Teilweise Bedenken gegen Pläne zur Entlastung von Sozialgerichten
Berlin: (hib/MPI) Die Pläne der Bundesregierung zur Straffung sozialgerichtlicher Verfahren stoßen teilweise auf Bedenken. Bei einer öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales am Montag wandten sich Richter, Sozialverbände und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) gegen die im Gesetzentwurf ( 16/7716) vorgesehene Einschränkung der Rechtsmittel gegen erstinstanzliche Verfahren. Zwar sei eine "moderate" Anhebung des Schwellenwertes zur Berufung für natürliche Personen akzeptabel, hieß es unisono. Die geplante Erhöhung von 500 auf 750 Euro sei aber "zu drastisch", betonte DGB-Sozialrechtsexpertin Renate Gabke. Wie der DGB plädierte auch die Präsidentin des Deutschen Sozialgerichtstages, Monika Paulat, "in Anlehnung an die Arbeitsgerichtsbarkeit" für eine Anhebung des Berufungswertes auf lediglich 600 Euro. Der Leiter der Bundesrechtsabteilung des Sozialverbands VdK Deutschland, Gerhard Helas, sagte, die geplante Anhebung auf 750 Euro könne insbesondere für Arbeitslosengeld-II-Empfänger zu Härten führen. Die bisherige Schwelle von 500 Euro sei ausreichend.
Hintergrund des Gesetzentwurfs ist der deutliche Anstieg von Klagen bei den Sozialgerichten im Zuge der Hartz-IV-Reform. Für das mit dem Gesetzentwurf verbundene Ziel, die Sozialgerichte zu entlasten, erntete die Bundesregierung bei den Sachverständigen weitgehend Verständnis. Der DGB und der Sozialverband VdK drangen jedoch darauf, die "Waffengleichheit" von Klägern gegen die Verwaltungsträger zu bewahren. Dies werde etwa damit gewährleistet, dass das Gericht auf Antrag des Betroffenen einen von ihm bestimmten Arzt als Sachverständigen anhören muss. Paulat und der Richter am Bundessozialgericht, Professor Rainer Schlegel, betonten in der Anhörung, dass von den geplanten Neuregelungen eine Entlastungswirkung ausgehen werde. Die erwartet auch das Bundesvorstandsmitglied der Neuen Richtervereinigung, Jens Heise. Der Richter am Sozialgericht Berlin kritisierte jedoch, dass die Entlastung "durch die Verkürzung des Rechtsschutzes" auf dem Rücken der Bürger erreicht werde.
Einmütig widersprachen die Experten der Forderung des Bundesrates, die Sozial- und Verwaltungsgerichtsbarkeit zusammenzulegen. Dies sei "schlicht nicht notwendig", sagte Paulat. Schlegel warnte, "es wäre fatal, wenn der Eindruck entstünde, dass Einschnitte ins soziale Netz mit der Einschränkung der juristischen Möglichkeiten einhergingen".
Der Gesetzentwurf sieht auch vor, die inhaltlichen und zeitlichen Anforderungen an die Mitwirkung der Prozessbeteiligten zu verschärfen. Bei mehr als 20 Verfahren, die die gleiche behördliche Maßnahme betreffen, soll das Sozialgericht einen Musterprozess ansetzen dürfen und dann über die einzelnen Verfahren durch Beschluss entscheiden, wenn es keine wesentlichen Unterschiede zum Musterprozess gibt. Für Landessozialgerichte soll eine erstinstanzliche Zuständigkeit für Verfahren eingeführt werden, die übergeordnete Bedeutung haben und in denen die Sozialgerichte keine endgültig Streit schlichtende Instanz darstellen.
Bei den arbeitsgerichtlichen Verfahren will die Bundesregierung die Alleinentscheidungsbefugnis des Vorsitzenden stärken. So sollen ehrenamtliche Richter etwa bei der Verwerfung einer unzulässigen Berufung nicht mehr hinzugezogen werden. Zudem soll über die nachträgliche Zulassung einer Kündigungsschutzklage nicht mehr in einem separaten Verfahren, sondern in Verbindung mit dem Kündigungsschutzprozess entschieden werden. Arbeitnehmer können nach dem Willen der Regierung ihre Klage wahlweise auch vor dem Arbeitsgericht erheben, in dessen Bezirk sie für gewöhnlich arbeiten. Dies komme vor allem Außendienstmitarbeitern zugute, die ihre Arbeitsleistung fern vom Firmensitz und dem Ort der Niederlassung erbringen. Diese Regelung wurde in der Anhörung vom DGB begrüßt und von der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) kritisiert.