ist auch deutlich gemacht worden, dass die Diskussion für die Menschen draußen deswegen so verwirrend ist, weil es um zwei vollkommen unterschiedliche Regionen geht, nämlich Südsudan und Darfur.
Darfur steht für Krieg, Mord, Gewalt, Not, Hunger und für Menschen, die seit Jahren aus ihrer Region vor allem in die Nachbarländer flüchten. Die Nachbarländer haben - Herr Raidel hat es schon angesprochen - damit ihre eigenen Probleme. Lange Zeit galt dies auch für den Südsudan.
Als wir uns mit unserer Entscheidung vom April 2005 entschlossen haben, uns an der friedenssichernden Mission UNMIS zu beteiligen, haben wir natürlich auch eine Reihe von Aufgaben übernommen. Ich will deutlich herausstellen, was wir im Bereich der Folgearbeiten - darunter fallen der Wiederaufbau und existenzsichernde Maßnahmen für die Bevölkerung - leisten.
Für uns ist es selbstverständlich, dass wir uns nicht nur an den Einsätzen zur Absicherung des Friedensabkommens beteiligen. Für uns ist ebenfalls ganz wichtig, die Bedingungen für die Menschen vor Ort zu verbessern, damit eine friedliche Entwicklung möglich sein kann.
Ich muss ganz offen sagen: Es macht mich jedes Mal geradezu fassungslos, wenn ich die Vertreter der Fraktion Die Linke zu diesem Thema sprechen höre. Wie kann man einen zivilen Friedensdienst fordern, wenn noch nicht einmal die Sicherheit vor Ort für diejenigen, die diese Hilfe leisten wollen, gewährleistet ist?
Es ist doch verantwortungslos, Menschen dort hinzuschicken und zu sagen: ?Dann macht mal!“, wenn die notwendigen Bedingungen für die Arbeit vor Ort von uns nicht gewährleistet werden. Ich finde das unverantwortlich; es tut mir leid. Ich bin mir sicher, die anderen Kollegen sehen das ebenso.
Humanitäre Hilfe und Nothilfe werden von uns und den anderen internationalen Gebern seit Jahren geleistet, und das wohlgemerkt nicht nur für den Südsudan, sondern vor allen Dingen auch für die Region Darfur. Diese Hilfe ist aber eben keine dauerhafte Aufbauhilfe; durch sie wird zum Beispiel keine Infrastruktur geschaffen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Einen kleinen Augenblick, bitte, Frau Kollegin Groneberg.
Ich darf die Kolleginnen und Kollegen, die sich in den letzten Minuten entschlossen haben, das Finale dieser Debatte vor der Abstimmung noch mitzuerleben, bitten, ihre Plätze aufzusuchen und dem Rest dieser Debatte konzentriert zu folgen, bis wir zu den Abstimmungen kommen.
Vielleicht warten Sie noch einen Augenblick, bis wir das realisiert haben. - Bitte sehr, Frau Kollegin Groneberg.
Gabriele Groneberg (SPD):
Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich setze meine Ausführungen fort. Wir haben die jahrelang praktizierte Entwicklungszusammenarbeit, die wir aufgrund des Bürgerkriegs eingestellt hatten, im Jahr 2005 wieder aufgenommen. Seitdem unterstützen wir mit 10 Millionen Euro den Multi-Donor Trust Fund für den Südsudan. Dieser Fonds, der von vielen Gebern gespeist wird, sorgt für den Aufbau der dringend notwendigen Infrastruktur in den Bereichen Agrar, Wasserversorgung, Bildung und Gesundheit. Hiermit wird ein Leben und Arbeiten in einer total zerstörten Region erst überhaupt wieder möglich.
Zwei deutsche Experten kümmern sich vor Ort explizit um die Koordination der Maßnahmen der Geber im Bereich Wasserversorgung.
Darüber hinaus kümmern wir uns auf Basis einer bilateralen Vereinbarung ebenfalls mit deutschen Experten vor Ort um den Aufbau eines Staatswesens. Dieses Projekt unterstützen wir mit einer Summe von 3 Millionen Euro. Natürlich ist es neben dem Aufbau der lebensnotwendigen Infrastruktur ganz wichtig, der Regierung im Südsudan dabei zu helfen, rechtsstaatliche demokratische Strukturen und eine entsprechende Verwaltung aufzubauen. Nur dadurch kann dafür gesorgt werden, dass die Menschen auf Dauer unabhängig von ausländischer Hilfe werden und sich selber helfen können. Bis dies möglich ist, wollen wir natürlich unseren Beitrag leisten.
Alle Kolleginnen und Kollegen, die bereits vor Ort gewesen sind - man muss natürlich einmal vor Ort gewesen sein, um beurteilen zu können, was da vor sich geht -, sind davon überzeugt, dass der unbedingte Wille der Menschen zum Aufbau vorhanden ist. Wir haben Menschen erlebt, die mit aller Kraft daran arbeiten, ihrem Land eine rechtsstaatliche und demokratische Verfassung zu geben und ihrer Bevölkerung damit auch eine Perspektive zum Leben, vor allen Dingen natürlich erst einmal zum Überleben zu geben. Wir wollen unseren Anteil dazu leisten. Ich sage das hier noch einmal ganz deutlich.
Die positiven Entwicklungen machen Mut, Hilfe auch in der Zukunft zu leisten. Das ist die positive und mutmachende Seite. Die andere Seite, das Elend in Darfur, vergessen wir darüber natürlich nicht. Ich bin froh, dass wir uns auf einen gemeinsamen Antrag verständigen konnten. Hierzu wurde ja schon sehr viel gesagt, ebenso zum konkreten Handlungsbedarf. Damit wird deutlich, was wir noch zu leisten haben.
Ich bin Herrn Erler dankbar, dass er insbesondere auf einen Punkt eingegangen ist: Im Zusammenhang mit den schlimmen Dingen, die da passieren, findet häufig eine Legendenbildung statt. Sie haben die Geschichte mit den vermutlich als UN-Flugzeuge getarnten Waffentransporten erwähnt. Ich sage bewusst: vermutlich. Es gibt nämlich Anzeichen dafür, dass es sich hierbei nicht um Flugzeuge der Regierung des Nordens gehandelt hat, sondern hier andere Umstände eine Rolle spielten. Ich möchte das an dieser Stelle nicht erläutern, weil es untersucht wird. Ich bin froh darüber, dass wir uns darum kümmern. Man muss auch vorsichtig sein, wenn man solche Legenden bildet, weil es nicht hilft, bei den Menschen Verständnis dafür zu wecken, dass wir uns um solche Sachen intensiv kümmern und auch mit einer Regierung zusammenarbeiten müssen, um den Menschen dort zu helfen.
Wir alle sind der festen Überzeugung, dass eine positive Entwicklung im Süden nicht nur die Voraussetzung für einen dauerhaften Frieden in der Region ist; sie ist sicherlich ebenso ausschlaggebend für eine Lösung des Darfurkonflikts. Wir stimmen der Verlängerung der Beteiligung an der Friedensmission natürlich zu.
Wir wollen das noch einmal verbinden mit einem von Herzen kommenden Dank an alle dort tätigen internationalen Soldaten und Helfer, aber natürlich ganz speziell an diejenigen darunter, die aus Deutschland kommen und sich unter wirklich schwierigen Bedingungen bemühen, zu helfen.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Bevor ich der Kollegin Anke Eymer das Wort als letzter Rednerin in dieser Debatte erteile, bitte ich vor allem die Kollegen im hinteren Teil des Saales noch einmal darum, Platz zu nehmen. Wir beginnen mit der Abstimmung erst nach Schluss der Aussprache.
Bitte, Frau Eymer.
Anke Eymer (Lübeck) (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am Beginn dieses Jahrhunderts blicken wir in Afrika auf viele positive Aufbrüche. Es gibt mehr Demokratie, mehr Sicherheit und vor allen Dingen mehr wirtschaftliches Wachstum. Der Blick auf die Krisen im Sudan zeigt allerdings auch einen der bedrohlichsten Gegensätze zu diesen guten Aufbrüchen und zu dem, was der südafrikanische Präsident Thabo Mbeki als afrikanische Renaissance bezeichnet hat. Der Sudan ist der flächengrößte Staat des Kontinents, mehr als siebenmal so groß wie Deutschland. Die Entwicklungen in dieser Region haben natürlich Auswirkungen rundherum.
Die schlimmen Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen im Westen des Landes, in Darfur, die Ausschreitungen im Osten des Sudans und der sogenannte Nord-Süd-Konflikt zeigen, wie groß die Gefahr ist, dass der Sudan zerreißen könnte. Millionen Menschen sind auf der Flucht oder haben in kriegerischen Auseinandersetzungen ihr Leben bereits verloren.
Von den Entwicklungen im Sudan sind die Nachbarstaaten wie die Zentralafrikanische Republik oder der Tschad längst betroffen. Auch hier ist mittlerweile die Stabilität der staatlichen Strukturen gefährdet. Der Druck durch große Flüchtlingszahlen oder durch bewaffnete Übergriffe aus dem Gebiet des Sudans stellt ein gefährliches Potenzial dar. Derart instabile Regionen, zerfallende Staaten oder ethnisch bzw. religiös geschürte Krisen dienen dem internationalen Terrorismus, müssen frühzeitig erkannt und frühzeitig bekämpft werden.
Neben diesen sicherheitsstrategischen Überlegungen ist es aber auch das Leid von Millionen von Flüchtlingen und Gewaltopfern, das uns im humanitären Bereich fordert. Es muss Hilfsorganisationen ermöglicht werden - das klang heute Morgen in dieser Debatte schon mehrfach an -, ihre Arbeit geschützt zu tun. Wie schwierig die Lage im Sudan ist, zeigt der Rückzug ganzer Hilfsorganisationen, die wegen mangelnder Sicherheit ihre Arbeit nicht fortsetzen können. Daher hat die internationale Staatengemeinschaft mit der grundlegenden Resolution des Sicherheitsrats 1590 vom März 2005 den richtigen Weg beschritten.
Die weiteren Mandatsverlängerungen, die es seither gegeben hat, zeigen nur die Konsequenz dieses notwendigen Engagements. Mit der United Nations Mission in Sudan, der UNMIS, leistet die internationale Staatengemeinschaft einen wichtigen Beitrag dazu, das Friedensabkommen von Nairobi erfolgreich umzusetzen.
Ein über 20-jähriger Bürgerkrieg zwischen dem nach Unabhängigkeit strebenden Südsudan und der Zentralregierung kann so beendet werden.
Auch wenn die Umsetzung hinter dem Zeitplan zurückbleibt, sind wesentliche Erfolge, insbesondere bei der Rückverlegung der Truppen der Konfliktparteien, erzielt worden. In weiten Teilen des Südsudan können die Menschen wieder in relativer Sicherheit leben und Flüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren. Wie fragil der Status quo ist, haben die aufflackernden Auseinandersetzungen im November vergangenen Jahres gezeigt. Die Verlängerung von UNMIS ist daher eine notwendige Konsequenz, um den Friedensprozess weiter zu unterstützen und abzusichern.
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nation wird das UNMIS-Mandat daher in diesen Tagen ohne inhaltliche Änderungen um weitere sieben Monate verlängern. Weder die Rahmenbedingungen noch Inhaltliches haben sich wesentlich geändert. Vor diesem Hintergrund sehe ich zur Verlängerung der deutschen Beteiligung an dem Einsatz der Vereinten Nationen keine vertretbare Alternative.
Ein herzliches Dankeschön gilt noch einmal unseren deutschen Soldaten. Sie leisten im Sudan einen wichtigen Beitrag zum politischen und wirtschaftlichen Wiederaufbau.
Wir wollen jetzt endlich abstimmen. Ich bitte noch einmal um Ihre Zustimmung.
Danke schön.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich schließe die Aussprache.
Bevor wir zur zu den Abstimmungen kommen, möchte ich dem Kollegen Walter Kolbow zu seinem heutigen Geburtstag herzlich gratulieren.
- Ich hoffe, dass die Breite der Zustimmung sich auch im anschließenden Abstimmungsverhalten niederschlägt. Jedenfalls würde das sicher einem seiner Geburtstagswünsche entsprechen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 16/5142 zum Antrag der Bundesregierung ?Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Friedensmission der Vereinten Nationen im Sudan“. Der Ausschuss empfiehlt, diesen Antrag auf Drucksache 16/4861 anzunehmen. Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Das scheint überall der Fall zu sein. Dann eröffne ich die Abstimmung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt es noch jemanden, der hier ist und nicht abgestimmt hat? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Wir geben das Ergebnis der Abstimmung später bekannt.
Ich komme nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5144. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Es wäre schon schön, wenn sich der eine oder andere unter den Anwesenden an dieser Abstimmung beteiligte. Ich frage noch einmal, wer für den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des Bündnisses 90/Die Grünen stimmt. - Jetzt bekommt die Sache allmählich Volumen. Wer möchte dagegen stimmen? - Wer enthält sich der Stimme? - Das Erste war die Mehrheit. Dann ist der Entschließungsantrag angenommen.
Ich bitte diejenigen, die an der weiteren Debatte nicht teilnehmen können oder wollen, den Plenarsaal zügig zu verlassen und insbesondere dringende Staatsgespräche im Foyer fortzusetzen. - Auch die Beratung des nächsten Tagesordnungspunktes findet im Sitzen statt, mit Ausnahme der aufgerufenen Redner.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a, c und d sowie den Zusatzpunkt 7 auf:
27. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens
- Drucksache 16/5049 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)
Ältestenrat
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgitt Bender, Bärbel Höhn, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Wirksamen Schutz vor Passivrauchen im Arbeitsschutzgesetz verankern
- Drucksache 16/4761 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Gesundheit
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgitt Bender, Bärbel Höhn, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Schutz vor Passivrauchen im Deutschen Bundestag direkt umsetzen
- Drucksache 16/4957 -
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Detlef Parr, Daniel Bahr (Münster), Heinz Lanfermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Nichtraucherschutz praktikabel und mit Augenmaß umsetzen
- Drucksache 16/5118 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für diese Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst die Bundesministerin Ulla Schmidt.
Ulla Schmidt, Bundesministerin für Gesundheit:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss gestehen, dass ich angesichts der Debatten der letzten Jahre manchmal nicht mehr geglaubt habe, dass ich eines Tages hier stehen könnte, um einen Gesetzentwurf zum Schutz der Nichtraucher und Nichtraucherinnen einzubringen.
Deshalb bin ich sehr froh, dass dies heute der Fall ist. Denn eines ist deutlich - man kann es nicht oft genug betonen -: Tabak ist das Gesundheitsrisiko Nummer eins. Dabei sind die Gefahren des Passivrauchens lange Jahre unterschätzt worden. Erst in den letzten Jahren hat hier ein Umdenkungsprozess eingesetzt. Vielleicht hat auch das Vorgehen der anderen europäischen Länder mit dazu beigetragen, dass die Diskussion über Nichtraucherschutz in Deutschland einen anderen Stellenwert erhalten hat.
Da immer noch davon gesprochen wird, dass mit einem Gesetz zum Schutz der Nichtraucherinnen und Nichtraucher die Freiheit der Raucherinnen und Raucher eingeschränkt wird, lassen Sie mich an dieser Stelle noch einmal einige Fakten zum Passivrauchen nennen.
Die massive Gesundheitsgefährdung durch Passivrauchen ist eindeutig erwiesen. Die Zahlen des Deutschen Krebsforschungszentrums werden in keiner wissenschaftlichen Diskussion in Zweifel gezogen. Bezogen auf die Todesfälle - nachgewiesenermaßen 3 300 pro Jahr - sind die Schätzungen eher konservativ, vor allem im Vergleich mit Ergebnissen und Studien der Vereinigten Staaten, des US-Departments of Health and Human Services. Die kommen, bezogen auf die Bevölkerung der USA von 300 Millionen Menschen, auf circa 48 000 Todesfälle pro Jahr infolge Passivrauchens. Fakt ist: Menschen sterben auch in Deutschland durch Passivrauchen, etwa 2 150 an koronaren Herzerkrankungen, 770 infolge eines Schlaganfalls, 260 an Lungenkrebs und 60 infolge einer chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung. Das sind nur einige Beispiele von Menschen, die sterben müssen, weil sie nicht genügend geschützt werden. Ich könnte die Liste fortsetzen.
Was uns besonders erschrecken sollte, sind die Wirkungen auf Kinder. Im Jahr 2005 gab es nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 298 Fälle von plötzlichem Kindstod. Etwa 60 Fälle davon gehen auf Passivrauchen im Haushalt sowie auf vorgeburtliche Schadstoffbelastungen zurück, weil die Mütter während der Schwangerschaft rauchten. Auch der Anteil von Krankenhauseinweisungen bei Atemwegserkrankungen ist bei Kindern, die in ihrer häuslichen Umgebung Tabakrauch ausgesetzt werden, 40 bis 60 Prozent höher als bei Kindern, die in Haushalten aufwachsen, die nicht durch Rauch belastet sind. Deshalb ist es höchste Zeit, dass wir handeln, zumal wir wissen, dass alle Wege, die wir in den letzten Jahren beschritten haben und die auf Freiwilligkeit beruhten, nicht zum Erfolg und nicht wirklich zum Schutz der Nichtraucherinnen und Nichtraucher beigetragen haben.
Ich sage ganz deutlich: Im Mittelpunkt unseres Gesetzes steht der Schutz der Nichtraucherinnen und Nichtraucher. Wir wollen, dass das Rauchen grundsätzlich in allen Einrichtungen des Bundes verboten ist, das heißt in Behörden, Dienststellen, Gerichten, bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen, in öffentlichen Verkehrsmitteln, zum Beispiel in Bussen, Bahnen, Taxen oder Fahrgastschiffen, sowie in Personenbahnhöfen der öffentlichen Eisenbahn. Wir wollen die Regelungen des Arbeitsschutzes verbessern und den Jugendschutz verschärfen, indem das Alter für die Abgabe von Zigaretten von 16 auf 18 Jahre angehoben wird. Ich bin wirklich sehr froh, dass der Bundestag entschieden hat, dass die Regelungen dieses Gesetzes auch für ihn selbst gelten.
Eine Entscheidung, die den Bundestag auf Dauer ausgenommen hätte, hätte uns alle in der Öffentlichkeit unglaubwürdig gemacht. Deshalb halte ich das für einen sehr wichtigen und positiven Schritt, den wir gegangen sind.
Lassen Sie mich an dieser Stelle darauf hinweisen, dass für uns der Nichtraucherschutz und die Fortsetzung der Kampagne ?Rauchfrei“ zwei Seiten einer Medaille sind. Nichtraucherschutz ist das eine; das andere sind die Prävention, damit junge Menschen erst gar nicht mit dem Rauchen beginnen, und die Bemühungen, damit diejenigen, die rauchen, den Weg finden, mit dem Rauchen aufzuhören. Das gehört ganz eng zusammen. Ich bin sehr froh, dass aufgrund der Kampagne ?Rauchfrei“, die wir gemeinsam auf den Weg gebracht haben, mittlerweile 60 000 Menschen komplett mit dem Rauchen aufgehört haben und dass sich binnen fünf Jahren die Quote der rauchenden Jugendlichen um fast 30 Prozent - von 28 Prozent auf 20 Prozent - verringert hat.
Mit diesem Gesetzentwurf und den sich parallel in der Diskussion befindenden Nichtraucherschutzgesetzen der Länder ist Deutschland nicht länger Schlusslicht beim Nichtraucherschutz in Europa, sondern arbeitet sich in die Spitzengruppe vor. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wird nicht allen Bürgerinnen und Bürgern den uneingeschränkten Schutz vor den Folgen des Passivrauchens bringen. Wir brauchen auch die Gesetze, die von den Ländern auf den Weg gebracht werden. Wir brauchen die eindeutigen Entscheidungen der Parlamente in unseren Bundesländern.
Trotzdem werden Millionen Menschen profitieren: die Beschäftigten des Bundes, die Bürgerinnen und Bürger in den Bundesverwaltungen, die Menschen in öffentlichen Verkehrsmitteln und auch diejenigen, die dieses Hohe Haus besuchen.
Auch die Regelungen im Arbeitsschutz werden präzisiert, indem klargestellt wird, dass ein Rauchverbot für einen gesamten Betrieb oder zumindest für Teile eines Betriebes ausgesprochen werden kann. Das ist im Übrigen nicht nur ein sinnvolles, sondern auch ein kostengünstiges Instrument; die Arbeitgeber reden ja oft von den Kostenbelastungen der verschiedenen Maßnahmen. Die Arbeitsstättenverordnung regelt das Verhältnis zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Deshalb waren Regelungen zum Schutz Dritter, also der Gäste in Gaststätten, über die Arbeitsstättenverordnung nicht möglich. Weitergehende Regelungen im Arbeitsschutz sind erst dann denkbar, wenn die Länder ihre Gesetze zum Nichtraucherschutz erlassen haben. Ich sage deshalb noch einmal deutlich: Wir hoffen auf klare Regelungen in Bezug auf Gaststätten; wir hoffen nicht auf Ausnahmeregelungen, die nachher die Regel werden. Erfahrungen und Studien aus anderen Ländern wie zum Beispiel Irland zeigen, dass sich der Gesundheitszustand der Beschäftigten in den Gastronomiebetrieben nach Einführung von Rauchverboten in kurzer Zeit verbessert hat. Das, was dort möglich ist, dürfen wir nicht versäumen, indem wir keine klaren Regelungen für die Gaststätten haben.
Wir appellieren hier an die Länderparlamente. Sie sind gefordert, gemeinsame Lösungen durchzusetzen. Ich sehe in vielen Ländern Bemühungen, ich sehe aber auch Zögerlichkeit und Unentschiedenheit. Angesichts des Gesetzes, das wir heute auf den Weg bringen, und der Debatten der letzten Monate und Wochen bin ich von einem fest überzeugt: Die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land werden es sich auf Dauer nicht gefallen lassen, wenn es unterschiedliche Regelungen gibt.
Jeder, der in Land A lebt, wird den gleichen Gesundheitsschutz für sich in Anspruch nehmen wollen, wie ihn die Menschen in Land B haben. Davon können wir ausgehen, und da sollte die Debatte hingehen.
Gemeinsam können Bund und Länder beweisen, dass sie in der Lage sind, auf verschiedenen Ebenen für das gleiche Ziel zu streiten. Wenn wir heute im Bundestag ein eindeutiges Zeichen setzen, werden andere diesem Zeichen folgen. Das hat uns die Debatte in den letzten Wochen gezeigt. Ich glaube, wir sollten auf diesem Weg gemeinsam und entschlossen weitergehen. Die Nichtraucherinnen und Nichtraucher werden es uns danken.
Danke schön.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Bevor wir in der Debatte fortfahren, gebe ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelt Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Bundesregierung ?Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Friedensmission der Vereinten Nationen im Sudan“ bekannt: Abgegebene Stimmen 552. Mit Ja haben gestimmt 497, mit Nein haben gestimmt 32. 23 Kolleginnen und Kollegen haben sich der Stimme enthalten. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen.
Wir setzen die Aussprache zum Tagesordnungspunkt 27 fort. Das Wort erhält der Kollege Detlef Parr, FDP-Fraktion.
Detlef Parr (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! ?Auf zum letzten Gefecht!“, so könnte man die heutige Debatte zum Nichtraucherschutz überschreiben; denn vor Beginn der Sommerpause 2006 setzte ein Kampagne ein, die zunächst nur das Sommerloch auszufüllen schien, sich dann aber zu einer erbitterten Auseinandersetzung entwickelte - der Beitrag von Frau Ministerin Schmidt hat das noch einmal bestätigt -: hochemotional, teils fanatisch, oft radikal.
Ich könnte Bände füllen mit E-Mails voller Beschimpfungen, bis hin zu Beleidigungen, nur weil die FDP andere Wege zum Nichtraucherschutz gehen will.
In den letzten Monaten habe ich mich oft gefragt: Rechtfertigt das Thema wirklich diesen Stil der Diskussion, einen Stil, der bis hinein in den Alltag vieler Menschen wirkt, der polemisiert, diskriminiert und damit eine Stimmungslage erzeugt, die unserer Gesellschaft nicht guttut?
Alles andere als ein Sommermärchen war das.
Dabei ist völlig unbestritten: Rauchen ist gesundheitsschädlich. Das ist auf jeder Zigarettenpackung nachzulesen und prangt unübersehbar auf jeder Litfaßsäule, das ungewollte Passivrauchen eingeschlossen. Diese Tatsachen sind den Menschen längst bekannt. Sie reagieren auch darauf. Die aktuellen Zahlen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung belegen eindrucksvoll in den letzten Jahren einen kontinuierlichen Rückgang des Rauchens auch und besonders bei Jugendlichen. Die Raucherquote bei den 12- bis 17-Jährigen zum Beispiel ist von 28 Prozent 2001 auf 20 Prozent 2005 gesunken. Deshalb ist und bleibt es für die FDP zielführend, diesen Weg der Eindämmung des Rauchens fortzusetzen und mit dem Nichtraucherschutz eng zu verknüpfen.
Bedarf es dazu weiterer staatlicher Restriktionen und Gängelungen des Einzelnen? Die laufende Diskussion über Rauchverbote hat eher das Gegenteil bewirkt. Die Deutschen rauchen unbeirrt weiter. Die Menge versteuerter Zigaretten stieg im ersten Quartal dieses Jahres sogar um fast 7 Prozent im Vergleich zum ersten Quartal 2006. Bei Zigarren und Zigarillos ist ein Zuwachs von 46 Prozent zu verzeichnen. Eine ähnliche Entwicklung ist im vermeintlichen Vorbildland Italien festzustellen. Verbotspolitik zahlt sich also nicht aus.
Hier zitiere ich gerne Altbundespräsident Roman Herzog:
Immer als Erstes an ein Verbot zu denken, ist typisch deutsch und typisch falsch.
Das gilt auch für die beabsichtigte Anhebung des Abgabealters bei Tabakwaren von 16 auf 18 Jahre. Vor dem Hintergrund der sinkenden Zahl jugendlicher Raucher mag ein solcher Eingriff das Gewissen mancher Kollegen beruhigen. Erfolg versprechend ist es aber nicht. Er ist vielmehr ein weiteres Beispiel für die Unberechenbarkeit des Handelns der Bundesregierung; denn vor gerade erst vier Monaten sind die Zigarettenautomaten nach erheblichen Investitionen auf ein Chipsystem umgestellt worden, das dem Jugendschutz dient und den Zugang für Jugendliche erschwert. Zudem wird die Zahl der Automaten drastisch reduziert. Statt die Auswirkungen zunächst einmal abzuwarten und zu bewerten, tut die Bundesregierung nun übereilt den nächsten Schritt. Das ist Aktionismus pur.
Angesichts einer solchen Unzuverlässigkeit der Regierung zeigen sich viele Gastronomen in unserem Land verunsichert. Versetzen Sie sich doch einmal in die Lage eines Ihrer Bekannten oder Freunde, der kürzlich ein Bistro oder eine Gaststätte eröffnet hat! Die Debatte geht nicht spurlos an ihm vorbei. Er denkt über Veränderungen nach. Eine Zielvereinbarung der Bundesregierung mit seinem Berufsverband gibt ihm Zeit bis 2008, für seine Gaststätte und seine Gäste eine einvernehmliche Lösung zu finden. Nach einem Jahr kündigt die Regierung diese Vereinbarung einseitig auf und stoppt damit einen gerade eingeleiteten Prozess neuer nichtraucherfreundlicher Regelungen. Würden Sie - selbst als gutwilliger Gastronom - jetzt noch an Investitionen in Umbauten oder Belüftungsanlagen denken, da ein radikales Rauchverbot als Damoklesschwert über Ihnen schwebt?
Wohl eher nicht!
Aber weil es solche Möglichkeiten und die Bereitschaft, sie zu nutzen, gibt, Frau Bätzing, führt das Gerede vom bundesweiten Flickenteppich beim Rauchverbot ins Leere. Auch hier will ich den Altbundespräsidenten Roman Herzog zitieren. Er hat recht, wenn er in einem ?Focus“-Interview ?so was nur mit Lachen verfolgt“ und Spielräume lassen will. Auf die Frage, ob es problematisch sei, wenn es von Land zu Land Unterschiede gebe, antwortet er:
Überhaupt nicht. Das gibt es doch in x anderen Bereichen auch. Wenn ich in fremde Wohnungen gehe, muss ich doch auch die Hausfrau fragen, ob ich rauchen darf. Alles andere ist doch bloß Prinzipienreiterei.
Genau das ist es.
Ich wünsche mir diese Gelassenheit des Exbundespräsidenten, die Sie nun wieder konterkarieren, in der Diskussion auch von Ihnen hier und in den Bundesländern.
Viele Rauchfreiexperten setzen sich - Frau Ministerin Schmidt hat das gerade wieder getan - für ein totales Rauchverbot in der Gastronomie ein, um die dort Beschäftigten zu schützen.
Dass auch in dieser Frage mehr Gelassenheit vonnöten ist - hören Sie genau zu! -, zeigt ein Blick in den Report der Cancer Research UK, European Cancer Leagues, European Heart Network und anderen, überschrieben ?Lifting the Smokescreen“. Dort finden sich folgende Fakten: 92 Prozent der geschätzten Todesfälle durch Passivrauchen insgesamt gehen auf Belastungen zu Hause zurück. In die Privatsphäre können wir mit Gesetzen ohnehin nicht hineinwirken.
- Stimmt, auch das Rauchen in Autos sollte ursprünglich verboten werden.
Nun kommt die entscheidende Passage. Bei den nichtrauchenden Servicekräften in der Gastronomie haben die Wissenschaftler, bezogen auf 25 Länder mit 400 Millionen Einwohnern, 325 Tote jährlich ermittelt, für Deutschland 13. Ich überlasse Ihnen gerne das Hochrechnen der Gesundheitsrisiken.
Anstelle staatlicher Gängelung brauchen wir mehr positive Anreize für Verhaltensänderungen. Ein aktuelles Beispiel: Die Helios-Kliniken, ein Gesundheitskonzern, belohnen Beschäftigte, die auf dem Klinikgelände und während der Arbeitszeit nicht rauchen, mit einem zusätzlichen Urlaubstag. Eine schriftliche Erklärung genügt; auf eine offizielle Kontrolle wird verzichtet und auf Eigenkontrolle gesetzt.
Ganz anders wären die Folgen eines gesetzlichen Rauchverbotes: Bußgelder sind zwingend, Kontrollen erforderlich. In einigen Bundesländern wird sogar der Einsatz einer Raucherpolizei erwogen. Ich sehe schon die Herren in Trenchcoat, mit hochgeschlagenem Kragen und Schlapphut auf uns zukommen. Eine tolle Vorstellung.
?Der Freie beugt und bindet sich aus Einsicht“, so Verfassungsrichter Udo Di Fabio vorgestern Abend bei der Friedrich-Naumann-Stiftung. Die FDP bleibt dabei: Wir setzen weiterhin auf Aufklärung, präventive Maßnahmen und Selbstverantwortung, auf einen sich auf lange Sicht selbst tragenden Prozess, bei dem der Einzelne sein Verhalten aus eigenem Antrieb ändert, statt es gedankenlos durch staatliche Verbotspolitik verändern zu lassen. Wir brauchen mehr Vorbilder als Vorschriften.
Es ist erfreulich, dass die Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf einen gemäßigten Kurs ansteuert. Es ist interessant, in den Gesetzentwurf hineinzuschauen. Sie rennen bei uns in vielen Bereichen offene Türen ein. Ich kenne keine S-Bahn, in der ich rauchen darf. Manche Passage könnte sogar unseren Positionspapieren entnommen worden sein. Nach dem blamablen Scheitern der ersten gesetzgeberischen Bemühungen der Bundesregierung - Sie erinnern sich, dass die Große Koalition die Folgen der Föderalismusreform schlicht übersehen hat - scheint sie sich nun am EU-Parlament zu orientieren.
Der Blick nach Brüssel ist interessant. Das EU-Parlament musste das totale Rauchverbot lockern, weil die Akzeptanz im EU-Parlament fehlte. Bei uns im Bundestag soll das Rauchen in abgetrennten Räumen möglich bleiben und dem effektiven technischen Nichtraucherschutz als Mittel innovativer Gesundheitsförderung Raum gegeben werden. Solche Ausnahmeregelungen werden von der FDP begrüßt. Sie helfen, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren.
Lassen Sie uns bei der Diskussion den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren und Wege jenseits der Radikalität und Totalität gehen! Lassen Sie uns der Vernunft Vorfahrt geben! Ich hoffe, dass wir in den Ausschussberatungen hierüber eindringlich miteinander diskutieren können. Ich freue mich auf die weiteren Diskussionen im Plenum und in den Ausschüssen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Bundesminister Horst Seehofer.
Horst Seehofer, Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz:
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe schon nicht mehr gehofft, dass wir dieses Ziel noch erreichen würden; denn das Thema besserer Schutz der Nichtraucher beschäftigt uns in Deutschland seit sage und schreibe 15 Jahren. Herr Parr, es ist schon eigenartig, dass Sie von Hektik, Hysterie und Unüberlegtheit reden, wenn nach 15 Jahren eine Entscheidung getroffen wird.
Ich bin 1992 Gesundheitsminister geworden. In diesem Jahr hat uns das Thema zum ersten Mal im Deutschen Bundestag beschäftigt. Ich denke, es ist höchste Zeit, dass wir eine klare Entscheidung treffen.
Ich möchte heute noch einmal fünf Punkte festhalten. Erstens. Es geht nicht um die Diskriminierung der Raucher, sondern um den Schutz der Nichtraucher.
Wir beurteilen und bewerten keine Lebensstile, aber es ist unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit, Herr Parr, die Nichtraucher dort, wo Menschen zusammentreffen, zu schützen, insbesondere die Kinder und die Schwangeren in unserem Lande.
Zweitens. Es gibt keinen gefährlicheren Stoff für die Gesundheit der Menschen als Tabakrauch, insbesondere in Innenräumen. Das ist unbestritten. Ich möchte einen Vergleich anstellen: In der Risikoklasse der gefährlichsten Stoffe ist Tabakrauch vergleichbar mit Asbest. Asbest haben wir 1993 in Deutschland verboten. Viele Tausend Menschen sind daran gestorben. Es gibt zwar viele Institute und Einrichtungen in Deutschland, aber das Deutsche Krebsforschungszentrum Heidelberg ist das seriöseste. Die Studien stützen sich auf die Erkenntnisse dieses Forschungszentrums.
Ich halte fest: Tabakrauch ist der gesundheitsschädlichste Stoff in Innenräumen, er führt zu vielen Tausend Todesfällen.
Herr Parr, Sie haben behauptet: Eine bessere Lüftung, und dann ist das Problem gelöst. Ich bitte Sie, lesen Sie noch einmal die Studie: 70 Stoffe im Tabakrauch sind krebsauslösend, halten sich so lange, dass sie aus Innenräumen auch durch eine bessere Belüftung nicht entfernt werden können. Eine bessere Belüftung löst das Problem also nicht.
Wir diskutieren hier im Parlament im Bereich der Ernährung, im Bereich der Agrarwirtschaft oft über abstrakte Gefahren, so im letzten Jahr über den H5N1-Virus, und betreiben Vorsorge. Über konkrete Gesundheitsschädigungen mit tödlichem Ausgang reden wir hingegen zu wenig.
Deshalb ist es wichtig, dass wir ins Bewusstsein rufen: Tabakrauch ist gesundheitsschädlich, in vielen Fällen tödlich.
Drittens. Auch ich bin ein Anhänger von Freiwilligkeit in einem freien Staat. Aber wir müssen sehen, dass wir seit einem Dutzend Jahren Freiwilligkeit propagieren im Hinblick auf Gastronomie, auf Krankenhäuser, auf öffentliche Gebäude.
- Wir müssen feststellen, es gibt gute Beispiele, aber einen Durchbruch haben wir nicht geschafft. -
In ganzen 2 Prozent der deutschen Krankenhäuser existiert ein wirkungsvoller Nichtraucherschutz. Dabei sind Krankenhäuser Einrichtungen, von denen man eigentlich annehmen möchte, dass das Bewusstsein dort so entwickelt ist, dass man sich in Gegenwart kranker Menschen mit dem Rauchen zurückhält. Doch nein, so etwas erfolgt nicht.
Ich habe 1998 im Bundestag eine Rede gehalten und für Freiwilligkeit geworben, aber schon damals gesagt: Wenn die Freiwilligkeit in der Praxis nicht zu verändertem Verhalten führt, müssen wir an ein Gesetz denken. Ich stelle fest - das muss man zugeben, auch wenn man ein Anhänger von Freiwilligkeit ist und der Eigenverantwortung den Vorrang gibt -: Die Freiwilligkeit ist gescheitert.
Herr Parr, wir sollten Freiheit richtig definieren: Die Schranke der Freiheit ist die Verantwortung. Die Freiheit des Rauchers endet dort, wo der Schutz des Nichtrauchers beginnt. Das ist die Definition von Freiheit.
Viertens. Von Bürokratie kann keine Rede sein. Denken Sie etwa an die Fortschritte, die die Fluglinien erreicht haben! Da gibt es keine Raucherpolizei oder Ähnliches.
Das wird eine gesamtgesellschaftliche Übereinkunft werden.
Mir haben viele Wirte und Gastronomen gesagt: Wenn der Gesetzgeber das festlegt, ist es für sie leichter, einfacher in der Praxis, als wenn sie in ihrer Gastronomie in jedem Einzelfall für Nichtraucherschutz kämpfen müssen. Das ist der Punkt.
Fünftens. Wir haben uns auf die öffentlichen Gebäude konzentriert, auf die Orte, an denen Menschen zusammenkommen. Ich bin froh, dass sich die Haltung der Länder in der heißumstrittenen Frage der Gastronomie anzugleichen beginnt, dass die Länder, die das auf der Bund-Länder-Konferenz noch anders gesehen haben, mittlerweile mit uns übereinstimmen, dass es nur dann praktikabel ist, wenn man eine klare Regelung trifft, nämlich ein Rauchverbot in Gaststätten,
rauchen nur in sauber abgeschlossenen Nebenräumen. Das ist eine klare Regelung. Ich appelliere an die Bundesländer, in ihren Parlamenten möglichst einheitliche Regeln zu verabschieden. Alles andere würden die Menschen nicht verstehen.
Ein Letztes: Ich betrachte das, worüber wir heute debattieren und was wir hoffentlich in absehbarer Zeit verabschieden, als einen Quantensprung für den Gesundheitsschutz in der Bundesrepublik Deutschland. Ich bin froh, dass ich nach einiger Diskussion jetzt die Zustimmung des Personalrats in meinem eigenen Ministerium habe.
Liebe Kollegin Schmidt, auch das Verbraucherschutzministerium ist jetzt wie das Gesundheitsministerium eine rauchfreie Behörde. Das ist eine gute Entwicklung.
An die Adresse der FDP möchte ich noch einmal sagen: Sie werden feststellen, dass sich die Menschen, wenn dieses Gesetz mit klaren Regelungen verabschiedet worden ist und die Länderparlamente gehandelt haben, in wenigen Jahren die Debatte, die wir in Deutschland über dieses Thema 15 Jahre lang geführt haben, nicht mehr erklären können. Dann wird das eine Selbstverständlichkeit sein.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Martina Bunge ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke.
Dr. Martina Bunge (DIE LINKE):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Seehofer, auch wenn ich Ihnen in vielem, was Sie in Ihrer Rede gesagt haben, zustimmen kann, als Quantensprung würde ich den Gesetzentwurf, der heute vorgelegt wurde, nicht bezeichnen.
Der Akt der Gesetzgebung zum Schutz vor Tabakrauch und zur Herstellung europäischer bzw. internationaler Normalität auch in Deutschland hätte zu einer Sternstunde des Parlaments werden können, wenn hier und heute ein Gesetzentwurf aus der Mitte des Parlaments vorgelegt worden wäre, der konsequent für einen wirklich umfassenden Schutz in allen öffentlichen Räumen und auf allen Ebenen, vom Bund bis in die Kommunen, gesorgt hätte.
Stattdessen diskutieren wir über einen Gesetzentwurf und drei Anträge sowie über einen Gruppenantrag, durch den ein konsequenter Schutz gewährleistet würde, der sich allerdings noch in der Tiefe des parlamentarischen Raums befindet.
Das Rauchen hat in Deutschland, wie in vielen Ländern, eine lange Tradition. Hier wie überall wirkt Nikotin auf die Psyche. Insofern wird diese Debatte natürlich hochemotional geführt, auch in meiner Fraktion. Trotz allem sollten wir aber nicht vergessen: Es geht um die Rechte der 73 Prozent der Bevölkerung, die Nichtraucherinnen bzw. Nichtraucher sind. Es geht vor allen Dingen um die Kinder und Jugendlichen. Es geht um die Vermeidung von Leid durch Tod und schwere Erkrankungen. Es geht um die Minderung der horrenden Kosten, die für das Gesundheitssystem entstehen, und um die Senkung anderer Folgekosten. Nicht zuletzt geht es um den Willen von 70 Prozent der Wählerinnen und Wähler. Auch das sollten wir immer bedenken.
Für den Schutz vor Schadstoffen - Herr Minister Seehofer hat das ausgeführt - gilt in Deutschland Bundesrecht, beispielhaft konsequent umgesetzt im Hinblick auf Asbest. Warum sieht es beim Schutz vor dem Schadstoff Rauch, der mindestens ein vergleichbares Gefahrenpotenzial aufweist, anders aus, und das, obwohl Millionen Menschen, insbesondere Frauen, am Arbeitsplatz mit diesem Schadstoff konfrontiert sind?
Der Arbeitsschutz und die Arbeitsstättenverordnung sind Bundesrecht. Aber es soll juristisch nicht möglich sein, dass der Bundestag den Weg für einen umfassenden Nichtraucherschutz vom Bund bis in die Kommunen ebnet? Ich denke, es wäre eine Bankrotterklärung vor dem, was wir beschlossen haben, wenn wir nicht nach einem möglichen Weg suchen. Gesetze sind keine Naturereignisse, sondern sie werden von Menschen gemacht. Man sollte sie, wenn das Erfordernis besteht, auch ändern können.
Ich denke allerdings, dazu fehlt der tatsächliche Wille. Ein beredtes Beispiel ist der Bundestag selbst. Am 8. März dieses Jahres haben wir auf Antrag des Bündnisses 90/Die Grünen eine Debatte über das geplante Rauchverbot im Bundestag geführt. Der Ältestenrat beeilte sich, noch an diesem Tag zu vermelden, dass es im Bundestag genauso geregelt werde, wie es im Gesetz vorgesehen werde, und dass das parallel geschehe. Aber bis heute ist noch keine Regelung getroffen worden. Die Frau Ministerin sagt zwar, das sei geklärt. Aber ich frage: Wo? Mir ist keine schriftliche Regelung bekannt. Es sind lediglich Änderungsanträge zum vorliegenden Gesetzentwurf angekündigt. Also hat der Bundestag es nötig, die Pflichten, die dieses Gesetz mit sich bringt, formal auf sich übertragen zu bekommen. Das hätten wir beispielgebend in der Zeit von Anfang März bis heute selbst auf den Weg bringen müssen.
Nun möchte ich noch auf eine ewige Debatte eingehen und klarstellen: Der Schutz vor dem Schadstoff Tabak ist nicht identisch mit dem Verbot des Rauchens. Zu rauchen oder nicht zu rauchen, ist die Entscheidung eines jeden Einzelnen, die auch ich respektiere, Herr Parr. Mit dem Rauchverbot in öffentlichen Einrichtungen sollen Nichtraucher und Raucher davor geschützt werden, den mit dem Rauchen einhergehenden Belastungen nicht permanent und unausweichlich ungewollt ausgesetzt zu sein.
Natürlich erschöpft sich der Gesundheitsschutz in Sachen Tabakrauch nicht im Rauchverbot für öffentliche Einrichtungen. Ich plädiere selbstverständlich für einen Dreiklang: erstens alles zu tun, um Kinder und Jugendliche von dem Einstieg abzuhalten, zweitens Nichtraucherinnen und Nichtraucher vor dem Tabakrauch zu schützen und drittens Raucherinnen und Raucher zu motivieren, auszusteigen und ihnen beim Entzug zu helfen. Insofern tragen Sie mit Ihrem Antrag - ich spreche die FDP an - Eulen nach Athen. Ich denke, eigentlich geht es Ihnen darum, ein konsequentes Rauchverbot zu verhindern.
Sie haben Helios-Kliniken als Beispiel angeführt. Die Helios-Kliniken praktizieren es. Für die Kliniken besteht ein Rauchverbot, und sie motivieren die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aufzuhören; denn es ist erwiesen, dass Verbote und Ächtungen an der einen Stelle und die Prävention an der anderen Stelle das Nichtrauchen erleichtern und den Mainstream verändern helfen. Ich denke, das ist ein Gesamtansatz.
Nun liegt der Gesetzentwurf der Bundesregierung vor: ein Rauchschutz mit eingeschränkter Reichweite auf Bundesebene. Die Länder werden uns peu à peu die Farben des Flickenteppichs präsentieren. Hier und heute wird mit der Gesetzgebung für die Bundesrepublik begonnen. Damit wird für lange Zeit festgezurrt, wie der Schutz vor Tabakrauch in Deutschland aussieht.
Der Gruppenantrag, mit dem wir mehr wollten, hat sich unseres Erachtens damit erledigt. Wir, die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner der Linksfraktion, ziehen unsere Unterschriften zurück, damit die Initiatoren - wie Herr Binding das beispielsweise auch gegenüber meinem Kollegen Spieth erst neulich dokumentiert hat - den Wählerinnen und Wählern nicht nach wie vor Sand in die Augen streuen, wonach in nächster Zeit noch eine umfassende Lösung möglich ist.
So schnell kommt die Gelegenheit, die es heute gibt, nicht wieder.
Seit den 90er-Jahren - Herr Minister Seehofer hat es angesprochen - quält sich der Deutsche Bundestag mit dem Nichtraucherschutz. Jetzt werden zwar endlich Nägel mit Köpfen gemacht, aber leider in völlig unzureichender Weise. Es schmerzt mich, dass wir uns international so blamieren und Chancen für Besseres vergeben haben.
Ich danke.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun die Kollegin Bärbel Höhn, Bündnis 90/Die Grünen.
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach einer Studie des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg sterben in Deutschland jedes Jahr 3 300 Menschen an den Folgen des Passivrauchens. Mitarbeiter in Gaststätten haben ein 30 bis 50 Prozent höheres Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken, als andere Menschen in dieser Gesellschaft. Das müsste eigentlich Anlass genug sein, ganz umfassend, ganz konsequent und ganz schnell etwas gegen das Passivrauchen zu tun und für den Nichtraucherschutz einzutreten. Mein Vorwurf ist, dass Sie das versäumt haben.
Passivrauchen ist in der Tat nicht nur eine bloße Belästigung, sondern auch eine schwerwiegende Gesundheitsgefahr. Es ist wirklich beschämend, dass Deutschland in diesem Punkt in der EU auf dem letzten Platz steht. Frau Merkel hat immer gesagt, Deutschland solle Nummer eins sein. Das Deutschland bei diesem Punkt der letzte Platz gebührt, ist auch dieser Bundesregierung zu verdanken, weil sie nur dann etwas unternommen hat, wenn sie durch den Druck der Öffentlichkeit dazu getrieben wurde. Diesen letzten Platz hätte sie gut korrigieren können, wenn sie mutig nach vorne gegangen wäre. Das ist unser Vorwurf.
Liebe Frau Schmidt und lieber Herr Seehofer, der Gesetzentwurf, den Sie heute vorlegen, ist eine einzige Enttäuschung.
Er ist nämlich lückenhaft und von Mutlosigkeit geprägt; denn genau die Bereiche, die wirklich ernsthaft angegangen werden müssen, die Gastronomie, die Diskotheken und die Bars, bleiben vollkommen ausgeklammert. Das zeigt auch den Geist, der momentan in der Koalition herrscht: Eigentlich will man das Thema nicht angehen.
Sie haben hier also keinen konsequenten Nichtraucherschutz, sondern ein Nichtraucherschutz light vorgelegt. Dieser hat genau denselben Makel wie die Lightzigaretten: Den Menschen soll ein gutes Gefühl gegeben werden, aber es ist tatsächlich hochgradig gesundheitsgefährdend. Deshalb ist dieser Gesetzentwurf keine gute Lösung.
Am schwersten wiegt, dass die Bundesregierung die wirklich am stärksten durch Rauch belasteten Bereiche nicht geregelt hat, sodass ein Flickenteppich droht. Nordrhein-Westfalen hat schon angekündigt, dass kleine Kneipen vom Rauchverbot ausgenommen werden und dass die Gastwirte selber entscheiden sollen, was sie machen.
Ich muss ehrlich sagen: Die Gastwirte werden zum Sündenbock der Politik, die nicht bereit ist, zu entscheiden. Das ist das Problem, das wir zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen erleben. Die Gastwirte sind zu Recht empört darüber, dass die Politik nicht bereit ist, hier konsequent vorzugehen. Liebe Frau Schmidt, Sie beklagen den Flickenteppich, den Sie selbst verursacht haben, denn im Rahmen der Arbeitsstättenverordnung hätten sie selbst auf Bundesebene agieren und eine bundesweit einheitliche Regelung erreichen können.
Nicht nur Nordrhein-Westfalen plant Sonderwege. Wer in Halle ein Bier trinkt, der muss mit Beeinträchtigungen seiner Gesundheit rechnen, die in der Nachbarstadt Leipzig verboten sind. Hier gibt es ganz dicht nebeneinanderliegende Städte, die unterschiedliche Regelungen haben. In Berlin, Brandenburg und Thüringen soll in Raucherräumen Selbstbedienung gelten. In den übrigen Ländern werden die Beschäftigten weiter zum Bedienen in den blauen Dunst geschickt. Das ist ein Chaos, das die Bundesregierung zu verantworten hat. Es fehlt der politische Wille, hier einen echten bundesweiten Nichtraucherschutz zu installieren.
Deshalb haben wir, die Grünen, von Anfang an eine klare Position vertreten.
Wir haben klar und deutlich gesagt, welches die Instrumente sind. Wir haben gesagt: Von Düsseldorf bis Dresden wollen wir denselben Schutz der Gesundheit der Bevölkerung. Wer will eigentlich verantworten, dass wir in Deutschland im Bereich der Gesundheit in Bars, Gaststätten und Diskotheken einen unterschiedlichen Schutz der Bevölkerung haben? Das ist keine Lösung, die in irgendeiner Art und Weise akzeptiert werden kann.
Deshalb sage ich: Gehen Sie noch einmal in sich! Sie haben heute die Anhörung beschlossen. Ändern Sie Ihren Gesetzentwurf, schaffen Sie eine klare Lösung, oder stimmen Sie dem Antrag der Grünen zu! Wir haben gezeigt, wie es geht.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Carola Reimann, SPD-Fraktion.
Dr. Carola Reimann (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Man kann es kaum glauben, aber die aktuelle Debatte ist schon wieder ein Jahr alt. Seit über einem Jahr diskutieren wir über das Passivrauchen und über Maßnahmen zum Schutz vor den wissenschaftlich nachgewiesenen Gesundheitsgefahren. Ausgelöst wurde die Debatte durch das Scheitern der Dehoga-Selbstverpflichtung, durch Veröffentlichungen des Deutschen Krebsforschungszentrums sowie durch den daraufhin von SPD-Abgeordneten initiierten Gruppenantrag zum Schutz vor Passivrauchen, für den wir breite Unterstützung erfahren haben. Für diese Unterstützung möchte ich den Kolleginnen und Kollegen an dieser Stelle noch einmal danken.
Trotz dieser intensiven und monatelangen Debatte haben viele leider immer noch nicht verstanden, worüber wir bei der Frage des Nichtraucherschutzes eigentlich reden.
Es geht nämlich nicht um stinkende Räume, um verrauchte Kleidung oder um vergilbte Vorhänge. Es geht auch nicht nur um unangenehme Belästigungen der Nichtraucher. Es geht um eine eindeutig nachgewiesene Gesundheitsgefährdung.
Betroffen sind nicht nur die Raucher, sondern auch all diejenigen, die in öffentlichen Gebäuden, am Arbeitsplatz und auch in Gaststätten, Kneipen und Discos zum Mitrauchen gezwungen sind.
Es ist wissenschaftlicher Konsens, dass Passivrauchen das Risiko für chronische Erkrankungen, die tödlich enden können, erhöht. Ein Blick in die wissenschaftlichen Publikationen zeigt: Wir reden nicht nur von Augenbrennen, sondern auch von Herzerkrankungen, Schlaganfällen und Lungenkrebs.
Die Ministerin hat die Zahlen genannt.
Diese traurige Tatsache kann man auch angesichts der gerade in diesem Haus immer wieder vorkommenden Relativierungen und der Verharmlosungen, insbesondere der Tabakindustrie, gar nicht oft genug erwähnen. Wir alle kennen diese Floskeln. Da wird von Freiwilligkeit, Genuss und Toleranz gesprochen. Leider hat Rauchen für die überwiegende Zahl der Raucher mit Freiwilligkeit so viel zu tun wie Schokolade mit Abnehmen, nämlich gar nichts. Es handelt sich um eine Sucht, und die allermeisten Raucher rauchen, weil sie abhängig sind. Deshalb laufen auch alle Regelungen, die nur auf Freiwilligkeit beruhen, ins Leere. Aus diesem Grund ist an dieser Stelle der Gesetzgeber gefragt.
Mit dem nun vorliegenden Gesetzentwurf zum Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens machen wir den ersten wichtigen Schritt hin zu einem wirksamen Nichtraucherschutz. Damit rücken wir auch auf europäischer Ebene, Kollegin Höhn, wieder auf die vorderen Plätze vor. Frau Höhn, man kann ja monieren, dass man das alles hätte früher haben können. Natürlich hätten wir das gern früher umgesetzt. Aber mir ist aus Ihrer Zeit als Ministerin in Nordrhein-Westfalen keine Initiative bekannt, mit der Sie dies angeschoben hätten.
Neben der Anhebung der Altersgrenze für die Abgabe von Tabakwaren und für das Rauchen in der Öffentlichkeit von 16 auf 18 Jahre wird es in öffentlichen Einrichtungen des Bundes und in bestimmten Einrichtungen des öffentlichen Personenverkehrs generelle Rauchverbote geben. Das Gleiche muss natürlich für uns alle hier im Deutschen Bundestag gelten.
Es wird allerhöchste Zeit, dass wir insoweit auch in unserem Haus Klarheit schaffen.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sind wir auf dem richtigen Weg. Die Erfahrungen aus anderen Ländern haben gezeigt, dass sich der Gesundheitszustand von Angestellten nach Einführung von Rauchverboten innerhalb ganz kurzer Zeit erheblich verbessert. Das gilt insbesondere für Angestellte in der Gastronomie.
Hier sind wir bei dem zweiten entscheidenden Schritt - dies ist schon mehrfach angeklungen -, der nun möglichst bald von den Bundesländern umgesetzt werden muss: ein umfassendes, einheitliches Rauchverbot in den Gaststätten. Denn es kann nicht sein, dass die Angestellten, die den Gefahren des Passivrauchens bislang am stärksten ausgesetzt waren, von diesem Schutz ausgenommen werden; ganz zu schweigen von den Gästen, darunter auch Kinder und Jugendliche.
Einige Länder haben inzwischen Gesetzentwürfe auf den Weg gebracht. Selbst Herr Wulff - lange Zeit als vorderster Kämpfer für den Raucher-Status-quo bekannt - scheint jetzt erkannt zu haben, dass er mit seiner Position auf verlorenem Posten steht.
Nur, Ankündigungen sind natürlich noch keine Gesetze. Solange diese Gesetzentwürfe noch nicht verabschiedet worden sind, ist Vorsicht angebracht. Das hat uns die Erfahrung aus den letzten Monaten und Jahren gelehrt.
Nach über einem Jahr Diskussion muss man sagen: Es wird nun endlich Zeit, dass wir auf der Bundesebene durch das Gesetz zum Schutz vor Passivrauchen für alle Bundesbehörden, im öffentlichen Personenverkehr und auch im Deutschen Bundestag sowie auf Landesebene durch Gesetze, die Angestellte und Gäste in Gaststätten vor den Gefahren des Passivrauchens wirksam schützen, klare Regelungen schaffen. Das sind längst überfällige Maßnahmen - das haben wir hier häufig gehört -, die durch zahlreiche wissenschaftliche Studien gestützt und im Übrigen, Herr Parr, von der großen Mehrheit der Bevölkerung unterstützt werden.
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt die Kollegin Birgitt Bender vom Bündnis 90/Die Grünen.
Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lange hat es gedauert. Aber inzwischen ist immerhin eine breite Mehrheit in diesem Haus der Auffassung, dass es zum Schutz vor Passivrauch auch staatlicher Regelungen bedarf; das ist schon etwas. Nur die FDP spricht noch von staatlicher Gängelung. Ich muss Ihnen, Herr Kollege Parr, wirklich sagen: Sie wissen genauso gut wie ich, dass Rauchen bzw. Nikotinabhängigkeit eine Suchterkrankung ist. Wir alle wissen, dass derjenige, der auf diese Weise erkrankt ist
und dadurch nur noch eingeschränkt die Fähigkeit zur Eigenverantwortung hat,
nicht das beste Beispiel für die Fähigkeit und Bereitschaft ist, Verantwortung für die Gesundheit anderer zu übernehmen.
Das zeigt die Erfahrung; denn sonst gäbe es diesen Regulierungsbedarf nicht.
Ganz besonders abwegig finde ich - auch das sage ich in Richtung der FDP - das Hohelied auf den Flickenteppich der Regelungen in den Ländern.
- Herr Kollege Parr, in welcher historischen Situation befinden wir uns? Vielleicht in der Zeit vor der Schaffung des Deutschen Bundes, als es zwischen den Ländern noch Zollschranken gab? Sie vergleichen die Situation eines Bundeslandes allen Ernstes mit der eines Privathaushaltes, den man nicht regulieren kann.
Aber glücklicherweise, Herr Kollege, gibt es auf der Rheinbrücke zwischen Mannheim und Ludwigshafen keine Zollschranken und Ähnliches mehr.
Damit gibt es auch einen Bedarf, dass überall gleiche Regeln bestehen. Eigentlich müsste das eine Partei wie die Ihre auch deswegen verstehen, weil das etwas damit zu tun hat, dass Unternehmer, die zum Beispiel eine Gaststätte oder einen anderen Betrieb eröffnen wollen, 16 unterschiedliche Gesetzbücher studieren müssen, um sich zu entscheiden, wo sie ihren Betrieb eröffnen. Das kann doch wohl nicht wahr sein.
Jetzt zur Koalition. Der bekundete Wille freut uns ja; aber leider, Frau Ministerin Schmidt, fehlt es an der Konsequenz. Ich lese zum Beispiel fast jeden Tag beim Frühstück in der Zeitung:
Jetzt hat die Koalition beschlossen: Der Bundestag wird rauchfrei. Keine zwei Stunden später begebe ich mich zur Sitzung des Gesundheitsausschusses. Was sehe ich dort? Auf dem Weg in den Sitzungssaal muss ich die Qualmwolken durchqueren, die die rauchenden Kollegen aus dem Gesundheitsausschuss verbreiten.
Insofern frage ich Sie: Was sollen dann diese Bekundungen?
Wir könnten es schnell erreichen - unser Antrag dazu liegt vor -, dass die Hausordnung des Bundestages geändert und ein allgemeines Rauchverbot beschlossen wird, auch für die Gastronomie.
Wenn Sie angeblich dafür sind, stellt sich die Frage, was uns dann noch daran hindert, dies zu tun.
Stattdessen wollen Sie unseren Antrag erst einmal an den Ausschuss überweisen und reden jetzt darüber, den Nichtraucherschutz im Bundestag in dem Gesetz zu berücksichtigen, das aber erst im Herbst in Kraft treten soll. Warum beabsichtigen Sie das? Neulich war die Einbeziehung des Bundestages noch ein verfassungsrechtliches Problem, Frau Ministerin Schmidt. Ich kann mich nicht erinnern, dass seitdem die Verfassung geändert worden ist. Also ist es offenbar ein Problem des politischen Willens.
In vielen anderen Punkten des Gesetzentwurfs - zum Beispiel beim Arbeitsschutz - sind Sie ebenfalls nicht konsequent. Ich glaube, dass wir Ihnen bei diesem Thema noch einigen Dampf machen werden.
Wir freuen uns schon auf die weitere Debatte.
Danke.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt die Kollegin Maria Eichhorn von der CDU/CSU-Fraktion.
Maria Eichhorn (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundesminister Seehofer, bereits Anfang der 90er-Jahre habe ich den Entwurf eines Nichtraucherschutzgesetzes im Deutschen Bundestag unterstützt, damals ohne Erfolg. Heute bin ich davon überzeugt, dass der Gesetzentwurf, den wir heute in den Bundestag einbringen, mit großer Mehrheit verabschiedet wird. Denn der Nichtraucherschutz ist in Deutschland in den letzten Monaten ein gutes Stück vorangekommen.
Die große Mehrheit der Bevölkerung erwartet, dass der Gesetzgeber endlich handelt und die Menschen besser vor den Gefahren des Passivrauchens schützt. Die große Zahl von Briefen, die auch mich als Drogenbeauftragte der CDU/CSU-Fraktion erreichen, beweist, Herr Parr, dass den Menschen dieses Thema sehr am Herzen liegt.
Fast 70 Prozent der deutschen Bevölkerung sind Nichtraucher. Nach Angaben der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen sind 55 Prozent der Nichtraucher unfreiwillig dem Tabakrauch ausgesetzt. Das Deutsche Krebsforschungszentrum hat ermittelt, dass fast die Hälfte der erwerbstätigen Nichtraucher in Deutschland am Arbeitsplatz und knapp ein Drittel aller Nichtraucher in der Freizeit davon betroffen sind.
Dass Rauchen und Passivrauchen Krebs erregen, ist unbestritten. Das wurde heute schon mehrfach betont, aber man kann nicht oft genug darauf hinweisen. Der Zigarettenkonsum ist auch das größte Gesundheitsrisiko für viele andere Erkrankungen. Die durch das Rauchen verursachten Gesundheitskosten betragen nach Berechnungen des Deutschen Krebsforschungszentrums rund 17 Milliarden Euro. Auf die dadurch verursachten Todesfälle wurde schon mehrfach hingewiesen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Sie haben in Ihrem Antrag geschrieben und auch hier betont, dass ein generelles Rauchverbot nicht notwendig ist. Sie müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass der jahrelange Appell, freiwillig etwas für den Nichtraucherschutz zu tun, kaum gefruchtet hat. Zwar wurden in manchen Bereichen Nichtraucherzonen eingerichtet, die Untersuchungen des Deutschen Krebsforschungszentrums belegen jedoch, dass die Belastung mit krebserregenden Stoffen auch dort gefährlich hoch ist, weil keine räumliche Trennung erfolgt. Auch die freiwillige Vereinbarung mit dem Deutschen Hotel- und Gaststättenverband hat nichts gebracht. Die Vorgaben wurden bei weitem nicht erreicht.
Daher ist es folgerichtig, dass zwei Drittel der Bevölkerung einen gesetzlichen Nichtraucherschutz fordern. Der Bund kann ihn jedoch nur in den Bereichen regeln, für die er zuständig ist, Frau Höhn. Ende Februar beschloss das Bundeskabinett die Einführung eines generellen Rauchverbots in bundeseigenen Einrichtungen, öffentlichen Verkehrsmitteln und Personenbahnhöfen. Der vorliegende Gesetzentwurf - nicht mehr und nicht weniger - wird heute eingebracht. Alles andere müssen die Länder besorgen, Frau Höhn.
Dieser Gesetzentwurf schafft die Möglichkeit, gesonderte und entsprechend gekennzeichnete Räume vorzuhalten, in denen das Rauchen gestattet ist, wenn insgesamt eine ausreichende Anzahl von Räumen zur Verfügung steht.
Aber wichtig ist - gerade für mich -, dass es sich nicht um Arbeits- oder Diensträume handeln darf. Die genauen Kriterien, beispielsweise für die Einrichtung von Raucherräumen, müssen in einer Rechtsverordnung festgelegt werden. Dabei geht es um die baulichen Anforderungen sowie die Art und Weise der Belüftung dieser Raucherräume. Verstöße gegen die Bestimmungen des Gesetzes können als Ordnungswidrigkeit mit Bußgeldern bis zu 1 000 Euro geahndet werden.
Nun gibt es verschiedene Organisationen, die in ihren Stellungnahmen Zweifel äußern, ob dieses Gesetz tatsächlich greift, und auf Vorschriften anderer Länder verweisen. Meine Damen und Herren von der Opposition, wir werden diese Einwendungen im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens natürlich eingehend prüfen.
Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung enthält auch Regelungen zur Verbesserung des Arbeitsschutzes. Durch Erweiterung des § 5 Abs. 1 der Arbeitsstättenverordnung wird klargestellt, dass insbesondere ein allgemeines Rauchverbot für den gesamten Betrieb dem Schutz der nichtrauchenden Beschäftigten dient. Weitergehende Regelungen für den Gaststättenbereich, wie sie die Grünen in ihrem Antrag fordern, können aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht getroffen werden.
- Der Petitionsausschuss hatte darüber beraten und das eindeutig festgestellt. Lesen Sie das bitte im Protokoll nach.
Regelungen zum Nichtraucherschutz in der Gastronomie fallen unter das Gaststättenrecht. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Länder dafür zuständig sind und der Bund hier keine Regelungskompetenz hat.
- Frau Höhn, ich muss Sie fragen: Die Grünen waren sieben Jahre in der Regierung,
warum haben Sie nichts getan? Heute reden, aber vorher nichts tun!
Zu Recht erwarten unsere Bürgerinnen und Bürger, in allen öffentlichen Einrichtungen, Diskotheken, Theatern und in der Gastronomie vor dem Passivrauchen geschützt zu werden. Ich appelliere an die Länder, die dazu notwendigen Regelungen zügig umzusetzen und keinen Flickenteppich an Vorschriften zu hinterlassen.
Für mich ist die italienische Regelung nach wie vor beispielhaft. Sie beinhaltet ein generelles Rauchverbot in öffentlichen Gebäuden, Theatern, Kinos und in der Gastronomie. Die Wirte haben dort die Möglichkeit, separate, durch eine selbstschließende Tür abgetrennte Raucherräume zu errichten, in denen allerdings nicht bedient werden darf. Das heißt, die Arbeitnehmer in der italienischen Gastronomie sind - genau wie alle anderen Arbeitnehmer auch - umfassend vor den Gesundheitsgefährdungen des Passivrauchens geschützt. Herr Parr, ich konnte mich davon überzeugen, dass diese Regelung ohne großen bürokratischen Aufwand funktioniert. Herr Minister Seehofer hat es bereits gesagt. Es ist eine Selbstregulierung. Die Bevölkerung passt sozusagen selber auf, dass dieses Gesetz eingehalten wird. Auch die Angestellten in der deutschen Gastronomie haben ein Recht auf einen rauchfreien Arbeitsplatz.
Selbstverständlich muss für den Deutschen Bundestag das Gleiche gelten wie für die Angestellten in den Bundesbehörden. Der Beschluss der Koalitionsspitzen vom Dienstag ist eindeutig. Er besagt, dass der Gesetzentwurf, der heute beraten wird, ?voll und ganz auf den Deutschen Bundestag Anwendung findet“.
Danach ist Rauchen zukünftig in den Gebäuden des Deutschen Bundestages generell verboten und nur noch in abgetrennten und gekennzeichneten Raucherräumen gestattet. Ich halte es für richtig - ich habe das vorher von Herrn Koschyk bestätigt bekommen -, dass die Regelung zum Nichtraucherschutz im Bundestag möglichst zeitgleich mit der Regelung für die Bundeseinrichtungen in Kraft tritt,
also mit diesem Gesetz. Eine schnelle Umsetzung, wie die Grünen sie fordern, ist damit gewährleistet.
Rauchverbote schützen nicht nur die Nichtraucher, sondern führen auch zu einem Rückgang des Zigarettenkonsums. Herr Parr, den von Ihnen genannten Zahlen kann ich eine andere Zahl entgegensetzen. Nach Angaben der ?Ärzte-Zeitung“ haben ein Jahr nach der Einführung des italienischen Nichtraucherschutzgesetzes bereits 500 000 Italiener gänzlich mit dem Rauchen aufgehört. Das ist doch was!
Wir Erwachsene sollten mit gutem Beispiel vorangehen. Angesichts der Tatsache, dass Jugendliche heute bereits im Alter von durchschnittlich 11,8 Jahren erstmals zur Zigarette greifen, sind die Erwachsenen gefordert, einen Verzicht auf Zigaretten vorzuleben. Daher begrüße ich, dass Zigaretten nach diesem Gesetzentwurf künftig erst ab 18 Jahren abgegeben werden dürfen.
Ganz wichtig ist auch die Prävention. Wir begrüßen es daher sehr, dass es an den Schulen mittlerweile regelmäßige wirkungsvolle Aktionen gibt. Durch frühzeitige Aufklärung und durch gutes Vorbild müssen junge Menschen vor der Tabaksucht unbedingt bewahrt werden.
Wir sind auf einem guten Wege, auch in Deutschland endlich einen umfassenden Nichtraucherschutz zu verwirklichen. Wir werden den Gesetzentwurf zügig beraten, damit er fristgerecht, wie vorgesehen, zum 1. September dieses Jahres umgesetzt werden kann.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt die Kollegin Dr. Margrit Spielmann von der SPD-Fraktion das Wort.
Dr. Margrit Spielmann (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Ein altes Sprichwort besagt: ?Aller guten Dinge sind drei.“ Nach zwei erfolglosen Anläufen zur Verbesserung des Nichtraucherschutzes, die wir in den letzten zehn Jahren - oder sogar in den letzten 15 Jahren, wie ich erfahren habe - gemacht haben, beraten wir heute in erster Lesung ein Gesetz zum Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens. Herr Minister Seehofer, ich denke auch, wir erleben in diesem Problemfeld einen Quantensprung.
Wir wissen alle, diesem Gesetzentwurf sind vielfältige Bemühungen vorausgegangen. Der Entwurf ist für mich sozusagen eine Antwort unter anderem auf den öffentlichen Druck, der in letzter Zeit durch die Medien ausgeübt wurde.
Die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes erwarten von uns - Herr Parr, 72 Prozent haben sich für einen Schutz vor Passivrauchen ausgesprochen - eine schützende gesetzliche Regelung.
In besonderer Weise haben die Institute - ich nenne beispielsweise das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg - durch ihre Forschungsergebnisse - immerhin sterben pro Jahr 3 200 Menschen an den Folgen des Passivrauchens - zu dieser durchaus positiven öffentlichen Diskussion beigetragen. Ich denke, wir sollten diesen Instituten einmal für ihren Beitrag zur heutigen Debatte danken.
Auch dieses persönliche Wort sei mir gestattet: Hilfreich war auch das Engagement unseres Kollegen Lothar Binding.
Vor uns liegt ein erster Entwurf. Viele von uns - dazu zähle auch ich - hätten sich zum Schutz vor Passivrauchen ein wenig mehr gewünscht. Mir ist der Gesetzentwurf nicht umfassend genug. Aber wir haben eine Anhörung vereinbart und sollten diese auch für entsprechende Veränderungen nutzen.
Wir müssen uns noch mehr Gedanken machen, ob wir die Arbeitsstättenverordnung ändern können, um einen wirklichen Arbeitsschutz zu gewährleisten.
Wir müssen über die verlängerte Frist für die Automatenhersteller reden. Es wurde schon gesagt: Wenn wir den Jugendschutz ernst nehmen, dann sollten wir dafür sorgen, dass die Heraufsetzung der Altersgrenze zeitgleich auch für die Abgabe von Zigaretten an Automaten erfolgt und nicht erst 22 Monate später.
Ich denke, das Datum 1. Juli 2009 ist für uns nicht hinnehmbar.
Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir gegen Verstöße gegen das Gesetz vorgehen.
Herr Parr, ich will dafür keine Polizei mit hochgestelltem Kragen. Ich könnte mir durchaus andere Regelungen vorstellen.
Wir müssen uns überlegen, wie wir den Bundestag explizit in das Gesetz einbeziehen; denn der Bundestag als öffentliches Gebäude kann nicht von den Regelungen des Gesetzes ausgenommen werden. Dazu gehört auch, dass sich alle Abgeordneten daran halten.
- Frau Bender und liebe Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen, wir werden Ihren Antrag natürlich in die Diskussion einbeziehen und positiv würdigen.
Es ist auch zu prüfen, ob wir die Definition von Raucherräumen im Gesetz ändern müssen. Es kann nicht sein, dass eine gesetzliche Definition so wie die vorliegende zu den Raucherräumen auf Lobbydruck entsteht.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zum Schluss noch einen für mich als Gesundheitspolitikerin wichtigen Aspekt erwähnen. Parallel zum Gesetz sollten wir verstärkt Konzepte unterstützen, die den Menschen helfen, mit dem Rauchen aufzuhören. Lassen Sie uns in der Anhörung und in der folgenden Debatte auch über Maßnahmen zum Beispiel zur zielgruppenspezifischen Prävention, also insbesondere über Präventionsmaßnahmen für Kinder und Jugendliche, diskutieren. Wir sollten diese Aufklärungsangebote - das wäre mir ein großes Anliegen - unter Einbeziehung verschiedener Berufsgruppen konzipieren; hier möchte ich in besonderer Weise die Pädagogen und die Ärzte erwähnen.
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/5049, 16/4761 und 16/5118 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen nun zum Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/4957. Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen wünscht Abstimmung in der Sache, die übrigen Fraktionen wünschen Überweisung, und zwar federführend an den Ältestenrat und mitberatend an den Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, den Ausschuss für Arbeit und Soziales sowie an den Ausschuss für Gesundheit.
Die Abstimmung über den Antrag auf Ausschussüberweisung geht nach ständiger Übung vor. Ich frage deshalb: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Überweisung ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/Die Grünen beschlossen. Damit stimmen wir heute über den Antrag auf Drucksache 16/4957 nicht ab.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 95. Sitzung - wird am
Montag, den 30. April 2007,
an dieser Stelle veröffentlicht.]