94. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007
Beginn: 9.00 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle herzlich und wünsche Ihnen einen guten Morgen und einen erfolgreichen Tag.
Zum heutigen Girls’ Day gratuliere ich allen Kolleginnen besonders herzlich, natürlich auch den auf den Zuschauertribünen und auf der Pressetribüne anwesenden Damen. Ich wünsche Ihnen nicht nur heute die bevorzugt freundliche Behandlung, die Sie ohnehin verdienen und die Sie in diesem Hause auch meistens erhalten.
Ich habe die große Freude, auf der Ehrentribüne eine Delegation des australischen Parlaments mit dem Parlamentspräsidenten, Herrn David Hawker, an ihrer Spitze begrüßen zu dürfen. Herzlich willkommen im Deutschen Bundestag!
Wir freuen uns über Ihren Besuch. Wir hatten bei unserem Gespräch am vergangenen Dienstag bereits Gelegenheit, unser gemeinsames Interesse an einer weiteren Vertiefung der freundschaftlichen Beziehungen zwischen unseren Ländern festzuhalten. Ich habe keinen Zweifel daran, dass Ihr Besuch dazu beitragen wird. Für Ihren Aufenthalt und Ihr weiteres parlamentarisches Wirken begleiten Sie unsere besten Wünsche.
Da wir gerade bei guten Wünschen und Gratulationen sind: Der Kollege Wolfgang Börnsen feiert heute seinen 65. Geburtstag.
Dazu gratuliere ich ihm im Namen des ganzen Hauses herzlich. Es gibt eigentlich keine angemessenere Möglichkeit, diesen Geburtstag zu feiern, als dass alle Mitglieder des Deutschen Bundestages zu einem solchen Anlass zusammentreten.
Es hat seit unserer letzten Sitzung eine Reihe weiterer runder Geburtstage gegeben: Ihren 60. Geburtstag feierten der Kollege Frank Spieth am 4. April,
die Kollegin Christel Riemann-Hanewinckel am 6. April und der Kollege Achim Großmann am 17. April. Auch Ihnen nachträglich herzliche Gratulation und alle guten Wünsche!
Die SPD-Fraktion hat mitgeteilt, dass der Kollege Stephan Hilsberg als stellvertretendes Mitglied aus dem Vermittlungsausschuss und aus dem Gemeinsamen Ausschuss nach Art. 53 a des Grundgesetzes ausscheidet. Als Nachfolger wird der Kollege Klaas Hübner vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist der Kollege Hübner zum stellvertretenden Mitglied des Vermittlungsausschusses und des Gemeinsamen Ausschusses gewählt.
Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen teilt mit, dass die Kollegin Undine Kurth auf die Mitgliedschaft im Stiftungsrat der Bundesstiftung Baukultur verzichtet. Als Nachfolger wird der Kollege Peter Hettlich vorgeschlagen. Sind Sie auch damit einverstanden? - Das scheint der Fall zu sein. Dann ist der Kollege Hettlich hiermit zum Mitglied des Stiftungsrates der Bundesstiftung Baukultur gewählt.
Zum Ablauf der heutigen Sitzung teile ich Ihnen mit, dass interfraktionell vereinbart wurde, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der LINKEN:
Haltung der Bundesregierung zu den Absichten des Bundesministers des Innern, Dr. Wolfgang Schäuble, im Zusammenhang mit dem sogenannten Kampf gegen den Terrorismus
(siehe 93. Sitzung)
ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
(Ergänzung zu TOP 33)
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Betäubungsmittelgesetzes und anderer Vorschriften
- Drucksache 16/4696 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Behm, Undine Kurth (Quedlinburg), Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Am Walfangmoratorium festhalten und Walschutz auf der IWC stärken
- Drucksache 16/5105 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke, Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Eintreten für die Beendigung der von den USA auferlegten Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade gegen Kuba
- Drucksache 16/5115 -
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Undine Kurth (Quedlinburg), Volker Beck (Köln), Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Die Bedrohung der Meeresumwelt durch Unterwasserlärm stoppen
- Drucksache 16/5117 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
(f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
ZP 3 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN:
Meinungs- und Demonstrationsfreiheit in Russland in Gefahr
ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dagdelen, Petra Pau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Für Humanität und Menschenrechte statt wirtschaftlicher ?Nützlichkeit“ als Grundprinzipien der Migrationspolitik
- Drucksache 16/5108 -
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Christoph Waitz, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Die Kulturwirtschaft als Zukunfts- und Wachstumsbranche in Europa stärken
- Drucksache 16/5101 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)
Finanzausschuss
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Angelika Brunkhorst, Michael Kauch, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Allgemeine Grundsätze für den Naturschutz in Deutschland
- Drucksache 16/3099 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
(f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Detlef Parr, Daniel Bahr (Münster), Heinz Lanfermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Nichtraucherschutz praktikabel und mit Augenmaß umsetzen
- Drucksache 16/5118 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ina Lenke, Carl-Ludwig Thiele, Sibylle Laurischk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Sofortprogramm für mehr Kinderbetreuung
- Drucksache 16/5114 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)
Innenausschuss
Finanzausschuss
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Die Tagesordnungspunkte 27 b und 30 werden abgesetzt. Können wir auch hierzu Einvernehmen feststellen? - Das sieht so aus. Ich bedanke mich. Dann ist das so beschlossen.
Nun kommen wir zu den Tagesordnungspunkten 4 a bis 4 h:
a) Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregierung
Klimapolitik der Bundesregierung nach den Beschlüssen des Europäischen Rates
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Kauch, Angelika Brunkhorst, Horst Meierhofer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Solares Unternehmertum in Deutschland - Herausforderungen annehmen, Chancen nutzen
- Drucksache 16/3355 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Kauch, Angelika Brunkhorst, Horst Meierhofer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Internationale und europäische Klimaschutzoffensive 2007
- Drucksache 16/4610 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
(f)
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Reinhard Loske, Hans-Josef Fell, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Stromeinsparung voranbringen
- Drucksache 16/4760 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Haushaltsausschuss
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Dr. Dagmar Enkelmann, Hans-Kurt Hill, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Nationales Sofortprogramm und verbindliche Ziele für den Klimaschutz festlegen
- Drucksache 16/5129 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
(f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Haushaltsausschuss
f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Reinhard Loske, Cornelia Behm, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Für eine radikale und konsequente Klimapolitik
- Drucksachen 16/3283, 16/4766 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Andreas Jung (Konstanz)
Frank Schwabe
Michael Kauch
Eva Bulling-Schröter
Dr. Reinhard Loske
g) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Lutz Heilmann, Hans-Kurt Hill, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Klares Signal für die Kyoto-II-Verhandlungen auf der UN-Klimakonferenz in Nairobi setzen
- Drucksachen 16/3026, 16/4767 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Andreas Jung (Konstanz)
Frank Schwabe
Michael Kauch
Eva Bulling-Schröter
Dr. Reinhard Loske
h) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (15. Ausschuss)
- zu dem Antrag der Abgeordneten Lutz Heilmann, Eva Bulling-Schröter, Dorothée Menzner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Trendwende beim Klimaschutz im Verkehr - Nachhaltige Mobilität für alle ermöglichen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Winfried Hermann, Dr. Reinhard Loske, Peter Hettlich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Wirksame Klimaschutzmaßnahmen im Straßenverkehr ergreifen
- Drucksachen 16/4416, 16/4429, 16/5135 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Andreas Scheuer
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 90 Minuten dauern. - Auch dazu höre ich keinen Widerspruch.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung erhält nun der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Sigmar Gabriel.
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Überschrift der heutigen Regierungserklärung der Bundesregierung lautet: Klimaagenda 2020.
Tatsächlich bedeutet die Umsetzung der europäischen Klimaschutzziele nichts weniger als den grundlegenden Umbau der Industriegesellschaft. Wenn wir für eine von 6,5 Milliarden Menschen auf über 9 Milliarden Menschen wachsende Weltbevölkerung bis zur Mitte dieses Jahrhunderts Güter und Dienstleistungen mit der halben Menge an Treibhausgasemissionen bereitstellen wollen, dann erfordert das einen Quantensprung in der Entwicklung der Industriegesellschaft. Wir müssen zum Beispiel die Energieeffizienz unserer Volkswirtschaft in Zukunft statt wie bisher um 1 Prozent jährlich um 3 Prozent pro Jahr steigern. Nur mit einer ambitionierten Steigerung der Energieeffizienz und einem massiven Ausbau der erneuerbaren Energien können wir die Klimaschutzziele erreichen.
Damit wird aber auch deutlich, dass es nicht um eine defensive Strategie oder gar um eine Verzichtsmoral gehen kann. Große Teile der Weltbevölkerung leben in Armut. Ihnen eine Verzichtsethik der Reichen im Norden zu empfehlen, würde dort als eine neue Form des Kolonialismus verstanden.
Wir müssen Forschung und Entwicklung vielmehr offensiver voranbringen, unsere Produktionsprozesse auf den Prüfstand stellen, neue Produkte und Dienstleistungen entwickeln und innovative Verkehrskonzepte erarbeiten. Hier sind wir in den letzten Jahren im internationalen Vergleich deutlich zurückgefallen. Während Japan heute pro Kopf über 30 Dollar für die Energieforschung einsetzt, liegen wir in Deutschland bei mageren 6,20 Dollar. Das muss sich ändern. Deshalb wird die Bundesregierung den Schwerpunkt Energieforschung weiter verstärken. Sie erwartet vor allen Dingen auch von der Wirtschaft ein vergleichbares Engagement.
Ich freue mich daher, dass die Kollegin Ministerin Schavan hier neue Schwerpunkte setzt und zudem ein breit angelegtes Klimaforschungsprogramm auflegt. Dafür stehen in den kommenden drei Jahren im Haushalt des BMBF 255 Millionen Euro zur Verfügung.
Zu den neuen Schwerpunkten gehören insbesondere die Abscheidung und Speicherung von CO2 bei Kohlekraftwerken. Nur so hat die Stromerzeugung aus Kohle in Deutschland, in China und weltweit langfristig eine Chance. Für diese Innovationsstrategien müssen wir auch die Idee des technischen Fortschritts neu entdecken, durch den nicht blind, sondern orientiert am Leitbild der nachhaltigen Entwicklung ein entscheidender Beitrag geleistet werden kann. Dieses Konzept ist also das Gegenteil von ?Weiter so!“. Es verkörpert den Wind of Change, den unser Land zum Erreichen der Klimaschutzziele braucht.
Für diesen Umbau der Industriegesellschaft brauchen wir vor allem die Menschen in unserem Land. Hier meine ich vor allem die jungen Menschen. Sie müssen wir wirklich begeistern. Auf ihre Talente, ihre Kreativität und ihr Engagement - das Engagement der jungen Generation in Deutschland - müssen wir setzen. Unsere Aufforderung muss deshalb lauten: Entwickelt neue Ideen, Konzepte, Technologien, Produkte und Verfahren, studiert Ingenieurwissenschaften, beteiligt euch an diesem Wettbewerb; denn euch gehört die Zukunft!
Meine Damen und Herren, die Staats- und Regierungschefs haben unter Führung der Bundeskanzlerin einen wirklich historischen Beschluss der EU über die zukünftige Klimapolitik gefasst. Mit diesem historischen Beschluss wird mit der Integration von Energie- und Klimapolitik erstmals Ernst gemacht und werden ambitionierte Klimaschutzziele mit weitreichenden Maßnahmen verknüpft.
Danach ist die Europäische Union bereit, die Treibhausgasemissionen bis 2020 im Vergleich zum Basisjahr 1990 um 30 Prozent zu vermindern, sofern andere Industrieländer zu vergleichbaren Minderungen bereit sind. Im Vorgriff auf internationale Verhandlungen verpflichtet sich die Europäische Union schon jetzt, die Emissionen um mindestens 20 Prozent zu senken. In dem Beschluss der EU werden neben diesen beiden Zielen auch die beiden wichtigsten Maßnahmen genannt: Bis 2020 soll die Energieeffizienz um 20 Prozent gesteigert werden, und der Anteil der erneuerbaren Energien am Primärenergieverbrauch soll bis zu diesem Zeitpunkt auf 20 Prozent gesteigert werden. Das ist ein anspruchsvolles und rundes Paket, das weltweit seinesgleichen sucht.
Das ist die Messlatte, die die Europäische Union angelegt hat und an der auch wir in Deutschland uns messen lassen müssen. Die harten Fakten zeigen, wie weit wir noch von diesen anspruchsvollen Zielen entfernt sind. Wir liegen heute in der Klimabilanz im Bereich der Treibhausgase gegenüber dem Basisjahr 1990 bei einem Minus von 18 Prozent. Keine Frage, das ist beachtlich. Kein anderes westliches Industrieland kann eine ähnlich positive Bilanz vorweisen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir im letzten Jahr um 0,7 Prozent zurückgefallen sind, statt uns weiter auf unser 21-Prozent-Ziel für das Jahr 2012 zuzubewegen. Wir sind heute noch 3 Prozent von unserem Klimaschutzziel für die Periode 2008 bis 2012 entfernt. Es fehlen uns etwa 37 Millionen Tonnen an eingesparten Treibhausgasen, um unseren Beitrag zum Kiotoprotokoll zu erbringen.
Die Ursachen liegen klar auf der Hand. Weder hat die deutsche Wirtschaft ihre Zusagen zum Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung erfüllt, noch war der Emissionshandel erfolgreich. Im Gegenteil: In der ersten Handelsperiode wurden zu viele Emissionsrechte an Energiewirtschaft und Industrie kostenlos verteilt, sodass der Zertifikatspreis heute bei ganzen 61 Cent liegt. Von einem solchen Preis gehen wahrlich keine Impulse zur Modernisierung der Stromversorgung und der industriellen Produktion aus.
Nun allerdings müssen wir mit unseren Beschlüssen Ernst machen; denn die neuen Ziele des Europäischen Rates weisen bereits weit über die Ziele des Kiotoprotokolls und das Jahr 2012 hinaus. Wenn die EU die Treibhausgase um 30 Prozent mindern will, muss Deutschland mehr erbringen. So steht es auch in der Koalitionsvereinbarung von SPD und CDU/CSU. Der Deutsche Bundestag hat deshalb zu Recht in seinem Beschluss vom November 2006 auf die Ergebnisse der Enquete-Kommission ?Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre“ verwiesen. Danach müsste Deutschland seine Treibhausgasemissionen im Vergleich zum Basisjahr 1990 bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent senken. Das bedeutet: Bisher ging es um eine Minderung von 21 Prozent in 22 Jahren, nämlich von 1990 bis 2012. Anschließend geht es um eine Reduktion um weitere 19 Prozent in acht Jahren bis 2020. Da liegt die Latte, da müssen wir hin.
Die Bundesregierung wird noch in diesem Jahr mit einem neuen Klimaschutzprogramm das Maßnahmenpaket auf den Weg bringen, mit dem die Beschlüsse der Europäischen Union umgesetzt werden sollen. Um bis 2020 eine 30-prozentige Reduktion der Treibhausgase zu erreichen, müssen die Emissionen im Vergleich zu heute um 147 Millionen Tonnen reduziert werden. Das reicht aber nicht. Eine Reduktion um 40 Prozent bedeutet dagegen eine Senkung des Ausstoßes von Treibhausgasen um 270 Millionen Tonnen gegenüber dem Niveau von 2006.
Erste Ergebnisse von Studien im Auftrag der Bundesregierung zeigen, dass das machbar ist. Die 270 Millionen Tonnen könnten danach bis 2020 in acht Maßnahmenbereichen erbracht werden: erstens Reduktion des Stromverbrauchs um 11 Prozent durch massive Steigerung der Energieeffizienz, das bringt eine Einsparung von 40 Millionen Tonnen; zweitens Erneuerung des Kraftwerkparks durch effiziente Kraftwerke: 30 Millionen Tonnen; drittens Steigerung des Anteils der Stromerzeugung durch erneuerbare Energien auf über 27 Prozent: 55 Millionen Tonnen; viertens Verdopplung der effizienten Nutzung der Kraft-Wärme-Kopplung auf 25 Prozent: 20 Millionen Tonnen; fünftens Reduktion des Energieverbrauchs durch Gebäudesanierung, effiziente Heizungsanlagen und Produktionsprozesse: 41 Millionen Tonnen; sechstens Steigerung des Anteils der erneuerbaren Energien im Wärmesektor auf 14 Prozent: 14 Millionen Tonnen; siebtens Steigerung der Effizienz im Verkehr und Steigerung des Anteils der Biokraftstoffe auf einen Anteil von 17 Prozent: 30 Millionen Tonnen, und achtens Reduktion der Emission von anderen Treibhausgasen, wie zum Beispiel Methan: 40 Millionen Tonnen.
Kein Zweifel: Dieses Maßnahmenpaket ist außerordentlich ehrgeizig, aber es ist machbar. Zum ersten Mal wird es bei der Umsetzung der Klimaschutzziele wirklich ernst. Meine Damen und Herren, wir müssen uns entscheiden!
Heute ist der Jahrestag der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl. Sicher wird Ihnen nicht entgangen sein, dass die Atomenergie in der Aufzählung der Maßnahmenpakete fehlt. Jeder weiß, dass es in der Koalition und auch in der Bevölkerung unterschiedliche Auffassungen zum Thema Kernenergie gibt. Ich bin mir aber mit EU-Kommissar Piebalgs, der im Gegensatz zu mir ein Befürworter der Kernenergie ist, einig, dass die zentralen Handlungsfelder für Versorgungssicherheit und Klimaschutz Energieeffizienz und erneuerbare Energien sind. Piebalgs erklärte dazu:
Atomkraft ist nicht die Antwort auf alle Fragen etwa zum Schutz der Erdatmosphäre. … Wichtiger sind verstärkte Anstrengungen, Energie einzusparen und erneuerbare Energien auszubauen.
Ich kann Herrn Piebalgs nur recht geben: Die Kernenergie zum archimedischen Punkt der Energiepolitik und des Klimaschutzes zu machen, hat mit der Realität nichts zu tun.
Natürlich werden wir darüber auch weiterhin lustvoll streiten. Aber weit mehr als 90 Prozent dessen, was wir zur Lösung der Probleme tun müssen, liegt jenseits der mitunter recht lauten Pro-und-Kontra-Debatte zur Kernenergie.
Lassen Sie mich einen anderen neutralen Beobachter der Szene, Horst Köhler, unseren Bundespräsidenten, zitieren:
Mir sind … keine ernstzunehmenden Stimmen bekannt, die ihr Eintreten für die Atomkraft damit begründen, darin liege das allumfassende Patentrezept zur langfristigen Lösung des Klimaproblems. Aus meiner Sicht brauchen wir einen ausgewogenen Energiemix, und dazu brauchen wir vor allem eine Strategie zum weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien und der massiven Verbesserung der Energie-Effizienz. Und nicht zuletzt: Wir müssen sparsamer mit der vorhandenen Energie umgehen.
Meine Damen und Herren, wenn wir uns in Zukunft in diesem Bewusstsein konstruktiv über Energie und Klima streiten, dann sind wir in unserem Land schon einen riesigen Schritt vorangekommen.
Eines sind die Maßnahmen jedenfalls nicht: zu teuer. Im Gegenteil: Dieses Programm ist gut für Wirtschaft, Umwelt und Beschäftigung. Es werden Jobs in den Zukunftsbranchen geschaffen. Unsere Wirtschaft wird für den internationalen Wettbewerb um knappe Ressourcen fit gemacht. Schon heute finden 214 000 Menschen Arbeit und Einkommen in der Branche der erneuerbaren Energien. Vor wenigen Monaten haben wir mit dieser Branche die Schaffung von 5 000 zusätzlichen Ausbildungsplätzen in den kommenden zwei Jahren vereinbart. Das ist eine echte deutsche Erfolgsstory.
Natürlich kostet der Klimaschutz Geld. Aber auch für den Klimaschutz gilt: Die Investitionen von heute sind die Arbeitsplätze von morgen. Vor allem aber bedeutet Investition in den Klimaschutz Sicherheit vor den Zerstörungen des ungebremsten Klimawandels. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung errechnete die wirtschaftlichen Folgeschäden eines ungebremsten Klimawandels in Deutschland: Sie belaufen sich auf 137 Milliarden Euro bis zur Mitte dieses Jahrhunderts. Demgegenüber schätzt das BMU die Mehrkosten im Bundeshaushalt für diese Klimaschutzinvestitionen bis zum Jahre 2010 auf rund 3 Milliarden Euro. Ich finde, das ist vergleichsweise preiswert.
Ich kann und will den Entscheidungen zum Haushalt nicht vorgreifen; aber sie müssen in diesem Jahr fallen. So muss die Nutzung der Wärme aus erneuerbaren Energien massiv aufgestockt werden.
Eines ist klar: Wir stehen auch hier vor weitreichenden Entscheidungen, wenn wir es mit dem Klimaschutz wirklich ernst nehmen. So werden wir das Ordnungsrecht konsequent für den Klimaschutz einsetzen. Das gilt beispielsweise für die Anforderungen an die Energieeffizienz von Gebäuden.
Das Ordnungsrecht stößt aber auch an Grenzen, etwa bei der Sanierung von Altbauten, lieber Kollege, zum Beispiel bei Menschen, die nicht sehr viel Geld in der Tasche haben.
Deshalb brauchen wir sicher zusätzliche Haushaltsmittel. Allerdings gibt es auch Vorschläge zur Gegenfinanzierung: Ist es eigentlich sinnvoll und gerecht, dass nach Recherchen der Deutschen Umwelthilfe inzwischen drei von vier der großen Geländefahrzeuge mit sehr hohem Spritverbrauch als Dienstkraftfahrzeuge vom Steuerzahler subventioniert werden? So viele Revierförster und Landwirte wird es unter den Käufern dieser CO2-Schleudern wohl kaum geben.
Wir haben uns darauf verständigt, dass wir diese Frage in der Regierung prüfen wollen.
- Ich lese das vor, was wir in der Regierung vereinbart haben, Herr Kollege. So ist das.
Der Schlüssel für einen erfolgreichen Klimaschutz liegt in der Energiewirtschaft. Dafür nutzen wir den europäischen Emissionshandel. Der Emissionshandel ist ein marktwirtschaftliches Instrument. Er gibt der Übernutzung der Umwelt einen Preis. Bislang werden die Gewinne aus dieser Übernutzung und Zerstörung privatisiert, die Kosten für die Beseitigung der Folgen von Stürmen, Verwüstung und Überflutungen dagegen sozialisiert. Nun hat das Emissionszertifikat seinen Preis und geht in die betriebswirtschaftliche Kalkulation ein.
Der Anteil der Energiewirtschaft an den gesamten Treibhausgasemissionen in Deutschland beträgt 40 Prozent. Seit 1999 haben die Emissionen in diesem Sektor um über 30 Millionen Tonnen zugenommen. Daran sieht man, dass die bisher in diesem Sektor getroffenen Maßnahmen nicht ausreichend wirksam waren. So hat der erste Allokationsplan lediglich eine Senkung von 2 Millionen Tonnen CO2 zum Ziel gehabt.
Die Bundesregierung hat hier grundlegend umgesteuert. Mit dem vergangene Woche im Bundeskabinett beschlossenen Zuteilungsgesetz 2012 wird die verfügbare Emissionsmenge der Kraftwerke drastisch um 57 Millionen Tonnen abgesenkt. Dabei räume ich freimütig ein, dass wir auf diesem Weg in der Auseinandersetzung mit der Europäischen Union gemeinsam eine gewaltige Lernkurve hinter uns gebracht haben. Ich glaube, das gilt für alle, die an diesem Prozess beteiligt sind.
Wir werden dabei nicht stehen bleiben. Nach 2012 wird Europa die Emissionsmenge weiter absenken, um die gesteckten Ziele auch wirklich zu erreichen. Um Windfall-Profits zu vermeiden, ist aber die Versteigerung der Emissionszertifikate das einzig Vernünftige. Ob und wie weit wir bereits ab dem kommenden Jahr 10 Prozent versteigern werden, muss der Deutsche Bundestag im Rahmen seiner Debatte um das Zuteilungsgesetz 2012 entscheiden. Gründe dafür gibt es viele; noch viel größer ist der Finanzierungsbedarf im Klimaschutz.
Nun muss es darum gehen, den europäischen Emissionshandel zu einem wirklich europäischen Instrument zu machen. Wir brauchen mehr Transparenz über die Verfahren und die Festlegung der Emissionsbudgets. Die Allokationsregeln müssen in den 27 Mitgliedstaaten harmonisiert werden, und der Flugverkehr soll in wettbewerbsneutraler Weise in den EU-Emissionshandel einbezogen werden.
Bei der Stromerzeugung ist der massive Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung die wichtigste Maßnahme. Die kombinierte Erzeugung von Strom, Wärme und vielfach auch Kälte nutzt Energieträger am effizientesten. Entscheidend kommt es darauf an, über Nah- und Fernwärmenetze anfallende Wärme zu nutzen. Deshalb müssen wir den Ausbau der Nah- und Fernwärmenetze stärker fördern. Unser Ziel ist es, den KWK-Anteil von heute rund 10 Prozent bis 2020 in etwa zu verdoppeln. Wenn wir die bisherige Förderung der Bestandsanlagen auf neue und hocheffiziente Anlagen umschichten, erreichen wir dadurch bis 2020 eine Verminderung der CO2-Emissionen um rund 20 Millionen Tonnen.
Aber machen wir uns nichts vor: Wir können bis auf Weiteres nicht auf den Einsatz von Kohle für die Stromerzeugung verzichten. Bis Dezember 2012 werden drei große Braunkohlekraftwerke, sechs Steinkohlekraftwerke und sieben Gaskraftwerke mit einer Gesamtleistung von 12 000 Megawatt gebaut. Der Ersatz der ineffizienten Anlagen bringt eine massive Entlastung für den Klimaschutz. Die neuen Kraftwerke haben einen so viel höheren Wirkungsgrad, dass der Atmosphäre bis zu 42 Millionen Tonnen Kohlendioxid im Jahr erspart werden können.
Wer hier allein auf Gas setzt, fährt im Übrigen eine Risikostrategie. Gas nutzen wir heute nur zu 10 Prozent für die Stromerzeugung; Braunkohle und Steinkohle machen 50 Prozent unseres Strommarktes aus. Wollte man Kohle durch Gas ersetzen - was gelegentlich auch hier im Hause gefordert wird -, müsste der Gaseinsatz ungefähr verfünffacht werden. Das sind drei Viertel des gesamten Erdgaseinsatzes in Deutschland und entspricht - um einen plakativen Vergleich zu wählen - dem Gasverbrauch eines Jahres von Italien.
So viel Gas ist am Markt nicht verfügbar, und es hätte zudem erhebliche Auswirkungen auf den Strompreis.
Genauso klar sage ich aber auch, dass es unter den Bedingungen des Emissionshandels für die Verstromung von Braunkohle und Steinkohle klare Grenzen gibt. Dies ergibt sich aus der fortschreitenden Verknappung der Emissionsrechte. Das Horrorgemälde von 29 oder 40 neuen Kohlekraftwerken entbehrt jeder Grundlage.
Um die europäischen Klimaschutzziele zu erreichen, werden wir in der dritten Handelsperiode - also zwischen 2012 und 2020 - das Emissionsbudget für die Energiewirtschaft gegenüber dem jetzigen Emissionsbudget nochmals deutlich absenken. Nach 2012 gibt es für die neuen Kohlekraftwerke nur drei Alternativen: Entweder wird CO2 abgeschieden und gespeichert - das planen RWE und Vattenfall - oder die EVU kaufen an der Börse die benötigten CO2-Zertifikate oder es werden über Klimaschutzprojekte im Ausland Emissionsrechte erworben.
Entsprechend dem Beschluss des Europäischen Rates sind die drastische Steigerung der Energieeffizienz und der massive Ausbau der erneuerbaren Energien die richtige Doppelstrategie. Auf diesem Weg machen wir in Deutschland schon jetzt Fortschritte. In wenigen Jahren haben wir den Anteil der erneuerbaren Energien in der Stromerzeugung verdoppelt. Schon heute erzeugen sie in Deutschland so viel Strom wie der Energieversorger EnBW. In zehn Jahren werden sie Eon überrunden. Das ist der Siegeszug der erneuerbaren Energien, der auch nicht aufgehalten wird.
Das Ziel der Europäischen Union, bis 2020 den Anteil der erneuerbaren Energien an der eingesetzten Primärenergie auf 20 Prozent zu steigern, bedeutet für Deutschland, dass wir den Anteil der erneuerbaren Energien vervielfachen müssen. Das bisherige Ausbauziel Deutschlands unter der Vorgängerregierung lag übrigens bei 10 Prozent. Nun müsste auf Basis europäischer und deutscher Gutachten der deutsche Anteil auf 16 Prozent steigen, um den verabredeten durchschnittlichen Anteil von 20 Prozent am Primärenergiebedarf Europas erreichen zu können.
Was heißt das für den Strombereich? Wir werden den Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung von heute 12 Prozent deutlich steigern. Die Leitstudie des BMU zeigt, dass wir bis 2020 einen Anteil von 27 Prozent erreichen können. Bislang lag das Ziel im Stromsektor bei nur 20 Prozent.
Der schlafende Riese der erneuerbaren Energien ist der Wärmemarkt. Hier besteht der größte Nachholbedarf. Unser Ziel ist es, den Anteil der erneuerbaren Energien an der Erzeugung von Wärme und Kälte von heute 6 Prozent bis 2020 mindestens zu verdoppeln.
In einem Wärmegesetz werden wir festlegen, dass bei Neubauten und der grundlegenden Sanierung von Altbauten ein bestimmter Anteil des Wärmebedarfs aus erneuerbaren Energien erzeugt werden muss. Eine Gesetzesinitiative des Landes Baden-Württemberg verfolgt einen vergleichbaren Weg und schlägt einen Anteil von 20 Prozent am Wärmebedarf aus erneuerbaren Energien vor. Wir wollen dabei eine intelligente und kostengünstige Verknüpfung mit Maßnahmen zur Energieeffizienz schaffen. Ferner brauchen wir für Altbauten eine massive und langfristig verlässliche Aufstockung der Fördermittel. Dazu wird die Bundesregierung noch 2007 die notwendigen Entscheidungen treffen.
Mit der Klimaschutzstrategie der Bundesregierung verbinden sich für unser Land enorme wirtschaftliche Chancen, die viele leider noch gar nicht wahrnehmen. Wir sollten uns das Ziel setzen, Deutschland zur energieeffizientesten Volkswirtschaft der Welt zu machen.
In Zukunft wird die Energieproduktivität eines Landes ganz maßgeblich die internationale Wettbewerbsfähigkeit bestimmen. Modernste Steuer-, Mess- und Regeltechniken, die die Energieeffizienz von Kraftwerken, Maschinen, Heizungen und Autos steigern, bieten langfristig Beschäftigungsmöglichkeiten für Ingenieure und Facharbeiter. Es liegt an uns, dass wir den Ordnungsrahmen und die wirtschaftlichen Anreize so setzen, dass die mit einem aktiven Klimaschutz verbundenen wirtschaftlichen Chancen genutzt werden. Deutschland hat die Chance, auf den Leitmärkten der Zukunft die führende Rolle zu spielen. Wir wollen diese Chance nutzen.
Damit sich die Leitmärkte in diese Richtung entwickeln, brauchen wir klare Rahmenbedingungen. In einem funktionierenden europäischen Binnenmarkt ist es die Aufgabe der Europäischen Union, anspruchsvolle Standards zur Energieeffizienz zu setzen und Vorgaben dafür zu machen - bei den Elektrogeräten im Haushalt, bei elektrischen Antrieben in der Industrie und bei der öffentlichen Straßenbeleuchtung ebenso wie im Automobilverkehr. Schon die Senkung des Stromverbrauchs um 11 Prozent durch effizientere Geräte sorgt für Minderungen der CO2-Emissionen in Höhe von 40 Millionen Tonnen in unserem Land.
Die Bundesregierung wird sich in der Europäischen Union dafür einsetzen, dass die Entscheidungsverfahren beschleunigt werden und für alle Produktgruppen verbindliche Effizienzstandards zügig festgelegt werden. Diese Standards müssen sich an den besten der am Markt befindlichen Produkte orientieren. Aber auch Bund, Länder und Gemeinden haben hier eine zentrale Aufgabe. Die öffentliche Hand fragt jährlich Güter und Dienstleistungen in Höhe von 250 Milliarden Euro nach. Das sind 13 Prozent des Bruttosozialprodukts. Die Bundesregierung wird deshalb mit gutem Beispiel vorangehen und die Anforderungen an die Beschaffung energieeffizienter Produkte neu gestalten. Damit soll neben den Anschaffungskosten der Energieverbrauch stärker berücksichtigt werden.
Trotz des heutigen Stands der Technik sind die meisten Gebäude energetisch gesehen löchrig wie ein Schweizer Käse. Mit gut sanierten Gebäuden und moderner Heiztechnik können die Bundesbürger ihre Heizkosten im Durchschnitt mehr als halbieren. Wir wollen die jährliche Sanierungsrate der Gebäude auf der Basis anspruchsvoller Energieeffizienzstandards verdoppeln. Die Bundesregierung wird mit der Änderung der Energieeinsparverordnung die Anforderungen an die Energieeffizienz von neuen und sanierten Gebäuden um durchschnittlich 30 Prozent verschärfen. In einer zweiten Stufe werden die Anforderungen nochmals in der gleichen Größenordnung angehoben.
Rund ein Viertel des Energieverbrauchs entfällt auf den Verkehr. Die höchsten Zuwachsraten hat der Flugverkehr. Die Bundesregierung unterstützt deshalb die wettbewerbsneutrale Einbeziehung des Flugverkehrs in den europäischen Emissionshandel.
Die Senkung des Kraftstoffverbrauchs bei den Kraftfahrzeugen steht für die Bundesregierung ganz oben auf der Tagesordnung.
- Ja, Frau Kollegin, das haben Sie hoffentlich gemerkt, wenn Sie gelesen haben, was wir beschlossen haben. Sie sollten nicht nur das, was Sie selber immer vorlesen, wiederholen.
Die Kfz-Steuer soll so geändert werden, dass in Zukunft nicht der Hubraum, sondern die CO2-Emissionen der Maßstab für die Steuern sind. Die Schadstoffabhängigkeit bleibt im Übrigen erhalten.
Nun zu Frau Kollegin Künast und ihrem Zwischenruf: Auf europäischer Ebene betreibt die Bundesregierung aktiv die Diskussion um Obergrenzen für die CO2-Emissionen von Kraftfahrzeugen voran.
Wir stehen zu dem Ziel der Kommission, Frau Kollegin, bis zum Jahr 2012 im Durchschnitt der europäischen Kfz nur noch 120 Gramm CO2 pro Kilometer zuzulassen.
Das Nichterreichen der Selbstverpflichtung der europäischen Autoindustrie darf nicht folgenlos bleiben. Den Großteil dieser CO2-Verringerung wollen wir durch Fahrzeug- und Motorentechnik erreichen, einen kleineren Anteil von bis zu 10 Gramm allerdings zusätzlich durch die Verpflichtung, den Kraftstoffen Biokraftstoffe beizumischen. Das, Frau Kollegin, dient vor allem dazu, einen marktwirtschaftlichen Anreiz für Investitionen der Automobilindustrie und der Mineralölindustrie in Bioraffinerien für synthetische Kraftstoffe zu schaffen. Nur diese synthetischen Kraftstoffe werden uns langfristig wirklich weg vom Öl bringen, ohne dass wir dadurch in Konkurrenz zum Nahrungsmittelanbau treten würden. Ihre Strategie, Frau Kollegin, liefe darauf hinaus, dass das alles der Bundeshaushalt bezahlen soll. Das werden wir nicht können. Wenn wir die Bioraffinerien durchsetzen wollen, brauchen wir einen marktwirtschaftlichen Anreiz, und den schaffen wir mit dieser Strategie der Begrenzung auf 120 Gramm.
Die Bahn hat von allen Verkehrsträgern die beste Klimabilanz. Wer von Berlin nach München reist, verursacht mit einer Bahnfahrt 33 Kilogramm CO2, mit dem Auto das Dreifache; mit dem Flugzeug entfachen wir auf dieser Strecke eine Klimawirkung von fast dem Fünffachen. So stellt sich vor diesem Hintergrund natürlich auch die Frage, wie wir die Wettbewerbsfähigkeit der Bahn zu den anderen Verkehrsträgern unter Klimagesichtspunkten verbessern können. Die Bekämpfung des Klimawandels und der damit verbundene notwendige Umbau der Industriegesellschaft können nur gelingen, wenn die Bundesregierung insgesamt, aber auch Länder und Kommunen sowie die Akteure in Wirtschaft und Gesellschaft dafür ihren Teil der Verantwortung übernehmen.
Aber auch die Bürgerinnen und Bürger können mit ihrem Verhalten ganz maßgeblich zum Klimaschutz beitragen. Energiesparen ist so einfach und lohnt sich. Wenn wir kurz und kräftig die Wohnung lüften, sparen wir Heizenergie. Ziehen wir nachts den Stecker eines Gerätes, das nur eine Stand-by-Schaltung hat, sparen wir Strom. Ganz entscheidend können wir den Stromverbrauch senken, wenn wir beim Kauf von Elektrogeräten auf den Energieverbrauch achten.
Meine Damen und Herren, Deutschland ist das größte Industrieland in Europa. Im Ausland wird genau verfolgt, inwieweit es uns gelingt, einen ambitionierten Klimaschutz mit wirtschaftlichem Wachstum und wirtschaftlicher Entwicklung zu verknüpfen. Deshalb sollten wir bei diesem Prozess Schrittmacher und Innovationstreiber sein.
Kein Industrie- und erst recht kein Schwellenland wird bei einem neuen Klimaschutzabkommen mitmachen, wenn dies Wohlstandsverzicht bedeuten würde. Umgekehrt: Wenn wir erfolgreich sind, bedeutet dies den maximalen Schub für die internationalen Verhandlungen zum Klimaschutz. Dieser ist auch dringend notwendig. Bei der Klimakonferenz im Dezember in Bali muss der offizielle Startschuss für die umfassenden Verhandlungen erfolgen. Nur wenn diese Verhandlungen rechtzeitig bis 2009 abgeschlossen werden können, kann das Folgeabkommen zum Kiotoprotokoll 2013 in Kraft treten.
Dafür kommt es entscheidend darauf an, dass die USA und die anderen Industrieländer, aber auch die Schwellenländer mitmachen. Wenn es gelingt, die Blockade zwischen den USA und einigen Industrieländern einerseits und den Schwellenländern andererseits aufzubrechen, stehen die Chancen dafür nicht schlecht. Ich bin sehr optimistisch.
Schon heute verlassen viele Millionen Menschen ihre Heimat auf der Suche nach Wasser und Weideland. Bewaffnete Konflikte um den Zugang zu Energie und Wasser bedrohen deshalb in nie da gewesener Weise den Weltfrieden. Wir brauchen aus diesem Grund eine weltweite Sicherheitspartnerschaft, wie sie der deutsche Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier auf der Münchener Sicherheitskonferenz gefordert hat.
Die Folge einer solchen Partnerschaft wird die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen für die Kinder und Enkelkinder aller heute auf der Welt lebenden Menschen sein. Für viele Länder, die schon heute unter Trockenheit und Wassermangel zu leiden haben oder vom Anstieg des Meeresspiegels bedroht sind, geht es um die nackte Existenz. Wenn wir den Entwicklungsländern bei der Anpassung an den Klimawandel wirksam helfen, verhindern wir übrigens auch, dass Millionen Menschen auf der Suche nach Wasser und Brot ganze Regionen destabilisieren. In diesem Zusammenhang werden wir innovative Finanzierungsinstrumente, wie sie in Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden bereits existieren, prüfen. Die Einnahmen können und müssen dann für Klimaschutzmaßnahmen in Entwicklungsländern verwendet werden.
Die Bundesregierung hat für den bevorstehenden G-8-Gipfel in Heiligendamm, zu dem auch die großen Schwellenländer eingeladen sind, Klima und Energie zu einem wichtigen Schwerpunkt gemacht. Lassen Sie mich an dieser Stelle der Bundeskanzlerin ganz herzlich dafür danken, dass sie es geschafft hat, das Thema Klimaschutz auf die internationale politische Agenda ganz weit vorne zu platzieren.
Unsere gemeinsame Aufgabe - bei allem Streit über das eine oder andere Instrument - wird es sein, sich dieser historischen Dimension der globalen Menschheitsherausforderung des Klimawandels bewusst zu sein und jetzt konsequent zu handeln. Noch nie waren die Zeiten für eine konsequente Klimaschutzpolitik so günstig wie heute. Noch nie war die internationale Staatengemeinschaft so entschlossen und geschlossen für entschiedenes Handeln. Noch nie waren die Menschen so bereit, mitzumachen; denn sie sehen die Vorteile für ihr Budget und ihre Lebensqualität und haben Sorge um ihre Kinder und Enkelkinder. Noch nie waren die wirtschaftlichen Chancen so günstig für eine exportorientierte Industrienation wie Deutschland, deren Unternehmen auf den mit Klimaschutz orientierten Märkten bestens aufgestellt sind.
Diesen Schwung, diese Stimmung sollten wir nutzen im Interesse unseres Landes und der Menschen, die hier leben und arbeiten.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Kollege Michael Kauch für die FDP-Fraktion.
Michael Kauch (FDP):
Herr Minister, ich danke Ihnen sehr herzlich für das sehr textsichere Verlesen der Regierungserklärung. Ich finde es schon sehr bemerkenswert, dass Sie an keinem Punkt von Ihrem Redemanuskript abgewichen sind, dessen Inhalt offensichtlich in mühsamer Kleinarbeit von den Beamten der Regierung abgestimmt wurde. Das zeigt, wie gering die Einigkeit in der Koalition in dieser Frage ist.
Auch ansonsten bin ich etwas enttäuscht von dem, was Sie hier vorgetragen haben. Es wurde angekündigt, dass eine Roadmap für neue Maßnahmen von der Regierung vorgelegt würde. Das war ganz geheim; man konnte von Ihrem Ministerium vorher keine Informationen dazu bekommen. Nach der Regierungserklärung frage ich mich, was Sie hier eigentlich vorgetragen haben. Sie haben keine Maßnahmen, sondern nur Ziele erwähnt.
Keine einzige der in der Koalition strittigen Fragen wurde an dieser Stelle beantwortet. Nichts Neues in diesem Bereich.
Ich nehme einmal das Beispiel Energieeffizienz. Sie haben uns gesagt, Deutschland müsse das energieeffizienteste Land der Welt werden. Das steht schon im Indikatorenbericht zur nationalen Nachhaltigkeitsstrategie, den Ihre Staatssekretärin uns gestern erklärt hat. Daraus geht zum Beispiel hervor, dass wir im Bereich der Energieeffizienz so weit von den Zielen der Nachhaltigkeitsstrategie entfernt sind wie in keinem anderen Bereich. Dazu kann ich nur sagen: Seit 1998 regiert die SPD mit in diesem Land. Sie haben diese Politik offensichtlich mit zu verantworten.
Es ist schon bemerkenswert, welche Punkte noch nicht geklärt worden sind. Sie haben gesagt, Sie wollen die KWK ausbauen und damit - ich glaube, Sie habe diese Zahl genannt - 25 Millionen Tonnen CO2 jedes Jahr einsparen. Wo ist denn der Entwurf der Koalition für eine Anschlussregelung bei der Kraft-Wärme-Kopplung? Dazu haben Sie heute nichts gesagt. Für den Bereich der erneuerbaren Energie haben Sie Ziele genannt. Aber was ist denn das Konzept der Koalition in diesem Bereich? Auch dazu Fehlanzeige in dieser Regierungserklärung.
Ich will auf die Kernenergie an dieser Stelle nicht detailliert eingehen. Wir wissen, dass Sie in diesem Punkt nicht einig sind.
All das würde uns als Opposition im Zweifel erfreuen, wenn es nur um die Koalition ginge. In dieser Frage geht es aber um unser Land und unsere Erde. An dieser Stelle muss die Koalition in einer Regierungserklärung schon mehr vorlegen als Überschriften für Ziele.
Dennoch bin ich froh, dass wir heute hier ausgiebig über dieses Thema diskutieren werden; denn nach den Berichten des IPCC haben wir eine Medienwelle erlebt, in deren Rahmen sich manche Kollegen mit populistischen und völlig unsystematischen Vorschlägen geradezu überboten haben. Hier die Glühbirne, dort der Urlaubsflug nach Mallorca - jeden Tag hat man eine neue Klimasau durchs Dorf gejagt und einen neuen Wettbewerb um neue Verbotsvorschläge eröffnet.
Meine Damen und Herren, wenn wir so Politik betreiben, wecken wir bei den Bürgern tatsächlich Zweifel an der Problemlösungskompetenz der Politik.
Um keinen Zweifel zu lassen: Die FDP ist der Meinung, dass die sehr schnelle globale Erwärmung eine Bedrohung für die Natur und für die Wirtschaft darstellt. Deshalb muss jetzt gehandelt werden. Wir wollen mehr Klimaschutz. Wir wollen ihn aber nicht vorrangig mit Verboten, sondern mit Anreizen schaffen, und zwar nicht durch die nationale Brille, sondern im globalen Kontext. Die FDP steht für eine Klimapolitik, die auf Technologie und Innovation setzt und nicht auf nationale Verzichtsideologien.
Die einseitige Verpflichtung der Europäischen Union, bis 2020 mindestens 20 Prozent CO2 einzusparen, war ein Zwischenschritt. Das war kein historischer Beschluss, Herr Minister. Es ist aber ein wichtiger Zwischenschritt auf dem richtigen Weg.
Die eigentliche Bewährungsprobe für die Bundeskanzlerin kommt noch, nämlich auf dem G-8-Gipfel in Heiligendamm. Nur wenn es gelingt, die USA, Indien und China tatsächlich in Konzepte für den globalen Klimaschutz einzubinden, werden wir reale Fortschritte im Kampf gegen den Klimawandel erreichen können.
Meine Damen und Herren, wir Liberale wollen einen globalen Kohlenstoffmarkt in allen Ländern und in allen Sektoren. Das ist die Vision, auf die wir hinarbeiten.
Herzblut und Betroffenheit reichen in der Klimadebatte nicht mehr aus. Wir müssen endlich mehr wirtschaftlichen Sachverstand in die Debatte bringen. Pro eingesetzten Euro muss so viel Treibhausgas wie möglich vermieden werden.
Wir sollten die Emissionshandelssysteme, die derzeit in den USA entstehen, mit unserem europäischen Emissionshandel verbinden.
Ich fordere die Bundesregierung auf, endlich mehr für Klimaschutzprojekte in Entwicklungsländern zu tun. Die Vorbehalte vieler Politiker - auch im Umweltausschuss - gegen so genannte CDM-Projekte müssen ein Ende haben.
Auch die vergleichsweise kostengünstige Aufforstung, die zur Bindung von CO2 in den Wäldern führt, muss endlich zu einer Priorität der deutschen Klimapolitik werden. Ich finde es höchst bedauerlich, dass die Koalition in diesem Zusammenhang zwar schöne Worte für die Forstwirtschaft findet, den Antrag der FDP, den deutschen Wald für den Klimaschutz zu nutzen, aber ohne Alternativen ablehnt. Dasselbe geschah gestern im Zusammenhang mit dem internationalen Emissionshandel im Bereich des Luftverkehrs. So können Sie Politik nicht gestalten.
Meine Damen und Herren, wir brauchen eine Innovationsoffensive in Deutschland und auf G-8-Ebene. Wir müssen erneuerbare Energien vorantreiben. Wir müssen Energieeffizienz vorantreiben. Wir brauchen aber auch ökologisch und ökonomisch tragfähige Übergangstechnologien.
Deshalb muss die Bundesregierung endlich ein Konzept vorlegen und darf sich nicht darauf beschränken, hier anzukündigen, wie sie denn beispielsweise die CO2-Abscheidung für Kohlekraftwerke tatsächlich voranbringen will.
Auf keine einzige Anfrage der FDP-Fraktion gibt es hier eine Antwort. Vor dem Hintergrund, dass in China alle zehn Tage ein Kohlekraftwerk gebaut wird, wäre es aber fahrlässig, in Deutschland die Entwicklung moderner Technologien zu verschlafen; denn die Kohle, die in Chinas Erde liegt, wird verbrannt werden. Die Frage ist, mit welcher Technologie das geschehen wird. Ich möchte, dass es mit deutscher Technologie geschieht, damit wir an dieser Stelle zu sauberen Ergebnissen kommen.
Meine Damen und Herren, auch in einem weiteren Punkt brauchen wir Realismus. Langfristig ist der Ausstieg aus der Kernenergie möglich. Mittelfristig schadet ein solcher Ausstieg dem Klima. Eine Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke wäre deshalb sinnvoll. Wir brauchen die Kernenergie so lange, wie erneuerbare Energien oder CO2-freie Kohlekraftwerke eben nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen.
Meine Damen und Herren, es stellt sich auch immer wieder die Frage, inwieweit die Bundesregierung eigentlich die Ziele, die sie uns hier vorträgt, ernst nimmt. Nehmen wir uns einmal das Thema Emissionshandel vor. Hierzu hat der Minister gesagt: Ja, im Rahmen des Nationalen Allokationsplans I hatten wir zu viele Zertifikate ausgegeben, und deshalb liegt der Preis für diese jetzt im Centbereich. Herr Minister, Sie mögen ja vergleichsweise neu im Amt sein, aber es ist doch auch hier vor dem Hintergrund, dass die SPD seit 1998 regiert, zunächst zusammen mit den Grünen, die Frage zu stellen, wer denn dafür verantwortlich ist, dass der Nationale Allokationsplan in dieser Art und Weise aufgelegt wurde. Wer hat denn zu verantworten, dass der Markt am Schluss zusammengebrochen ist?
Es ist Ihre Partei gewesen, die hierfür die Verantwortung trägt.
Wenn man sich vor Augen führt, was die Bundesregierung mit dem aktuellen Emissionshandelsplan vorhatte, dann kann man nur sagen: Gut, dass es die Europäische Kommission gibt. Sie hat nämlich verhindert, dass wir dieses Spiel mit zu vielen Zertifikaten noch ein weiteres Mal erleben. Nur die Europäische Kommission hat hier eine Veränderung bewirkt, nicht die Bundesregierung.
Angesichts dessen, dass der Minister es jetzt als großen Erfolg feiert, dass er sich gegen den Wirtschaftsminister durchgesetzt habe und es keine Sonderbenchmark für die Braunkohlekraftwerke gibt, sollte man sich auch einmal das Kleingedruckte anschauen. Sie haben eine Hintertür vorgesehen: Über die Stundenzahl, die für die Kraftwerke angerechnet wird, werden den Braunkohlekraftwerken weiterhin mehr Emissionszertifikate geschenkt als den Steinkohlekraftwerken.
Sie legen uns hier eine Mogelpackung vor. Genauso ist es eine Mogelpackung, wenn Sie uns einen Plan vorlegen, nach dem Kohlekraftwerke mehr als die doppelte Anzahl an Zertifikaten als Gaskraftwerke geschenkt bekommen. Das hat nichts mit Markt und freiem Handel zu tun, sondern ausschließlich mit Lobbyarbeit, die bei der SPD in dieser Frage ganz besonders erfolgreich war.
Ich finde es erfreulich, aber auch bemerkenswert, wenn der Minister, der uns in diesem Parlament noch vor wenigen Monaten auf unsere penetranten Nachfragen erklärte, eine Versteigerung von 10 Prozent der Zertifikate sei schlecht für die Verbraucher und auch sonst von Übel, und uns demzufolge auch einen Allokationsplan vorlegte, in dem wiederum keine Versteigerung vorgesehen war, heute aber kurz vor der Debatte in der ?Zeit“ verlautbaren lässt: Er hofft auf die Parlamentarier der Koalition, dass sie jetzt die Versteigerungsmöglichkeit durchsetzen. Herr Minister, warum können Sie sich denn nicht im Kabinett durchsetzen, wenn Sie das inzwischen für richtig halten? Das zeugt doch von einer ziemlich schwachen politischen Position.
Der Ball liegt jetzt bei Ihnen, liebe Abgeordnete von der Koalition. Sie haben es in der Hand. Sie können jetzt eine Teilversteigerung der Zertifikate beschließen. Ich hoffe, dass Sie das auch tun werden und dass Sie den Erlös für die Senkung der Stromsteuer verwenden und damit nicht, wie es der Minister gerade andeutete, neue Einnahmen für Herrn Steinbrück generieren.
Meine Damen und Herren, wir haben in dieser Debatte auch noch eine Reihe von Anträgen zu beraten, auf die ich hier jetzt nur kursorisch eingehen kann. Ich möchte es aber doch an einer Stelle tun. Am Samstag startet bundesweit die ?Woche der Sonne“. Die FDP hat schon vor vielen Monaten, also nicht erst zu dieser Aktionswoche, einen Antrag zum solaren Unternehmertum in Deutschland vorgelegt, den wir heute hier auch debattieren. Damit wollen wir deutlich machen, welche Potenziale für die Solarindustrie in Deutschland bestehen und in welchen Bereichen wir eine Technologieführerschaft besitzen. Wir fokussieren die Förderung, die es hierfür gibt, seit Jahren auf in Deutschland erzeugten Strom aus Solarenergie, wohl wissend, dass das Kosten-Nutzen-Verhältnis bei einem Einsatz in anderen Ländern viel besser wäre. Deshalb fordern wir, endlich die Auslandsmärkte in den Blick zu nehmen. Nur so können wir die Technologieführerschaft in der Solarenergie behalten und zugleich noch etwas für den Klimaschutz tun.
- Die Solarunternehmen wurden in die Erarbeitung dieses Antrags einbezogen.
Wenn man sich anschaut, was die Bundesregierung beispielsweise im Bereich der Exportförderung für diese Branche unternimmt, dann stellt man fest, dass hier nichts abgestimmt ist und kein Konzept vorhanden ist. In der Wüste in Afrika laufen Dieselgeneratoren, während wir schöne Programme für Deutschland auflegen.
Das ist keine rationale Umweltpolitik. Wir wollen hier die Alternative aufzeigen.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Katherina Reiche für die CDU/CSU-Fraktion.
Katherina Reiche (Potsdam) (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kauch, Ihre Rede klang schon fast ein bisschen beleidigt.
Dass die Bundeskanzlerin so vehement für den Klimaschutz kämpft, national und international, zeugt von Überzeugungskraft und Führungskraft - das Gegenteil dessen, was Sie gerade präsentiert haben.
In der vergangenen Woche fand mit der Hannover-Messe eine der weltweit wichtigsten Technologiemessen statt. In diesem Jahr war der Klimaschutz das Thema auf der Hannover-Messe. Die ?Wirtschaftswoche“ schrieb hierzu: ?Industrie entdeckt Klimaschutz für sich“. Die ?Financial Times Deutschland“ titelte: ?Klimaschutz als Verkaufshilfe“.
Die Hannover-Messe gibt ein gutes Bild über die Diskussion zum Klimawandel. Sie macht vor allem drei Dinge deutlich:
Zum Ersten. Der Klimawandel ist eine Herausforderung, der wir uns jetzt stellen müssen. Es drohen weltweit erhebliche Veränderungen, nicht nur der Umwelt; es drohen auch soziale und ökonomische Verwerfungen. Die meisten Unternehmen haben das längst erkannt.
Zum Zweiten. Das Klimaproblem ist lösbar; denn wir verfügen über verschiedene Technologien, mit denen der Ausstoß von Treibhausgasen deutlich reduziert werden kann. Durch Forschung und Entwicklung werden diese Technologien in Bezug auf ihre Wirkung und auf die Kosten verbessert.
Zum Dritten ist Klimaschutz ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Weltweit wächst der Markt für Klimaschutztechnologien rasant.
Die Folgen des Klimawandels und die Konsequenzen für den Fall, dass nicht gehandelt wird, liegen auf dem Tisch - ebenso wie die Chancen für Wachstum und Innovation, die in seiner Bewältigung liegen. Der Stern-Report, die Klimaberichte der Vereinten Nationen, aber auch verschiedene wissenschaftliche Studien von nationalen Instituten und Unternehmen haben dies immer wieder eindrucksvoll dargestellt.
Der Klimawandel ist also eine globale Aufgabe. Deshalb brauchen wir auch eine globale Lösung. Deutschland und die Europäische Union werden den Klimawandel nicht allein bewältigen können. Wir haben einen Anteil von 15 Prozent an den weltweiten CO2-Emissonen. Dennoch müssen wir eine Vorreiterrolle übernehmen, wenn es um Klimaschutz geht; denn uns kommt eine Schlüsselrolle im Klimaschutz zu.
Viele Länder, vor allem die Entwicklungsländer und die Schwellenländer, schauen auf uns. Sie achten genau darauf, was wir im Klimaschutz tun, wo wir investieren und welche Erfolge wir damit erreichen. Deshalb begrüße ich es ausdrücklich, dass die Staats- und Regierungschefs auf ihrem Gipfel im März unter der Präsidentschaft von Angela Merkel die Vorreiterrolle Europas im Klimaschutz gestärkt haben. Durch die Festlegung verbindlicher Klimaziele - dreimal 20; der Umweltminister hat sie bereits genannt - haben wir in Europa deutlich gemacht, dass wir im Klimaschutz weiter voranschreiten werden.
Ein Blick in die Vereinigten Staaten zeigt, dass wir uns durchaus auf einem guten Weg befinden. Dort drängen Unternehmen wie General Electric oder auch DuPont die Regierung dazu, verbindliche Vorgaben für den Klimaschutz festzulegen. Das zeigt, wie wichtig der Klimaschutz für Innovationsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit auch der dortigen Unternehmen ist.
Auch bei den politischen Entscheidungsträgern in den USA setzt sich das Bewusstsein für den Klimaschutz immer mehr durch. Am vergangenen Wochenende hat der Bürgermeister von New York, Michael Bloomberg, einen sehr ambitionierten Umweltplan vorgelegt.
Vom G-8-Gipfel, bei dem der Klimaschutz ganz oben auf der Agenda steht, muss ein wichtiges Signal für die Klimakonferenz der Vereinten Nationen in diesem Jahr in Indonesien ausgehen. Dort müssen dringend die Weichen für ein Kiotonachfolgeabkommen gestellt werden. Wenn die führenden Industrieländer der Welt zeigen, dass es ihnen mit dem Klimaschutz ernst ist, werden auch die Entwicklungs- und Schwellenländer folgen.
Herr Kauch, offenbar haben Sie das Gesetz nicht richtig gelesen. CDM und JI werden einen Anteil von 20 Prozent erreichen. Das Projekt-Mechanismen-Gesetz wurde verbessert, indem Bürokratielasten gesenkt wurden, um es Unternehmen einfacher zu machen, hier zu investieren.
Mit den Klimaschutzzielen der Europäischen Union ist nun der Rahmen gesetzt, und wir müssen diesen ausfüllen. Wir haben eine Leitfunktion übernommen, auch innerhalb Europas. Wir haben wichtige politische und technologische Impulse gesetzt; deutsche Unternehmen sind führend in der Klimatechnologie.
Der Bundestag hat bereits im November des vergangenen Jahres beschlossen, diese Vorreiterrolle auch in Zukunft einzunehmen. Die Treibhausgasemissionen sollen bis zum Jahr 2020 um 30 Prozent gesenkt werden. Sollte sich die Europäische Union auf 30 Prozent festlegen, will Deutschland sogar noch mehr leisten.
Eines der wichtigsten Instrumente hierbei ist natürlich der CO2-Handel. In den kommenden Wochen werden wir in Deutschland mit dem Entwurf eines Zuteilungsgesetzes in die parlamentarischen Beratungen gehen. Die Bundesregierung hat hierzu einen Gesetzentwurf vorgelegt. Aus Sicht der Unionsfraktion gibt es in zwei Punkten Diskussionsbedarf.
Erstens: die Mitnahmeeffekte bei den Stromversorgern durch die kostenlose Zuteilung der Zertifikate, die sogenannten Windfall-Profits. Die Europäische Union gibt uns die Möglichkeit, 10 Prozent zu versteigern, um diese Windfall-Profits teilweise abzuschöpfen. Ich meine, wir sollten von dieser Möglichkeit Gebrauch machen; denn eine Versteigerung entspricht den marktwirtschaftlichen Prinzipien, die dem Emissionshandel zugrunde liegen.
Zweitens. Es geht um die Ausstattung moderner und effizienter Braunkohlekraftwerke mit CO2-Zertifikaten. Jeder Energieträger in diesem Land - das ist klar - muss seinen Beitrag dazu leisten, dass wir uns dem Klimawandel stellen können. Genauso richtig ist aber, dass unser Energiemix eine sehr breite Grundlage hat. Dazu gehört auch die Braunkohle. Deshalb ist es wichtig, dass die Chance fortbesteht, Braunkohle zu fördern.
Neben dem Emissionshandel müssen wir weitere Maßnahmen ergreifen, die alle Politikbereiche umfassen. Wir können dabei auf die Unterstützung der Menschen zählen. 90 Prozent der Deutschen - das zeigen Umfragen - sehen den Klimaschutz als eine wichtige Aufgabe. 58 Prozent der Deutschen sind der Meinung, dass die Bundesregierung hier noch mehr tun muss.
Für uns als Unionsfraktion sind Energiesparen, Energieeffizienz und der Ausbau erneuerbarer Energien zentrale Säulen einer Klimaschutzstrategie. Dazu haben wir am Dienstag in unserer Bundestagsfraktion ein sehr ambitioniertes Positionspapier verabschiedet. Durch Energiesparen und eine Verbesserung der Energieeffizienz könnte Deutschland die Treibhausgasemissionen deutlich reduzieren. Schon heute könnten hier jährlich 40 Milliarden Kilowattstunden Strom eingespart werden. Das entspricht dem Verbrauch von ganz Hessen. Deshalb schlagen wir vor, eine Effizienzinitiative Deutschland zu starten, um die Energieeinsparpotenziale in der Industrie, in den privaten Haushalten, in öffentlichen Gebäuden und auch bei Elektrogeräten zügig zu erschließen.
Wir wollen hier drei Schwerpunkte setzen:
Erstens. Wir wollen das erfolgreiche CO2-Gebäudesanierungsprogramm über 2009 hinaus fortführen und weiterentwickeln, um den Gebäudebestand in Deutschland zu modernisieren. Das hilft dem Klima und dem Geldbeutel der Mieter.
Zweitens. Wir wollen die Effizienzanforderungen für Neubauten und für größere Sanierungsvorhaben verbessern. Das muss sich am aktuellen Stand der Technik orientieren.
Drittens: Wir wollen die Kennzeichnung von Haushaltsgeräten verbessern. Wenn im Regal zwei Wasserkocher nebeneinanderstehen und der Verbraucher sieht, welcher weniger Strom verbraucht, dann bedarf es keiner umfangreichen Gesetze, um jemanden davon zu überzeugen, dass es besser ist, den energiesparenden zu nehmen.
Wir wollen nicht nur die Energieeffizienz verbessern, darüber hinaus wollen wir den Anteil der erneuerbaren Energien deutlich erhöhen. Wir streben an, den Anteil der erneuerbaren Energien am Gesamtenergieverbrauch bis zum Jahr 2020 auf 16 bis 20 Prozent zu erhöhen.
Um diese Ziele zu erreichen, muss das Erneuerbare-Energien-Gesetz wirtschaftlicher gestaltet werden. Die Innovationsanreize sind zu verbessern. Deswegen plädiere ich dafür, das Gesetz noch in diesem Jahr zu novellieren.
Wir müssen darauf setzen, alte Anlagen durch neue zu ersetzen, durch die Kraftwerke der zweiten Generation, aber auch durch die Kombination verschiedener Energieträger wie Biomasse und Wind, um so Synergiepotenziale zu erschließen.
Sigmar Gabriel sprach den Bereich der regenerativen Wärme an. Den Anteil der erneuerbaren Energien an der Wärme- und Kältebereitstellung müssen wir deutlich erhöhen. Hierzu wollen wir das Marktanreizprogramm verstetigen und über das Jahr 2009 hinaus fortführen.
Wir haben hier ein sehr erfolgreiches Instrument: Für jeden von uns ausgegebenen Fördereuro können wir 10 Euro an Investitionen einwerben. Darauf sollten wir aufbauen. Für Neubauten, bei umfassenden Sanierungsmaßnahmen, aber auch beim Ersatz von Heizungsanlagen sollten wir die Einführung einer Nutzungspflicht prüfen. Das Land Baden-Württemberg hat hierzu Vorschläge entwickelt.
Eine wichtige Rolle, insbesondere bei der Erzeugung von Wärme aus regenerativen Energien, spielt die Biomasse. Hier wollen wir mehr erreichen, und hier stehen wir gleichzeitig vor großen Herausforderungen; denn die Pflanzen, die wir brauchen, um bei der Wärmegewinnung aus Biomasse voranzukommen, werden anders, leistungsfähiger als die Pflanzen sein müssen, die wir jetzt haben. Vor allem sind die Pflanzen dem Klimawandel ausgesetzt, den wir gerade erleben. Vor einigen Tagen hat der Deutsche Wetterdienst darauf hingewiesen, dass Deutschland stärker von Hitzewellen und Unwetter betroffen sein wird. Wir erleben gerade in Brandenburg eine Trockenperiode. Eine große deutsche Zeitung bringt heute auf ihrer Titelseite ein Bild, das zeigt, dass die Elbe schon jetzt fast trocken ist. Die Pflanzen der Zukunft werden sich den klimatischen Bedingungen anpassen müssen. Sie werden anders sein. Deshalb können wir auf die grüne Bio- und Gentechnologie nicht verzichten. Wir müssen vorankommen und Blockaden beseitigen, die die Entwicklung dieser wichtigen Technologie behindern.
Wir haben uns darüber hinaus zum Ziel gesetzt, dass wir in Deutschland bis zum Jahr 2020 den effizientesten Kraftwerkspark der Welt haben. Dazu bedarf es des Ausbaus der Kraft-Wärme-Kopplung sowie des Neubaus moderner, klimafreundlicher Kraftwerke. Wir sind der Überzeugung, dass in einem solchen Energiemix auch auf den Beitrag der Kernenergie nicht verzichtet werden kann. Es ist darauf hingewiesen worden, dass es hierzu in der Koalition unterschiedliche Auffassungen gibt. Aber eine CO2-Reduktion von bis zu 30 Prozent ist ohne den Einsatz von Kernenergie schlichtweg nicht darstellbar.
Ein letzter Punkt zur Forschung. Die Bundesregierung wird 255 Millionen Euro in die Klimaforschung investieren. Darüber hinaus werden die Mittel für die Energieforschung deutlich angehoben. Als Beispiele seien die Abtrennung und Speicherung von CO2 in Kohlekraftwerken, wo wir uns tatsächlich noch im Forschungsstadium befinden, aber auch die Weiterentwicklung der Brennstoffzelle oder die Fusionsforschung genannt. Hier muss es weitergehen.
In den kommenden Monaten wird es darauf ankommen, die Ziele im Klimaschutz in konkrete Maßnahmen und Initiativen umzusetzen. Dabei werden wir neue Wege einschlagen müssen. Der frühere Bundesumweltminister Töpfer hat vor kurzem in einem Interview gesagt: ?Gewinner gibt es beim Klimawandel nicht, sondern nur Verlierer.“ Wir müssen dies als Aufforderung begreifen, zu handeln, hier und jetzt.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Vorsitzende der Fraktion Die Linke, Gregor Gysi.
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Spät, aber immerhin: Die Menschheit wacht auf. Weltweit wird über die Klimakatastrophe bzw. die mögliche Klimakatastrophe diskutiert. Die Diskussion hat selbst die USA erreicht. Das klingt zuerst einmal, zumindest vom Zeitgeist her, nach einem Fortschritt. Wenn man sich aber den CO2-Ausstoß ansieht, der uns so beschäftigt, dann muss man zu Beginn erst einmal eine grundsätzliche Feststellung machen: Diese ganze Katastrophe liegt nicht an den Entwicklungsländern, sondern ausschließlich an den Industriegesellschaften.
Denn pro Einwohner werden in einem Entwicklungsland im Durchschnitt etwa 2 Tonnen CO2 im Jahr ausgestoßen, in den USA sind es pro Einwohner im Jahr 20 Tonnen, und in Deutschland sind es pro Einwohner im Jahr 10 Tonnen. Damit liegt Deutschland - auch das muss man sagen - immer noch über dem Durchschnitt in Europa. Allerdings ist es wahr, dass es von 1990 bis 1993 eine ungeheure Senkung des CO2-Ausstoßes gab. Das lag aber ausschließlich an der Deindustrialisierung des Ostens. Es soll mir keiner heute erklären, dass das aus ökologischen Gründen geschah. Ich glaube, das geschah aus reinen Profitgründen und hatte mit Unternehmen in den alten Bundesländern zu tun, zumindest zum Teil.
Aber jetzt steigt der CO2-Ausstoß wieder an. Das sollte uns nachdenklich machen. Oft wird gesagt - auch der Kollege von der FDP hat es getan -: Das gefährde die Erde bzw. das zerstöre die Natur. - Ich glaube, beides ist falsch. Frankreich hat weltweit einige Inselchen. Die nutzt Frankreich, um unter Wasser Atomwaffenversuche durchzuführen, wie bekannt ist. Ich habe einen Dokumentarfilm gesehen, den ich sehr interessant fand. Da wurde gezeigt, dass Dokumentarfilmer zu solchen Inseln gereist und mit entsprechenden Anzügen bekleidet unter Wasser gegangen sind, um zu prüfen, ob es da noch Pflanzen und Tiere gibt. Sie selber konnten aus ihren Anzügen nicht heraus; denn dann wären sie sofort tot gewesen. Interessant ist, dass es all die Tiere und Pflanzen, die es früher dort einmal gab, nicht mehr gibt. Aber es gibt dort massenhaft Pflanzen und Tiere, die kontaminiert sind. Das macht ihnen bloß nichts aus. Was kommt dabei heraus? Wir können die Natur nicht wirklich zerstören, genauso wenig die Erde. Aber unsere Lebensgrundlage können wir zerstören. Dann wird es die Menschen auf der Erde nicht mehr geben. Das ist der entscheidende Punkt.
Allen voran leisten die Industriegesellschaften, vor allem die USA, ihren Beitrag dazu.
Was bedeutet eigentlich Erderwärmung? Erderwärmung bedeutet, dass wir ein Drittel weniger Niederschläge hätten, wenn es so weiterginge. Erderwärmung bedeutet, dass der Meeresspiegel enorm steigt. Man müsste Mauern bauen, um zu verhindern, dass alles überschwemmt wird. Ich glaube, niemand hat das Geld und die Kraft, Indien und Bangladesch solche Schutzmaßnahmen zu bezahlen.
- Erzählen Sie doch nicht einen solchen Unsinn! Dieses Thema ist nicht zum Witze machen geeignet. Sie können Indien und Bangladesch auf diese Art und Weise nicht retten. Sie bezahlen es erst recht nicht.
Klimaerwärmung bedeutet, dass das Trinkwasser knapper wird und dass Landwirtschaft zum Teil unmöglich wird. Es wird dann einen Kampf um Wasser und um fossile Energierohstoffe wie Erdöl geben. Die heutigen Kriege im Irak und in Afghanistan haben schon sehr viel mit dem Kampf um fossile Energierohstoffe zu tun. Das ist das Problem.
Übrigens, Frau Künast, weil Sie gelegentlich für Kriege sind: Dort fliegen besonders viele Flugzeuge mit hohem CO2-Ausstoß.
Davon abgesehen gibt es im Tschad und in Nigeria auch innere Auseinandersetzungen wegen des Erdöls. Das heißt, der Kampf der Menschen um diese Rohstoffe wird zunehmen. Das ist gar nicht gut.
Wie kann man das verhindern? Welchen anderen Ansatz braucht man? Wir brauchen wieder ein Primat der Politik über die Wirtschaft. Der Neoliberalismus spricht genau dagegen. Mit dem Primat der Politik über die Wirtschaft hat die FDP Schwierigkeiten, genauso wie die Union, die Grünen und die SPD. Das ist das Problem. Wir müssen darum kämpfen, dass die Politik wieder entscheidet. Sonst können wir ökologische Belange nicht durchsetzen, erst recht nicht gegen Profitinteressen in der Wirtschaft.
Es gibt übrigens ein schönes Zitat von Professor Ulrich Beck aus der ?taz“ vom 3. April 2007:
In seinem Aufsehen erregenden Klimareport bezeichnet der ehemalige Weltbank-Ökonom Nicholas Stern die globale Klimaveränderung als das größte Marktversagen in der Geschichte. Wenn wir weiter auf die Mechanismen des Marktes vertrauen, werden wir die Klimakrise nicht lösen … Auch die Grünen müssen ihr marktwirtschaftliches Kleindenken überprüfen …
Mir scheint da etwas dran zu sein. Wenn wir über den Kapitalismus nicht hinausdenken, werden wir die Fragen nach der Verhinderung einer Klimakatastrophe nicht lösen können.
Nun gibt es viele Ansätze. Wir sind uns einig: Wir brauchen die Förderung der erneuerbaren Energien. Hier ist in Deutschland einiges geleistet worden. Wir brauchen des Weiteren Energieeinsparungen; darüber hat der Minister schon gesprochen. Wir müssen aber auch über den Verkehr neu nachdenken. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Sie haben die Bahn privatisiert. Das ist wieder eine Maßnahme, die dazu dient, das Primat der Politik zu verhindern. Nun muss sich die Bahn rechnen. Deshalb haben wir das Problem, dass die Gütertransporte mit der Bahn teurer sind als auf der Straße und dass der CO2-Ausstoß viel höher ist, weil ständig Lkws fahren und weil wir die Bahn diesbezüglich nicht attraktiv machen können; das ist das Problem. Wir waren gegen die Privatisierung der Bahn, damit wir - auch hier im Bundestag - die Hoheit über solche Fragen behalten.
Dann wird über Autos, Flüge und Tourismus geredet. Die Grünen neigen dazu, diese Fragen durch soziale Ausgrenzung zu lösen. Ich erinnere Sie an Ihren Beschluss, 5 DM pro Liter Benzin zu verlangen. Was hätte das denn bedeutet? Das hätte bedeutet, dass Besserverdiener wie wir weiterhin hätten Auto fahren können, während wir die Normalbürgerinnen und Normalbürger sowie die ärmeren Schichten von der Straße verdrängt hätten. Ähnlich denken Sie, wenn es um Flüge und Tourismus geht. Ich will nicht in einer Gesellschaft leben, in der nur die obersten Zehntausend in den Genuss des Tourismus kommen können. Diese Art der Ökologie lehnen wir ab.
Wir wollen in sozialer Gerechtigkeit ökologische Strukturen schaffen. Das heißt - darin stimmen wir überein -, dass wir andere Techniken fördern müssen. Das gilt beim Flugzeug genauso wie beim Auto und bei anderen Verkehrsmitteln.
Lassen Sie mich noch etwas zu Ihrem Emissionshandel, zu den Zertifikaten sagen. Das ist schon ein starkes Stück.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Sie wissen, Herr Kollege, dass Sie sich ein bisschen beeilen müssen.
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Ich will das deshalb an dieser Stelle erwähnen: In allen Ländern werden Zertifikate versteigert.
In Deutschland haben SPD und Grüne den Konzernen die Zertifikate kostenlos übergeben, als Geschenk. Dann bekamen die Zertifikate einen Wert, und die Konzerne haben diesen Wert genutzt, indem sie ihn auf den Energiepreis aufgeschlagen haben. Sie haben also kostenlos einen Riesengewinn gemacht.
Die Regierung hat darüber hinaus Zertifikate mit einem Volumen ausgegeben, das 7 Prozent über dem CO2-Ausstoß in Deutschland lag. Im Ergebnis ist der Wert der Zertifikate enorm gefallen. Vor allem aber musste niemand Zertifikate zukaufen. Null ökologische Wirkung ist dadurch eingetreten.
Herr Bundesminister Gabriel, Sie haben einen Vorschlag gemacht, wie es in einer Wohnung wärmer werden kann, wie man am effizientesten lüftet. Sie haben recht: Wenn man näher zusammenrückt, wird es wärmer.
Das Entscheidende ist, dass wir die Umstellung brauchen. Diese Frage ist unter friedenspolitischen, entwicklungspolitischen und sozialen Gesichtspunkten so wesentlich, dass daraus eine Menschheitsfrage geworden ist.
Danke schön.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile das Wort dem Kollegen Ulrich Kelber, SPD-Fraktion.
Ulrich Kelber (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sprechen heute wahrlich nicht zum ersten Mal über das Thema Klimaschutz im Deutschen Bundestag. Allerdings ist Sigmar Gabriel der erste Bundesumweltminister, der einen konkreten Maßnahmenplan vorstellt, wie Deutschland 40 Prozent der Treibhausgasemissionen einsparen kann.
Ab heute kann sich in Deutschland niemand mehr in einen Wettbewerb um die besten Lippenbekenntnisse zum Klimaschutz flüchten, sondern es hat ein Ideen- und Umsetzungswettbewerb um konkrete Klimaschutzinstrumente begonnen. Wer eines dieser Instrumente ablehnt, muss einen Vorschlag machen, wie er die gleiche Menge an Einsparungen auf eine andere Art und Weise einsparen kann.
Das ist eine neue Qualität der Diskussionen über den Klimaschutz. Das ist gut für den Klimaschutz in Deutschland und der Europäischen Union. Ich erinnere an eines: Die Vorgänger im Amt des Bundesinnenministers haben solche konkreten Klimaschutzmaßnahmen nicht vorgelegt.
Das gilt für die Zeit der Regierung Kohl, wo es immer das Ziel gab, 25 Prozent der CO2-Emissionen einzusparen. Das ist uns zwar ritualisiert jedes Jahr vorgestellt worden, aber es hat nie ein Maßnahmenpaket dafür gegeben.
Zum letzten Umweltminister, dem Grünen, Jürgen Trittin.
- Ich wusste, dass der Zwischenruf, das sei alles nur die SPD in Rot-Grün gewesen, kommt. Der Deutsche Bundestag hat Jürgen Trittin mit den Stimmen von Rot-Grün den Auftrag erteilt, ein konkretes Klimaschutzprogramm zur Einsparung von 40 Prozent der CO2-Emissionen vorzustellen. Er hat noch nicht einmal ein Eckpunktepapier in die Ressortabstimmung gegeben. Er hat sich geweigert, ein konkretes Klimaschutzprogramm vorzulegen. Das ist der entscheidende Unterschied zwischen diesem ehemaligen Minister und Sigmar Gabriel. Ich erwähne das hier, damit die grüne Kritik an dem Bundesumweltminister von allen in diesem Land auf ihre Ehrlichkeit überprüft werden kann.
Das klare Signal ist: Es geht mit dem Klimaschutz in Deutschland nicht nur weiter, sondern er gewinnt an Konsequenz und Geschwindigkeit.
Es ist äußerst klug, mit dem Klimaschutz nicht auf die langsamsten Staaten dieser Welt zu warten. Es ist klug, vorausschauend, fair und solidarisch, Vorreiter zu sein.
Es ist klug, weil wir, wenn wir mit dem Klimaschutz anfangen, auch als Erste die für den Klimaschutz notwendigen Technologien liefern können. Dass allein im Bereich der erneuerbarer Energien jetzt schon über 200 000 Menschen arbeiten, ist an dieser Stelle schon erwähnt worden.
Es ist vorausschauend, weil ein ungebremster Klimawandel die Lebensqualität und den wirtschaftlichen Wohlstand überall auf dieser Erde bedrohen würde. Wir müssen für den Klimaschutz sehr viel weniger in die Hand nehmen als für die Reparatur von Schäden, die durch einen ungebremsten Klimawandel verursacht würden; von der Vermeidung von Konflikten - Stichworte: Ressourcenknappheit und Umweltflüchtlinge - ganz zu schweigen.
Es ist fair, weil wir der nächsten Generation nicht noch eine zusätzliche Last aufbürden dürfen. Was antworten wir denn, wenn unsere Kinder und Enkel fragen: ?Ihr hattet doch die Technologien zur Vermeidung der Treibhausgasemissionen. Warum habt ihr sie nicht konsequent eingesetzt?“ Ich glaube, wir sind uns einig, dass die Antwort: ?Bequemlichkeit!“, eine verdammt schlechte Antwort auf diese Frage wäre.
Es ist zuletzt solidarisch, weil der Klimawandel vor allem die Ärmsten treffen wird, die ärmsten Staaten und die Ärmeren in einer Gesellschaft.
Ja, es stimmt: Ein US-Amerikaner hat eine doppelt so schlechte Klimabilanz wie ein Deutscher. Aber ein Deutscher ist für viermal so viel Treibhausgasausstoß verantwortlich wie ein Chinese, für zehnmal so viel wie ein Inder. Die 80 Millionen Deutschen emittieren so viel Treibhausgas wie bald 1 Milliarde Afrikaner zusammen. Das ist die Quelle, aus der unsere Verantwortung resultiert, im Klimaschutz als Vorreiter voranzugehen.
Klimaschutz ist dabei keine Last, keine Gefährdung unserer Wirtschaft. Im Gegenteil, er bietet die riesige Chance zur Modernisierung unserer Industriegesellschaft, für neue Arbeitsplätze und innovative Technologien. Wir wollen in Produkte und in Köpfe investieren anstatt in Brennstoffe. Wir wollen das Land sein, das die Technologien für den Klimaschutz in die ganze Welt liefert und damit Lebensqualität und Wohlstand aller Menschen verbessert.
Dazu gehört aber eine Sache: Wir müssen aufhören, falsche Schutzzäune um unsere eigene Industrie zu errichten.
Was hat es denn gebracht, die deutschen Automobilbauer vor notwendigen Umweltauflagen zu bewahren? Gar nichts.
Unsere Automobilindustrie ist dadurch technologisch sogar zurückgefallen: beim Katalysator, beim Rußpartikelfilter, beim Hybridantrieb, und vermutlich werden wir im nächsten Jahr erleben, wie französische, italienische und japanische Hersteller in unserem Land Flexible-Fuel-Autos verkaufen, während unsere Konzerne die nur im Ausland anbieten und in Deutschland behaupten, dass man so etwas nicht herstellen könne. Das hat man davon, wenn man Schutzzäune einzieht. Nein, wir wollen Vorreiter sein, wir wollen die neuen Technologien zuerst anbieten. Das ist eine Antwort auf Klimaschutz und Globalisierung gleichermaßen.
Gott sei Dank haben wir eines erreicht: Die Klimaschutzziele der Parteien im Deutschen Bundestag haben sich in den letzten Monaten, zumindest auf dem Papier, angenähert. Man konnte ja fast im Wochenrhythmus beobachten, dass, wenn jemand einen konkreten Vorschlag gemacht hat, welchen Anteil die erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung im Jahr 2020 haben sollen, sich immer ein Nächster gefunden hat, der 5 Prozentpunkte draufgeschlagen hat. So kletterte dieser Anteil von 25, 30, 35 auf 40 Prozent. Ich habe darauf gewartet, dass irgendwann noch einer 45 Prozent bietet. Aber anscheinend hat der 40-Prozent-Vorschlag den Zuschlag bekommen. Ich glaube, dass wir jetzt einen Schritt weiter gehen müssen: Wir müssen von dem Wettkampf um die Ziele dazu übergehen, tatsächlich Beschlüsse zu fassen. Wir müssen die notwendigen Klimaschutzinstrumente rechtzeitig beschließen,
um die Klimaschutzziele im Jahr 2020 auch zu erreichen.
Wir haben in den letzten Wochen und Monaten und in den anderthalb Jahren seit Gründung dieser Koalition zu einer Reihe von Instrumenten konkrete Vorschläge gemacht, Eckpunkte und Gesetzentwürfe vorgelegt. Ich nenne dafür drei Beispiele: ein Fördergesetz für die Kraft-Wärme-Kopplung, ein Erneuerbare-Energien-Wärme-Gesetz und ein Toprunner-Programm in der Energieeffizienz.
Es ist doch nichts sinnvoller, als Öl, Gas und Kohle durch Kraft-Wärme-Kopplung doppelt zu nutzen, anstatt die Wärme einfach an die Atmosphäre abzugeben. Wer einmal erlebt hat, wie wunderbar es ist, mit erneuerbaren Energien den Wärmebedarf zu decken, der kann sich gar nicht mehr vorstellen, wie es vorher war. Zur letzten Idee: Wir müssen unsere Ingenieure darauf ansetzen, in einem dynamischen Wettlauf die Energieeffizienz von Produkten zu verbessern.
Das wären drei Ansätze. Ich hoffe, dass auch unser Koalitionspartner nach Abschluss seiner internen Debatten bereit ist, mit uns diese Instrumente kurzfristig zu beschließen. Schließlich muss man ins Gelingen verliebt sein und nicht ins Scheitern. Das gilt vor allem für den Klimaschutz.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nachdem nun endlich passend zum Girls’ Day die ersten Anregungen kommen, in was man alles verliebt sein könnte, erhält nun die Kollegin Renate Künast für die Fraktion Die Grünen das Wort.
Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kelber, ich weiß ja nicht, in welcher Koalition Sie sich bewegen. Ich weiß natürlich, dass es, wenn man selber als Person keine Funktion innehatte - das gilt für Sie und das gilt für Herrn Gabriel -, immer besonders schön ist, zu fragen: Was hat denn die Vorgängerregierung gemacht? - Aber ich sage Ihnen eines ganz klar: Wir Grünen treten mit jedem in der ganzen Republik gerne in einen Wettbewerb ein, was man hätte noch besser machen können - aber nicht mit Ihnen von der SPD. Denn wir wären in diesem Land bedeutend weiter, wenn Ihr Autokanzler, wenn Ihre Wirtschaftsminister unsere Vorschläge nicht für putzig gehalten und uns nicht ständig blockiert hätten.
Deshalb ist das, was Sie hier sagen, Geschichtsklitterung.
- Ja, schön, Sie hätten den Vorgängerumweltminister vielleicht gerne mit einem Plan beschäftigt, um ihn und andere davon abzuhalten, zum Beispiel ein Erneuerbare-Energien-Gesetz durchzusetzen.
Sie hätten lieber die Macht der Konzerne mit Ihrem Personal, das Sie von hier dorthin transportieren, bewahrt.
Das ist die Wahrheit der SPD.
- Ja, das ist vom Parlament eingebracht worden, aber deshalb, weil diese SPD mit ihren Wirtschaftsministern sozusagen selbst die Handbremse in Ketten gelegt hat, damit sie keiner losmachen kann.
Ich war dabei, Herr Kelber. Ich habe in Neuhardenberg gesehen, wie sich Ihre Minister schmunzelnd in die Sessel legten, wenn man sagte: Wir brauchen Biokraftstoffe. Sie fragten nur: Was soll das denn sein? Wäre das anders gewesen, wäre dieses Land heute weiter.
Ich kann Ihnen nur eine Hausaufgabe geben:
Befreien Sie sich endlich von Ihrer alten Industriepolitik. Dann kriegen Sie in der SPD vielleicht wieder eine Basis; sie fehlt Ihnen ja.
- Ich bin eine frei gewählte Abgeordnete, Herr Kelber, wie auch Sie ein frei gewählter Abgeordneter sind.
- Sie können ihn ja jetzt umsetzen, Herr Kelber.
- Ich sage Ihnen eines: Der Trick ist vielleicht ganz gut, aber das, was heute vorgestellt wurde, ist es noch lange nicht, Herr Kelber. Wenn Sie sagen, dass Sie eine Führungsrolle in dieser Republik oder sogar weltweit übernehmen wollen, dann müssen Sie auch Führung zeigen. Aber die Regierung hat sich, obwohl sie immer sehr schöne Zahlen genannt hat, am Ende sogar noch von der Kommission treiben lassen müssen. Nur so konnte überhaupt etwas bewegt werden. Ich habe noch im Ohr, dass Herr Beck zur Bundeskanzlerin sagte: Dann klagen wir eben gegen die Brüsseler Vorschläge. - Ist Ihnen das nicht peinlich, Herr Kelber?
Raubt Ihnen das nicht nachts den Schlaf?
Wir werden auf diesem Gebiet sogar von Großbritannien überholt. Selbst China bewegt sich. Arnold Schwarzenegger schickt mittlerweile Leute nach Deutschland, um von uns zu lernen, wie man den Emissionshandel nicht betreiben sollte, Herr Kelber. Wir könnten wirklich weiter sein. Selbst die Mitglieder des zuständigen Ausschusses des Repräsentantenhauses reisen nach Deutschland, um von uns zu lernen, wie man den Emissionshandel nicht organisieren sollte. Die Neuenglandstaaten, zehn Bundesstaaten der USA, werden ab Januar 2009 einen Emissionshandel durchführen. Die Emissionsrechte werden zu 100 Prozent versteigert.
Vor diesem Hintergrund loben Sie eine Bundesregierung, deren Umweltminister sich hier hinstellt und sagt: Wir waren zu feige und haben uns - in den Worten Karl Valentins - nicht dürfen getraut; wir bitten das Parlament, die 10-Prozent-Versteigerung in die Hand zu nehmen. Ich sage Ihnen: Dabei werden wir Ihnen gerne helfen, der Regierung und auch Ihnen, Herr Kelber.
Es kann doch wohl nicht sein, dass Sie das Parlament noch bitten müssen, wenn es um die Versteigerung geht.
Darüber hinaus wurde von Ihnen gesagt, Klimaschutz würde nicht wehtun. Was ist das eigentlich für eine Botschaft? Niemand will den Verbrauchern wehtun. Heute tun den Verbrauchern die hohen Nebenkosten für Strom und Wärme weh, die zu einer Art Nebenmiete geworden sind. An dieser Stelle ist der Klimaschutz eine Lösung des Problems. In diesem Zusammenhang muss man nicht von Schmerzen reden.
Herr Gabriel, wenn Sie so tun, als müsste man den Verbrauchern an dieser Stelle wehtun, ist das eine falsche Botschaft. Wir können und dürfen weder der Wirtschaft noch den Verbrauchern suggerieren, dass es möglich ist, genauso weiterzumachen wie bisher. Wir müssen den Transport anders organisieren. Wir müssen anders wohnen. Wir müssen unsere Lebensmittel anders herstellen. Wir müssen ganz anders produzieren, auch die Produkte, die wir exportieren. Das heißt nicht, dass das wehtun muss. Das bedeutet, dass wir endlich lernen müssen, ganz anders zu denken und die alten Lobbyinteressen fallen zu lassen. Das gilt auch dann, wenn Sie Ihr Personal in den Vorständen haben, liebe Kollegen von der SPD.
Das betrifft auch die Kohleprivilegien. Lernen wir endlich, neu zu denken und alles anders zu organisieren. Hier liegt die Lösung, nicht etwa in kleinen Zwischenzielen.
- Dazu sage ich gleich noch etwas.
Herr Kelber, sehen wir uns doch einmal an, was Sie vorgelegt haben. Der Nationale Allokationsplan ist ein Trauerspiel. Hier sind Sie kein Vorreiter. Das, was von Ihnen vorgeschlagen wurde - einige haben das schon angesprochen -, bedeutet letztlich ein neues Privileg für die Kohle. Warum bekommen Gas und Kohle eigentlich nicht gleiche Rechte? Das ist ein Trauerspiel. Es nützt nichts, wenn Sie an dieser Stelle nur allgemeine Ziele und Prozentzahlen nennen. Packen Sie endlich die Maßnahmen an.
Sie machen lauter Trippelschritte. Herr Kelber, wir haben damals das marktwirtschaftliche Instrument des Emissionshandels eingeführt. Jetzt muss man den nächsten Schritt tun. Deutschland muss als großes Mitgliedsland der EU zeigen, dass es die 10-Prozent-Regelung umsetzt und dass es kein weiteres Privileg für die Kohle schafft. Dann können Sie sich in Brüssel glaubwürdig dafür einsetzen, dass 100 Prozent der Emissionsrechte versteigert werden.
So macht man das und nicht, indem man uns hier mit irgendwelchen Prozentzahlen einlullt. Taten und nicht Worte zählen.
Sie müssen dann aber auch einmal loslegen, sich hier hinstellen und sagen: Wir lernen, CO2-frei zu denken. Dann brauchen Sie auch nicht mit einem 40-Prozent-Ziel zu kommen, das sich die Regierung gar nicht als Ziel aufgeschrieben hat und das Sie nicht realisieren werden.
- An Ihrem Lachen sehe ich, wie wenige Texte Sie lesen; denn der Begriff ?CO2-frei zu denken“ bzw. ?in CO2-freien Lösungen zu denken“ ist durchaus üblich.
Wir wollen, dass endlich Taten folgen, und wir sagen Ihnen eines: Wir werden an Ihre Regeln zum Emissionshandel herangehen. Wir wollen ein Moratorium für Kohlekraftwerke; denn wir wollen nicht, dass das Geld jetzt an dieser Stelle investiert und der Klimaschutz über Jahrzehnte blockiert wird, weil kein Geld mehr vorhanden ist.
- Dann schauen Sie sich den Beschluss einmal an. - Wir wollen die Kraft-Wärme-Kopplung nutzen, und wir brauchen an dieser Stelle ein Wärmegesetz. Vor allem brauchen wir aber nicht den Wettbewerb der Zahlen, sondern den Wettbewerb der Maßnahmen. Weg mit den alten Lobbyinteressen!
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin!
Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sie lösen die Probleme nicht mit der Denkweise von gestern, Herr Kelber.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Christian Ruck, CDU/CSU-Fraktion.
Dr. Christian Ruck (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach diesem bemerkenswerten Schlagabtausch ehemaliger Koalitionäre möchte ich zum Ausgangspunkt unserer Debatte zurückkommen.
Der von Menschenhand verursachte Klimawandel erzeugt auf dieser Erde etwas, was alle bisherigen geschichtlichen Dimensionen sprengt. Die Kosten und Gefahren sind gewaltig. Allein für Deutschland werden bis 2050 Schäden in Höhe von 800 Milliarden Euro geschätzt. Die sozialen und wirtschaftlichen Risiken auf dem gesamten Erdball sind völlig unkalkulierbar.
Aus unserer Sicht ist die Antwort der Staatengemeinschaft auf dieses gewaltige Risiko für Milliarden von Menschen - auch für unsere Kinder und Enkel - bisher völlig unzureichend. Allein von den weltweit größten zehn CO2-Emittenten sind derzeit nur vier vom Kiotoprotokoll erfasst. Entscheidende Länder sind bisher überhaupt keine wirksame Verpflichtung eingegangen. Dieses oft kleinkarierte internationale Geschachere um Vorteile in den Klimaschutzverhandlungen ist dem Ernst der Lage in keiner Weise angemessen. Im Gegenteil: Es ist manchmal zynisch und menschenverachtend.
Ein Lichtblick ist in der Tat das, was sich Deutschland und Europa vorgenommen haben. Auch hier sind noch viele Hausaufgaben zu machen, aber es gibt ehrgeizige Ziele, große Anstrengungen und auch große Erfolge. Auch die Erfolge, die in den letzten Jahren in Deutschland erzielt worden sind, machen Mut. Das, was Bundeskanzlerin Merkel auf EU-Ebene in diesem ersten Vierteljahr des Vorsitzes hier erreicht hat, ist wirklich ein historisches Ereignis. Dafür möchten wir noch einmal unsere ausdrückliche Anerkennung ausdrücken.
Ich glaube, mit diesem Beschluss haben wir auch die Grundlage dafür geschaffen, dass Deutsche und Europäer eine Chance haben, die Klimapolitik weltweit zu beeinflussen. Dazu sind aber zwei Voraussetzungen nötig:
Erstens. Die europäische Klimapolitik muss ein attraktives Vorbild und kein sinnloses Opfer sein.
Zweitens. Wir müssen ärmere Länder in die Lage versetzen, ihren Schutzbeitrag zu leisten.
Wann sind wir nun ein attraktives Vorbild? Ich gebe dem Kollegen Kelber Recht: Wir sind dann ein attraktives Vorbild, wenn wir das Erreichen unserer ambitionierten Klimaschutzziele mit Versorgungssicherheit und bezahlbaren Energiepreisen verbinden, sprich, wenn wir Klimaschutz mit ökonomischer Effizienz und technischem Fortschritt verbinden.
Das ist genau das, was die Union seit Jahren vertritt und was auch die Bundesregierung jetzt durchsetzen möchte.
Auch ich bin der Meinung, dass ein europäisches Emissionshandelssystem eine richtige und effiziente - weil marktkonforme - Option ist, um das zu erreichen. Es ist aber nur dann eine Option, wenn es richtig gemacht wird. Wann wird es richtig gemacht? Es darf nicht durch Ausnahmen total verwässert werden. Es muss die tatsächlichen Hauptemittenten erfassen, und zwar inklusive des Luftverkehrs. Es muss möglichst am Anfang der Wertschöpfungskette ansetzen, und die Emissionsobergrenzen müssen die politischen Ziele der Europäischen Union glaubhaft widerspiegeln. Ein funktionierender Emissionshandel setzt - zum Beispiel auf dem europäischen Strommarkt - auch einen funktionierenden Wettbewerb voraus. Nur bei einem angemessenen CO2-Preis und bei funktionierendem Wettbewerb können größere soziale Verwerfungen vermieden werden und gibt es auch den notwendigen Anreiz für technologische Innovationen.
An dieser Stelle möchte ich unserem Wirtschaftsminister Michael Glos danken, dass er die Einbeziehung dieses Wettbewerbsgesichtspunkts auf europäischer Ebene zu einem seiner Hauptanliegen gemacht hat. Wir brauchen in der europäischen Energiepolitik eine stärkere Abstimmung. Das gilt auch für die Förderung regenerativer Energien. Auch sie müssen Teil eines funktionierenden europäischen Wettbewerbs sein. Richtig ist für mich auch, Emissionszertifikate in zunehmendem Maße zu versteigern,
und zwar nicht zuletzt, weil unerlässliche Klimaschutzprojekte im Bereich von Forschung und Entwicklung - viele davon wurden schon genannt -, zum Beispiel betreffend den Waldschutz, nicht umsonst zu haben sind. Wenn uns große Energieunternehmen vor erhöhten Strompreisen für die Endverbraucher warnen, so müssen sie sich fragen lassen, ob sie diese Erhöhungen nicht schon längst im Vorgriff auf eine mögliche Versteigerung eingepreist haben. Jedenfalls ist eines klar: Nichts zu tun und zuwarten oder zu wenig zu tun, wird für den Endverbraucher schon in kurzer Zeit viel teurer als das, was uns jetzt als Hirngespinst an die Wand gemalt wird.
Wir von der CDU/CSU setzen zum Beispiel auf die Weiterentwicklung der Energieeinsparungen im Gebäudebereich, auf den Durchbruch bei der Kraft-Wärme-Kopplung, auf die Entwicklung einer zweiten Generation der Biomassetechnologie hin zu noch sparsameren Antriebsmethoden und auf moderne Kraftwerkstechnik. Mit einem solchen Paket an Wettbewerbsvorteilen durch ein europäisches Modell erhoffen wir uns - ich glaube: zu Recht - eine Sogwirkung. So müssen sich zum Beispiel andere Hauptemittenten wie die Amerikaner uns schon aus Wettbewerbsgründen anschließen. Mit einem solchen Modell erhoffen wir uns auch die notwendige Technologie und die Finanzmittel dafür, auch den ärmeren Ländern - den Entwicklungs- und Schwellenländern - gezielt zu helfen, ebenfalls ihren Beitrag zum Klimaschutz zu erbringen. Ein Beispiel hierfür ist die Kohlenstoffspeicherungstechnologie. Ich glaube, dass die Einbeziehung der Entwicklungs- und Schwellenländer in den Klimaschutz von ganz entscheidender Bedeutung sein wird, und zwar nicht nur wegen der gewaltigen Verwerfungen und Risiken, die vor allen diesen Ländern durch die Folgen der Klimaveränderung drohen. Die Einbeziehung dieser Länder ist auch von Bedeutung, weil der Schlüssel für den Klimaschutz teilweise tatsächlich im Süden liegt.
Dort sind Gelder für Klimaschutzmaßnahmen am effizientesten angelegt. Dort brauchen wir zum Beispiel in den Bereichen Technologie und Beratung eine verstärkte Zusammenarbeit. Es ist ein Durchbruch, dass wir für China eine Art Einspeiseverordnung mit beraten und durchgesetzt haben. Das ist auch für die Zukunft Chinas ungeheuer viel wert. Schließlich müssen wir versuchen, den Schutz der Wälder auch in den Entwicklungsländern viel stärker durchzusetzen. Allein hier gibt es ein Einsparungspotenzial von 20 Prozent, das mit relativ geringen Mitteln erzielt werden kann.
Ich bin der Meinung, dass der ganze CDM-Prozess immer noch viel zu kompliziert ist. Auch hier gibt es viele Hausaufgaben.
Kurz gesagt, der Schutz von Klima und Schöpfung ist meiner Ansicht nach mit die größte Herausforderung der Politik in den nächsten Jahren und vielleicht in den nächsten Jahrzehnten. Hier ist mit Ideologie und Feigheit nichts zu erreichen; vielmehr müssen wir gemeinsam pragmatisch und entschlossen vorgehen. Insofern hat unsere Bundeskanzlerin für den G-8-Gipfel unsere geballte Rückendeckung.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Kollegin Eva Bulling-Schröter ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke.
Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bilanz der deutschen Klimapolitik misst sich an den Fakten, und zwar an den tatsächlichen Einsparungen an Treibhausgasen; dazu hat Gregor Gysi vorhin das Wesentliche gesagt. Kurz gefasst, wir liegen bei den CO2-Emissionen über dem Niveau von 1999. Noch einmal: Ohne den Osteffekt würden wir international schön dumm dastehen.
Diese ernüchternde Bilanz ist - das können wir Ihnen nicht ersparen - auch eine Bilanz der rot-grünen Vorgängerregierung. Ich finde, wer 7 Prozent mehr Emissionsrechte verteilt, als von den Unternehmen zwischen 2000 und 2002 überhaupt CO2 ausgestoßen wurde, wer zudem langfristige Privilegien für die Kohle festschreibt und dann auch noch die Zertifikate vollständig verschenkt, braucht sich über dieses Ergebnis nicht zu wundern. Wir haben hier erlebt, dass Sie sich gegenseitig die Schuld zuschieben. Das nützt uns gar nichts. Wir müssen das besser machen - Sie waren damals in der Verantwortung - und daraus die Konsequenzen ziehen.
Jetzt zum ungebremsten Wachstum des Straßengüterverkehrs und des Flugverkehrs. Da wird offensichtlich, dass in den letzten Jahren in Sachen Klimapolitik einiges schiefgelaufen ist. Das Statistische Bundesamt sagt, es habe im letzten Jahr 6,5 Prozent mehr Flugverkehr gegeben. Was tun Sie? Sie weisen weitere Flughäfen aus. Diese werden staatlich finanziert. Hier muss ein Umdenken erfolgen. Wenn wir das wirklich wollen, müssen die Finanzströme anders fließen, zum Beispiel auch im Zusammenhang mit dem Ausbau des Münchener Flughafens.
Natürlich erkennen wir an, dass es durch das EEG einen gewaltigen Zuwachs an Strom aus Wind, Wasser, Biomasse und Fotovoltaik gegeben hat. Diese Politik müssen wir ausbauen; diese Politik unterstützen wir weiter.
Doch allein über das EEG ist eine Energiewende nicht hinzubekommen. Man muss sich mit den Konzernen dort anlegen, wo es richtig weh tut. Genau um das geht es.
Ein anspruchsvoller Emissionshandel wäre so etwas - oder auch eine wirksame Begrenzung des Flug- oder des Schwerlastverkehrs. Da muss man eben ran.
Aktuell geht es aber vor allem darum, zu verhindern, dass in Deutschland 44 neue Kohlekraftwerke - ich wiederhole: 44 - gebaut werden. Diese geplanten Kraftwerksneubauten würden bis 2020 einen Anstieg über das CO2-Niveau von 1990 bedeuten. Bis zur Mitte des Jahrhunderts würde dieser Kraftwerkspark Jahr für Jahr gut 100 Millionen Tonnen mehr CO2 in die Atmosphäre blasen, als laut dem Reduktionsziel der Bundesregierung erlaubt ist. Würden diese Kraftwerke gebaut, dann wären die Weichen der deutschen Klimapolitik für ein halbes Jahrhundert gestellt; denn sie laufen dann 40, 50 oder 60 Jahre. Das wissen Sie, meine Damen und Herren.
Mich interessiert an dieser Stelle: Wie kommt es eigentlich zu diesen Planungen? Herr Gabriel sagt, wir befänden uns auf dem richtigen Pfad. Wenn das so ist, dann würden die Energieversorger doch gar nicht auf solche Ideen kommen. Oder ist es so, dass der Emissionshandel diese überhaupt nicht interessiert? Den Energieversorgern wird es total leicht gemacht; denn sonst wären solche Planungen gar nicht möglich.
Zum Glück hat die EU-Kommission kürzlich zumindest die größten Fehler des deutschen Zuteilungsplans für die nächste Handelsperiode beseitigt. Die Gesamtobergrenze, das Cap, ist deutlich gesenkt worden. Es ist verboten worden, die Kohlemeiler 14 Jahre lang zu privilegieren. Wir begrüßen das sehr und haben das unterstützt. Aber nun will die Bundesregierung wiederum der Braunkohle einen Bonus zuschanzen. Wir haben über die CO2-Bilanz gesprochen. Bedenken Sie, was Sie da tun! Bedenken Sie, was Sie damit anrichten! Anscheinend hat diese Bundesregierung keine Lust auf ernsthafte Konflikte mit den EVUs.
In anderen Sektoren gäbe es eine Vielzahl von Minderungsoptionen. Die müssten jetzt einfach angegangen werden. Dazu liegen Anträge vor; da muss gehandelt werden. Zum Teil ist das - das sage ich an die Haushälter gewandt - nicht einmal mit Kosten verbunden.
Wir meinen, dass in diesem Bereich etwas getan werden muss, und haben ein Sofortprogramm vorgelegt, über das wir abstimmen können. Wir halten für die Zukunft eine energetische Schwerpunktsetzung auf Sonne, Wind, Biomasse und Wasser für notwendig, die auch der Volkswirtschaft nutzen wird. Das wissen wir nicht erst seit Nicholas Stern. Auch vor dem letzten IPCC-Bericht war schon bekannt, dass wir eine Abkehr von fossilen Energien brauchen. Die internationalen Konflikte wurden schon angesprochen.
Es gilt, das Ruder herumzureißen. Wir müssen das gemeinsam tun, aber das muss in einer Weise erfolgen, dass die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land den Prozess unterstützen. Dann muss auch damit Schluss sein, dass in einkommensschwachen Haushalten im nächsten Winter, der vielleicht sehr kalt wird, Energiearmut herrscht oder dass es sich Kinder nicht mehr leisten können, mit dem Bus zu ihrem Sportverein zu fahren. Es geht nicht an, dass Energiekonzerne Zusatzgewinne in Milliardenhöhe aus dem Emissionshandel erzielen, wenn gleichzeitig dieses Geld an anderer Stelle dringend gebraucht wird.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile das Wort dem Kollegen Marco Bülow, SPD-Fraktion.
Marco Bülow (SPD):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich beginne mit einem Zitat:
Gerade unter den Nationen, die sich für die zivilisiertesten halten und die sich der großartigsten Fortschritte in der Wissenschaft rühmen, finden wir die größte Apathie und die größte Ruchlosigkeit, was das ständige Verschmutzen der wichtigsten aller Lebensnotwendigkeiten angeht.
Das ist kein neues Zitat. Es ist eine Feststellung von Alfred Russel Wallace von 1903. Leider haben ihn genau die Nationen, die hier angesprochen wurden, in den darauf folgenden Jahrzehnten nicht Lügen gestraft. Wir haben erlebt, dass die Wälder abgeholzt, die Meere überfischt wurden und unsere Umwelt verschmutzt wurde, wobei wir lange Zeit nicht eingegriffen haben.
Seit 30 Jahren gibt es Gott sei Dank eine andere Diskussionsgrundlage: Man spricht über den Umweltschutz und entsprechende Maßnahmen. Gerade auch in diesem Land wurden viele wichtige Maßnahmen auf den Weg gebracht, um dieses Vorgehen und die damit verbundene Politik zu ändern.
Allerdings müssen wir auch resümieren, dass wir für den Klimaschutz in den letzten 30 Jahren nicht besonders viel getan haben, obwohl die Erkenntnisse zugenommen haben und wir immer besser wissen, was der Klimawandel anrichtet. Er wird viel mehr anrichten als das, was in den letzten Jahrzehnten oder im letzten Jahrhundert passiert ist.
Deswegen ist Handeln - und zwar vor allem gemeinsam - das oberste Gebot. Es nützt nichts, Frau Künast, wenn wir uns jetzt zerfleischen und darüber reden, was in den letzten Jahren falsch gemacht worden ist. Wir müssen vor allem darüber reden, was wir gemeinsam in der nächsten Zeit richtig machen müssen.
Ich freue mich über jeden, der bis vor kurzem noch eine andere Politik betrieben hat und für den Klimawandel und Umweltschutz kein Thema war, der aber heute darüber redet und es ernst meint. Ich weiß, dass das viele tun, und zwar in allen Fraktionen. So müssen wir die Zukunft gestalten.
Wir müssen mit Fingerspielen im Sinne von ?Wer hat Schuld?“ oder ?Wer macht mehr?“ aufhören, aber auch mit dem Motto: Die anderen emittieren viel mehr CO2; deswegen müssen wir am Anfang nichts tun. Oder: Die sind noch viel schlimmer als wir; die Amerikaner verbrauchen noch viel mehr. - Ich denke, jetzt geht es darum, wer mutig ist und vorangeht.
Wir müssen vor allen Dingen lernen, wie die immer noch Ewiggestrigen und die Zauderer und Zögerer überzeugt werden können, das Richtige zu tun. Ich will auf einige Punkte eingehen. Es gibt zum Beispiel immer noch das Argument, Erderwärmung habe es immer gegeben und es werde sie auch in Zukunft geben; wie viel der Mensch dazu beitrage, sei nicht so wichtig. Erderwärmung hat es in der Tat immer gegeben. Es gab schon Eiszeiten, als es noch keine Menschen gab. Das ist alles richtig. Erderwärmung wird es auch in Zukunft geben, auch ohne Menschen. Denn die Natur wird nicht zerstört. Wir zerstören nur die Lebensgrundlagen der Menschen. Das heißt, Klimaschutz bedeutet in erster Linie weder Umweltschutz noch Naturschutz, sondern Menschenschutz. Ich denke, wir haben die egoistische Verantwortung, dafür zu sorgen, dass die Menschen auch weiterhin auf diesem Planeten leben können. Die Natur wird immer einen Weg finden, auch ohne uns und trotz Klimawandels. Deswegen müssen wir vor allen Dingen dafür sorgen, dass wir unsere Lebensgrundlagen schützen.
Ein weiterer Punkt. Es wird gesagt, wärmere Temperaturen seien doch ganz gut, dann könne man sich draußen hinsetzen, auch schon im April. Wir erleben das gerade. Außerdem sei es schön, wenn wir hier irgendwann Rotwein, Cabernet Sauvignon, usw. anbauen können. Das alles sind schöne Phrasen. Wenn ich das heute in Zeitungen wie ?Welt“ und ?FAZ“ lese, dann muss ich sagen: Die Leute haben nichts dazugelernt.
Denn ich weiß nicht, ob es den Menschen gefällt - ich lebe im Ruhrgebiet, also in einer Gegend, in der ganz viele Menschen zusammenleben -, dass ein Sommer wie der im Jahr 2003 in 20 Jahren ein Durchschnittssommer sein wird. Der Sommer 2003 bereitete vor allen Dingen älteren Menschen und kleinen Kindern große Probleme, weil er so heiß war. Wenn das ein Durchschnittssommer wird, glaube ich, müssen wir dazulernen. Wir werden merken, dass es nicht unbedingt so schön ist, draußen zu sitzen. Auf Rotwein können wir verzichten. Den kann man aus anderen Ländern importieren. Außerdem hat Deutschland sehr guten Weißwein und teilweise auch Rotwein.
Deswegen, glaube ich, sind das die falschen Argumente in dieser Debatte.
Ein weiterer Punkt, den ich auch nicht mehr hören kann, ist folgender: China verbraucht seine Kohlereserven sowieso, dann sollten sie es lieber mit unserer Technologie tun. Ja, es ist mit unserer Technologie ein bisschen besser. Aber wenn China seine Kohlereserven verbraucht - egal mit welcher Technologie -, wird diese Erde nicht mehr zu retten sein. Wir müssen mit anderen Technologien vorangehen. Bis dahin müssen wir mit der vorhandenen Technologie arbeiten, zum Beispiel mit Kraft-Wärme-Kopplung. Gleichzeitig müssen wir andere Technologien wie die erneuerbaren Energien und solche zur Effizienzsteigerung voranbringen, sodass die Chinesen irgendwann aufhören, ihre Kohle komplett zu verbrennen. Ansonsten brauchen wir die Diskussion über Klimawandel und Klimaschutz nicht mehr zu führen.
Zum Schluss lassen Sie mich bezüglich Klimaschutz und Atomkraft auf Folgendes hinweisen - ich will dazu nur ein Argument nennen -: Wenn wir in diesem Jahr einen Sommer wie 2003 erleben - vieles deutet darauf hin; vielleicht wird er sogar noch ein bisschen heißer -, dann möchte ich vor allen Dingen in Frankreich die Diskussion erleben, wenn zum einen das Wasser knapp wird und zum anderen das wenige Wasser, das vorhanden ist, stark erwärmt ist. Dann wird es eine Diskussion darüber geben, die Kraftwerke abzuschalten. Dann wird der so billige Atomstrom auf einmal schweineteuer. Das wird zu erheblichen Engpässen führen. Ich bin froh, dass wir schon jetzt nur noch einen Anteil des Atomstroms von 25 Prozent haben. Je weniger wir haben, desto weniger Probleme werden wir in den zukünftigen Sommern haben.
Wallace hatte 1903 zwar recht, aber wir müssen dafür sorgen, dass wir in 20, 30 Jahren sagen können: Die sogenannte zivilisierte Welt insgesamt und die Länder mit dem größten Fortschritt sind vorangegangen und haben versucht, ihre Fehler gutzumachen, und zwar gemeinsam.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Reinhard Loske, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Marco Bülow hat natürlich recht: Man sollte den Blick nicht zu sehr nach hinten richten und darüber lamentieren, wer früher was gesagt hat. Aber wenn jetzt beispielsweise Herr Kauch sagt, es sei schön, dass die EU-Kommission die Emissionsrechte weiter kürzt, erinnert man sich schon daran, wie Frau Homburger hier früher darüber geklagt hat, dass der Emissionshandel die deutsche Industrie in die Knie zwingt. Man muss schon bei der Wahrheit bleiben.
Wenn sich Frau Reiche - ich weiß nicht, ob sie noch anwesend ist - jetzt als die Freundin der erneuerbaren Energien hinstellt, erinnert man sich an die Diskussion in der letzten Legislaturperiode, als dieses Gesetz in Grund und Boden geredet wurde. Wenn es dieses Gesetz nicht gegeben hätte, hätte es diesen starken Aufwuchs nicht gegeben. Dieses Auseinanderklaffen von Worten und Taten ist schon enorm.
Kollege Kelber, Sie wissen, dass ich Sie schätze, aber die Position, die Sie hier zu beziehen versuchen - die Sozialdemokratie sei in Wahrheit die Treiberin beim Klimaschutz gewesen, und die Grünen hätten das leider nicht mitgemacht -, verkennt die fundamentale Tatsache, dass es vor allen Dingen Ihre Minister waren, die uns beim Klimaschutz einen Knüppel nach dem anderen zwischen die Beine geworfen haben. Bei dieser Wahrheit muss man schon bleiben.
Ich will, weil die Redezeit knapp bemessen ist, jetzt vor allem auf die Regierungserklärung des Umweltministers eingehen. Sie war interessant und hat viele richtige Elemente enthalten. Gerade das, was der Minister zu den Zielen und zur internationalen Kooperation gesagt hat, können wir ausdrücklich unterstützen.
Einen Punkt finde ich allerdings falsch. Sie stellen in Ihrer Argumentation die Technik gegen den Lebensstilwandel. Das ist völliger Quatsch. Wir brauchen natürlich beides. Wir brauchen technische Innovationen auf allen Ebenen: erneuerbare Energien, Effizienzsteigerung, Einsparungen, Kraft-Wärme-Kopplung etc. pp. Aber wir brauchen auch Veränderungen im Lebensstil. Ich möchte Sie bitten, diese Punkte nicht so scharf voneinander abzugrenzen nach dem Motto: Hier sind die Verzichtsapostel, da sind die Technikfreunde. Die Wahrheit ist: Wir brauchen Lebensstilveränderung und technische Innovation. Wir finden, dass das gut zusammenpasst.
Man hat heutzutage manchmal den Eindruck: Es gibt in Deutschland keine Parteien mehr; es gibt nur noch Klimaschützer. Wenn es so wäre, wäre das auch gut; darüber gäbe es gar nichts zu klagen. Aber ich will schon noch einmal auf die einzelnen Punkte eingehen, die die Regierung in den letzten Monaten vorangetrieben hat.
Beim Klimaschutz im Automobilsektor, der CO2-Emissionsgrenze für Autos, beispielsweise haben Sie in Brüssel ganz massiv auf der Bremse gestanden und das Gegenteil von dem getan, was Sie hier gesagt haben. Das war nicht glaubwürdig; das muss man ganz klar sagen.
Beim Emissionshandel mussten Sie auf der einen Seite von der Kommission zum Jagen getragen werden, und auf der anderen Seite versuchen Sie jetzt durch die Hintertür, heimlich Braunkohleprivilegien einzuführen. Auch das ist nicht glaubwürdig, finden wir.
Oder nehmen wir den Energiepass für Gebäude, der gestern im Kabinett verabschiedet worden ist. Die vollkommen richtige tragende Idee dabei ist, dass die CO2-Werte bzw. die energetischen Qualitäten eines Gebäudes sich auch im Immobilienwert und in den Mieten widerspiegeln können. Aber was Sie gestern mit dem Energiepass verabschiedet haben, ist nichts Halbes und nichts Ganzes. Die Leute wissen am Ende gar nicht, ob ein Gebäude energetisch gut oder schlecht ist. Auch das muss noch geändert werden, wie wir finden.
Ein weiteres Thema ist das Tempolimit; das ist heute noch gar nicht zur Sprache gekommen.
Ich finde es nicht gut, wenn Sie - der Herr Kollege Tiefensee ist nicht da; das gilt aber auch für Sie, Herr Minister Gabriel - die Klimaschutzwirkungen des Tempolimits immer wieder herunterspielen. Das ist falsch. Es gibt zwei starke Argumente. Das erste Argument ist: Wenn wir ein Tempolimit von 120 Stundenkilometern auf Deutschlands Autobahnen einführen würden, würde sich das bezüglich der CO2-Emissionen mit einer Senkung um 9 Prozent auswirken. Da können Sie nicht sagen, das sei nur Symbolpolitik. Es wundert mich wirklich, dass Sie als Umweltminister das behaupten.
Das zweite Argument ist noch viel wichtiger: Wenn wir ein Tempolimit hätten - als einziges Industrieland der Welt haben wir heute keines, das muss man sich einmal vorstellen; wir haben da wirklich den zivilisatorischen Fortschrittszug verpasst -, dann würden auch Automobile anders gebaut; wenn sie auf Spitzengeschwindigkeiten von 150 und nicht von 250 Stundenkilometern ausgelegt würden, würden sich die Konstruktionsprinzipien ändern. Dann bräuchte man weniger Material, wir hätten weniger Energieverbrauch, und wir könnten mehr für den Klimaschutz tun. Das heißt, der Sekundäreffekt eines Tempolimits ist riesengroß. Geben Sie da endlich Ihre Blockadehaltung auf; denn sie ist falsch!
Zur Atomenergie. Ich kann das jetzt hier nicht im Einzelnen ausführen; aber ich rege zu folgendem gedanklichen Experiment an. Die Kollegen von der Union und von der FDP tun immer so, als sei die Atomenergie der ?CO2-Helfer“. Denken Sie einmal genau anders herum! Die Wahrheit ist nämlich: Wenn wir jetzt wieder die Schleusen für die Atomenergie aufmachen, ist das nichts anderes als eine Barriere, eine regelrechte Mauer in Bezug auf Neuinvestitionen in erneuerbare Energien und Energieeffizienz. All die, die jetzt in den Startlöchern sitzen - bezüglich der Investitionen in erneuerbare Energien, Energieeffizienz, Kraft-Wärme-Kopplung, Blockheizkraftwerke, Brennstoffzellen -, würden dadurch ein ganz schlechtes Signal bekommen; man würde ihnen einen Knüppel zwischen die Beine werfen. Also lassen Sie das bitte sein!
Mir fehlt die Zeit, um meinen letzten Punkt - CCS, die Kohlenstoffabscheidungstechnologie - in aller Breite auszuführen. Das ist für uns vor allen Dingen ein Forschungsthema und kein energiepolitisches Thema. In den nächsten 15 Jahren, wenn der Löwenanteil an Investitionen im Kraftwerksbereich vorgenommen wird, steht diese CCS-Technologie, also Kohlenstoffabscheidung in Kohlekraftwerken und dessen Endlagerung, nicht zur Verfügung. Deswegen ist das im Moment mehr ein Ablenkungsmanöver als reale Klimapolitik. Darauf lassen wir uns auf gar keinen Fall ein.
Deshalb möchte ich abschließend sagen: Die Regierungserklärung war insofern gut, als sie klare Ziele formuliert hat. Aber dass sie schon mit klaren Maßnahmen unterlegt worden wäre, wie Sie sagen, Herr Kollege Kelber, ist nicht der Fall. Vieles bleibt im Vagen, im Diffusen. Nach wie vor klaffen Worte und Taten bei Ihnen ziemlich deutlich auseinander. Das werden wir als Opposition genau beobachten und auch beim Namen nennen. Wir werden vor allen Dingen eigene Vorschläge machen, wie wir das bisher auch bei allen anderen möglichen Bereichen schon getan haben.
Danke schön.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Kollege Frank Schwabe, SPD-Fraktion.
Frank Schwabe (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Damen und Herren! Die Zeit läuft. Beim Umgang mit dem Klimawandel handelt es sich in der Tat um eine historische Aufgabe. Das ist heute schon deutlich geworden. Durch die Veröffentlichungen des Weltklimarates in den letzten Wochen sind drei Dinge ganz deutlich geworden:
Erstens. Das Zeitfenster für den notwendigen grundlegenden Umbau unseres Energiesystems ist klein. Es ist unsere Aufgabe, heute für Veränderungen zu sorgen.
Zweitens. Der Umgang mit dem Klimawandel kostet schon jetzt; er wird weiter kosten - so oder so. Es ist aber viel teurer und möglicherweise nicht mehr vernünftig zu steuern, wenn wir nichts oder nur sehr wenig tun. Das hat spätestens der Stern-Bericht deutlich gemacht.
Drittens. Es ist richtig: Die Schwellen- und Entwicklungsländer werden die Industrieländer in den nächsten Jahren beim Ausstoß von Treibhausgasen überholen. Deutschland ist ?nur“ für 3 Prozent verantwortlich. Aber wir haben es in der Hand - es ist wie beim Dominoeffekt -: Wir müssen deutlich machen, dass Wohlstand, ein hoher Lebensstandard und eine klimafreundliche Lebensweise zusammenpassen. Die Zahlen über den Pro-Kopf-Ausstoß in China, Amerika und Deutschland sind schon genannt worden. Wir sollten uns angesichts dieser Zahlen nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Wir haben noch unsere Hausaufgaben vor Ort zu machen.
Deshalb ist es richtig, dass sich Deutschland zu einer Senkung der Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 Prozent verpflichtet. Frau Künast, warum loben Sie das eigentlich nicht? Herr Kauch, warum sagen Sie dazu eigentlich nichts? Kann es sein, dass die FDP ein solches Ziel nicht vertritt? Sie haben viel geredet, aber es wäre ganz gut, wenn Sie einmal sagen würden, mit welchen Positionen man in die internationalen Verhandlungen gehen sollte. Wir sind vielleicht gemeinsam auf der Weltklimakonferenz in Nusa Dua, Indonesien. Es wäre ganz gut, wenn sich die FDP zu diesen Zielen bekennen würde.
Sigmar Gabriel als zuständiger sozialdemokratischer Umweltminister hat sich nicht nur heute, sondern bereits schon auf der Weltklimakonferenz Ende des letzten Jahres in Nairobi dazu bekannt und damit - die dort anwesend waren, haben es mitbekommen - begeisterte Reaktionen im Saal ausgelöst, und zwar deshalb, weil damit deutlich wurde und wird: Wir wollen, dass alle mitmachen, und es müssen alle mitmachen. Aber Deutschland erkennt seine Verantwortung als großer Industriestaat an. Deutschland erkennt auch die ökonomischen, vor allem die sozialen und ökologischen Chancen, die mit einer konsequenten Bekämpfung des Klimawandels verbunden sind. Wir beenden das Schwarze-Peter-Spiel des ?Geh du voran - wir warten ab“. Das ist die große Verantwortung, die wir gemeinsam im Hause tragen.
Das deutsche Bekenntnis zu den 40 Prozent ist das Pfand dazu, dass die Bundeskanzlerin und der Bundesumweltminister in der Lage sind, die internationale Klimadebatte auf dem G-8-Gipfel und dann bei der Weltklimakonferenz in Indonesien in Gang zu bringen.
Zu den einzelnen Maßnahmen, die heute vorgestellt wurden - ich denke, das ist in sehr umfassender Weise geschehen -, will ich im Einzelnen nichts sagen. Ich möchte nur erwähnen, dass wir national entsprechend handeln müssen, wenn wir mit unseren Reduktionszielen glaubwürdig sein wollen. Deshalb begrüße ich es ausdrücklich, dass Minister Gabriel heute ein Acht-Punkte-Paket vorgelegt hat. Damit ist eine Senkung um 270 Millionen Tonnen im Bereich der Treibhausgase verbunden. Wir werden als Sozialdemokraten auf eine schnelle Umsetzung drängen.
Ein Mittel dazu ist der Emissionshandel mit CO2-Verschmutzungsrechten. Es ist schon eingestanden worden, dass er bisher - man kann lange darüber streiten, woran das liegt - nicht sehr effektiv war. Lobbyinteressen haben sich durchgesetzt. Aber wir haben hinzugelernt, sicherlich auch mithilfe von klaren Hinweisen aus Brüssel, die im Übrigen für fast alle Staaten Europas galten.
Das Signal des jetzigen Plans an die Investoren, an die Wirtschaft und an die Börsen ist klar: Die Anzahl der Verschmutzungsrechte geht massiv nach unten. Stellt euch also ab 2008 darauf ein, dass es weniger Verschmutzungsrechte gibt! Seid euch im Klaren, dass es ab 2013 noch massiver nach unten gehen wird! Das ist politisch geboten und ökonomisch machbar und löst im Übrigen weitere Innovationen aus. Wer sich frühzeitig darauf einstellt, wird Vorteile haben.
Ich bin mir sicher: Neben dieser Verknappung der Zertifikate brauchen wir noch ein weiteres Signal, das wir im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens geben müssen. Das CO2 braucht einen Preis, und es braucht einen funktionstüchtigen Mechanismus, mit dem der Preis gebildet werden kann. Alle mit dem Thema befassten Umweltökonomen - mittlerweile auch viele gesellschaftlichen Gruppen wie zuletzt Vertreterinnen und Vertreter der evangelischen und der katholischen Kirche - haben sich dafür ausgesprochen. Ich begrüße es daher - es wäre gut, wenn dies noch andere begrüßen würden, statt nur herumzulamentieren -, dass sich der Bundesumweltminister nicht nur in Interviews in den letzten Tagen, sondern auch heute in der Regierungserklärung klar für die Versteigerung von Zertifikaten ausgesprochen hat. Ich habe den Eindruck, die Opposition, die das gerne zum Hauptthema in den nächsten Wochen gemacht hätte, ist auf dem falschen Fuß erwischt worden. So sind diese relativ emotionalen Reaktionen zu erklären.
Die Krokodilstränen gerade der Energieversorger sind an vielen Stellen, aber besonders an dieser Stelle fehl am Platze. Mit einem Versteigerungsanteil von 10 Prozent machen wir nichts anderes, als 10 Prozent der ungerechtfertigten Zusatzprofite der letzten Jahre abzuschöpfen.
Es ist völlig klar: Im Rahmen der Versteigerung kann Deutschland seine wahre europäische Vorreiterrolle beweisen. Kollege Gysi hat vorhin behauptet, in Europa würden alle in vorbildlicher Weise vorangehen. Das ist mitnichten so. Warum können in Europa höchstens 10 Prozent versteigert werden? Es gab ja eine Richtlinie. Einige Minister haben sich in ihrem Verantwortungsbereich - ich will das nicht näher ausführen - nicht durchsetzen können, sodass nicht mehr versteigert werden konnte.
Für die europäische Debatte ist es meines Erachtens sehr wichtig, dieses Signal jetzt zu setzen. Wir als Deutschland müssen mutig vorangehen. Wer eine umfassende Versteigerung nach 2012 für richtig hält, muss jetzt dafür sorgen, dass es hier in Deutschland den Einstieg gibt. Das Parlament hat in diesem Zusammenhang in den nächsten Wochen eine besondere Verantwortung; dessen sollten wir uns bewusst sein.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Als nächster Redner hat der Kollege Andreas Jung von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Andreas Jung (Konstanz) (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bis vor einiger Zeit war Klimawandel ein Thema, das vornehmlich lokale Agenda-Gruppen bei ihren mehr oder weniger gut besuchten monatlichen Treffen beschäftigte.
In der letzten Woche hat sich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zum ersten Mal mit dem Weltklima befasst. Diese Gegenüberstellung zeigt, welche Dramatik die Debatte um Klimaschutz erreicht hat, und zwar zu Recht, wie ich finde; denn wir erkennen die ökologische Dimension in viel größerer Tragweite als noch vor einigen Jahren. Heute wissen wir: Der Klimawandel findet statt. Er hat uns erreicht. Er beschleunigt sich. Am Ende wird es nur Verlierer geben.
Hinzu kommt, dass wir spätestens seit Nicholas Stern wissen, dass es auch eine wirtschaftliche, eine ökonomische Seite gibt. Seine Botschaft ist klar und deutlich: Nicht zu handeln, wird uns teuer zu stehen kommen - weit teurer, als jetzt entschieden und konsequent zu handeln.
Ein dritter Aspekt rückt jetzt in den Mittelpunkt der Debatte, auch durch ein von ehemaligen amerikanischen Generälen und Admirälen vorgelegtes Gutachten. Sie machen deutlich, dass Klimawandel einen sicherheitspolitischen Aspekt hat. Sie befürchten weltweite Spannungen, Konflikte und Flüchtlingsströme. Sie sagen: Klimawandel wird zu einer ernsten Bedrohung für die Sicherheit der Vereinigten Staaten.
Sie behaupten, dies könne Extremismus und Terrorismus fördern.
Das alles in seiner ganzen Tragweite sagt uns meines Erachtens, dass Klimawandel die globale Herausforderung im 21. Jahrhundert ist.
Ich finde, dass wir diese Erkenntnis all denjenigen unserer Partner vermitteln müssen, die sich bisher dem Kiotoprozess verschließen und nicht im internationalen Klimaschutz mitarbeiten.
Auch den Amerikanern müssen wir das immer wieder sagen. Wir müssen ihnen sagen: Kein Staat dieser Welt kann heute eine globale Führungsrolle beanspruchen, der sich beim Klimaschutz verweigert.
Deshalb müssen wir die Vereinigten Staaten in diesen Prozess hineinholen. Ich nenne sie als Erstes, weil sie als weltweit größter Emittent natürlich eine Schlüsselrolle spielen; denn heute lehnen sich viele zurück und sagen: Wenn diejenigen, die am meisten zur Verschmutzung beitragen, nichts machen, müssen wir erst recht nichts tun.
Natürlich brauchen wir aber auch China und Indien. Wir brauchen die Schwellenländer und die Entwicklungsländer. Es gibt Berechnungen, nach denen die Entwicklungsländer ab dem Jahr 2020 mehr CO2 emittieren werden als die Industrieländer. Das muss man erkennen und daraus den Schluss ziehen, dass auf diese globale Frage natürlich nur eine globale Antwort gegeben werden kann.
Trotzdem entlastet uns das nicht von unserer Verantwortung. Wir als Industrieländer tragen den Hauptteil der Verantwortung. Deshalb ist es richtig, dass die Bundeskanzlerin, die Bundesregierung und die Große Koalition sich zu unserer Vorreiterrolle bekennen, die wir als Europäische Union haben und die wir mit dem ganz konkreten Ziel verfolgen, dass sich die Industrieländer verpflichten sollen, ihren Treibhausgasausstoß um 30 Prozent zu reduzieren. Dazu haben wir, die CDU/CSU und die SPD, uns in unserem Nairobi-Antrag bekannt. Darin haben wir mit aller Deutlichkeit gesagt: Um das Ziel einer Reduzierung um 30 Prozent zu erreichen, sind wir bereit, mehr zu machen. Wir haben uns auf die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages berufen und uns dazu bereit erklärt, unsere CO2-Emissionen bis 2020 um bis zu 40 Prozent zu reduzieren.
Ich finde das Bekenntnis zu dieser Vorreiterrolle richtig. Gleichzeitig weiß ich, dass der eine oder andere in der Wirtschaft Bedenken hat und ein 40-Prozent-Ziel als Bedrohung empfindet. Ich bin der Überzeugung: Das Gegenteil ist richtig. Ein 40-Prozent-Ziel und damit ein engagierter Klimaschutz stellt keine Bedrohung dar, sondern bietet eine Chance für effizientes Wirtschaften und auch eine Chance für Arbeitsplätze in Deutschland durch neue Technologien.
Ich will das an einem Paradebeispiel belegen: an dem CO2-Gebäudesanierungsprogramm der Bundesregierung. Die Bundesregierung hat nach ihrem Amtsantritt die Mittel für dieses Programm von früher 300 000 Euro mehr als vervierfacht und auf 1,4 Milliarden Euro im Jahr bzw. über 5 Milliarden Euro insgesamt in dieser Legislaturperiode aufgestockt. Damit wird unglaublich viel im Bereich der Reduktion von CO2-Emissionen erreicht. Gleichzeitig profitiert aber auch der kleine Handwerksbetrieb vor Ort. Wir erleben hier regelrecht einen Aufschwung. Die Handwerksbetriebe können sich vor Aufträgen, die aus diesem Programm resultieren, kaum retten. Schließlich sinken auch die Heizkosten. Davon profitieren alle Bürger, sowohl Mieter als auch Selbstnutzer. Ich finde, das ist ein Paradebeispiel dafür, dass Ökonomie und Ökologie keine Gegensätze sind und Klimaschutz auch als Chance begriffen werden kann.
Dasselbe gilt für den Bereich der regenerativen Energien, in dem wir führend sind in der Welt. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit Achim Steiner in Nairobi. Er kam gerade zurück aus China und sagte, dass man dort bei allem Widerwillen, der bezüglich einer Beteiligung an internationalen Klimaschutzprogrammen herrscht, die ökonomische Seite des Einsatzes dieser Energien erkannt habe und gerade ein milliardenschweres Programm zur Förderung regenerativer Energien auflegen würde. Wir müssen, wie ich finde, an uns den Anspruch stellen, auch zukünftig in diesem Bereich an der Spitze zu stehen und Hauptexporteur dieser Technologien in der Welt zu bleiben. Deshalb werden wir auch in Zukunft die Förderung in diesem Bereich fortführen und noch verbessern. Das gilt für den Bereich der regenerativen Energien insgesamt, in besonderer Weise - das ist schon angesprochen worden - für den Bereich der regenerativen Wärme.
Jetzt habe ich zwei Bereiche angesprochen, das Gebäudesanierungsprogramm und die erneuerbaren Energien. Hier machen wir nicht nur genauso viel wie Rot-Grün, indem wir alle Programme, die bisher aufgelegt wurden, fortführen, sondern auch noch vieles darüber hinaus. Deshalb finde ich es schon verwunderlich - ich komme jetzt zum Thema Emissionshandel -, wenn jetzt der Nationale Allokationsplan der Bundesregierung vonseiten der Grünen angegriffen wird. Frau Künast hat vorhin gesagt, sie wolle sich gerne auf einen Wettbewerb einlassen, nur nicht mit der SPD, weil die in ihrer damaligen Koalition der Bremser gewesen wäre. Aber ansonsten würde sie anbieten, in einen solchen Wettbewerb einzutreten. Ich finde, wir als CDU/CSU haben allen Grund, diesen Wettbewerb anzunehmen. Frau Künast muss sich dabei aber schon gefallen lassen, nicht an dem gemessen zu werden, was sie jetzt aus der Opposition heraus fordert, sondern an dem, was die rot-grüne Bundesregierung getan hat.
Zu ihren Ausführungen, Arnold Schwarzenegger würde Leute nach Deutschland schicken, um zu schauen, wie man den Emissionshandel nicht aufziehen sollte, kann ich nur sagen: Es gibt bisher nur eine einzige Form des Emissionshandels, einen einzigen Nationalen Allokationsplan, und diesen hat der Kollege Trittin zu verantworten.
Abschließend noch eine Bemerkung hierzu. Die Wahrheit ist am Ende immer konkret. Minister Gabriel hat die Fakten genannt: Der damalige Minister Trittin hat CO2-Zertifikate im Umfang von 510 Millionen Tonnen verteilt, wir aber werden erheblicher weniger ausgeben und damit immerhin bedeutend mehr für Klimaschutz als die rot-grüne Bundesregierung machen. Ich finde, auf diesem Weg sollten Sie uns zwar kritisch, aber konstruktiv begleiten und unsere Leistung dann auch anerkennen.
Auch ich bin der Meinung, dass noch die eine oder andere Diskussion zu führen ist. So wird ja darüber diskutiert, ob eine Versteigerung von Emissionszertifikaten in dem Umfang, wie ihn die Europäische Union vorsieht, richtig ist. Ich persönlich bin dafür. Es gibt viele Befürworter in den Reihen der Koalitionsfraktionen und auch in den Reihen von CDU und CSU. Es gibt aber die eine oder andere offene Frage. Diese Fragen werden wir im Gesetzgebungsverfahren diskutieren. Ich glaube, das ist der richtige Weg, und ich bin sicher, wir werden am Ende gemeinsam zu einem guten Ergebnis kommen.
Ich möchte noch eine letzte Bemerkung zur Verkehrspolitik machen: Es ist ja unbestritten, dass auch der Verkehrssektor in den Klimaschutzprozess einbezogen werden muss. Genau dies geschieht auch im Bereich des Pkw-Verkehrs mit der Umstellung der Bemessungsgrundlage für die Kraftfahrzeugsteuer auf den CO2-Ausstoß und im Bereich des Flugverkehrs, indem er auf europäischer Ebene in den Emissionshandel einbezogen werden soll.
Ich glaube, dass man sagen kann, dass hier unglaublich viel in Bewegung ist. Die Bundesregierung wird ihrer Verantwortung gerecht. Sie wird dabei von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit Nachdruck unterstützt, auch deshalb, weil ?Klima schützen“ für uns als CDU und CSU immer auch ?Schöpfung bewahren“ heißt. Deshalb stehen wir an der Seite der Bundeskanzlerin, die das Thema Klimaschutz zum Topthema in Europa und in der ganzen Welt gemacht hat.
Herzlichen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Rolf Hempelmann von der SPD-Fraktion.
Rolf Hempelmann (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Klimaschutz steht ganz oben auf der politischen Agenda - das zeigt auch die heutige Regierungserklärung zum Klimaschutz -, und das ist gut so. Das sage ich auch als Wirtschaftspolitiker. Bei der SPD steht das nicht erst seit dem Stern-Review, dem IPCC-Report und der jetzt so großen Medienöffentlichkeit weit oben.
Wir sollten uns zwischen Rot und Grün da nicht schlechterreden, als wir waren oder sind. Zugegeben: Der Emissionshandel hat nicht so funktioniert, wie wir uns das vielleicht erhofft haben. Aber wir haben in den Jahren der rot-grünen Koalition auch andere Markenzeichen wie Erneuerbare-Energien-Gesetz, Ökosteuer oder Kraft-Wärme-Kopplung gesetzt. Wir haben in der Großen Koalition daran mitgewirkt, dass es ein CO2-Gebäudesanierungsprogramm, den Gebäudeenergieausweis oder zum Beispiel auch eine Biokraftstoffstrategie gibt.
Klar ist heute aber auch geworden: Das alles reicht noch nicht. Wir brauchen ein Aktionsprogramm Klimaschutz - das ist in den Eckpunkten von Sigmar Gabriel heute vorgestellt worden und von uns zu unterstützen -, das noch viel ambitionierter und wesentlich konsequenter als alles ist, was wir bisher getan haben. Es ist ebenfalls deutlich geworden: Wir brauchen es vor allem zur Sicherung der Bewohnbarkeit unseres Planeten für die kommenden Generationen.
Diese Aufgabe, Klimaschutz, ist für sich genommen schon schwierig genug. Politik wird allerdings zur Kunst - man sollte das in solchen Debatten gar nicht verschweigen -, wenn es darum geht, Klimaschutz mit ökonomischen und sozialen Zielen zu verbinden. Manches läuft da ganz automatisch, aber man muss schon sehr auch auf die Einzelheiten achten. Es geht also um nicht weniger als um Sicherung der Bewohnbarkeit des Planeten, aber eben auch um Sicherung unseres Wohlstands und um Gewährleistung unserer Versorgung mit sicherer, aber auch bezahlbarer Energie. Es geht ebenfalls um Arbeitsplätze, Arbeitsplätze im Bereich der Zukunftsenergien, im Bereich von Effizienztechnologien, aber durchaus auch - das ist im Vortrag des Bundesumweltministers ebenfalls deutlich geworden - im konventionellen Kraftwerkssektor.
Eines werden und dürfen wir nicht zulassen: eine Neueinteilung der Welt in Gut und Böse nach dem Motto: Gut sind die, die sich um die erneuerbaren Energien kümmern, und böse sind die anderen, die über Modernisierung und Arbeitsplätze etwa in konventionellen Bereichen sprechen. - Ich glaube, wir haben heute gelernt, dass wir auf Sicht beides benötigen.
Deutschland als Industrieland und als Land mit einem durch den Einsatz fossiler Brennstoffe geprägten Kraftwerkspark kommt im internationalen Klimaschutz eine etwas andere Aufgabe zu als einem Land wie Frankreich, das im Wesentlichen von Kernenergie lebt und nach wie vor stark agrarisch geprägt ist. Wir haben gezeigt, dass wir zu Hause erneuerbare Energien entwickeln und verstromen können und dass wir diese Technologien exportieren können. Das ist eine Erfolgsstory, die wir fortsetzen wollen. Wir werden zeigen, dass wir zu Hause weitere Techniken zur umweltfreundlichen und klimaverträglichen Verstromung fossiler Energien entwickeln können. Wenn uns das gelingt und wenn wir Länder wie China oder Indien davon überzeugen, nicht nur, wie bisher, Windkraftanlagen von Deutschland zu importieren, sondern zum Beispiel auch umweltfreundliche Autos, stromsparende Elektrogeräte und konventionelle Kraftwerkstechnologien, dann werden wir ökologischen Fortschritt und wirtschaftlichen Erfolg miteinander verbunden haben. Nicht weniger erwarten die Menschen von uns.
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt die Kollegin Gabriele Groneberg von der SPD-Fraktion.
Gabriele Groneberg (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin unserem Umweltminister Sigmar Gabriel wirklich dafür dankbar, dass er so deutlich ausgeführt hat, welche Auswirkungen der Klimawandel auf die Entwicklungsländer hat. Insofern freue ich mich doppelt - mir steht wenig Zeit zur Verfügung -, dass ich jetzt auf die konkreten Maßnahmen eingehen kann, die wir hier in Deutschland auf den Weg gebracht haben, um auf den Klimawandel in den Entwicklungsländern zu reagieren und um diesen Ländern zu helfen.
Sigmar Gabriel hat neben der politischen und der zeitlichen zu Recht die moralische Dimension betont, die wir ausfüllen müssen. Daraus resultiert, dass in den Industrie- und Entwicklungsländern ein zweigleisiger Ansatz verfolgt werden muss: Die Bekämpfung der Ursachen und die Anpassung an die bereits eingetretenen Folgen müssen einander ergänzen. - Das ist keine neue Erkenntnis. Wir haben dies in den vergangenen Jahren nicht nur in etlichen Anträgen deutlich gemacht; wir sind vielmehr vor allen Dingen im Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Entwicklung bereits aktiv Handelnde.
Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit räumt dem Ausbau erneuerbarer Energien und der Verbesserung der Energieeffizienz einen Vorrang ein. Unser vielfältiges Engagement auf diesem Gebiet dient dazu, den Zugang zu sauberer Energie zu verbessern, klima- und umweltschädliche Folgen zu reduzieren und zugleich die Armut zu mindern.
Bereits 2004 wurde im Zusammenhang mit der Internationalen Konferenz für Erneuerbare Energien in Bonn durch Bundeskanzler Gerhard Schröder und Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul die Sonderfazilität für erneuerbare Energien und Energieeffizienz - das ist ganz wichtig - auf den Weg gebracht. Wegen der starken Nachfrage dieses erfolgreichen Instruments hat diese Große Koalition die Zuschussmittel für 2007 bereits auf 50 Millionen Euro verdoppelt und das ursprünglich auf fünf Jahre angelegte Programm damit dauerhaft eingerichtet. Ich bedauere sehr, dass Frau Künast ausgerechnet jetzt nicht da ist; denn das sollte sie sich einmal anhören.
Auch bei der Anpassung an den Klimawandel unterstützt die deutsche Entwicklungszusammenarbeit die Entwicklungsländer, insbesondere in den Bereichen Infrastruktur, Wasserwirtschaft, Landwirtschaft und Gesundheitswesen. Darüber hinaus unterstützten wir den Klimafonds ?Global Environment Facility“ zur Anpassung an den Klimawandel in den ärmsten Ländern in diesem Jahr mit einem Finanzierungsbetrag von 25 Millionen Euro.
Außerdem ist es uns wichtig, den in Nairobi beschlossenen Anpassungsfonds auf den Weg zu bringen, damit er auf der nächsten Weltklimakonferenz in Bali verabschiedet werden kann. Dieses innovative internationale Finanzierungsinstrument ist ein Schritt in die richtige Richtung. Mithilfe der durch den projektbezogenen Emissionshandel erzielten Abgaben könnten in Zukunft Milliarden von Dollar in den Anpassungsfonds eingespeist werden. Es ist zwingend notwendig, dass die Entwicklungsländer, insbesondere die in Afrika, an dem im Rahmen des Kiotoprotokolls vereinbarten Instrument des Clean-Development-Mechanism - es ist heute schon mehrfach erwähnt worden - stärker partizipieren. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass wir die Finanzierung dieser emissionsmindernden Maßnahmen in Entwicklungsländern ausweiten, indem wir zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Investitionen beitragen. Darin sind wir uns mit den Wirtschaftspolitikern einig.
Ich möchte einfach einmal eine Zahl nennen. Wir haben zurzeit 45 Partnerländer, in denen wir im Energiebereich und im Klimabereich tätig sind. Dafür haben wir ein Volumen von 1,6 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Allein bei fünf Projekten haben wir 3,4 Millionen Menschen den Anschluss an zuverlässige und moderne Energieversorgung ermöglicht. Es wäre natürlich angebracht, hierfür konkrete Beispiele zu nennen. Dafür fehlt leider die Zeit. Wichtig ist, dass sich immer mehr Regierungen in den Entwicklungsländern aufmachen, sich vor allen Dingen im Klimabereich ganz ehrgeizige Ziele zu setzen. Sie tun das aus Überzeugung; denn sie wissen, dass es für ihre eigene positive Entwicklung zwingend notwendig ist. Darin wollen wir sie unterstützen.
Ich möchte noch etwas zu unserem eigenen Verhalten sagen. Eine Diskussion über das, was, vorsichtig umschrieben, als ?innovative Finanzierungsinstrumente“ bezeichnet wird, ist bei uns in Deutschland überfällig. Ich erwähne bewusst die Reizwörter ?Ticketabgabe“ und ?Kerosinsteuer“. Herr Kauch, Ihr Antrag leistet leider keinen positiven Beitrag dazu; denn seine Ausrichtung geht an vielem vorbei, was wir auf den Weg bringen müssen.
Ich frage mich, warum wir hier in Deutschland eine offene Diskussion scheuen. Andere EU-Länder sind schon längst auf diesem Feld unterwegs. Wir beklagen den massiven CO2-Ausstoß, gleichzeitig behandeln wir Bahn und Flugzeug mit ihren unterschiedlichen Emissionen sehr ungerecht. Wir müssen da aktiv werden.
Also wende ich mich einfach einmal an die mutlosen Kollegen hier: Die Behauptung, es sei für unsere Luftverkehrsgesellschaften nicht zu finanzieren, halte ich für eine faule Ausrede; das muss ich jetzt einmal sagen. Wettbewerb kann und muss man international organisieren. Wenn wir da auch mit der FDP auf einen Nenner kommen, dann können wir das zusammen erreichen.
Herzlichen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich das Wort der Kollegin Rita Schwarzelühr-Sutter von der SPD-Fraktion.
Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die unbequeme Wahrheit ist bei uns angekommen. Klimapolitik ist mehr als nur ein Lippenbekenntnis. Heute ist der Auftakt, um die Maßnahmen zum Klimaschutz zu beschleunigen.
Wir verfolgen im Verkehrsbereich ein breit gefächertes Maßnahmenpaket, das aus preispolitischen, technischen, ordnungsrechtlichen sowie Aufklärungs- und Informationsmaßnahmen besteht und den Aspekt der Wettbewerbsneutralität und der sozialen Verträglichkeit beachtet. Wir brauchen verbindliche CO2-Obergrenzen in der EU, nachdem die Selbstverpflichtung der Automobilindustrie aller Voraussicht nach nicht erfüllt wird. Das Ziel, den CO2-Ausstoß bis 2012 auf 120 Gramm pro Kilometer zu senken, muss durch innovative Antriebstechnik und die Biokraftstoffstrategie erreicht werden. Deshalb muss auch die ACEA-Zusage der Automobilindustrie zur Reduzierung der spezifischen CO2-Emissionen von Neufahrzeugen weiterentwickelt werden. Die Potenziale und technologischen Innovationen zur Erreichung der Minderungsziele sind vorhanden. Jetzt geht es darum, sie endlich zu nutzen.
Die Autoindustrie in Deutschland muss ernsthaft umdenken und dafür sorgen, dass effizientere Motoren den Markt durchdringen und neue Antriebstechnologien schnellstmöglich auf den Markt kommen.
Die Automobilindustrie muss die Chancen der Technologieführerschaft nutzen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Dass der designierte VDA-Präsident auch Mitglied beim BUND ist, wird hoffentlich dazu führen, dass der Automobilverband mit einer konsequenten Klimastrategie nachhaltig zur CO2-Minderung beitragen wird.
Nun ist der Mensch, insbesondere der Autofahrer und die Autofahrerin, eine träge Spezies. Die Warnungen vor den Auswirkungen des Klimawandels alleine reichen zum Umsteigen nicht aus. Anreize zum Kauf von klimafreundlichen Autos müssen verstärkt über den Geldbeutel erfolgen. Die Umstellung auf die CO2-basierte Kfz-Steuer ist in der Ressortabstimmung und soll zum 1. Januar 2008 in Kraft treten. Käufer CO2-armer Neuwagen werden dann mit weniger Kfz-Steuer belastet als diejenigen, die sich für klimaschädliche Modelle entscheiden. Meiner Meinung nach sollte jedes Gramm CO2 mehr einen deutlichen Unterschied machen.
Damit der Autofahrer gleich beim Kauf eines neuen Autos die CO2-Bilanz erkennen kann, soll ihm der Klimapass helfen. Noch in diesem Jahr wird er vom Bundesverkehrsministerium eingeführt.
Ich begrüße auch, dass unser Umweltminister heute angekündigt hat, dass die steuerlichen Privilegien für spritfressende Dienstfahrzeuge auf den Prüfstand sollen.
Mit der richtigen Fahrweise lassen sich leicht bis zu 25 Prozent Kraftstoff sparen, ohne auf Fahrkomfort, Fahrspaß und zügiges Fortkommen verzichten zu müssen. Deshalb investiert das Verkehrsministerium in die Schulung der Fahrlehrer in spritsparender Fahrweise. Spritsparend Fahren heißt auch, mit angemessenem Tempo zu fahren. Herr Dr. Loske, wir sind offen für ein Tempolimit, aber wir setzen erst einmal auf die Maßnahmen, mit denen man bei der CO2-Einsparung nicht kleckert, sondern wirklich klotzen kann.
Um eine Tonne CO2 zu erzeugen, braucht ein Flugzeug nur 3 000 Kilometer, ein Pkw 7 000 Kilometer und ein Zug 17 000 Kilometer pro Person. Fliegen kostet dennoch immer weniger. Die Prognosen gehen von einer Verdoppelung der Passagierzahlen im Luftverkehr in den nächsten 20 Jahren aus. Unter den Flugzeugen gibt es erhebliche Unterschiede. Wir haben ein Vorzeigemodell, den A380, das 3-Liter-Fahrzeug unter den Flugzeugen. Deshalb ist die Einführung emissionsabhängiger Landegebühren wichtig. Ich bin froh, dass München und Frankfurt am Main ab dem 1. Januar 2008 diesbezüglich eine dreijährige Testphase starten. Das wird sich sicherlich auf die Flotte der Luftverkehrsgesellschaften auswirken.
Ein ganz wichtiges Instrument zur Förderung der Energieeffizienz im Luftverkehr ist es, den Luftverkehr in den Emissionshandel einzubeziehen. Deutschland ist hierbei Motor. Wir müssen darauf achten, dass wir in der EU eine Einigung erzielen, damit auch die ICAO dies im Herbst aufgreift, dies global umgesetzt wird und damit auch der Luftverkehr seinen Beitrag zum Klimaschutz leistet.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD):
Sofort.
Mit der gestern vom Bundeskabinett verabschiedeten Regelung zur Energieeinsparverordnung schaffen wir eine wesentliche Voraussetzung für mehr Transparenz auf dem Wohnungs- und Immobilienmarkt. Der Energieausweis ist wirklich ein Fortschritt. Aber wir dürfen nicht stehen bleiben. Wir brauchen in Zukunft für Neubauten das Passivhaus als Standard. Für Altbauten muss das Niedrigenergiehaus 40 zum Standard werden.
Das Gebäudesanierungsprogramm wurde schon oft angesprochen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Frau Kollegin, Ihre Zeit ist lange abgelaufen. Ich bitte, zum Schluss zu kommen.
Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD):
Wir brauchen eine Verlängerung des Gebäudesanierungsprogramms über 2009 hinaus.
Das Klima ist kein träges Faultier, sondern eine wilde Bestie, sagt Wallace Broecker. Deshalb lassen Sie uns auch keine Faultiere sein, sondern den Klimaschutz angehen, und zwar aktiv, nachhaltig und mutig.
Danke.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/3355, 16/4610, 16/4760 und 16/5129 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Vorlagen auf den Drucksachen 16/3355 und 16/4760 federführend beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie beraten werden sollen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel ?Für eine radikale und konsequente Klimapolitik“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4766, den Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/3283 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel ?Klares Signal für die Kyoto-II-Verhandlungen auf der UN-Klimakonferenz in Nairobi setzen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4767, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/3026 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel ?Trendwende beim Klimaschutz im Verkehr - Nachhaltige Mobilität für alle ermöglichen“. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5135, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/4416 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Auch diese Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5135 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/4429 mit dem Titel ?Wirksame Klimaschutzmaßnahmen im Straßenverkehr ergreifen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Dirk Niebel, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Vorschläge des Sachverständigenrates aufgreifen - Tarifrecht flexibilisieren, auf Mindestlöhne verzichten, Bürgergeld einführen
- Drucksache 16/4864 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Kerstin Andreae, Dr. Thea Dückert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Schnell handeln für eine umfassende Mindestlohnregelung
- Drucksache 16/5102 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Dirk Niebel von der FDP-Fraktion das Wort.
Dirk Niebel (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die ?Süddeutsche Zeitung“ überschreibt ihren heutigen Kommentar mit ?Koalition der Qual“.
Seit fast zwei Jahren vergraben und verschanzen sich die Schwarzen und die Roten in ihren ideologischen Schützengräben.
Den Medien können wir entnehmen, dass es jetzt zum Ausbruch offener Kampfhandlungen gekommen ist.
Die Situation in der Bundesregierung ist desolat. Das sieht man nicht nur an den öffentlichen Diskussionen, sondern auch an dem Klima, das in der Koalition herrscht. Die Folge davon ist, dass die Lösung der Probleme der Menschen in den Hintergrund und Symbolpolitik in den Vordergrund tritt.
Diese Symbolpolitik wird von den Schwarzen und den Roten immer wieder am Thema Mindestlöhne festgemacht. Hierüber wird gestritten wie die Kesselflicker, und man versucht, die Menschen glauben zu machen, dass man ihre Lebenssituation verbessern könnte. Im Ergebnis wird die Situation der Menschen aber immer schlechter, weil Sie nicht verstehen, dass es in diesem Land gar nicht um Mindestlöhne, sondern um Mindesteinkünfte geht.
Die Mindesteinkünfte der Menschen in Deutschland werden immer dann niedriger, wenn sie durch Steuern und Abgaben stärker belastet werden;
denn ein Mindestlohn, der vom Arbeitgeber gezahlt werden muss, kommt beim Arbeitnehmer in aller Regel nicht an. Diese Regierung hat, seit sie im Amt ist, dreist in die Taschen der Bürgerinnen und Bürger gegriffen und kräftig abkassiert. Sie hat das zur Verfügung stehende Nettoeinkommen immer weiter geschmälert. Durch ihr Handeln kommt sie immer weiter weg von der notwendigen Erhöhung der Mindesteinkünfte der Menschen in diesem Land.
Mindestlöhne wirken nicht, wenn sie zu niedrig sind, und wenn sie zu hoch sind, führen sie gerade bei Geringqualifizierten zum Verlust von Arbeitsplätzen, und zwar im Inland und in der legalen Wirtschaft. Wenn ein Mindestlohn zu hoch ist, wenn also der Preis, den ein Arbeitnehmer für seine Leistung bekommt, nicht mit der Leistung in Einklang steht, dann wird diese Arbeitsleistung in der legalen Wirtschaft nicht mehr nachgefragt. Das verbessert die Chance nicht, sondern vernichtet Chancen, insbesondere für Geringqualifizierte.
Es nützt gar nichts, wenn die Union ein wenig zappelt und im Endeffekt vielleicht nur das Entsendegesetz ausweitet; denn auch das sind Mindestlöhne. Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen die Chance erhalten, entsprechend ihrer persönlichen Leistungsfähigkeit am Erwerbsprozess teilzunehmen. Wenn das Geld, das sie damit erwirtschaften können, nicht ausreicht, müssen wir dafür sorgen, dass sie einen Zuschuss aus einem Steuer- und Transfersystem aus einem Guss erhalten:
ein Bürgergeld, das dafür sorgt, dass Erwerbstätigkeit auch für Geringqualifizierte möglich ist. Wir brauchen in Deutschland einen geordneten Niedriglohnsektor, der mit dem Steuersystem kombiniert wird. Diese Bundesregierung hat auf diesem Gebiet aber nicht einmal den Hauch von Lösungswillen gezeigt.
Das Konzept, das der thüringische Ministerpräsident vonseiten der Union vorgelegt hat, ist nicht einmal durch die Parteigremien gegangen. Es würde im Übrigen auch nicht zum Ziel führen; denn wir brauchen ein bedarfsorientiertes Bürgergeld und kein bedingungsloses Bürgergeld. Wir brauchen ein Bürgergeld, das diejenigen unterstützt, die sich nicht allein helfen können, die die Hilfe der Allgemeinheit brauchen. Wir brauchen kein Bürgergeld, das jeder bekommt, auch wenn er Millionär ist oder nicht bereit ist, zu arbeiten. Bedingungslosigkeit ist leistungsfeindlich!
Wir brauchen ein Steuer- und Transfersystem aus einem Guss, kombiniert mit einer Öffnung der Tarife, damit in Deutschland wieder die Arbeit angeboten werden kann, die heute nicht mehr angeboten wird, weil sie einfach zu teuer ist. Dann hätten viele Menschen wieder eine Chance zur Teilhabe.
Ich weiß, dass der Kollege Generalsekretär der SPD nachher noch reden wird. Deswegen möchte ich etwas anführen, was er kritisiert hat: das Faktotum. Das Faktotum ist laut ?wissen.de“ eine ?vielseitige, aufgrund langjähriger Dienste unentbehrliche Hilfskraft“. Das ist also ein durchaus positiv besetzter Begriff.
Ein Faktotum gab es früher in fast jedem mittleren Betrieb.
Das waren Menschen, die Dienste gemacht haben, die einfache Tätigkeiten ausgeführt haben, die Möbel von A nach B getragen haben, die den Hof gereinigt haben, die einmal etwas repariert haben und die für die innerbetriebliche Kommunikation bestimmt weit wichtiger waren als jedes moderne Serversystem. Ein solches Faktotum als Beispiel für jemanden, der einfache Tätigkeiten ausführt, gibt es heute nicht mehr, weil sich ein Betrieb so einen Arbeitnehmer, wenn er ihn entsprechend der unteren Tariflohngruppen der meisten Branchen bezahlen müsste, schlichtweg nicht leisten könnte.
Wären Sie in der Lage, einen solchen Menschen entsprechend seiner Produktivität zu bezahlen, hätte er zwar ein geringes eigenes Einkommen, aber Sie hätten viele positive Effekte: Dieser Mensch hätte mehr Selbstwertgefühl. Denn erwachsene Menschen kümmern sich in aller Regel lieber selbst um ihr Einkommen, als dass sie Taschengeld von der Allgemeinheit empfangen.
Dieser Mensch hätte geringere Schwierigkeiten, was die psychosozialen Folgen der Langzeitarbeitslosigkeit anbetrifft. Denn Arbeitslosigkeit macht krank. Wenn man auch nur für ein bisschen, für ein geringes Entgelt arbeiten kann,
dann hat man bessere Chancen, gesund zu bleiben, und man fühlt sich wohler.
Außerdem hätte dieser Mensch zumindest während der Arbeitszeit nicht mehr die Möglichkeit, schwarzzuarbeiten. Auch das ist ein Gesichtspunkt, den man durchaus berücksichtigen müsste.
Damit aber jemand, der arbeitet, mehr hat als jemand, der nicht arbeitet, brauchen Sie einen Ausgleichsmechanismus, der möglichst wenige Verwerfungen am Arbeitsmarkt mit sich bringt. Mindestlöhne vernichten solche Arbeitsplätze. Kombilöhne führen zu Lohndumping, weil ein Arbeitgeber oder ein Arbeitsplatz subventioniert wird. Ein Steuer- und Transfersystem aus einem Guss, in Form eines Steuerzuschusses im Einkommensteuersystem, wie wir es vorschlagen, minimiert diese negativen Effekte und führt dazu, dass Menschen mit geringen Qualifikationen ein existenzsicherndes Einkommen bekommen, führt dazu, dass Arbeitsplätze entstehen, die es heute in der legalen Wirtschaft nicht mehr gibt. Dadurch steigen auch die Möglichkeiten für Konsum und Steuereinnahmen in diesem Land. Denn jemand, der arbeitet und mehr verdient als jemand, der nicht arbeitet, kann auch mehr konsumieren, und der Staat hat auch mehr Einnahmen.
Kommen Sie raus aus Ihren Schützengräben, aber nicht um sich gegenseitig im offenen Gefecht zu begegnen, sondern um die Probleme der Menschen in diesem Land zu lösen. Das ist Ihre Aufgabe, dafür werden Sie Große Koalition genannt - nicht etwa dafür, dass hier so viele von Ihnen sitzen.
Herzlichen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Ronald Pofalla von der CDU/CSU-Fraktion.
Ronald Pofalla (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In fünf Tagen ist der 1. Mai.
Wir werden am 1. Mai einen Überbietungswettbewerb in Sachen Mindestlohn haben. 7,50 Euro Mindestlohn fordern die Gewerkschaften, 8,50 Euro fordert die Linkspartei,
und bei den Grünen weiß man nicht so richtig. Vielleicht kommen die noch auf die Idee, einen Mindestlohn von 10 Euro zu fordern. Ich kann nur sagen: Willkommen in Phantasia! Alle diese Forderungen gehen an der Realität und der Situation der Bundesrepublik Deutschland vorbei.
Dann gibt es da einen Herrn Bsirske, der am 1. Mai wieder öffentlich einen Mindestlohn von 7,50 Euro fordern wird.
Er will danach - so habe ich es der Presse entnommen - sogar auf ?Mindestlohntour“ gehen. Derselbe Herr Bsirske hat als Vorsitzender von Verdi in Thüringen einen Tarifabschluss unterzeichnet, der einen tariflichen, für allgemeinverbindlich erklärten Höchstlohn - ich wiederhole: Höchstlohn - von 4,45 Euro vorsieht. Und so einer fordert einen Mindestlohn von 7,50 Euro. Das passt nicht zusammen, und darauf muss man hinweisen.
Das ist übrigens kein Einzelfall. Verdi hat reihenweise Tarifverträge abgeschlossen, in denen festgelegt ist, dass die unterste Lohngruppe zwischen 4 und 5 Euro pro Stunde liegt. So viel zur Ehrlichkeit bei der Forderung nach einem Mindestlohn für alle.
Um jedes Missverständnis auszuräumen, will ich hier für die Union klar und deutlich sagen: Die Union akzeptiert kein Lohndumping, das zu menschenunwürdigen Bedingungen in Deutschland führt.
CDU und CSU akzeptieren keinen sittenwidrigen Lohn.
Wir sind gegen sittenwidrige Löhne in Deutschland und werden auf so etwas entsprechend reagieren.
Die Verletzung von Arbeitnehmerrechten ist für uns in diesem Zusammenhang nicht hinnehmbar. Sittenwidrige Löhne sind in Deutschland nach unserer Auffassung gesetzlich zu verbieten. Hier reicht die Anwendung des Richterrechts nicht aus. Wir brauchen, und zwar zum ersten Mal in Deutschland, ein unmissverständliches Verbot des Gesetzgebers. Wir sind dazu bereit, sittenwidrige Löhne in Deutschland gesetzlich zu verbieten.
Die Frage des angemessenen Lohns muss geklärt werden. Damit aber überhaupt ein angemessener Lohn gezahlt werden kann, müssen zunächst Arbeitsplätze entstehen. Über diesen Punkt müssen wir reden. Das Ziel der Union lautet - das ist glasklar -: Wir wollen Arbeit für alle, und wir wollen die Arbeitslosigkeit in Deutschland weiter substanziell senken, vor allem in der Gruppe der Geringqualifizierten.
Wer die Bedeutung dieses Ziels angesichts von 4 Millionen Arbeitslosen nicht erkennt, der lebt an der Wirklichkeit in Deutschland vorbei. Annähernd 1,8 Millionen der derzeit mehr als 4 Millionen Arbeitslosen sind gering qualifiziert. Für sie müssen wir auf dem Arbeitsmarkt die Voraussetzungen dafür schaffen, dass sie die Möglichkeit erhalten, eine Arbeit zu finden und aus der Arbeitslosigkeit herauszukommen. Mit uns ist alles machbar, was in Deutschland Arbeit für alle schafft. Aber der Jobkiller des einheitlichen gesetzlichen Mindestlohns für ganz Deutschland ist mit uns nicht zu machen, und er wird mit uns nie zu machen sein.
- Herr Niebel, alle, die dies wollen, werden sich - darauf können Sie sich verlassen - an der Christlich Demokratischen Union und an der Christlich-Sozialen Union die Zähne ausbeißen. Einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn für ganz Deutschland wird es mit der Union nicht geben.
Unsere Devise lautet: Leistung muss sich lohnen. Wer arbeitet, muss mehr haben als der, der nicht arbeitet. Deshalb sind wir für einen Kombilohn.
An dieser Stelle möchte ich auf die Situation der sogenannten Aufstocker hinweisen. Sie werden in vielen Fällen keineswegs geknechtet, wie oft behauptet wird. An dieser Stelle lohnt sich ein Blick in die Wirklichkeit; ich rate Ihnen allen, sich die Zahlen genau anzusehen. Da arbeiten beispielsweise Alleinerziehende halbtags und erhalten zusätzliche staatliche Hilfen, und da arbeiten ältere Menschen in Teilzeit, um nicht tatenlos auf ALG II angewiesen zu sein. Diese Bürger leisten etwas und engagieren sich. Diese Menschen wollen arbeiten, können aber aufgrund ihrer persönlichen Situation nicht Vollzeit bzw. nur teilweise arbeiten. Aber sie haben ein Anrecht darauf, als Aufstocker ein menschenwürdiges Einkommen in Deutschland zu bekommen, indem auf ihre Arbeitsleistung eine Transferleistung obendrauf gelegt wird. Deshalb ist dieses Instrument richtig
und nicht etwa ein Beweis dafür, dass wir in Deutschland einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn brauchen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Pofalla, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Pothmer vom Bündnis 90/Die Grünen?
Ronald Pofalla (CDU/CSU):
Ja, bitte.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Bitte schön.
Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Pofalla, ist Ihnen bekannt, dass die Aufstocker nicht nur Teilzeitbeschäftigte sind, sondern dass unter ihnen gut eine halbe Million Menschen sind, die in Vollzeit arbeiten, aber trotzdem ergänzend ALG II erhalten, weil ihr Lohn zu gering ist? Ist Ihnen ferner bekannt, dass Sie die Ergebnisse der von Ihnen gerade positiv beschriebenen Situation durch die Verschlechterung der Zuverdienstmöglichkeiten wieder zunichte machen?
Ronald Pofalla (CDU/CSU):
Mir ist bekannt, dass es auch Vollzeitkräfte gibt, die Aufstocker sind und gefördert werden. Ich will Ihnen antworten, indem ich ein persönliches Beispiel anführe. Mein Vater, der der Kriegsgeneration angehörte, hat als Facharbeiter 20 Jahre lang in der Holzindustrie gearbeitet. Als er aufgrund der damaligen Strukturkrise arbeitslos wurde, hat er sich zu Beginn der 70er-Jahre - aus seiner Sicht: leider; er hat es aber getan - dafür entscheiden müssen, die letzten 15 Jahre seines Arbeitslebens im Bewachungsgewerbe zu arbeiten. Ich habe mit ihm immer wieder darüber gesprochen, welchen Lohn er bekommen hat. Wenn Sie ihn auf heute hochrechnen, dann würde dieser Lohn als außerordentlich gering gelten.
Was hat er getan? Er hatte eine fünfköpfige Familie zu ernähren und stand vor der Frage, ob er als Geringqualifizierter für den Rest seiner beruflichen Laufbahn arbeitslos bleibt oder in den Arbeitsmarkt zurückkommt. Er hat sich dafür entschieden, in den Arbeitsmarkt zurückzugehen. Bei einem geringen Lohn hat er seine fünfköpfige Familie durch eine erhöhte Stundenzahl, die er erbracht hat, sowie über Wochenendschichten, die er gefahren hat, ernähren können. Ich bin stolz auf ihn.
Ich sage Ihnen: Wenn wir einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland einführen, vernichten wir Hunderttausende Arbeitsplätze.
Diese Menschen hätten keine Chance mehr, auf dem Arbeitsmarkt einen Arbeitsplatz zu finden. Deshalb sagen wir: Dieses Aufstockerinstrument ist richtig, es ist aber kein Beweis dafür, dass man in Deutschland einen gesetzlichen Mindestlohn fordern muss.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der einheitliche gesetzliche Mindestlohn ist süßes Gift. Opfer wären vor allem ostdeutsche Beschäftigte, Berufseinsteiger und Halbtagskräfte. Insgesamt würden Hunderttausende Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen, wenn aus Berlin per Gesetz ein Stundenlohn von 7,50 Euro verordnet würde. Ein gesetzlicher Mindestlohn in dieser Höhe wäre eindeutig zutiefst unsozial; denn davon würden nicht alle gleich betroffen. Vor allem einfache Jobs für Langzeitarbeitslose und Geringqualifizierte würden dadurch vernichtet.
Wir müssen die Sorgen hinsichtlich Jobverlagerungen ins Ausland und Schwarzarbeit ernst nehmen. Experten haben errechnet, dass wir bei einem einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn von 7,50 Euro einen enormen Zuwachs der Schwarzarbeit um 7 Prozent - das sind 25 Milliarden Euro - zu erwarten hätten.
Durch einen solchen gesetzlichen Mindestlohn, wie ihn auch der Gewerkschaftsrat der SPD beschlossen hat, würde die Tarifautonomie eingeschränkt werden, und die Gewerkschaften würden sich selbst infrage stellen.
Ich will hier einen von mir sehr anerkannten Gewerkschaftsvorsitzenden aus der heutigen Presse zitieren. Hubertus Schmoldt sagte in der Oldenburger ?Nordwest-Zeitung“, es gebe in keinem der vielen anderen Beispielländer ein Tarifsystem wie in Deutschland. Wörtlich sagt er:
Ich befürchte, wenn wir dieses System der Politik überlassen, dann werden sich die Politiker der Frage spätestens in Wahlkämpfen bemächtigen. Die Tarifautonomie würde so nach und nach ausgehöhlt.
Wo er recht hat, hat er recht.
Deshalb ist der gesetzliche Mindestlohn ein Anschlag auf die Tarifautonomie in Deutschland. Angefangen bei Landtagswahlkämpfen bis hin zu Bundestagswahlkämpfen würde es in Deutschland permanent einen Überbietungswettbewerb hinsichtlich der Frage geben, wer nun den gerechten Mindestlohn in welcher Höhe fordert.
In unserer Wirtschaftsordnung ist die Tarifautonomie der Tarifparteien vorgesehen, und die Tarifparteien haben die Chance, diese Regelungen zu treffen. Sie müssen diese Aufgabe stärker als bisher wahrnehmen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Pofalla, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Heinrich Kolb von der FDP-Fraktion?
Ronald Pofalla (CDU/CSU):
Bitte.
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Herr Kollege Pofalla, einen Überbietungswettbewerb gibt es ja auch bei den Unterschriftenaktionen. Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, die Unterschriftaktionen der SPD und auch der CDA zu studieren.
Ich stelle jetzt fest, dass Sie gegen gesetzliche Mindestlöhne und erst recht gegen solche in Höhe von 7,50 Euro sind. Können Sie mir denn eine Interpretationshilfe leisten, wenn die CDA - das ist die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft Deutschlands - Folgendes schreibt:
Eine Erleichterung der AVE
- also der Allgemeinverbindlichkeitserklärung -
und eine Ausweitung des Entsendegesetzes sind dringend notwendig, reichen aber für eine umfassende Bekämpfung von Armutslöhnen nicht aus. Deshalb muss der Gesetzgeber
- also wohl durch ein Gesetz -
zusätzlich eine absolute Lohnuntergrenze oberhalb der Armutsgrenze festlegen; ...
Können Sie mir kurz erläutern, wie das dann konkret geschehen soll und wie man sich das vorstellen muss?
Ronald Pofalla (CDU/CSU):
Ich finde, es gibt zwei entscheidende Unterschiede zwischen den Unterschriftenaktionen. Zum ersten Unterschied: Die SPD hat ihre Unterschriftenaktion - dafür ist sie selber verantwortlich - im Parteivorstand beschlossen. Unterschriftenaktionen - so verstehe ich solche Aktionen - sind normalerweise Instrumente der Opposition. Das zeigt, dass sich die SPD wenigstens in dieser Frage nach wie vor nicht entschieden hat, ob sie konstruktiv regieren oder opponieren will.
Der zweite Unterschied ist der: In der CDA-Unterschriftenaktion werden Sie die Forderung nach einem einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn nicht finden. Die CDA fordert in ihrer Unterschriftenaktion, das Instrument der Allgemeinverbindlichkeit stärker zu nutzen, um in diesem Bereich Untergrenzen einzuziehen.
Ich möchte noch etwas zum Ausland sagen, das häufig zitiert wird, um in Deutschland Forderungen aufzustellen. Es wird Großbritannien genannt. Zum einen ist die Arbeitslosigkeit in Großbritannien ungleich geringer als bei uns. Zum anderen sind in Großbritannien schon 400 000 Vollzeitbeschäftigte aus Osteuropa in den Arbeitsmarkt integriert. In Großbritannien gibt es nicht wie bei uns 4 Millionen Arbeitslose, davon 1,8 Millionen gering qualifizierte Arbeitslose. Deshalb gibt es hier Unterschiede.
Auch die USA werden angeführt. Diejenigen, die auf die USA verweisen, müssen sich entscheiden. Auf der einen Seite werden die USA für einen außerordentlich flexiblen Arbeitsmarkt kritisiert, auf der anderen Seite werden sie für den gesetzlichen Mindestlohn gerühmt, den sie haben. Diejenigen, die einen solchen Mindestlohn fordern, müssen sich nun entscheiden.
Wollen wir die Arbeitsmarktbedingungen der USA und damit den Mindestlohn, oder wollen wir auf unseren zubetonierten Arbeitsmarkt mit der existierenden Überregulierung noch einen gesetzlichen Mindestlohn setzen? Letzteres wird von uns eindeutig abgelehnt.
Ich nenne Frankreich als ein letztes Beispiel. In Frankreich erleben Sie gerade eine Debatte über die Senkung des gesetzlichen Mindestlohns im Bereich der Jugendlichen. In Frankreich ist Folgendes passiert: Der zu hoch angesetzte Mindestlohn für Jugendliche hat dort zu einem exorbitanten Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit beigetragen. Dies hatte zum Ergebnis, dass die Jugendarbeitslosigkeit in Frankreich doppelt so hoch ist wie bei uns. Ich finde, das ist ein gutes Beispiel dafür, wie zu hoch angesetzte Mindestlöhne verheerend auf dem Arbeitsmarkt wirken.
Wir sind dafür, Sittenwidrigkeit von Löhnen in Deutschland zu definieren.
Wir sind dafür, Kombilöhne anzubieten. Wir sind dafür, über das Instrument der Allgemeinverbindlichkeit und über branchenübliche Mindestlöhne zu reden. Hier befinden wir uns bereits in Gesprächen. Mehr wird es von der Union nicht geben.
Herzlichen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Klaus Ernst von der Fraktion Die Linke.
Klaus Ernst (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Fangen wir doch gleich mit der Sittenwidrigkeit an. Sittenwidrig sind momentan Löhne, die 30 Prozent unter den ortsüblichen Löhnen liegen.
- Oder den tariflichen. - Wenn die CDU/CSU nun sagt, sie möchte sittenwidrige Löhne verhindern, obwohl sie weiß, dass wir inzwischen in der Fläche in bestimmten Regionen Löhne von 3 Euro haben, akzeptiert sie diese und plädiert für Löhne von 2,10 Euro. Das ist nicht mehr zumutbar, was Sie hier treiben.
- Ja, Herr Niebel, zu Ihnen komme ich auch noch. Sie können sich gleich weiter aufregen. Zu Ihnen möchte ich sagen, dass der von Ihnen gestellte Antrag ein einziges Ziel verfolgt. Er verfolgt das Ziel, dass die Löhne in diesem Land schlichtweg weiter sinken sollen.
- Wollen Sie jetzt schon dazwischenreden? Ich habe doch noch gar nichts gesagt. Bitte, ich freue mich immer, wenn Sie etwas sagen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Ernst, das Wort erteilt immer noch der amtierende Präsident. Ich sehe aber, dass Sie eine Zwischenfrage zulassen wollen.
Bitte, Herr Niebel.
Dirk Niebel (FDP):
Herr Kollege Ernst, Sie haben schon angesprochen, dass es Löhne zwischen 3 Euro und 3,80 Euro gibt. Sind Sie bereit, mir zuzugestehen, dass das tarifvertraglich vereinbarte Löhne sind, die unter anderem von Ihren Gewerkschaftskollegen und von den Arbeitgebervertretern ausgehandelt worden sind? Sind Sie weiterhin bereit, zuzugestehen, dass die entscheidende Frage ist, wie viel Geld die Menschen hinterher in der Tasche haben? Sind Sie bereit, zuzugestehen, dass unser Ansatz, nicht über Mindestlöhne, sondern über Mindesteinkünfte zu sprechen, insgesamt dazu führt, dass die Leute mehr ausgeben können?
Klaus Ernst (DIE LINKE):
Zur Frage der von den Gewerkschaften vereinbarten Löhne: Es stimmt, die Löhne, die von Verdi vereinbart wurden, sind äußerst niedrig. Sie sollten sich einmal Gedanken darüber machen, ob Sie nicht mit Ihrem Antrag dazu beitragen, die Gewerkschaften weiter zu schwächen.
Meinen Sie etwa, es hat Verdi bzw. Herrn Bsirske Spaß gemacht, solche Tarifverträge zu unterschreiben?
Inzwischen haben wir in diesem Lande die Situation, dass die Gewerkschaften auch durch die Hartz-Gesetze, die die Sozialdemokraten mit zu verantworten haben, so geschwächt sind, dass sie Löhnen von 2 oder 3 Euro pro Stunde zustimmen, um noch niedrigere Löhne zu verhindern. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik. Mit dem Antrag, den Sie, Herr Niebel, stellen, wollen Sie die Auflockerung des Tarifrechts vorantreiben, um letztendlich noch niedrigere Löhne zu erreichen. Das ist die Wahrheit.
- Herr Niebel, ich bin noch nicht ganz fertig mit der Beantwortung Ihrer Frage.
Zu Ihrer zweiten Frage, ob es nicht wichtiger ist, das zu betrachten, was die Menschen insgesamt bekommen, als das, was sie verdienen. Das ist keinesfalls so. Lohn hat etwas mit Leistung zu tun.
Wenn man für seine Arbeit nicht mehr so entlohnt wird, dass die Leistung, die man in seine Arbeit einbringt, in irgendeiner Form im Lohn deutlich wird, dann machen Sie die Arbeit letztendlich so billig wie Dreck. Ich sage Ihnen: Das Ergebnis wird sein, dass das Wertesystem dieser Republik auseinanderfällt. Das Wertesystem dieser Republik basiert nämlich darauf, dass derjenige, der arbeitet, von dem Arbeitslohn, den er erhält, leben und existieren kann. Wer arbeitet, bringt es zu etwas. Sie betreiben die Politik: Wer arbeitet, bleibt arm. Um das ganz deutlich zu sagen: Das ist eine Katastrophe, Herr Niebel.
Jetzt zu Ihrem Antrag. Sie wollen - dieses Ziel ist eindeutig erkennbar -, dass die Löhne weiter sinken. Die erste Frage ist: Macht das denn Sinn? Wir hatten in der Bundesrepublik von 1995 bis 2004 bei der Lohnentwicklung ein Minus von 0,9 Prozent. In Großbritannien war ein Plus von 25 Prozent, in den USA von 19 Prozent und in Frankreich von 8 Prozent zu verzeichnen. Wir haben es also gar nicht nötig, darüber nachzudenken, ob die Löhne zu hoch sind.
Laut Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung sind die Arbeitnehmerentgelte im Jahre 2006 um 1,3 Prozent gestiegen. Der Zuwachs ist damit niedriger als die Inflationsrate. Bei den Unternehmereinkommen und den Vermögenseinkommen gab es ein Plus von 6,9 Prozent. Es ist also nicht notwendig, darüber zu streiten, ob die Löhne sinken sollen. Es ist notwendig, über steigende Löhne zu reden.
Deshalb unterstützen wir die Forderung der IG Metall nach einer vernünftigen Teilhabe an dem, was die Arbeitnehmer erwirtschaften.
Ich sage Ihnen, was der Sinn Ihres Antrags ist, Herr Niebel: Ihre Klientel bekommt den Hals nicht mehr voll. Das ist das Problem in diesem Land.
Ihre Klientel sind nicht die Arbeitslosen. Ihre Klientel sind auch nicht die Arbeitenden. Ihre Klientel sind diejenigen, die ihr Geld aus Unternehmertätigkeit und Vermögen beziehen. All das, was in Ihrem Antrag steht - bis auf das Bürgergeld -, ist von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände bereits vorgeschrieben. So ist die Realität.
Eine weitere Frage lautet: Brauchen wir eine größere Lohnspreizung? Auch dies steht in Ihrem Antrag. Die Lohnspreizung erstreckt sich von 3 Euro in der Stunde für den Friseur - noch ist dies so; denn wir haben den sittenwidrigen Lohn in der Form, wie Sie ihn gerne hätten, noch nicht vereinbart, obwohl er eigentlich schon gilt - bis zu 8,4 Millionen Euro im Jahr für Herrn Ackermann. Das ist die Spreizung des Lohns.
Wissen Sie, über was wir in diesem Lande nachdenken müssen? Darüber, ob die Einkommen der Unternehmer noch im Hinblick auf das, was sie leisten, gerecht sind, ob die Einkommen der Vorstandsmitglieder - das ist Ihre Klientel - noch stimmen. Stellen Sie doch einen Antrag, diese Einkommen zu begrenzen. Das macht Sinn. Man sollte nicht immer an die Kleinen, sondern auch einmal an die Großen herangehen. Das wäre wirklich mutig, Herr Niebel.
Wie weit wollen Sie denn eigentlich beim Lohn nach unten gehen? Ich habe Ihnen diese Frage schon öfter gestellt. Wollen Sie, wenn Sie keinen Mindestlohn vorsehen, tatsächlich bei einem Lohn von 3 Euro die Stunde bleiben? Wollen Sie wie zum Beispiel die CDU/CSU bei einem sittenwidrigen Lohn von 2,50 bzw. 2 Euro pro Stunde landen? Wo ist Ihre Grenze nach unten? Sie haben keine. Sie muten den Menschen letztendlich zu, zu arbeiten, ohne entlohnt zu werden. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik. Ein Niedriglohn nützt uns nichts.
Ihr Argument, ein Mindestlohn führe zum Abbau von Arbeitsplätzen, ist wirklich sehr abwegig. Herr Niebel, glauben Sie denn wirklich, dass die Friseure abwandern, wenn es bei uns einen Mindestlohn gibt?
Oder glauben Sie, dass die Fassaden nicht mehr gereinigt werden, weil es einen Mindestlohn gibt? Glauben Sie tatsächlich, dass die Postboten, die mehr und mehr in privaten Unternehmen arbeiten und unter ein bestimmtes Lohnniveau gedrückt werden, die Post nicht mehr austragen, sondern nach China gehen? Ihr Argument ist Unfug.
Wissen Sie, was die anderen vergleichbaren Länder Europas machen? Die diskutieren nicht über die Frage, ob es einen Mindestlohn geben soll oder nicht. Sie diskutieren darüber, um wie viel der Mindestlohn erhöht wird. Sie wissen, wie es in Europa ausschaut. In Luxemburg beträgt der Mindestlohn inzwischen 9 Euro, in Irland 8,30 Euro und in Frankreich 8,27 Euro. Das ist die Realität. Wir sind das einzige Industrieland in Europa, das es sich erlaubt, Löhne, die letztendlich in die Armut führen, durchgehen zu lassen. Das ist aus meiner Sicht eine pure Katastrophe.
Sie wollen auch noch das Tarifrecht zerschlagen und das Streikrecht verschärfen. Ist das wirklich sinnvoll? Es würde Sinn machen, wenn es in der Bundesrepublik streikwütige Gewerkschaften gäbe. Es gibt aber nur zwei andere Länder, die eine geringere Zahl von Streiktagen haben als die Bundesrepublik, nämlich die Schweiz und den Vatikanstaat. Wollen Sie uns noch unter dieses Niveau drücken?
Hinter diesem Vorschlag steckt etwas anderes: Sie wollen den Arbeitnehmern unzumutbare Löhne zumuten und dazu beitragen, dass sie sich nicht wehren dürfen und das akzeptieren. Wenn das liberale Politik ist, dann würden sich frühere Liberale im Grab umdrehen, Herr Niebel.
Was Sie erreichen wollen - die Lockerung des Streikrechts und die Beeinflussung oder gar Zerschlagung von Gewerkschaften -, macht Siemens auf andere Art und Weise. Siemens macht es illegal. Man hat inzwischen den Eindruck, dass es sich beim Siemens-Vorstand um eine kriminelle Vereinigung handelt.
Sie machen dasselbe legal mit anderen Mitteln. Aber es ist genauso verwerflich. Deshalb werden wir Ihre Vorschläge ablehnen.
Weil ich zum Schluss kommen muss, will ich nur noch anmerken, was Herr Blüm dazu gesagt hat.
- Ihr könnt ruhig lachen. Er war schließlich in eurer Regierungskoalition Minister. Er hat gesagt, wer den Mindestlohn ablehnt, der fordert letztendlich mehr Staat.
Zitat: ?Die Privatisierer der Tarifverträge, die Verächter der Allgemeinverbindlichkeit haben nichts Besseres verdient als den Mindestlohn. Kluge Arbeitgeberrepräsentanten wissen das, dumme lernen es nie.“ Ich glaube, mit Letzteren hat er Sie gemeint.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Hubertus Heil von der SPD-Fraktion.
Hubertus Heil (SPD):
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich will daran erinnern - weil es auch Gegenstand unserer heutigen Diskussion ist -, dass meine Partei, die SPD, bereits vor Eintritt in die Verhandlungen zur Großen Koalition auf drei zentralen Punkten beharrt hat, die wir dann auch im Koalitionsvertrag durchgesetzt haben und die für uns Bedingungen für unsere Beteiligung an der Großen Koalition waren. Das waren erstens der Erhalt und die Sicherung der Tarifautonomie in Deutschland. Wir wissen - das unterscheidet uns offenbar von den Kolleginnen und Kollegen, die der wirtschaftsradikalen Fraktion angehören -, dass die meisten Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht im Gesetzbuch verankert sind, sondern in Tarifauseinandersetzungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften erstritten werden müssen.
Herr Kollege Niebel, Sie reden immer viel über Flexibilität. Die gibt es unter dem Dach des Flächentarifvertrags bereits. Sie wollen etwas ganz anderes. Sie wollen den Gewerkschaften in Deutschland das Kreuz brechen. Aber das wird mit uns nicht zu machen sein.
Zweitens. Wenn Sie von den Menschen in Deutschland reden, die für sich und ihre Familien hart arbeiten, Sozialversicherungsabgaben und Steuern zahlen, Kinder erziehen und sich an die Regeln halten - das ist die Mitte der Gesellschaft, von der Sie offensichtlich keine Ahnung haben -, und sich auch immer wieder verächtlich über Mitbestimmung äußern, dann will ich Ihnen Folgendes entgegenhalten: In meinem Wahlkreis - das wird in Ihrem nicht anders sein - kommen manchmal Unternehmen in schwierige Situationen. In diesem Fall sind es oft die Betriebsräte, die Verantwortung übernehmen und in Verhandlungen mit der Geschäftsleitung versuchen, möglichst viel für ihre Kolleginnen und Kollegen herauszuholen.
Meistens geht es um die Sicherung von Arbeitnehmerrechten und Arbeitsplätzen. Manchmal müssen sie schwierige Kompromisse eingehen. Der Kollege Ernst weiß das. Sie verantworten übrigens anschließend die Kompromisse gegenüber der Belegschaft.
Ich möchte es anders sagen: Ich kenne kein Unternehmen in Deutschland, das an einem sturen Betriebsrat gescheitert ist. Ich kenne aber leider Gottes einige Unternehmen in Deutschland, die an einem unfähigen Management gescheitert sind.
Drittens. Wir haben in dieser Koalition auch beim Kündigungsschutz Linie gehalten. Wir wissen, dass Kündigungsschutz die Menschen nicht wirklich vor betriebsbedingten Kündigungen schützen kann. Es ist nicht wie beim Rostschutz, der vor Rost schützt, oder beim Frostschutz, der vor Frost schützen soll. Aber Kündigungsschutz schützt Menschen vor willkürlicher Kündigung. Das ist mindestens so wichtig. Wir wollen keine Gesellschaft, in der Menschen um ihren Job fürchten müssen, nur weil sie einmal nicht über den schlechten Witz ihres Chefs gelacht haben. Deshalb bleibt es beim Kündigungsschutz.
Es bleibt auch dabei, dass die Feiertags- und Nachtzuschläge nicht stärker besteuert werden. Ich kann mich an die Diskussion im Bundestagswahlkampf erinnern. Wir haben da Linie gehalten.
Wir befinden uns jetzt in Deutschland in der Situation, dass der Aufschwung da ist. Die Wirtschaft wächst - im letzten Jahr waren es 2,7 Prozent -, und zwar mit Effekten, die sich Gott sei Dank auch auf dem Arbeitsmarkt zeigen. Ich will deutlich sagen, dass dieser Aufschwung drei Ursachen hat. Eine der Ursachen ist, dass die Tarifparteien - oftmals unter schwierigen Bedingungen - ihren Beitrag geleistet haben. Die zweite Ursache ist, dass die Weltwirtschaft und die Konjunktur helfen; wer will das bestreiten. Aber vor allen Dingen - das ist die dritte Ursache - hat es damit zu tun, dass wir jetzt einen nachhaltigen Aufschwung haben und kein konjunkturelles Strohfeuer, weil wir den Mut zu Veränderungen, zu nachhaltigen Reformen in diesem Land hatten, den andere früher nicht hatten.
Deshalb sage ich: Es ist richtig, dass diese Große Koalition den Kurs der sozialen Erneuerung fortsetzt, um dafür zu sorgen, dass wir in den sozialen Sicherungssystemen - auch hinsichtlich der Strukturen - eine Situation herbeiführen, in der dieser Aufschwung nicht ein Aufschwung für wenige wird, sondern ein Aufschwung für alle Menschen in Deutschland werden kann. Das, liebe Genossinnen und Genossen aus der eigenen Fraktion, müssen wir uns sagen. Aber das müssen wir auch anderen sagen. Wir können stolz auf die Erneuerungen und Veränderungen sein, die wir begonnen haben.
Wir müssen das fortsetzen.
Ich sage Ihnen, Herr Niebel: Der Unterschied zwischen Ihnen und uns ist, dass Sie Aufschwung für wenige wollen. Wir wollen Aufschwung für alle Menschen in Deutschland.
Es darf deshalb nicht sein, dass das, was jetzt an Produktivitätsfortschritten und an Gewinnen vorhanden ist, in den Taschen von nur wenigen landet. Es ist richtig, dass bei den anstehenden Tarifverhandlungen anständige Löhne herauskommen.
Das heißt, dass es eine Teilhabe der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Haben und am Sagen, am gemeinsam Erarbeiteten in den Unternehmen geben kann. Das ist übrigens auch volkswirtschaftlich sinnvoll.
Wir müssen feststellen, dass in diesem Zusammenhang die Tarifautonomie, die wir verteidigen und zu der wir - im Gegensatz zu anderen - stehen, in vielen Bereichen nicht mehr kraftvoll genug ist,
um dafür zu sorgen, dass Menschen, die hart und in Vollzeit für sich und ihre Familien arbeiten, davon leben können. Zu diesem Punkt ist vorhin viel gesagt worden.
Kollege Pofalla, ich habe eine Frage, über die wir einmal sprechen müssen: Warum hat eigentlich bis dato die CDU/CSU mit uns zusammen für einzelne Branchen, beispielsweise für Gebäudereiniger, insgesamt für 800 000 Menschen Mindestlöhne verankert und will Menschen in anderen Branchen Mindestlöhne vorenthalten? Das ist, wenn ich das einmal offen sagen darf, nicht ganz logisch.
Ich glaube, dass wir als Koalition eine Chance haben, in diesem Bereich voranzukommen. Wir werden darüber reden. Es gibt Meinungsunterschiede. Aber ich glaube, dass die Koalition in diesem Bereich etwas für die Menschen in diesem Land leisten wird. Ich sage ganz offen: Ich habe Vertrauen dazu, dass die anderen großen Volksparteien, CDU und CSU, mit denen wir koalieren, sowohl die Augen langfristig nicht verschließen können
vor einer Entwicklung, die ein gesellschaftlicher Skandal ist - Menschen können von ihrer Arbeit nicht mehr leben, obwohl sie von morgens bis abends schuften -, als auch zur Kenntnis nehmen, dass es mittlerweile viele Arbeitgeber gibt, die zu uns kommen und sagen: Wir wollen dieses Dumping, diesen Schmutzwettbewerb nicht. Wir als Unternehmerinnen und Unternehmer sind für Wettbewerb, aber wir wollen fairen Wettbewerb und wollen unsere Leute auch anständig bezahlen. Deshalb brauchen wir Mindestlöhne. Das sagen uns Unternehmer, beispielsweise in der Zeitarbeitsbranche.
Deshalb kämpfen wir für Mindestlöhne. Wir haben es mit dem Entsendegesetz und der Allgemeinverbindlichkeit im Bauhandwerk geschafft, diese durchzusetzen. Wir haben es jetzt für die Gebäudereiniger geschafft.
Wir wollen in diesem Bereich nach vorne gehen, weil es nach wie vor so ist, dass es in vielen Branchen tatsächlich solche Entwicklungen gibt, wie sie zitiert wurden.
Zum Vorwurf an die Gewerkschaften, dass sie nicht mehr stark genug sind: Es mag Sie hämisch erfreuen, dass sie sich in einigen Bereichen nicht mehr durchsetzen können. Aber es nutzt den Leuten nicht, sich hämisch über Gewerkschaften lustig zu machen. Das muss man ganz deutlich sagen.
Ich gebe zu, dass die Gewerkschaften lange gebraucht haben - alle Gewerkschaften, auch meine IG Metall -, sich dazu zu bekennen, dass wir Mindestlöhne brauchen. Denn früher sind wir immer davon ausgegangen, dass die Tarifautonomie ausreicht. Ich sage Ihnen, wer die Diskussion nach Deutschland geholt hat - ich bin stolz darauf -: Das waren nicht in erster Linie die Gewerkschaften, sondern es war Franz Müntefering damals als SPD-Vorsitzender.
Gott sei Dank war es so, dass wir es dann geschafft haben, mit dem Gewerkschaftsrat der SPD und mit allen Einzelgewerkschaften ein Konzept zu erarbeiten, das wir umsetzen wollen, weil wir davon überzeugt sind, mit diesen Schritten voranzukommen: Vorrang für tarifvertragliche Lösungen, Nutzung der Möglichkeiten des Entsendegesetzes und der Allgemeinverbindlichkeit. Dabei wollen wir aber auch deutlich machen: Wenn das nicht ausreicht - und es gibt Hinweise, dass es nicht ausreicht -, müssen wir zu gesetzlichen Regelungen für Mindestlöhne in Deutschland kommen.
Wir wollen das und werden da weiter Druck machen, weil wir wissen, dass die Menschen Regelungen brauchen. Ich glaube, dass man in diesem Zusammenhang die CDA nicht als Opposition schmähen darf. Ich finde es gut - das sage ich ganz offen -, dass es auch in der Union Leute gibt, unter anderem den saarländischen Ministerpräsidenten Müller, die da nicht einfach die Augen verschließen. Ich glaube, dass wir auf diese Weise zu guten Lösungen kommen können.
Es ist nicht möglich, in der kurzen Zeit auf all das einzugehen, was in den Anträgen steht. Aber eins fällt mir in diesem Haus immer wieder auf, zuletzt bei der Auseinandersetzung zwischen meinen Vorrednern Herrn Niebel und Herrn Ernst: Es gibt in diesem Haus zwei exaltierte Positionen, die geografisch gesehen auf der einen und auf der anderen Seite des Hauses sitzen. Das Kredo der FDP gestaltet sich, egal wie sie es variiert, immer nach dem Motto: Der Markt kann alles viel besser; der Staat soll sich zurückziehen.
Es läuft nach dem Guido-Westerwelle-Motto: Wenn jeder an sich selbst denkt, ist an alle gedacht.
Die Position der anderen Seite ist: Der Staat kann alles hinbekommen; der Markt ist das Problem. - Beide Parteien, wie immer sie sich nennen mögen, machen denselben Fehler, obwohl sie - das gebe ich zu - sehr unterschiedlich sind: Sie spielen soziale Gerechtigkeit gegen wirtschaftliche Dynamik aus. Wir Sozialdemokraten sagen: Das bedingt sich wechselseitig. Es gibt Länder in Europa, die wirtschaftlich noch ein bisschen erfolgreicher als wir sind, und zwar nicht obwohl sie gute Sozialstaaten sind, sondern weil sie gute Sozialstaaten sind, weil sie den Menschen eine stärkere Teilhabe ermöglichen.
Aber das sind Länder, deren Sozialstaatsverständnis das eines modernen Sozialstaates ist, der die Qualität von Sozialstaatlichkeit nicht in erster Linie an der Höhe der sozialen Transfers bemisst, sondern daran, ob er Menschen wirklich Teilhabemöglichkeiten und Lebenschancen eröffnet. Die großen Lebensrisiken müssen in unserer Gesellschaft für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer solidarisch abgesichert bleiben. Aber der Sozialstaat muss mehr tun: Er muss etwas für die Lebenschancen der Menschen tun, für gerechte Teilhabe. Das betrifft Arbeit, Bildungschancen und die Chance auf ein gesundes Leben.
Wenn wir die sozialen Fragen dieser Zeit erkennen wollen, dann werden wir keinen verhungerten Staat à la FDP brauchen können,
aber auch keine strukturkonservative Sozialstaatlichkeit à la PDS. Wir brauchen einen Sozialstaat, der Teilhabe ermöglicht, einen stärker vorsorgenden Sozialstaat. Das betrifft nicht zuletzt die Löhne.
Ich sage noch einmal: Der Weg der sozialen Erneuerung, mit allen Schwierigkeiten und Auseinandersetzungen, die meine Partei dabei erlebt hat, den wir in dieser Großen Koalition fortgesetzt haben, lohnt sich. Wir haben gesät; jetzt wird geerntet, und wir dürfen nicht vergessen, wieder neu zu säen. In einer Großen Koalition dauert es manchmal etwas länger, weil wir intensiv miteinander reden müssen. Aber ich bin der festen Überzeugung: Diese Große Koalition wird die Kraft haben, die soziale Erneuerung des Landes voranzubringen. Ich füge hinzu: Sie muss es auch.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt die Kollegin Brigitte Pothmer von Bündnis 90/Die Grünen.
Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Heil, die FDP ist für Sie doch ein Geschenk des Himmels. Für Sie ist es doch weitaus angenehmer, immer mit dem Finger auf Herrn Niebel zeigen und wie ein Rohrspatz schimpfen zu können,
als wenn Sie mit dem Finger auf Herrn Pofalla zeigen müssten, der die identischen Positionen vertritt.
Das wäre für das Klima in der Koalition nicht so angenehm. Insofern sollten Sie Herrn Niebel einmal einen ausgeben.
Herr Pofalla, es ist leider so, dass man in diesem Parlament kein Recht darauf hat, auf eine Frage auch eine entsprechende Antwort zu bekommen. Ihre Antwort auf meine Frage jedenfalls war - ich will es einmal so zusammenfassen - ein leidenschaftliches Plädoyer dafür, dass Menschen viel und hart arbeiten müssen, aber trotzdem kein Anrecht darauf haben, dafür ein anständiges Gehalt zu bekommen.
Ich sage Ihnen, Herr Pofalla, dass wir das nicht wollen.
Es ist schon einiges zum Antrag der FDP gesagt worden; ich will es deswegen kurz machen. Mir ist aber wichtig, auf einen Punkt hinzuweisen. In Wirklichkeit wollen Sie, Herr Niebel, mit Ihrem Antrag Tempo machen in eine bestimmte Richtung. Sie wollen nämlich, dass sehr viele Menschen sehr wenig verdienen, und Sie wollen, dass wenige Menschen noch mehr verdienen.
Sie wollen die Lohnspreizung in diesem Land noch weiter verstärken.
Ich frage mich: Wissen Sie eigentlich nicht, dass wir in Sachen Lohnspreizung inzwischen auf dem Niveau von Großbritannien sind? Großbritannien ist in Westeuropa Spitzenreiter, was die Lohnspreizung angeht. Mit Ihrem Ehrgeiz setzen Sie an der völlig falschen Stelle an.
Lassen Sie mich noch ein Wort zu dem von Ihnen vorgeschlagenen Bürgergeld sagen. Herr Kolb kritisiert hier Plenarsitzung für Plenarsitzung wortreich die Kosten für das SGB II.
Mit Ihrem Bürgergeld schaffen Sie einen Kombilohn XXL.
Die Kosten für die Aufstockungen im SGB II sind Peanuts im Vergleich zu den Kosten, die sich ergeben, wenn wir Ihren Vorschlägen folgen. Ich verspreche Ihnen aber, dass wir das nicht tun werden.
Was Sie wollen, ist kein Wettbewerb der Unternehmer, sondern eine Schmutzkonkurrenz auf Kosten der Steuerzahler. Diese Vorschläge kommen ausgerechnet von einer Partei, die immer sagt, die Steuern müssten herunter. Aber gleichzeitig tritt sie dafür ein, dass die Löhne aus Steuern finanziert werden. Das mag verstehen, wer will.
Auch wenn man in Finnland zur Schule gegangen ist: Das kann man wirklich nicht verstehen.
Herr Pofalla, Sie haben gefragt, was eigentlich die Grünen wollen. Wir wollen eine verbindliche Mindestlohnregelung, die die Marktmechanismen nach unten begrenzt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Losung des Deutschen Gewerkschaftsbundes für den diesjährigen Maifeiertag lautet: ?Du hast mehr verdient!“ Stimmt genau, kann ich da nur sagen.
Erst recht gilt dies, wenn mit dieser Aussage die Niedriglohnempfänger gemeint sind, die übrigens zu 60 Prozent eine gute Qualifikation aufweisen. Das wollte ich noch zum Thema Leistungsfähigkeit der Menschen in diesem Bereich sagen.
Ich finde aber auch, dass diese Menschen mehr verdient haben als das, was die Große Koalition ihnen zu bieten hat.
Einige Fakten, die ich jetzt vortragen werde, werden Ihnen, Herr Müntefering, und den Kollegen aus der SPD-Fraktion vielleicht bekannt vorkommen.
Das sind die Fakten: Die Einkommensschere geht weiter auseinander. Während Spitzengehälter zunehmen, stagnieren die Löhne für viele Beschäftigte. Mehr als 2,5 Millionen Vollzeitbeschäftigte arbeiten in Deutschland für Armutslöhne, die weniger als 50 Prozent des Durchschnittlohns betragen. Die Tarifbindung nimmt ab. Nur noch 68 Prozent der Beschäftigten in Westdeutschland und 53 Prozent in Ostdeutschland erhalten tariflich vereinbarte Löhne. Armutslöhne gibt es nicht nur bei tarifungebundenen Arbeitgebern. Auch viele Tariflöhne liegen inzwischen bei 3 Euro und weniger. Das sind die Fakten.
Diese Fakten haben Sie, Herr Müntefering, in einem Flugblatt aufgeschrieben, mit dem Sie sich als Erstunterzeichner selbst auffordern, zu handeln und dafür zu sorgen, dass es in Deutschland gerechte Löhne gibt. Diese Fakten stimmen leider.
Was aber nicht stimmt, ist die Art und Weise, wie die Regierung mit diesen Fakten umgeht. Sie haben uns im März 2006 - das ist nun bald 15 Monate her - versprochen, dass Sie gesetzgeberisch gegen diese Form des Lohndumpings vorgehen und dass Sie existenzsichernde Löhne gewährleisten wollen. Aber nichts ist passiert. Ich habe den Eindruck, dass nach der gestrigen Nacht die Aussichten eher düsterer geworden sind.
- Herr Brauksiepe, ich kann schon verstehen, dass man nach solch langen und unergiebigen Diskussionen in der Nacht am nächsten Morgen unausgeschlafen ist.
Ruhen Sie sich ein bisschen aus, und halten Sie sich mit Zwischenrufen zurück!
Herr Müntefering, auf das von Ihnen Versprochene warten die Betroffenen leider immer noch. Statt hier Ihre Ziele zu verfolgen, spielen Sie aber Feierabend-APO und starten eine Unterschriftenkampagne, die Sie selbst zum Handeln auffordern soll. Das empfinde ich als eine Form von Volksverdummung. Nach meinem Eindruck brauchen wir inzwischen nicht nur Regelungen gegen Lohndumping, sondern auch Regelungen gegen Politikdumping.
Diese Koalition hält keine Mindeststandards für Regierungshandeln ein. Diese Standards sollten wir einklagen, finde ich. Bei 50 Prozent Union und 50 Prozent SPD kommen für die Arbeitslosen und diejenigen, die zu geringen Löhnen arbeiten, 0 Prozent heraus.
Sie feilschen hier nur noch um Geländegewinne für die jeweils eigene Partei. Das ist einfach zu wenig. Ich finde das schäbig.
Herr Pofalla, kommen Sie mir jetzt bitte nicht mit Ihrem Gesetz gegen sittenwidrige Löhne. Sie selbst haben Ihren Freund Hubertus Schmoldt als Kronzeugen angeführt. Sie hätten das entsprechende Interview einmal zu Ende lesen sollen. Herr Schmoldt spricht sich darin dezidiert gegen ein Gesetz gegen sittenwidrige Löhne aus.
Herr Pofalla, er rechnet Ihnen auch noch einmal vor, welche Auswirkungen ein solches Gesetz haben würde. Damit könnten nämlich Löhne wie zum Beispiel der Lohn der Friseurin in Sachsen von 3,82 Euro legal noch einmal um 30 Prozent - in diesem Fall um 1,14 Euro - unterschritten werden. Das wollen Sie jetzt auch noch gesetzlich legitimieren! Verabschieden Sie sich von dieser Idee. Sie bringt wirklich niemanden voran.
Herr Pofalla, mit unserem Entschließungsantrag haben wir Ihnen einen Vorschlag gemacht, dem auch Sie zustimmen können müssten.
Erstens. In unserer Mindestlohn-Kommission nach britischem Vorbild wollen wir Vorschläge erarbeiten lassen, die regional- und branchenspezifisch differenziert werden. Diese Empfehlungen sollen dann durch den Bundesarbeitsminister für verbindlich erklärt werden.
Zweitens. Wir wollen, dass das Arbeitnehmer-Entsendegesetz auf alle Branchen ausgeweitet wird. Für die Branchen, die das Ganze nicht selbst in Tarifverträgen regeln können, wollen wir bis Ende 2008 die von der eben genannten Kommission erarbeiteten Mindestlöhne für verbindlich erklären.
Drittens wollen wir das Tarifvertragsgesetz so reformieren, dass die Vetomöglichkeiten der Spitzenverbände eingegrenzt werden.
Mit diesem Konzept verhindern wir die negativen Beschäftigungseffekte, die Sie hier an die Wand gemalt haben, Herr Pofalla.
Deswegen machen wir Ihnen einen Vorschlag, den Sie eigentlich gar nicht ablehnen können.
Herr Müntefering, ich wende mich jetzt noch einmal direkt an Sie. Eigentlich wissen Sie doch ganz genau, dass es in diesem Hause eine parlamentarische Mehrheit für einen Mindestlohn gibt.
Weil es in diesem Hause eine solche parlamentarische Mehrheit für einen Mindestlohn gibt, versuchen Sie sich nicht als Feierabend-Straßenkämpfer, sondern.
werben Sie hier in diesem Bundestag für Ihr Projekt. Hier gibt es für den Vorschlag, den wir Ihnen vorgelegt haben, eine Mehrheit bis tief in die CDU hinein.
Herr Pofalla hat heute ausgeführt, dass er keinen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn will. Er hat gesagt, er wolle Lohndumping verhindern. Wir haben Ihnen dazu einen Vorschlag gemacht, den Sie gar nicht ablehnen können.
Herr Müntefering, ich würde mir wünschen, dass Sie in diesem Hause dann auch für die entsprechenden Mehrheiten kämpften.
Wir fordern Sie auf: Setzen Sie im Vorfeld des 1. Mai nicht Ihre schwarz-roten Passionsspiele in der Arbeitsmarktpolitik fort. Am Tag der Arbeit geht es um die Interessen der Beschäftigten und nicht um die Probleme der Großen Koalition. - Ich danke Ihnen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Ralf Brauksiepe von der CDU/CSU-Fraktion.
Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Anlass dieser Debatte sind zwei Anträge der Opposition, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten.
Sie malen die Situation in diesem Land in schwarz bzw. in weiß.
Beide werden der Situation in diesem Land nicht gerecht. Mir ist, als ich diese Anträge gelesen habe, der Tag nach der letzten Bundestagswahl in Erinnerung gekommen. Erinnern wir uns: Rot-Grün war abgewählt und hat am nächsten Tag der FDP angeboten, doch in die rot-grüne Koalition einzutreten.
- Sie haben Nein gesagt. - Frau Pothmer, vergleichen Sie einmal Ihren Antrag mit dem von der FDP. Angesichts der Unterschiede habe ich ein gutes Gewissen, wenn wir in der Großen Koalition manchmal ein bisschen brauchen, bis wir zu Ergebnissen kommen. Sie haben sieben Jahre lang dieses Land heruntergewirtschaftet,
Sie haben jahrelang keine Initiative ergriffen, um das umzusetzen, was Sie hier fordern, und wollten noch mit denen, die das genaue Gegenteil wollen, eine Koalition bilden. Das zeigt, wie ernst Sie Ihre eigenen Programmpunkte nehmen, nämlich überhaupt nicht ernst.
- Sie haben Nein gesagt. Das ist wahr.
Ich möchte aber auch noch an etwas anderes erinnern, lieber Kollege Niebel. Das, was in Ihrem Antrag steht, läuft auf einen lohnpolitischen Häuserkampf hinaus und bedeutet das Ende für kollektive Vereinbarungen. Die von Ihnen geforderte Abschaffung der Allgemeinverbindlichkeit im Tarifvertragsgesetz war nie Politik der Regierung Kohl und wird auch niemals eine Politik sein, die wir gemeinsam mit Ihnen machen. Um es ganz deutlich zu sagen: Sie sind weit von dem entfernt, was wir früher einmal gemeinsam gemacht haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, inhaltlich stehen beide Anträge krass gegeneinander.
Sie haben aber ein gemeinsames Ziel: Beide unternehmen den völlig untauglichen Versuch, etwas zu beweisen, was von den Betroffenen überhaupt niemand bestreitet, nämlich dass es in der Großen Koalition unterschiedliche Auffassungen zu diesem Thema gibt. Wir brauchen keine Anträge von Ihnen, um das festzustellen. Deswegen möchte ich noch einmal in Erinnerung rufen: Diese Koalition ist nicht deswegen gebildet worden, weil zwischen den Parteien, die sie bilden, ein Maximum an inhaltlicher Übereinstimmung herrscht, sondern diese Große Koalition ist gebildet worden, um dieses Land wieder voranzubringen, nachdem die alte Koalition keine Mehrheit mehr hatte.
Die jetzige Konstellation hat sich also auf der Basis einer Übereinkunft gebildet, um dieses Land wirtschaftlich, sozial und arbeitsmarktpolitisch wieder voranzubringen. Diese Verantwortung haben wir wahrgenommen. Ich finde, man darf auch heute noch einmal sagen: Fast 1 Million Arbeitslose weniger als vor einem Jahr und weit über 0,5 Millionen sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse mehr als vor einem Jahr zeigen bei allen Unterschieden, dass wir in dieser Großen Koalition gemeinsam etwas erreicht haben, worauf wir auch gemeinsam stolz sein können.
Lassen Sie mich im Rahmen dieser schwierigen Mindestlohndebatte auf ein paar Dinge hinweisen, die unterschiedlichen Teilen dieses Hauses nicht gefallen, die aber alle miteinander wahr sind. Bevor man sich in einem volkswirtschaftlichen Studium im Detail mit Wirtschaftstheorie beschäftigt, braucht man ein paar Kenntnisse, die mit Grundrechenarten zu tun haben und selbstverständlich sind. Dazu gehört, dass nur das Einkommen verteilt werden kann, das vorher auch erwirtschaftet worden ist.
Das heißt, dass es beispielsweise nicht gut gehen kann, wenn ein Arbeitnehmer, der eine Wertschöpfung von 5 Euro erwirtschaftet, auf Dauer von seinem Arbeitgeber 6 Euro bekommen soll. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Das hat nichts mit Wirtschaftstheorie zu tun, sondern das hat etwas mit simpelsten Zusammenhängen zu tun, nämlich wie Einkommen in einer Volkswirtschaft entsteht und verwendet wird. Ein Verstoß dagegen kann auf Dauer nicht gut gehen.
Es ist auch wahr, nicht jedem steht seine Produktivität auf die Stirn geschrieben.
Natürlich gibt es Menschen, die mehr bzw. weniger bekommen, als es ihrer Produktivität entsprechen würde. Es gibt aber niemanden, der die Wertschöpfung und damit die Produktivität eines Menschen besser beurteilen kann als die Tarifvertragsparteien. Die Politik sollte sich nicht anmaßen, an deren Stelle treten zu wollen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Brauksiepe, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heinrich Kolb?
Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU):
Er ist zwar noch dran, aber wenn er mit seiner Redezeit nicht auskommt, gerne.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kolb, bitte schön.
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Ich bedanke mich, Herr Kollege Brauksiepe. - Ich habe ja mit Interesse festgestellt, dass Sie nicht zu den Unterzeichnern der CDA-Unterschriftenaktion gehören. Nach dem, was Sie jetzt gesagt haben, ist mir das ein Stück klarer geworden. Die Grundzusammenhänge der Lohnfindung und Lohnsetzung haben Sie immerhin verstanden.
Können Sie mir denn, nachdem es der Kollege Pofalla nicht geschafft hat, folgenden Satz in der CDA-Unterschriftenaktion, der ja wohl der Beweggrund für Sie gewesen sein muss, nicht zu unterschreiben, noch einmal erläutern? Ich zitiere:
Deshalb muss der Gesetzgeber zusätzlich eine absolute Lohnuntergrenze oberhalb der Armutsgrenze festlegen; …
Ist das ein gesetzlicher Mindestlohn, ja oder nein? Ist das der Grund dafür, dass Sie nicht unterschrieben haben?
Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU):
Herr Kollege Kolb, Ihre Pöbeleien habe ich zur Kenntnis genommen.
Das muss jeder für sich entscheiden.
Ich muss keine Appelle an mich selber richten. Ich bin an den Gesprächen beteiligt, die die Große Koalition zu diesem Thema führt. Es ist völlig in Ordnung, wenn in einer Volkspartei, die breit aufgestellt ist, die Meinungen zu diesem Thema zum Ausdruck gebracht werden. Ich werde Ihnen zu der Frage, auf die Sie gekommen sind, inhaltlich gleich noch etwas sagen. - Erst einmal können Sie wieder Platz nehmen.
Ich war an dem Punkt stehen geblieben, dass ein Arbeitgeber auf Dauer nicht mehr bezahlen kann, als der Wertschöpfung des Arbeitnehmers entspricht. Genauso gehört zur Wahrheit aber auch, dass wir auf dem Arbeitsmarkt, auch im zusammenwachsenden Europa, mittlerweile eine Situation haben, der viele alte Theorien nicht gerecht werden. Wenn jemand aus einem Land, wo die Mindestlöhne im Eurocentbereich liegen - es gibt mehrere Länder in der Europäischen Union mit gesetzlichen Mindestlöhnen im Centbereich -, in ein Land wie Deutschland kommt, eine Wertschöpfung von 5 Euro erbringt, dafür aber nur 2 oder 3 Euro, das heißt nur einen Bruchteil seiner Wertschöpfung, erhält und der Arbeitgeber den Rest einbehält, weil er sich sagt, der Arbeitnehmer habe ja immer noch mehr, als er in seinem Heimatland hätte, dann ist das eine Situation, die wir nicht hinnehmen können. Das ist eine Situation, die für deutsche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die hier leben und hier ihre Familie mit ihrer Hände Arbeit ernähren wollen, nicht hinnehmbar ist. Die sind dann nicht konkurrenzfähig. Politik kann nicht so tun, als hätte das etwas mit Marktgesetzen zu tun und ginge uns nichts an. Da müssen wir handeln, und da müssen wir die Menschen vor solcher Konkurrenz schützen.
Deswegen geben wir Antworten. Auch als CDU/CSU haben wir klare Vorstellungen zu diesem Thema entwickelt. Wir meinen: Eine Ausweitung des Entsendegesetzes ist nicht der Königsweg. Auch Herr Bofinger, Lieblingsökonom der Sozialdemokraten, sagt ausdrücklich: Vorsicht bei einer weiteren Ausweitung des Entsendegesetzes; protektionistisches Instrument usw. - Es geht also nicht darum, die Nutzung irgendeines Instruments zum Königsweg zu erklären, sondern es geht darum, zu prüfen, was denn die Alternativen sind.
Eine Alternative zur Ausweitung des Entsendegesetzes wäre Nichtstun. Angesichts der Probleme, die wir in manchen Bereichen haben, halte ich Nichtstun für unverantwortlich.
Eine weitere Alternative wäre, dass sich der Staat an die Stelle der Tarifvertragsparteien setzt. Dazu sage ich noch einmal: Ich glaube nicht, dass der Staat bessere Antworten als die Tarifvertragsparteien hat. Uns geht es nicht darum, als Politik vorzugeben, wer ins Entsendegesetz kommt, sondern wir sagen: Wo die Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter selbst die sozialen Verwerfungen sehen und erklären: ?Wir wollen deswegen ins Entsendegesetz aufgenommen werden“, sind wir bereit, diesen Weg mitzugehen. Wir sagen also nicht: Wir wissen es als Politik besser.
Ich will zu dem Protektionismusargument deutlich erklären: Es gibt aus guten Gründen Minderheitenschutz. Aber die Aufnahme ins Entsendegesetz bedeutet nicht, dass jemandem, der keiner Tarifvertragspartei angehört, alles diktiert werden muss. Tarifverträge regeln, wie man wissen sollte oder auch weiß, Herr Kollege Niebel, sehr viel mehr als nur einen Mindestlohn. Es geht aber nur darum, diesen für allgemeinverbindlich zu erklären. Es kann nicht sein, dass nur Minderheiten, die keiner Tarifvertragspartei angehören, ihre Rechte haben; auch die Mehrheiten müssen Rechte haben.
Wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die in einer Branche die Mehrheit repräsentieren, einen Tarifvertrag abschließen und sich darauf verständigen, dass für anständige Arbeit ein anständiger Lohn gezahlt werden soll, dann müssen sie auch die Möglichkeit haben, das durchzusetzen, und dürfen nicht durch Konkurrenz, durch Lohndrückerei daran gehindert werden. Auch das gehört zur Ordnungspolitik und zur Tarifautonomie dazu.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Brauksiepe, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage, und zwar der Kollegin Pothmer vom Bündnis 90/Die Grünen?
Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU):
Aber gern.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Bitte schön, Frau Pothmer.
Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Brauksiepe, Sie haben gerade erklärt, dass Sie da, wo sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam auf bestimmte Löhne verständigt haben und den Anspruch erheben, ins Entsendegesetz aufgenommen zu werden, dem auch Folge leisten werden. Ist das eine definitive Aussage dahin gehend, dass die Zeitarbeitsbranche, die die Kriterien, die Sie gerade genannt haben, erfüllt,
unmittelbar ins Entsendegesetz aufgenommen wird?
Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU):
Frau Pothmer, Sie müssten eigentlich wissen, dass die Voraussetzungen, die Sie in Ihrer Frage genannt haben, in der Realität nicht gegeben sind. In der Zeitarbeitsbranche haben wir es mit konkurrierenden Tarifverträgen zu tun. Es ist eine besondere Situation, mit der wir uns auch zu beschäftigen haben werden. Wenn es entsprechende Anträge gibt, wird man sich diese Verträge anschauen und überlegen müssen, wie man damit umgeht. Sie wissen, dass das eine Sondersituation ist und dass die Bedingungen, die ich genannt habe, und auch die, die Sie genannt haben, als solche nicht erfüllt sind.
Ich will auf den Ausgangspunkt zurückkommen. Wir haben eindeutig erklärt, dass wir bereit sind, da eine Aufnahme in das Entsendegesetz vorzunehmen, wo solche sozialen Verwerfungen von den Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern selbst gesehen werden. Jeder weiß: Eine solche Aufnahme ist kein Allheilmittel und wird nicht dazu führen, dass die gesamte deutsche Volkswirtschaft unter das Entsendegesetz fällt.
Wir sagen klipp und klar: Wir wollen und müssen verhindern, dass dort, wo es aufgrund tariflicher Vereinbarungen nicht zu einer Aufnahme ins Entsendegesetz kommt, sittenwidrige Löhne gezahlt werden. Das ist eine klare Aussage. Wir lehnen sittenwidrige Löhne ab und sind bereit, das entsprechend zu kodifizieren.
Das Richterrecht ist an dieser Stelle uneinheitlich. Daher gilt: Wenn man gesetzlich festlegt, dass Löhne ein Drittel unter Tarif sittenwidrig sind, dann ist das mehr als die pure Wiedergabe des Richterrechts. Das ist etwas anderes. Das ist gewissermaßen das Kondensat der Urteile, die es dazu bisher gab. Es ist schon ein Fortschritt, der auch mehr Rechtssicherheit schafft.
Wir sagen ganz deutlich - Kollege Kolb, damit sind wir bei dem Punkt, den auch die CDA in ihrem Flugblatt völlig zu Recht angesprochen hat - : Wenn man fordert, dass Löhne ein Drittel unter Tarif möglich sind, dann muss man in der Tat unterscheiden, ob im Tarifvertrag Löhne von 12 Euro oder von 3,50 Euro oder 3,18 Euro festgelegt sind. Wir wollen nicht, dass Menschen für 3 Euro oder weniger - ich verweise auf den Erwerbsgartenbau - beschäftigt werden. Ich wiederhole: Das wollen wir nicht. Genau das wird mit unserer Position zum Ausdruck gebracht.
Ein Drittel weniger als 12 Euro oder ein Drittel weniger als 3,80 Euro, das ist ein Unterschied.
Ich sage genauso klar: Der Staat verhebt sich, wenn er versucht, beispielsweise über einen Mindestlohn - man kann es auch anders nennen - gesetzlich festzulegen, dass Löhne doppelt so hoch wie tarifvertraglich vereinbarte Löhne sein sollen, etwa nach dem Motto: Wenn in den Tarifverträgen etwa ein Lohn von 3 Euro vereinbart wurde, dann legen wir fest, dass das Doppelte zu zahlen ist. Auch ich bin fassungslos, wenn ich sehe, was in manchen Tarifverträgen steht. Aber wir sollten zur Kenntnis nehmen: Der Staat verhebt sich, wenn er meint, er könne festlegen, dass das Doppelte gezahlt wird. Genauso klar ist: Tarifvertraglich festgelegte Niedrigstlöhne von etwas mehr als 3 Euro dürfen nicht noch um ein Drittel unterschritten werden. Deswegen ist diese Position der CDA völlig sachgerecht.
Nach meiner Überzeugung schreit dieses Thema geradezu nach ideologischer Abrüstung.
Ich finde, wir müssen deutlich machen, was die Ziele und was die Mittel sind. Deswegen sage ich noch einmal: Unser Ziel ist und bleibt, dass Menschen in diesem Land nicht ausgebeutet werden, dass Menschen für eine anständige Arbeit auch einen anständigen Lohn bekommen. Um dieses Ziel geht es.
Ziel kann nicht sein, alle Branchen oder keine Branchen ins Entsendegesetz aufzunehmen.
Ziel muss vielmehr sein, dass in diesem Land für anständige Arbeit ein anständiger Lohn gezahlt wird. Es geht darum, dass es keine Lohndrückerei gibt. Der gerechte Lohn und die Frage, wie man dazu kommt, sind ein urchristliches Thema. Das ist ein Thema der Christlichen Demokraten und der Christlich-Sozialen. Dafür stehen wir, und darum ringen wir. Wir wollen in dieser Großen Koalition gemeinsam Lösungen für diese Probleme finden.
Herzlichen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Heinrich Kolb von der FDP-Fraktion.
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Debatten wie die heutige sind auch dazu da, die Positionen der Fraktionen in diesem Hause deutlich zu machen. Was die FDP will, ist deutlich geworden: Wir wollen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass mehr Arbeitsplätze in diesem Lande entstehen. Ein Arbeitsplatz ist nämlich das höchste soziale Gut, das wir einem Menschen in diesem Lande zur Verfügung stellen.
Herr Kollege Pofalla und Herr Kollege Brauksiepe, was die Union will, ist mir nach Ihren Beiträgen allerdings nicht ganz klar. Herr Brauksiepe, es gab Zeiten, da hatte die Union eine klare marktwirtschaftliche Position, da hatte die Union ein klares ordnungspolitisches Profil. Aber was wir heute von Ihnen gehört haben, war ein bisschen Symbolpolitik nach dem Motto: So ganz können wir uns diesem Thema nicht verweigern; sprechen wir also zur Sittenwidrigkeit. Ansonsten war von Ihnen ein klares ?Nein, aber ...“ zu hören. Dazu muss ich sagen: Ich freue mich, heute Morgen in den Zeitungen gelesen zu haben, dass Ludwig Erhard nie Mitglied der Christlich Demokratischen Union gewesen ist. Anderenfalls müsste er posthum seinen Austritt erklären. Er würde sich im Grabe herumdrehen, wenn er dieses Geeiere heute Morgen erlebt hätte.
Es gibt an dieser Stelle nur eine klare Position: Lohnsetzung ist kein Handlungsfeld der Sozialpolitik. Das muss unmissverständlich klar sein. Ich denke, man hätte von dem Kollegen der Union erwarten dürfen, das hier klar und unmissverständlich zu sagen.
Herr Kollege Brauksiepe, das war eben keine Pöbelei. Wenn Sie das so empfunden haben sollten, dann bitte ich Sie ausdrücklich um Entschuldigung.
Ich bin doch froh, dass Sie Einsicht in einen sehr grundlegenden Sachverhalt gezeigt haben.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Kolb, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Göhner?
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Sehr gerne.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Bitte schön, Herr Göhner.
Dr. Reinhard Göhner (CDU/CSU):
Herr Kollege Kolb, da Sie sich Sorgen um die posthume Mitgliedschaft von Ludwig Erhard machen, darf ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass die Grundlagen für das Mindestlohngesetz von 1952 und für die gesetzlichen Regelungen des Tarifvertragsgesetzes in der heutigen Form zu Ludwig Erhards Zeiten geschaffen wurden, das Entsendegesetz jedoch zu der Zeit, als die FDP an der Regierung war?
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Wir als FDP haben beispielsweise auch die betriebliche Mitbestimmung mit aus der Taufe gehoben, weil wir uns als liberale Partei durchaus auch den Arbeitnehmerinteressen verpflichtet fühlen.
Ich gehe davon aus, dass Ludwig Erhard an diesen Maßnahmen unter dem Bundeskanzler Konrad Adenauer mitgewirkt hat und dass ein Bundeskanzler Ludwig Erhard so etwas nicht getan hätte.
Deswegen glaube ich, bei der Beurteilung, die ich hier abgegeben habe, sehr wohl bleiben zu können.
Ich möchte feststellen, dass Herr Kollege Brauksiepe hier einen wichtigen und grundlegenden Sachverhalt deutlich gemacht hat: Auf Dauer kann kein Unternehmen einen Lohn zahlen, der die Wertschöpfung, die mit der erbrachten Leistung korrespondiert, deutlich übersteigt.
- Das finde ich sehr bemerkenswert, Herr Kollege Brauksiepe. Aber daran muss sich konkretes Handeln anschließen. - Also, der Lohn kann nur so hoch sein wie der Wert der produzierten Güter und Dienstleistungen nach Abzug der Kosten für Material, Energie usw. Der größte Einzelposten ist in der Regel der Lohn.
Nun ist interessant, dass Forderungen nach Mindestlöhnen nur für ortsgebundene Branchen erhoben werden. Es käme keiner auf die Idee, in einer Branche, die sehr stark exportorientiert ist, die Forderung nach Mindestlöhnen zu erheben, weil vollkommen klar ist, dass der Absatz der Güter und Dienstleistungen erschwert würde. Die Preiserhöhungen, die den Lohnerhöhungen notwendig folgen müssten, sind nämlich nicht durchsetzbar, und deswegen sind exportorientierte Branchen in der Regel außen vor. Interessanterweise sind auch Importbranchen außen vor. Ich jedenfalls kenne keine Forderung, Einfuhrzölle in bestimmten Branchen zu erheben, wenn Produkte nach Deutschland eingeführt werden, die zu deutlich niedrigeren Lohnkosten erzeugt werden, als das in Deutschland der Fall ist.
Die Forderung kommt also insbesondere dann, wenn in bestimmten Branchen unbedingt in Deutschland ortsgebunden produziert werden muss oder Dienstleistungen erbracht werden müssen, also im Einzelhandel, im Hotel- und Gaststättengewerbe, in der Land- und Forstwirtschaft, im Erwerbsgartenbau, im Friseurhandwerk, bei Postdienstleistungen, in der Floristik und in vielen anderen Branchen mehr. Man kann das schön im Antrag der Grünen nachlesen. Nur muss ich hier klar sagen, dass das auch in diesen Fällen nicht ohne Risiken und Nebenwirkungen ist. Der Sachverständigenrat hat in seinem aktuellen Jahresgutachten sehr deutlich gemacht, dass auch in diesem Fall absolute Wohlstandsverluste die Folge von Mindestlöhnen sind und wir alle, also auch Arbeitnehmer in anderen Branchen, die Zeche zahlen, die mit der Einführung von Mindestlöhnen in solchen ortsgebundenen Branchen verbunden wäre. Deswegen sind Mindestlöhne Gift, und zwar ohne Wenn und Aber,
sowohl gesetzliche als auch tarifliche oder solche, die im Wege des Entsendegesetzes für allgemeinverbindlich erklärt werden. Wir sollten die Finger davon lassen. Die Väter des Grundgesetzes haben die Tarifautonomie aus gutem Grund in das Gesetz geschrieben, weil sie sehr wohl gesehen haben, was geschieht, wenn sich die Politik in die Lohnfindung einmischt. Frau Kollegin Pothmer, ich möchte mir keinen Wahlkampf vorstellen, in dem nach dem Motto ?Wer bietet mehr?“ nicht nur 7,50 Euro, sondern 8,10 Euro oder 9,20 Euro in politischen Programmen gefordert werden. Die Folge wäre ein massiver Verlust von Arbeitsplätzen in unserem Lande gerade bei den Geringqualifizierten. Das können und dürfen wir nicht wollen.
Es bleibt noch ein Punkt. Es wird gesagt: Anständiger Lohn für anständige Arbeit. Wer Vollzeit arbeitet, muss auch von seiner Arbeit leben können. - Was heißt das eigentlich, Herr Müntefering? Wer alleine lebt, kann mit einem Bruttostundenlohn von 6,50 Euro oder 7 Euro klarkommen, aber für jemanden, der verheiratet ist und Kinder hat, bedeutet vom Verdienst leben zu können, einen Bruttostundenlohn von 12 Euro oder 12,50 Euro erzielen zu müssen, wenn ich das richtig gerechnet habe. Das heißt doch, dass sich eine künftige Lohnfindung an den persönlichen Verhältnissen des Arbeitnehmers ausrichten müsste, wenn man diesen Gedanken zu Ende denken würde. Das kann nicht sein. Auch hier gilt: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Ich unterstelle, dass Sie alle beste Absichten haben. Aber im Ergebnis führt eine solche Politik in die Irre. Deswegen kann ich nur noch einmal sagen: Hände weg vom Mindestlohn!
Der Weg, den die FDP in ihrem Antrag aufzeigt, ist der richtige. Wir sollten nicht über Mindestlöhne reden, sondern über Mindesteinkommen. Wer von seinem Einkommen nicht leben kann, wem durch seine Arbeit netto nicht genügend verbleibt, um seinen Bedarf zu decken, hat Anspruch auf einen Transfer, den ihm die Gemeinschaft der Steuerzahler gewähren muss. Das ist nicht ehrenrührig. Das entspricht vielmehr den Grundprinzipien unseres Sozialsystems, die wir in anderen Bereichen nicht nur akzeptieren, sondern regelmäßig hochpreisen.
Unterstützen Sie den Antrag der FDP! Schaffen Sie die Voraussetzungen für mehr Lohnspreizung, mehr Mitwirkung in den Betrieben und mehr Arbeitsplätze! Sorgen Sie zusammen mit uns dafür, dass in Deutschland ein Bürgergeld eingeführt wird, das den Transfer erbringt, durch den die Menschen das haben, was sie brauchen. Das ist eine Sozialpolitik mit Augenmaß. Dafür treten wir ein.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Bundesminister Franz Müntefering.
Franz Müntefering, Bundesminister für Arbeit und Soziales:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bedanke mich bei den Antragstellern für die Möglichkeit, hier über das Thema zu diskutieren. Das passt gerade gut; denn der Stand der Dinge ist so, dass eine gute Information nützlich ist. Deshalb hätten Sie aber nicht so viel Unsinn in Ihren Antrag hineinschreiben müssen, Herr Kolb. Das wäre auch anders möglich gewesen.
Ihren einfältigen Hinweis darauf, dass Stundenlöhne nicht davon abhängen, ob jemand verheiratet ist oder nicht, Kinder hat oder nicht - das wusste ich auch vorher schon.
Also, die Frage zum Schluss war wahrscheinlich doch nicht so ganz ernst gemeint.
Wir haben in langen Diskussionen zwei Probleme im Niedriglohnbereich in Deutschland herausgearbeitet, die auch unbestritten sind. Die Lohnspreizung ist groß. Es gibt zunehmend Menschen, die einen so niedrigen Lohn haben, dass sie davon nicht leben können. Deshalb zahlt der Staat zunehmend Löhne indirekt. Für Verheiratete und Arbeitnehmer mit Kindern gibt es - darauf haben Sie abgehoben - immer Sozialtransfers; das ist völlig unbestritten. Aber immer mehr ist es so, dass, so zum Beispiel bei Postdiensten, die zu Billigstbedingungen Post verteilen - Stichwort ?billige Briefmarken“ -, der Staat mit seinem Sozialtransfers die Löhne ersatzweise zahlt. Das ist auch unter dem Gesichtspunkt der Verbraucherpolitik nicht vernünftig. Dort, wo Löhne und Preise - beispielsweise beim Friseur - so niedrig werden, dass anschließend die Gemeinschaft aller aus der Steuerkasse den Rest der Löhne zahlen muss, ist das ein Verstoß gegen ?normale“ Ordnungspolitik. Das hat mit sozialer Marktwirtschaft und vernünftiger Ordnungspolitik überhaupt nichts zu tun.
Allen, die sagen, der Staat müsse zuzahlen, sage ich: Leute, überlegt es euch noch einmal genau! Diese Staatslohnphilosophie führt in die Irre. Wenn man Ihren Antrag genau liest, stellt man fest: Sie sagen im Grunde nichts. Wenn die Löhne nun einmal so niedrig sind, wie sie sind, dann muss nach Ihrer Vorstellung ein Bürgergeld - ein schöner Name - aus der Staatskasse gezahlt werden. Woher denn eigentlich sonst? Aber das kann nicht sein. Eine soziale Marktwirtschaft muss den Anspruch an sich selbst haben, dass die Produktivität der Menschen so hoch ist, dass sie so viel verdienen, dass sie davon auch leben können. Das muss das Ziel einer vernünftigen sozialen Marktwirtschaft sein.
Inzwischen gibt es in Deutschland etwa 2,5 Millionen Menschen - Tendenz steigend -, die nicht arbeitslos sind, also Arbeitslosengeld II bekommen. Seit Einführung dieses Instruments sind es 800 000 mehr geworden. Ursprünglich waren es 1,7 Millionen. Die Zahl derjenigen, die arbeitslos sind und Arbeitslosengeld II bekommen, sinkt dagegen. Die Belebung auf dem Arbeitsmarkt wirkt. Aber es gibt zunehmend mehr Menschen, die beschäftigt sind und trotzdem ergänzend Arbeitslosengeld II bekommen. Darunter sind etwa 500 000 Vollbeschäftigte, eine Reihe von Teilzeitbeschäftigten, 80 000 Selbstständige und die Aufstocker, bei denen das Arbeitslosengeld I nicht hoch genug ist. Damit müssen wir uns auseinandersetzen. Die Diskussion darüber, ob wir 21,4 Milliarden oder 25 Milliarden Euro für passive Leistungen im Rahmen des Arbeitslosengeldes II ausgeben, hat damit zu tun. Wie viel muss denn eigentlich gezahlt werden? Und wer zahlt diese Löhne nicht so hoch wie sie eigentlich sein müssten? Darüber haben wir diskutiert. Wir haben fünf Lösungsansätze, die ich in aller Kürze beschreiben möchte:
Erster Lösungsansatz: Angebot an alle Branchen in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz zu kommen. Wir können keinen dazu zwingen; das wollen wir auch nicht. Das Angebot gilt aber für alle. Sie müssen versuchen, die dafür erforderlichen Strukturen herzustellen. Ich möchte, dass wir Anfang des nächsten Jahres dann in einem großen Gesetz möglichst viele Branchen in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufnehmen können und es so in Bezug auf die Dienstleistungsrichtlinie, die 2009 kommen wird, sichern können.
Wir werden sehen, welche Branchen die Aufnahme beantragen werden. Einige kenne ich schon; die haben sich schon bei mir gemeldet. Es melden sich übrigens nicht nur Arbeitnehmer, sondern auch Arbeitgeber. Das zweite Problem, das ich vorhin nicht angesprochen habe, ist nämlich, dass es ganz viele Arbeitgeber gibt, die einen ordentlichen, fairen Lohn zahlen und sagen: Es kann doch nicht sein, dass irgendeiner mit Lohndumping mich als Unternehmer untergräbt. - Da kamen Arbeitgeber aus der Wachdienstbranche zu mir und sagten: Wir wollen unseren Leuten anständige Löhne, 7 Euro, zahlen. Was sollen wir aber machen, wenn ein anderes Unternehmen die Arbeit für 2,50 Euro macht? - Arbeitgeber und Arbeitnehmer wollen also in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen werden.
Unser Angebot gilt für alle Branchen: Sie sollen im Verlauf dieses Jahres klären, ob sie in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen werden wollen; dann müssen sie die strukturellen Voraussetzungen dafür schaffen. Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen Verträge schließen. Wir beeinflussen die Tarife überhaupt nicht.
Das läuft wie bei den Gebäudereinigern. Arbeitgeber und Arbeitnehmer dieser Branche sind zu uns gekommen und haben gesagt: Macht den Tarif von 7,87 Euro im Westen und 6,36 Euro im Osten allgemeinverbindlich. Das haben wir dann gemacht. So läuft das ab. Instrument Nr. 1 ist also, ein tariflicher Mindestlohn, wie ich es immer genannt habe.
Instrument Nr. 2: Kombilöhne. Ja, es gibt Menschen, die aus verschiedenen Gründen nicht produktiv genug sind. Da sagen wir: Wir zahlen dazu. Bei schwervermittelbaren Jugendlichen unter 25 Jahren sagen wir: Arbeitnehmer, stell den Jugendlichen ein, wir zahlen zwei Jahre lang einen sogenannten Qualifizierungskombi. Bei den Älteren gibt es die Initiative ?50 plus“: Wir zahlen dir, Arbeitgeber, einen Zuschuss; nimm ihn. Stichwort sozialer Arbeitsmarkt: Es gibt Hunderttausende von Schwervermittelbaren. Wir sagen den Städten und Sozialverbänden diesbezüglich: Nehmt sie, wir zahlen euch etwas dazu. - Das ist eine Frage der Produktivität. Dann stimmt das auch wieder.
Instrument Nr. 3: Wir versuchen, zu erreichen, dass möglichst wenig Menschen in die Hilfsbedürftigkeit rutschen. Das betrifft die Frage nach dem Zuverdienst. Was ist mit denen, die 700 Euro, 800 Euro, 900 Euro, 1°000 Euro oder 1 200 Euro haben und die zur Arge kommen und sagen: Ich muss noch Geld dazu haben? Denen sagen wir: Bleibt weg, bleibt aus der Hilfsbedürftigkeit raus! Wir geben euch einen Erwerbstätigenzuschuss. Bei einem Lohn von 800 Euro Lohn beträgt er 20 Prozent. Der Zuschuss sinkt degressiv ab. So können sie aus der Hilfsbedürftigkeit rausbleiben. Das ist die Idee, die beim Kinderzuschlag schon dagewesen ist. Wir wollen mit dieser Maßnahme erreichen, dass möglichst viele Familien oder solche, die in die Nähe der Hilfsbedürftigkeit rutschen, draußen bleiben können. Das wird noch zu präzisieren sein. Darüber reden wir noch im Einzelnen. Aber der Gedanke ist doch nicht falsch, zunächst einmal den Menschen zu helfen, gar nicht in die Hilfsbedürftigkeit zu rutschen, auch eine Vermögen nachweisen zu müssen, auch keine Schonvermögensproblematik zu haben, sondern die Leute draußen zu halen.
Der Kinderzuschlag muss hierbei eine ganz besondere Rolle spielen.
Punkt 4: Sittenwidrigkeit. Dazu gibt es eine Rechtsprechung in Deutschland. In der Tat gibt es dabei ein Problem. Bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit eines Lohns wird nicht geschaut, wie hoch oder niedrig ein Lohn ist, sondern nur, in welchem Verhältnis er zu dem steht, was vereinbart war bzw. zu dem, was ortsüblich ist. Da gibt es große Schwankungen. Der Spitzenkoch, der einen Anspruch auf einen Lohn von 50°Euro in der Stunde hat, kann sagen: Mein Lohn, der bei 30 Euro liegt, ist sittenwidrig. Die Friseuse, die für 3,20 Euro arbeitet, kann sagen: Solange mein Lohn nicht unter 2,20 Euro rutscht, ist er nicht sittenwidrig. Da sagen wir alle: Das kann so nicht sein. Ich bin dafür, dass man definiert, was unangemessen niedrige Löhne sind. Wir müssen deutlich darüber sprechen, wie hoch der Lohn wenigstens sein muss, unter welche Schwelle der Lohn nicht rutschen darf.
Damit komme ich zum Punkt Nr. 5: die Mindestlöhne. Wir sagen: Wenn man das Konzept des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes hat - so, wie ich es eben beschrieben habe -, wird es Lücken geben. Die Größe dieser Lücken kann man heute noch nicht abschätzen. Werden 10 Prozent der Branchen darunter fallen oder werden es 90 Prozent sein? Ich weiß es nicht. Und dann werden wir einen Auffangmindestlohn machen, der diese Lücken schließt.
- Ich werbe hier dafür. - Dieser Mindestlohn muss sich an den Eckpunkten des Einkommens eines alleinstehenden, kinderlosen Arbeitslosengeld-II-Empfängers, von netto auf brutto gerechnet, orientieren. Da derjenige, der arbeitet, mehr haben muss als derjenige, der nicht arbeitet, kommt ein Plus von x Prozent oben drauf. Dann kommen wir auf einen Auffangmindestlohn, der dafür sorgt, dass die im System bestehenden Lücken geschlossen werden.
Da gibt es noch viele Fragezeichen; man bräuchte länger, um das im Einzelnen zu erklären; ich wollte versuchen, Ihnen den Gesamtzusammenhang darzustellen, wie wir das sehen und wie wir das vorantreiben möchten. Man wird in den nächsten Monaten sehen, worauf das hinausläuft. Ich glaube, dass die lange Diskussion, die wir darüber geführt haben, sich gelohnt hat und noch lohnt. Man hat viel dazugelernt. Das ist auch gut, dass man dann in ein Stadium kommt, in dem man das, was man vereinbart hat, was gemeinsam in der Koalition möglich ist, auch zu einem guten Ergebnis führt. Ich bin da zuversichtlich. Denn über die Ziele, die ich eben beschrieben habe, sind wir uns in diesem Haus eigentlich alle einig: Es kann nicht sein, dass - jenseits aller Fragen der Produktivität - manche Löhne in Deutschland so niedrig sind, dass derjenige, der für einen niedrigen Lohn arbeitet, sich fragen muss, weshalb er überhaupt jeden Morgen um halb sechs aufsteht, während andere in der Nachbarschaft liegen bleiben können. Außerdem dürfen die Unternehmen, die ordentliche Löhne zahlen, nicht die Dummen sein. Deswegen sind Formen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und eines Auffangmindestlohnes vernünftige Ansätze, um dieses Problem insgesamt sinnvoll zu regeln.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ulla Lötzer von der Fraktion Die Linke.
Ulla Lötzer (DIE LINKE):
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Der tarifliche Stundenlohn eines Zimmermädchens im Hotelgewerbe würde etwa 7 bis 8 Euro betragen. Trotzdem gibt es viele Zimmermädchen, zum Beispiel in Köln, die mit 3 bis 4 Euro die Stunde abgespeist werden. Die Hotelketten haben mehr als die Hälfte des Reinigungspersonals ausgegliedert und vergeben die Reinigung jetzt an Firmen. Die Beschäftigten erhalten real 1,78 Euro bis 2,50 Euro pro Zimmer. Für ein Zimmer brauchen sie 30 bis 40 Minuten. Bei zehn bis zwölf Stunden am Tag und sieben Tagen in der Woche bringen sie demnach 700 Euro brutto im Monat nach Hause. Das ist die Realität. Wir sagen: Das ist ein Skandal, dem mit einem gesetzlichen Mindestlohn Abhilfe geschaffen werden muss.
Ihre Aussage, Herr Niebel, wir bräuchten dringend Lohnspreizung, bzw. Ihre Forderung nach einem funktionsfähigen Niedriglohnsektor in Deutschland ist genauso ein Skandal wie der Lohn des Zimmermädchens.
Herr Kolb, Sie haben mit dem Sachverständigenrat gesagt, Konsequenz eines Mindestlohns seien Wohlfahrtseinbußen.
Ich frage Sie: Welche Wohlfahrtseinbußen hätte denn dieses Zimmermädchen, wenn ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt würde?
Welche ?Wohlfahrt“ hat dieses Zimmermädchen bei 700 Euro brutto im Monat? Das ist ein Hungerleben und keine Teilhabe an Wohlfahrt.
Erst mit einem gesetzlichen Mindestlohn würde ihr ein Leben in Würde ermöglicht. Das gilt für das Zimmermädchen, das gilt für die Friseuse in Sachsen, das gilt für viele Frauen. Denn Frauen sind bereits jetzt die Hauptverlierer dieser Niedriglohnpolitik: Ihr Anteil an der Gruppe derer, die Armutslöhne beziehen, beträgt 70 Prozent.
Sie behaupten auch jetzt wieder, ein Mindestlohn vernichte Arbeitsplätze.
Dabei können Hotels nicht abwandern, genauso wenig wie Friseure. Viele Bereiche, in denen Armutslöhne gezahlt werden, sind vom Binnenmarkt abhängig.
Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Ein gesetzlicher Mindestlohn würde Unternehmen vor Schmutzkonkurrenz schützen, die Wettbewerb nicht über Qualität und Innovation führen will, sondern darüber, wer die niedrigsten Löhne zahlt.
Und - auch das ist Realität, Herr Pofalla -: Deutschland ist jetzt schon das Lohndumpingland in Europa. Deshalb verzeichnet Deutschland Monat für Monat, auch im Jahre 2007, wachsende Exportüberschüsse und setzt die anderen westeuropäischen Länder dadurch unter Druck.
Die Deutsche Bundesbank hat kürzlich davor gewarnt, dass erneut ein europaweiter Lohnsenkungswettlauf zu erwarten sei, da Italien, Frankreich und Spanien dieser Entwicklung nicht länger nur zusehen würden. Statt dem entgegenzuwirken, wollen Sie dafür sorgen, dass Deutschland für die Unternehmen in Europa zum Dumpingparadies wird.
Dieser Dumpingwettlauf könnte durch die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland begrenzt werden. Das wäre im Hinblick auf die EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands verantwortungsvoll und würde im Interesse der Menschen in Deutschland liegen.
Kollege Heil, nun komme ich zu Ihnen. Über Ihre Bekenntnisse zur Mitbestimmung und zur Tarifautonomie freuen wir uns. Wir stimmen Ihnen zu. Aber Sie nennen keine Maßnahmen, mit denen Sie diese Rechte stärken bzw. ihnen zur Durchsetzung verhelfen wollen. Wo bleibt die Einführung eines Verbandsklagerechts für Gewerkschaften, das dazu beitragen könnte, dass sie wieder kampffähig werden, um sich für Tariflöhne oberhalb von 3 bis 4 Euro einzusetzen?
Wo bleiben Maßnahmen gegen Massenentlassungen trotz großer Profite, in deren Rahmen Sie zum Beispiel die Mitbestimmungsmöglichkeiten der Beschäftigten stärken könnten? Wo bleiben Maßnahmen, durch die die soziale Verantwortung der Unternehmen wiederhergestellt wird? Bei Bekenntnissen dürfen wir nicht stehen bleiben. Wenn man die Mitbestimmungsrechte ernst nimmt, ist Handeln gefragt.
Genauso verhält es sich mit dem gesetzlichen Mindestlohn. Der SPD-Bürgermeister von Bremen kündigt öffentlich eine Bundesratsinitiative zur Einführung eines Mindestlohns in Höhe von 7,50 Euro an; das macht sich im Wahlkampf natürlich gut. Sie führen eine Unterschriftensammlung durch, obwohl aus allen Umfragen deutlich hervorgeht, dass die Mehrheit der Bundesbürger die Einführung eines Mindestlohns befürwortet. Damit das kein Wahlkampfgeklingel bleibt - das hätten die betroffenen Menschen nämlich nicht verdient -, sind allerdings Maßnahmen notwendig.
Ich habe Ihnen sehr aufmerksam zugehört, Herr Kollege Müntefering. Aber von einem existenzsichernden Mindestlohn habe ich in Ihrer Rede nichts gehört.
Das Entsendegesetz ersetzt ihn nicht. Sie sprachen von einem Auffanglohn. Das klingt sehr stark nach einem Armutslohn bzw. nach sittenwidrigen Löhnen, nicht aber nach einem existenzsichernden Mindestlohn. Hier wäre eine Klarstellung im Hinblick auf die Höhe des Mindestlohns notwendig.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden Ihnen morgen die Chance geben, über den Text Ihrer Unterschriftensammlung abzustimmen und deutlich zu machen, dass Sie zu Ihrer Forderung stehen. Nehmen Sie diese Chance wahr.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Frau Kollegin.
Ulla Lötzer (DIE LINKE):
Ich bin sofort am Ende.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Bitte.
Ulla Lötzer (DIE LINKE):
Sie werden doch wohl nicht an die Menschen appellieren, eine Forderung zu unterschreiben, zu der Sie selbst im Parlament nicht stehen. Wir können zum diesjährigen 1. Mai ein gutes Signal geben -
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Frau Kollegin, schauen Sie bitte auf die Uhr. Sie haben Ihre Redezeit deutlich überzogen. Ich bitte Sie, zum Ende zu kommen.
Ulla Lötzer (DIE LINKE):
- und 2,5 Millionen Menschen und ihren Familien ein Leben in Würde ermöglichen.
Danke.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Das Wort hat der Kollege Max Straubinger, CDU/CSU-Fraktion.
Max Straubinger (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir führen heute wieder eine Debatte über die Einführung von Mindestlöhnen, über die Ablehnung von Mindestlöhnen, über die Einführung eines Bürgergeldes, über existenzsichernde Löhne und dergleichen mehr. Darüber haben wir in diesem Hohen Hause schon sehr häufig diskutiert. Wir führen diese Debatte auch deshalb, weil es in verschiedenen Bereichen Fehlentwicklungen gegeben hat, zum Beispiel im Hinblick auf die Einkommen der Bürgerinnen und Bürger. In unserer Gesellschaft haben problematische Entwicklungen stattgefunden, die dieses Thema befördert haben.
Wir alle sind uns in diesem Hause einig, dass die Menschen durch eigener Hände Arbeit ein Einkommen erzielen müssen, das es ihnen ermöglicht, ein gutes Leben zu führen. Dies ist aber nicht allen Menschen in unserem Lande möglich. Deshalb haben wir in den verschiedensten Bereichen ein sehr ausgefeiltes soziales Sicherungsnetz geschaffen. Dieses soziale Sicherungsnetz fängt die Menschen auf, sodass sie ein gutes Leben führen können. Die Lohnpolitik kann nie die Sozialpolitik ersetzen.
Dies sollte man zu bedenken geben und in Diskussionen auch berücksichtigen.
In unserem Land haben wir 2,5 Millionen ALG-II-Bezieher. Der Bundesminister hat das bereits aufgeführt. Vor der Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe, also vor den Hartz-Reformen, hatten wir 1,7 Millionen Bezieher. Man kann also festellen, dass die Zahl der Bezieher gestiegen ist. Möglicherweise liegt das daran, dass der soziokulturelle Mindestbedarf angehoben wurde und deshalb mehr Menschen in die Hilfebedürftigkeit geraten sind.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege, jetzt muss ich Sie trotzdem fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Niebel zulassen.
Max Straubinger (CDU/CSU):
Ja.
Dirk Niebel (FDP):
Vielen Dank. - Herr Kollege Straubinger, Sie haben ja eben sehr anschaulich dargestellt, wie Lohnfindung und Sozialpolitik in Deutschland aufgestellt sind. Der Bundesminister hat in seiner Rede vor Ihnen sein Konzept eines Auffangmindestlohnes erklärt.
Können Sie mir vor dem Hintergrund dessen, was Sie völlig richtig definiert haben, erklären, worin der Unterschied zwischen einem gesetzlich festgelegten Auffangmindestlohn und einem gesetzlich festgelegten Mindestlohn besteht? Außer im Hinblick auf den Wortanfang ?Auffang“ ist mir eigentlich nicht wirklich erklärbar, worin der Unterschied bestehen soll.
Max Straubinger (CDU/CSU):
Ich bin nicht für die Definitionen dessen zuständig, was der Herr Minister gesagt hat. Es wäre besser, den Herrn Minister dazu zu fragen.
Ich glaube aber, dass wir mit gesetzlichen Mindestlöhnen letztendlich keine gute Basis schaffen.
Der Kollege Heil hat sich hier für die Tarifautonomie ausgesprochen, die wir alle schätzen. Ich glaube, dass Deutschland mit der Tarifautonomie sehr gut gefahren ist. Auch die Bürgerinnen und Bürger sowie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer konnten aufgrund der Tarifautonomie von dem Produktivitätszuwachs profitieren, und ich bin davon überzeugt, dass dies bei den aktuellen Tarifverhandlungen zusätzlich zum Ausdruck gebracht werden wird. Deshalb bin ich der Meinung, dass es einer gesetzlichen Definition eines Mindestlohnes nicht bedarf.
- Bitte schön.
Ich bin davon überzeugt, dass wir eine vernünftige Sozialpolitik letztendlich nicht über einen Mindestlohn absichern können und sollten und dass wir manchen Dingen hier in den Debatten eine zu große Aufmerksamkeit widmen. In unserem Land gibt es fast 40 Millionen Erwerbstätige. Ganze 150 000 davon - das ist für den Einzelnen sicherlich bedauerlich - erhalten einen Stundenlohn von unter 4,50 Euro. Ganze 600 000 haben einen Stundenlohn von unter 6 Euro. Dieser Betrag kommt dem nahe, was der Herr Bundesminister zum Schluss ausgeführt hat.
Hier ist meines Erachtens die Sozialpolitik letztendlich das Auffangnetz. Aufgrund der einzelnen Mechanismen, die wir entwickelt haben, werden entsprechende Zuschüsse gegeben, weil die Produktivität des Einzelnen - vielleicht aufgrund seiner familiären Situation - nicht steigen kann. Manch einer hat vielleicht aus anderen Gründen nicht die Möglichkeit, einen gut bezahlten Job auszuüben. Vielleicht hatte er nicht die Gelegenheit, einen Beruf zu erlernen. Das ist eben oft so. Die natürlichen Anlagen sind unterschiedlich.
Dann ist aber die Sozialpolitik gefordert. Wir können das nicht durch die Lohnpolitik zum Ausgleich bringen.
Deshalb glaube ich, dass es unter sachlichen Gesichtspunkten durchaus vernünftig ist, gesetzlichen Mindestlöhnen eine Absage zu erteilen.
Ich sage aber auch ganz deutlich, worauf die Kollegen Brauksiepe und Pofalla sowie viele andere Vorredner schon hingewiesen haben: Es darf keine sittenwidrigen Löhne geben. Es darf auch keine zu niedrigen Löhne geben. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es ist aber Auftrag der Tarifparteien, dafür zu sorgen, dass Niedrigstlöhne, die wohlgemerkt Tarifabschlüsse sind und die wir heute beklagt haben, in Ordnung gebracht werden. Hier können wir nur die Tarifpartner auffordern, eine untere Auffanglinie einzuführen bzw. mit zu erarbeiten. Ich glaube, dass dies ein vernünftiger und auch gangbarer Weg ist. Ich glaube nicht, dass gesetzliche Regelungen der Weg sind, den sich manche in diesem Hohen Hause vorstellen.
Bei allen Regelungen, die wir treffen könnten, ist meines Erachtens für die Bürgerinnen und Bürger entscheidend, dass die Rahmenbedingungen der Wirtschaft zusätzlich verbessert werden. Wir haben heute bereits darauf hingewiesen, dass wir in diesem Land mehr als 1 Million Arbeitslose weniger zu verzeichnen haben. Es besteht die berechtigte Aussicht, dass wir in diesem Jahr zusätzlich 400 000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse haben werden und dass der Abbau der Arbeitslosigkeit weiter voranschreitet. Das ist ein großer Erfolg der ergriffenen Maßnahmen dieser Bundesregierung.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ernst?
Max Straubinger (CDU/CSU):
Ja.
Klaus Ernst (DIE LINKE):
Herr Straubinger, ich habe mit Freude zur Kenntnis genommen, dass Sie der Auffassung sind, dass die Tarifvertragsparteien die aus Ihrer und aus meiner Sicht zu gering geratenen Tariflöhne zu korrigieren haben. Diese Tarifabschlüsse sind auch Ausdruck der gegenwärtigen Kräfteverhältnisse zwischen den Tarifvertragsparteien, die offensichtlich zuungunsten der Gewerkschaften sind. Können wir von Ihnen nun ein Gesetz erwarten, das die Kampffähigkeit und die Durchsetzungsfähigkeit der Gewerkschaften wieder stärkt, um ihrem Ziel näher zu kommen?
Max Straubinger (CDU/CSU):
Herr Ernst, ich glaube, die Kampffähigkeit und die Durchsetzungsfähigkeit der Gewerkschaften sind sehr stark.
Es gilt, die Mittel entsprechend einzusetzen. Ich bin davon überzeugt, dass in verschiedenen Bereichen Tarifverträge unter dem Gesichtspunkt der regionalen Wettbewerbsfähigkeit abgeschlossen worden sind. Was nützt ein zu hoher Tarifabschluss, wenn letztlich die Arbeitsplätze verloren gehen und den Menschen die Chance, Arbeit zu finden, vollständig verbaut wird? Das ergibt doch keinen Sinn.
Ich glaube, wir tun gut daran, bei Tarifabschlüssen gerade im Osten Deutschlands mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit dieses Raums die regionalspezifischen Belange zu berücksichtigen. Ich bin davon überzeugt, dass dies in sehr verantwortlicher Art und Weise in den Händen der Tarifpartner, der Arbeitgeber sowie der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, liegt.
- Ich sehe keinen Anlass, dem hier eine neue gesetzliche Form zu geben.
Ich glaube, dass wir in den Bereichen, über die wir in der Großen Koalition in Zukunft zu diskutieren haben, zusätzliche Chancen für die Menschen in unserem Land eröffnen werden. Der Herr Bundesminister hat darauf hingewiesen. Ein Stichwort ist hier ?Jugendliche mit geringer Ausbildungsqualifikation“, für die vielleicht noch andere Vermittlungshemmnisse bestehen. Diesen Jugendlichen wollen wir als Große Koalition eine besondere Präferenz geben, um ihnen neue Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt zu eröffnen. Ich glaube, dies ist für die Bürgerinnen und Bürger und insbesondere für die langzeitarbeitslosen Jugendlichen wichtig. Diese Große Koalition wird ihrer Aufgabe und ihrer Verantwortung in jedem Fall gerecht werden.
Wir haben den älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bereits neue Chancen eröffnet. Das Stichwort lautet hier ?50 plus“. Dieses Programm haben wir in diesem Hause schon beschlossen. Die Flankierung des normalen Abbaus der Arbeitslosigkeit durch diese Arbeitsmarktmaßnahme bedeutet, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, wenn sie in höherem Alter in Arbeitslosigkeit geraten sind, Chancen haben, wieder eine Arbeitsstelle zu finden.
Ich bin überzeugt, dass durch das Entsendegesetz, das auf der einen Seite zum Teil kritisiert wird, auf der anderen Seite aber von vielen, die es heute kritisieren, gesetzlich herbeigeführt worden ist, Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt in den verschiedensten Bereichen verhindert werden können. Dies müssen aber die Tarifparteien für sich selbst erklären und erarbeiten. Hier gilt das Gebot der Freiwilligkeit, wenn diese die Tarifpartner für sich selbst erklärt haben. Hier gibt es sicherlich manche Ansprüche aus dem Baubereich, aus vorgeschalteten Bereichen und auch von Handwerkern, die sagen: Manche Allgemeinverbindlichkeit war in den vergangenen Jahren vielleicht nicht schlecht. Darüber gilt es nachzudenken. Ich bin davon überzeugt, dass die Große Koalition die Kraft haben wird, solche zukunftsfähigen Maßnahmen in die Tat umzusetzen. Im Sinne der Zukunftsfähigkeit unseres Landes und der Zukunftschancen der Bürgerinnen und Bürger hat die Große Koalition bisher eine gute Arbeit geleistet.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Klaus Brandner, SPD-Fraktion.
Klaus Brandner (SPD):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Vorredner aus der SPD haben bereits eindeutig klargestellt, dass wir einen Mindestlohn wollen. Wir können die Verwerfungen am Arbeitsmarkt in diesem Land nicht einfach hinnehmen. Wir freuen uns, dass zum Beispiel auch die Grünen sich dieser Überlegung angeschlossen haben. Wir freuen uns, dass die Linke einen Antrag eingebracht hat - er steht morgen auf der Tagesordnung -, in dem auch sie sich dieser Überlegung anschließt. Aber klar ist - um es hier von vornherein ganz deutlich zu sagen -: Wir werden dieses Projekt mit unserem Partner in der Großen Koalition auf einem vernünftigen Weg durchbringen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Niebel?
Klaus Brandner (SPD):
Ja, bitte.
Dirk Niebel (FDP):
Vielen Dank, Herr Kollege. - Sie haben Ihre persönliche Meinung klar geäußert; das ist anerkennenswert. Kollege Straubinger konnte mir vorhin eine Frage nicht beantworten, die der Ihrer Partei angehörende Bundesarbeitsminister aufgeworfen hat. Vielleicht können Sie mir helfen, zu verstehen, was der Unterschied zwischen einem gesetzlich definierten Auffangmindestlohn und einem gesetzlichen Mindestlohn ist.
Klaus Brandner (SPD):
Herr Niebel, Sie haben in Ihrem Antrag von vornherein jede Form der Sicherung abgelehnt. Ich glaube kaum, dass Sie ein ernsthaftes Interesse daran haben,
erklärt zu bekommen, dass wir in diesem Land eine Mindestauffanglinie brauchen, damit die Lohndrift nicht weiter zunimmt, damit das, was wir ernsthaft wollen, nämlich einen gerechten Lohn für gute Arbeit und dass diejenigen, die Vollzeit arbeiten, von ihrem Lohn auch leben können, erreicht wird.
Insofern definiert sich diese Größenordnung völlig klar von selbst. Wir befinden uns hier ja nicht in Tarifverhandlungen, sondern wollen im Hinblick auf den Lohn eine Größenordnung festlegen, die es ermöglicht, dass diejenigen, die Vollzeit arbeiten, nicht noch zusätzlich Arbeitslosengeld II beanspruchen müssen. Unsere Ausgangsposition ist: Fairer Lohn für faire Arbeit!
Der Grundsatz ?Gerechter Lohn für gute Arbeit“ trifft natürlich auch für die Friseurin in Thüringen mit einem Stundenlohn von 3,18 Euro zu. Das trifft für Menschen im Bewachungsgewerbe, in der Fleischindustrie, in der Gastronomie und bei der Post zu. Es gibt viele Bereiche, wo Lohndumping verhindert und bekämpft werden muss. Deshalb müssen wir mit gesetzlichen Maßnahmen eingreifen.
Heute ist gesagt worden, ein gesetzlicher Mindestlohn sei ein Eingriff in die Tarifautonomie. Dies teile ich ausdrücklich nicht. Im Gegenteil: Wo Partner im Tarifvertragsgeschäft fehlen, wo überhaupt keine Partner vorhanden sind, da muss gerade der Staat helfend einspringen, damit die Tarifautonomie insgesamt gesehen gesichert bleibt.
Es ist angesprochen worden, dass es gefährlich wäre, Mindestlöhne einzuführen, weil das ein Wahlkampfthema sei und die Parteien sich gegenseitig hochschaukeln könnten. Ich glaube, gerade meine Fraktion hat dazu immer wieder deutlich gemacht, dass wir eine unabhängige Kommission mit Vertretern der Wissenschaft, Gewerkschaften und Arbeitgeber wollen, die einen Vorschlag zur Höhe eines gesetzlichen Mindestlohns erarbeitet, damit die richtige Entscheidung getroffen werden kann. Solche Themen sind auch in anderen Ländern aus dem Wahlkampf herausgehalten worden. Insofern gibt es darauf eine klare, sachliche Antwort.
Die Einführung eines Mindestlohns sei nicht möglich, wurde gesagt, weil die Arbeitslosigkeit in unserem Land zu hoch sei. In anderen Ländern der EU wurden gerade erst Mindestlöhne eingeführt. 20 der 27 Mitgliedstaaten der EU haben inzwischen einen gesetzlichen Mindestlohn; in fünf Ländern gibt es flächendeckende tarifliche Mindestlohnregelungen. Das heißt, wir sind auf diesem Gebiet zwar kein Niemandsland, aber ein Entwicklungsland. Es ist dringend notwendig, dass wir Änderungen vornehmen.
Wir haben keinen überregulierten Arbeitsmarkt; vielmehr ist es aus ordnungspolitischer Sicht notwendig, dass der Staat in diesem Punkt eingreift.
Ich will in diesem Zusammenhang auf den Vorwurf eingehen, dass wir wegen einer zu starken Überregulierung arbeitsmarktpolitisch nicht sehr erfolgreich sind. Welches Land in Europa hat im Nachkriegsvergleich einen so starken Beschäftigungszuwachs und einen so hohen Rückgang der Arbeitslosigkeit erreicht, wie wir es mit unserer Arbeitsrechtsgesetzgebung im letzten Jahr geschafft haben? Das ist eine hervorragende Bilanz, die gerade dafür spricht, dass wir soziale Schutzrechte und Arbeitnehmerrechte brauchen. Sie sind eine Ursache dafür, dass wir ein wettbewerbsfähiges Land sind. Darauf sollten wir stolz sein.
Des Weiteren war die Rede davon, dass sittenwidrige Löhne verboten werden sollten. Sittenwidrige Löhne sind verboten; sie sind rechtswidrig. Man darf auf diesem Gebiet nicht rechtsunklar werden. Wir haben nichts dagegen, dass das in einem Gesetz noch präziser definiert wird. Das ist aber kein Ersatz für das, worüber wir diskutieren müssen. Das muss deutlich werden.
Insofern will ich in der heutigen Mindestlohndebatte noch etwas ausführlicher auf den Antrag der FDP eingehen. Ich sage klar: Wir sind sehr für Wettbewerb; aber wir wollen keinen Wettbewerb bei Dumping- oder Billiglöhnen, sondern zu fairen Bedingungen. Ich glaube, das ist klargeworden. Wir wollen nicht, dass die Beschäftigten am Ende die Zeche alleine zahlen. Mich ärgert dabei die Widersprüchlichkeit vieler Mindestlohngegner. Wir alle wollen nämlich eine hohe Qualität bei den Dienstleistungen des täglichen Bedarfs. Wir alle wollen einen qualitativ hohen Service. Dann sind wir aber auch verpflichtet, den Menschen, die diese Dienstleistungen erbringen, einen anständigen Lohn zu zahlen.
Deshalb trifft das DGB-Motto zum 1. Mai ausdrücklich zu: ?Du hast mehr verdient!“. Den Kern dieses Anliegens teilen und unterstützen wir voll.
Man sollte sich die Mühe machen, in diesem Zusammenhang den FDP-Antrag genauer zu lesen. Er zeigt, mit welcher Motivation und inneren Einstellung man an den Mindestlohn herangeht. Der Mindestlohn wird als Einfuhrzoll auf den ausländischen Faktor Arbeit bezeichnet.
Des Weiteren heißt es in dem Antrag, Menschen würden durch Mindestlöhne zu Opfern. Tarifverträge werden zum Sündenbock für die Arbeitslosigkeit erklärt.
Beim Lesen Ihres Antrags fällt einem - das sage ich deutlich - die Brille von der Nase. Wo bleiben bei Ihnen die Menschen? Wo bleiben die Menschen, die eine Vollzeitbeschäftigung haben, aber von ihrem Einkommen nicht einmal sich selbst, geschweige denn eine Familie ernähren können? Menschen werden auf Waren und Arbeitnehmer auf Kostenstellen reduziert. Das ist das wahre Gesicht einer reinen Marktwirtschaftspartei FDP.
Die Realität in den Betrieben ist eine völlig andere. Dort sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in erster Linie Ressourcen. Dass man Ressourcen pflegen und weiterentwickeln muss, dürfte auch bei der FDP bekannt sein. Dies geschieht aber nicht, indem man ihnen die fundamentalen Rechte nimmt, wie Sie es jetzt vorschlagen.
?Made in Germany“ ist nicht ?Made in Billigland“. Hohe Qualität bedeutet hoher Innovationsgrad. Diesen fordern wir durch gut ausgebildete und hochmotivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein. Das Prinzip der sozialen Partnerschaft hat den Standort Deutschland erst zu dem gemacht, was er heute ist, nämlich zu einem der wettbewerbsfähigsten in der Welt. Sozialpartnerschaft heißt, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam nach Lösungen suchen. Das ist ein Erfolgsrezept in unserem Land. Mit diesem Erfolgsrezept sind wir wettbewerbsfähig, und darauf können wir gemeinsam stolz sein. Wer das Prinzip der Sozialpartnerschaft auflösen will, wer Arbeitnehmer nur als Kostenfaktor sieht, wer die Gewerkschaften schwächen will, der schadet dem Standort Deutschland.
Um es konkret zu machen: Das Prinzip der fairen Sozialpartnerschaft gilt auch bei der Telekom. Deshalb sehen wir es sehr kritisch, wenn bestehende Verträge einseitig aufgekündigt und den Partnern Ultimaten gestellt werden. Das ist keine vertrauensvolle und konstruktive Gesprächsebene.
Managementfehler dürfen nicht allein auf dem Rücken der Arbeitnehmer ausgetragen werden.
Verträge und erst recht Tarifverträge sind dafür da, dass sie eingehalten werden. Für uns ist es jedenfalls keine nachhaltige Erfolgsstrategie, durch Auslagerung einzelner Unternehmensteile die Tarifbindungen zu umgehen. Tarifabschlüsse sind verbindlich, und zwar für beide Seiten.
Verlässlichkeit ist eine Grundvoraussetzung für das Miteinander von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Genau an dieser Stelle setzt die FDP mit ihren Forderungen noch eins drauf; ein Blick in den Antrag genügt. Sie stellen das komplette Tarifrecht schlichtweg infrage. Ich sage ganz deutlich: Das ist schon ein Hammer!
Sie fordern die Änderung des Günstigkeitsprinzips, die Auflösung der Flächentarifverträge, die Einschränkung der Nachwirkung von Tarifverträgen und die Abschaffung der Allgemeinverbindlichkeit. Tarifverträge sollen nur noch ein unverbindlicher Rahmen sein.
Ob Tarifverträge eingehalten werden oder nicht, soll künftig der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat ausmachen. Man will mehr Entscheidungskompetenz in die Betriebe verlagern. Das ist prima, könnte man meinen. Mehr Mitsprache beutet mehr Mitbestimmung. Kann man dagegen etwas haben? Gleichzeitig werden aber die Mitbestimmungsrechte abgebaut, werden die Tarifrechte beschnitten und wird das Betriebsverfassungsgesetz als bürokratisches Monster angesehen. Nicht mit uns! Um es klar zu sagen: Es ist gut, dass die FDP in der Opposition ist und diese Forderungen nicht umsetzen kann.
Es ist gut, dass die SPD in der Regierung ist. Denn - das will ich hier deutlich sagen - auf uns können sich die Arbeitnehmer in diesem Land verlassen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/4864 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf Drucksache 16/5102 soll überwiesen werden zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Arbeit und Soziales und zur Mitberatung an den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 94. Sitzung - wird morgen,
Freitag, den 27. April 2007,
an dieser Stelle veröffentlicht.]