WEISSBUCH DER EUROPÄISCHEN KOMMISSION ZU VERKEHRSGEBÜHREN KRITISIERT
Bonn: (hib) vb- Skeptisch bis höchst kritisch haben sich mehrere Sachverständige am Mittwoch vormittag zu Vorschlägen der Europäischen Kommission über die künftige Erhebung von Verkehrs-Infrastrukturgebühren in der EU geäußert. In einer nichtöffentlichen Anhörung des Verkehrs- und Bauausschusses warf beispielsweise Professor Dieter Schmidtchen von der Universität des Saarlandes der Kommission vor, diese greife in ihrem Weißbuch "Faire Preise für die Infrastrukturbenutzung" (Ratsdok. 10778/98) auf eine ökonomische Theorie zurück, die man in Analogie zur Physik nur als "vorkopernikanisch" bezeichnen könne. Der Wissenschaftler Ronald Coase habe bereits im Jahre 1960 mit einem bahnbrechenden Artikel nachgewiesen, daß die in Brüssel bevorzugte "Vulgärform des Verursacherprinzips" nach dem Motto "Der Nutzer zahlt" ein untaugliches Instrument sei. Dieser "schwerwiegende Kunstfehler" könnte die Gesellschaft aber teuer zu stehen kommen. Statt Kosteneinsparungen durch erhobene Nutzungsgebühren könnten nicht unerhebliche Kostenerhöhungen die Folge sein.
Unzufrieden mit dem Weißbuch war auch der Vertreter des Bundesverbandes Güterkraftverkehr und Logistik e. V., Dr. Karl-Heinz Schmidt. Der Vorschlag der Kommission sei weder fair noch geeignet, für Effizienz im Verkehr zu sorgen. Dies könne nur durch gezielte Investitionen in die Infrastruktur gelingen. Hinter dem wissenschaftlich rückständigen Ansatz seien "wohl politische Absichten und weniger theoretische Erkenntnismängel zu vermuten", so der Sachverständige. Offenkundig solle eine quasi staatliche Preisordnung für den Güterverkehrsbereich nach Aufhebung der Tarife unter neuen Vorzeichen wiederhergestellt werden. Eine massive Verteuerung des Straßengüterverkehrs aus vermeintlichem Schutzinteresse gegenüber der Bahn werde aber zu beträchtlichen Standortverschiebungen in der produzierenden Wirtschaft führen, warnte der Experte.
Professor Werner Rothengatter von der Universität Karlsruhe bemängelte ebenfalls, trotz einer grundsätzliches begrüßenswerten Zielsetzung lasse das Weißbuch den Realitätsbezug vermissen und falle zudem durch eine "Fülle von Widersprüchen" auf. Der Experte monierte zudem die Herausnahme des Pkw-Verkehrs aus dem Konzept. Dies, so auch Dagmar Haase von der Deutschen Bahn AG (DB AG), sei "völlig unverständlich". Auch der Hinweis der Kommission auf die Zuständigkeit der EU-Mitgliedstaaten im Rahmen des Subsidiaritätsprinzips vermöge dabei nicht zu überzeugen. Professor Hans-Helmut Grandjot von der Fachhochschule Wirtschaft und Technik in Heilbronn hielt es ebenfalls nicht für sachgerecht, "alles auf den Lkw zu schieben". Schließlich machten Pkw etwa 80 bis 85 Prozent des Aufkommens im Fernverkehr aus.
Die Vertreterin der DB AG kritisierte außerdem, die zur Umsetzung des Weißbuchs erforderlichen Richtlinienvorschläge habe die Kommission bislang ausschließlich für den Schienensektor formuliert. Es sei nicht sichergestellt, daß die vorgeschlagenen Prinzipien für ein Infrastruktur-Preissystem für den Schienensektor nur festgelegt und angewendet werden dürften, wenn dies gleichzeitig und in gleicher Weise auch für konkurrierende Verkehrsträger erfolge. Genau dies sei jedoch zur Vermeidung neuerlicher Wettbewerbsverzerrungen dringend erforderlich.