85. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 8. März 2007
Beginn: 9.00 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle ganz herzlich, wünsche Ihnen einen guten Morgen und uns intensive, erfolgreiche Beratungen.
- Ergänzende Wünsche nimmt das Präsidium gerne entgegen.
Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich einige Mitteilungen zu machen. Der Kollege Wolfgang Grotthaus hat gestern seinen 60. Geburtstag gefeiert. Im Namen des ganzen Hauses möchte ich dazu nachträglich herzlich gratulieren und alles Gute wünschen.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten können, stehen noch Wahlen zu Gremien an. Am 31. Dezember 2006 endete turnusgemäß die Amtszeit der vom Deutschen Bundestag in den Stiftungsrat der Kulturstiftung des Bundes entsandten Kolleginnen und Kollegen. Die Fraktion der CDU/CSU schlägt für die neue Periode wiederum den Bundestagspräsidenten als ordentliches Mitglied
sowie die Kollegen Hartmut Koschyk und Wolfgang Börnsen als stellvertretende Mitglieder vor. Wird deren Vorstellung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Für die Fraktion der SPD sollen Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse als ordentliches Mitglied und die Kollegin Monika Griefahn als stellvertretendes Mitglied bestellt werden.
Die Fraktion der FDP benennt als ordentliches Mitglied den Kollegen Hans-Joachim Otto.
Sind Sie mit diesen Vorschlägen einverstanden? - Das scheint so zu sein. Dann sind die Kollegin Griefahn und die genannten Herren gewählt.
Die Fraktion der CDU/CSU teilt mit, dass der Kollege Wolfgang Börnsen Nachfolger des Kollegen Bernd Neumann als Vertreter des Deutschen Bundestages im Präsidium der Filmförderungsanstalt werden soll. Sind Sie auch damit einverstanden? - Das sieht so aus. Dann wird der Kollege Wolfgang Börnsen als Mitglied des Präsidiums der Filmförderungsanstalt benannt.
Schließlich schlägt die Fraktion der CDU/CSU den Kollegen Michael Stübgen für die Nachfolge des Kollegen Henry Nitzsche als stellvertretendes Mitglied im Parlamentarischen Beirat der ?Stiftung für das sorbische Volk“ vor. - Auch gegen diesen Vorschlag erhebt sich offenkundig kein Widerspruch. Dann ist der Kollege Michael Stübgen als stellvertretendes Mitglied in diesen Parlamentarischen Beirat gewählt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
zu den Antworten der Bundesregierung auf die dringlichen Fragen Nr. 1 und 2 auf Drucksache 16/4537
(siehe 84. Sitzung)
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Eva Möllring, Ursula Heinen, Rita Pawelski, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Christel Humme, Ingrid Arndt-Brauer, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Chancen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt stärken
- Drucksache 16/4558 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Winfried Nachtwei, Irmingard Schewe-Gerigk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
UN-Resolution 1325 - Frauen, Frieden und Sicherheit - Nationaler Aktionsplan zur strategischen Umsetzung
- Drucksache 16/4555 -
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Innenausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
ZP 4 Beratung des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) gemäß § 56 a der Geschäftsordnung
Technikfolgenabschätzung (TA)
TA-Projekt: Grüne Gentechnik - transgene Pflanzen der 2. und 3. Generation
- Drucksache 16/1211 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
ZP 5 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
(Ergänzung zu TOP 27)
a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD
Schienenlärm ursächlich bekämpfen
- Drucksache 16/4562 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dorothee Bär, Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Peter Albach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Jörg Tauss, Martin Dörmann, Christoph Pries, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Weiterentwicklung des Adressraums im Internet
- Drucksache 16/4564 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika Grütters, Ilse Aigner, Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie des Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann, Jörg Tauss, Nicolette Kressl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Den Hochschulpakt erfolgreich umsetzen
- Drucksache 16/4563 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Kauch, Birgit Homburger, Angelika Brunkhorst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Gesundheitsschutz durch Schädlingsbekämpfung mit Chemikalien erhalten - Biozid-Richtlinie bürokratievermeidend überarbeiten
- Drucksache 16/4183 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
(f)
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Gesundheit
ZP 6 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD:
Airbusrestrukturierung - Kernkompetenzen und Zukunftstechnologien in Deutschland erhalten und ausbauen
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Bärbel Höhn, Birgitt Bender, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Rauchverbot im Deutschen Bundestag umsetzen
- Drucksache 16/4400 -
Überweisungsvorschlag:
Ältestenrat (f)
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Verbraucherinformationsrechte stärken - Neues Verbraucherinformationsgesetz zügig vorlegen
- Drucksache 16/4447 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
ZP 9 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Gisela Piltz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Konsequenzen ziehen aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 30. Mai 2006 zur Weitergabe europäischer Fluggastdaten an die Vereinigten Staaten von Amerika
- Drucksachen 16/1876, 16/2962 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Beatrix Philipp
Wolfgang Gunkel
Ernst Burgbacher
Ulla Jelpke
Silke Stokar von Neuforn
ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Dr. Max Stadler, Gisela Piltz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Stärkung des Daten- und Rechtsschutzes bei der Weitergabe von Fluggastdaten an die USA
- Drucksache 16/4577 -
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
ZP 11 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der LINKEN:
Beschäftigungspolitische Verantwortung der Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Personalabbau bei deutschen Großunternehmen
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll - soweit erforderlich - abgewichen werden.
Die Tagesordnungspunkte 5 b und 15 werden abgesetzt, und der Tagesordnungspunkt 12 wird erst nach dem Tagesordnungspunkt 14 aufgerufen. Zum Tagesordnungspunkt 16 ist eine Aussprache nicht mehr vorgesehen. Er soll zusammen mit den Ohne-Debatte-Punkten aufgerufen werden.
Schließlich mache ich auf mehrere nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Der in der 76. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden.
Gesetzentwurf zur Schaffung deutscher Immobilien-Aktiengesellschaften mit börsennotierten Anteilen
- Drucksachen 16/4026, 16/4036 -
überwiesen:
Finanzausschuss (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und
Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Die in der 82. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesenen nachfolgenden Anträge sollen zusätzlich dem Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden.
Antrag der Abgeordneten Wolfgang Wieland, Cornelia Behm, Katrin Göring-Eckardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Wirksame Unterstützung für die Verfolgten des DDR-Regimes
- Drucksache 16/4404 -
überwiesen:
Rechtsausschuss (f)
Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung
Ausschuss für Kultur und
Medien
Haushaltsausschuss
Antrag der Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Gerechtigkeit für die Opfer der SED-Diktatur
- Drucksache 16/4409 -
überwiesen:
Rechtsausschuss (f)
Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung
Ausschuss für Kultur und
Medien
Haushaltsausschuss
Ich vermute, dass Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden sind. - Das ist offenkundig der Fall. Damit ist das so beschlossen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c sowie die Zusatzpunkte 2 und 3 auf:
3. a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD
UN-Resolution 1325 - Frauen, Frieden und Sicherheit - konsequent umsetzen
- Drucksachen 16/3501, 16/4499 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Ute Granold
Christel Riemann-Hanewinckel
Burkhardt Müller-Sönksen
Michael Leutert
Volker Beck (Köln)
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss)
- zu dem Antrag der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Renate Künast, Matthias Berninger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt verwirklichen - Innovationshemmnis Männerdominanz beenden
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ina Lenke, Sibylle Laurischk, Miriam Gruß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Frauenpolitik - Gesellschaftlicher Erfolgsfaktor
- zu dem Antrag der Abgeordneten Karin Binder, Dr. Lothar Bisky, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Gleichstellungsgebot des Grundgesetzes auf dem Arbeitsmarkt durchsetzen
- Drucksachen 16/712, 16/832, 16/833, 16/4524 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Eva Möllring
Christel Humme
Sibylle Laurischk
Ina Lenke
Karin Binder
Irmingard Schewe-Gerigk
c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Erster Erfahrungsbericht der Bundesregierung zum Bundesgleichstellungsgesetz
(Berichtszeitraum 1. Juli 2001 bis 30. Juni 2004)
- Drucksache 16/3776 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Eva Möllring, Ursula Heinen, Rita Pawelski, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Christel Humme, Ingrid Arndt-Brauer, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Chancen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt stärken
- Drucksache 16/4558 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Winfried Nachtwei, Irmingard Schewe-Gerigk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
UN-Resolution 1325 - Frauen, Frieden und Sicherheit - Nationaler Aktionsplan zur strategischen Umsetzung
- Drucksache 16/4555 -
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Innenausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so vereinbart.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst der Kollegin Christel Humme für die SPD-Fraktion.
Christel Humme (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! ?Weitergehen! Zwei Schritte vor. Keinen zurück.“, rufen uns die Gewerkschaftsfrauen heute, am Internationalen Frauentag, zu. Ich sage: Auch die Große Koalition wird in der Gleichstellungspolitik weitergehen; denn das ?Europäische Jahr der Chancengleichheit für alle“ fordert uns geradezu heraus, hier mehr zu tun, und ich verspreche Ihnen: An den Männern und Frauen der SPD-Fraktion wird das nicht scheitern.
- Gut, das höre ich gerne.
Der heutige Internationale Tag der Frau ist seit 96 Jahren der Tag, an dem wir Frauen Bilanz ziehen und für unsere Rechte weiter eintreten und kämpfen. Der Aufruf ?Zwei Schritte vor. Keinen zurück.“ ist an uns Politikerinnen und Politiker gerichtet und enthält auch ein bisschen die Befürchtung: Bitte, weicht nicht auf, was wir bisher erreicht haben!
Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten versprechen: Wir gehen nicht zurück. Was wir seit 1998 erreicht haben, kann sich wirklich sehen lassen: Bundesgleichstellungsgesetz, Rechtsanspruch auf Teilzeit, gleiche Tarife für Männer und Frauen in der Riesterrente, das Gewaltschutzgesetz, eigenständiges Aufenthaltsrecht für ausländische Frauen schon nach zwei Jahren, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und das Elterngeld mit den sogenannten Vätermonaten, um nur einige wesentliche Meilensteine auf diesem Weg zu nennen.
Hier müssen wir weitergehen, und wir versprechen: An uns Männern und Frauen der SPD-Fraktion wird das mit Sicherheit nicht scheitern.
- Wunderbar, das höre ich gerne. - Wir halten an diesem gleichstellungspolitischen Kurs fest.
Wichtig ist uns, dass alle Entscheidungen, die wir hier im Bundestag treffen, darauf überprüft werden, wie sie auf Männer und Frauen wirken. Das ist ein Prinzip, das seit 1999 in allen Ministerien gilt oder - wie ich vorsichtig sage - gelten soll. Es ist ein Prinzip, das wir seit der Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 Gender-Mainstreaming nennen. Ich gebe zu, da müssen einige in der Großen Koalition noch ein bisschen üben, damit ihnen der Begriff genauso leicht über die Lippen geht wie Shareholdervalue, E-Commerce, New Economy, Benchmarking usw.
?Frauen verdienen mehr!“ haben sozialdemokratische Frauen zu ihrem Motto des Internationalen Frauentags 2007 gemacht. Das ist eine Aufforderung an uns, genau hinzuschauen, wie es mit den Frauen auf dem Arbeitsmarkt steht. Wal-Mart, der größte auch in Deutschland vertretene Einzelhändler der Welt, hat seinen weiblichen Mitarbeitern in den USA grundsätzlich weniger gezahlt. Frauen wurden bei Beförderungen systematisch benachteiligt. Dagegen können in den USA bis zu 1,6 Millionen Frauen juristisch zu Felde ziehen. Bei uns ist das nicht möglich. Wir haben das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, Gott sei Dank.
Aber ich gebe zu, ich hätte mir ein Verbandsklagerecht gewünscht, um den Frauen besser zu ihrem Recht zu verhelfen; denn Tatsache ist leider immer noch: In Deutschland verdienen Frauen bei gleicher Tätigkeit in einer Vollzeitstelle bis zu 26 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen.
In Deutschland sind die Tarifparteien, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, gefordert, für Entgeltgleichheit zu sorgen. Darüber hinaus erwarten wir, dass die jetzt eingerichtete Antidiskriminierungsstelle im Familienministerium das Thema Entgeltgleichheit befördert und die benachteiligten Frauen unterstützt.
Im Rahmen der Lissabonstrategie haben wir uns verpflichtet, die Frauenerwerbsquote auf 60 Prozent zu erhöhen. Die Tatsache, dass wir 2005 in Deutschland eine Frauenerwerbsquote von 59,6 Prozent hatten, darf uns nicht in Sicherheit wiegen, im Gegenteil. Diese Zahl darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Arbeitsvolumen in Deutschland gesunken ist. Immer mehr Frauen arbeiten Teilzeit oder in geringfügigen Beschäftigungen. Der Niedriglohnsektor ist eindeutig ?weiblich“. Das hat für Frauen fatale Folgen: Ihre geringere Entlohnung sowie die unterbrochenen Erwerbsbiografien aufgrund von Kindererziehung schränken die Möglichkeiten der Frauen deutlich ein, eine eigenständige Rente aufzubauen.
Außerdem führen die überkommenen Rollenmuster immer noch zu typischen Männer- und Frauenberufen. Wenn die Frauenbeschäftigung tatsächlich einen Zuwachs verzeichnet, dann dort, wo schon vorher viele Frauen tätig waren. Ich bin überzeugt: Diese Rollenzuweisung müssen wir unbedingt auflösen.
Frau Ministerin, wir haben mit der Debatte über Kinderbetreuung in den letzten Wochen in den männlichen und auch in den weiblichen Köpfen viel bewegt. Das gilt auch für einige Mitglieder des Bundestages. Auch an dieser Stelle müssen wir weitergehen. Denn Gleichstellung kommt nicht von selbst; sie muss hart erkämpft werden. Das zeigen 100 Jahre Frauenbewegung. Frauen in Führungspositionen lassen sich nach wie vor nur mit der Lupe finden. Darum ist es richtig, den Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen für unter Dreijährige voranzutreiben und so schnell wie möglich für einen Rechtsanspruch zu sorgen.
Die freiwillige Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und der Wirtschaft - auch das ist etwas, was wir uns vorgenommen haben - muss konkrete, überprüfbare Zielvorgaben zur Gleichstellung entwickeln; sonst bewegt sich nichts.
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, wir wissen alle: Diese Bundesregierung, getragen von einer Großen Koalition, wird von einer Frau geführt. Sie, Frau Ministerin wie auch Ihre Kanzlerin bzw. die Kanzlerin der Großen Koalition,
werden sich irgendwann fragen lassen müssen: Was hat die Bundesregierung konkret getan, um die Gleichstellung von Männern und Frauen voranzubringen und Rollenzuweisungen aufzulösen?
Nach wie vor signalisiert unser Steuerrecht den Frauen: Schatz, bleib du doch zu Hause; eine Arbeit lohnt sich für dich nicht.
- Frau Lenke, das mit Steuerklasse V ist richtig. - Mit dem Ehegattensplitting und der Wahlmöglichkeit wird der alleinverdienende Ehemann mit bis zu 9 000 Euro jährlich subventioniert. Je kleiner der Einkommensunterschied zwischen Mann und Frau, das heißt, je mehr Frauen dazuverdienen, desto kleiner ist dieser Steuervorteil. Rollen werden durch das Steuerrecht vorgeschrieben. Wo bleibt da die Wahlfreiheit?
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin Humme, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lenke?
Christel Humme (SPD):
Immer an der gleichen Stelle; aber macht nichts.
Frau Lenke, bitte schön.
Ina Lenke (FDP):
Frau Humme, solange hier im Bundestag politisch nichts geändert wird, solange werden auch meine Fragen kommen.
Frau Humme, Sie haben eben gesagt, dass das Ehegattensplitting für Verheiratete einen Vorteil von bis zu 9 000 Euro bringt. Ich möchte Sie nur darauf aufmerksam machen, dass gerade die SPD Millionären und gutverdienenden Ehepaaren durch die Reichensteuer und das Ehegattensplitting bis zu 15 000 Euro im Jahr schenkt. Sie sagen immer wieder, Sie wollten das Ehegattensplitting deckeln oder abschaffen. Gleichzeitig bewirken Reichensteuer und Ehegattensplitting, dass bestimmten Personen bis zu 15 000 Euro im Jahr geschenkt werden. Können Sie mir diese Dissonanz einmal erklären?
Christel Humme (SPD):
Vielen Dank, Frau Lenke. - Diese Zahl kann ich so nicht nachvollziehen.
Sie haben gehört, wie hoch der Steuervorteil ist. Aber ich sage Ihnen auch: Klar, dieser Steuervorteil ist ungerecht. Er bevorzugt Alleinverdienerehepaare mit einem hohen Einkommen. Das ist keine Frage. Wir haben vorgeschlagen, das Ehegattensplitting zu kappen. Das wäre sozial gerecht,
und es würde gerade Familien im unteren und mittleren Einkommensbereich helfen.
Noch etwas ist mir wichtig: Wenn wir Frauen im globalen Wettbewerb - Stichwort ?Wal-Mart“ - schützen wollen, dann brauchen wir einen Mindestlohn; denn ein Mindestlohn bedeutet existenzsichernde Erwerbsarbeit. Er ist eine wichtige Voraussetzung für Armutsbekämpfung und natürlich auch für die Steigerung der Frauenerwerbsquote. An dieser Stelle rufe ich Ihnen zu: Gehen wir gemeinsam weiter, zwei Schritte vor und keinen zurück!
Schönen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin Humme, ich erlaube mir eine Anmerkung, gleichzeitig als Anregung für die Debatte. Wenn es uns gelänge, den Begriff Gender-Mainstreaming durch einen Begriff zu ersetzen, der auch der deutschsprachigen Minderheit im Lande sofort verständlich wäre,
sodass die bei Nennung des Stichworts eine Vorstellung davon hätte, worum es eigentlich geht, könnten wir für den Internationalen Frauentag 2007 einen ersten konkreten nachweisbaren Fortschritt melden.
Das Wort hat nun die Kollegin Ina Lenke für die FDP-Fraktion
Ina Lenke (FDP):
Herr Präsident, ich würde gern aufklärerisch tätig werden. Wir haben hier im Bundestag in den letzten 50 Jahren Frauenförderung betrieben. Wir haben Frauen in allen Lebenslagen gefördert. Was mit dem Begriff Gender-Mainstreaming gemeint ist, ist etwas ganz anderes und viel Besseres; das betrifft nämlich auch die Männer.
Wir wollen auch die Männerdiskriminierung abschaffen.
Zum Beispiel sollen Männer von Arbeitgebern nicht mehr gedrängt werden können, ganztags berufstätig zu sein; vielmehr sollen die Arbeitgeber Verständnis dafür haben, dass Väter bei ihren Kindern sein wollen. Wir wollen also die Diskriminierung von Männern abschaffen. Wir wollen, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind. Wenn Sie dazu ?Männerförderung“ sagen würden, wäre mir das genauso recht.
Meine Damen und Herren, am Internationalen Frauentag ist es gute Tradition im Bundestag, über die Gleichstellung von Männern und Frauen und natürlich auch über Fortschritte zu diskutieren, die in unserem Land zu verzeichnen sind.
Das Europäische Jahr der Chancengleichheit lenkt den Blick auf unsere Nachbarstaaten und den Fokus auf die Situation von Frauen in unserer Gesellschaft. Wir mögen gute Wirtschaftsdaten vorweisen, gute Unternehmen, die auf dem europäischen Markt und auf dem Weltmarkt erfolgreich sind; aber in der Arbeitswelt in Deutschland kommt die Teilhabe von Frauen auf dem Arbeitsmarkt nur schleppend voran. Die Frauenerwerbsquote bleibt niedrig, wie Frau Humme schon sagte, ebenso wie die - zu niedrige - Erwerbsquote älterer Menschen. Frauen sind in Chefetagen deutscher Unternehmen mit 15 Prozent nach wie vor unterrepräsentiert. Das korrespondiert mit der schlechten Kinderbetreuung der unter Dreijährigen und, meine Damen und Herren von der Großen Koalition, der schlechten Betreuung der über Sechsjährigen.
Jeder, der einmal sechs Wochen Ferienbetreuung im Sommer abdecken musste, weiß, dass das mit den Urlaubszeiten eines normalen Arbeitnehmers überhaupt nicht möglich ist.
Frau von der Leyen, ich bitte Sie, dann, wenn Sie die jetzige Schlacht geschlagen haben, gleich das Problem der fehlenden Betreuung der Grundschulkinder anzupacken und zusammen mit den Ländern und Kommunen Konzepte zu entwickeln; denn für alle alleinerziehenden und berufstätigen Eltern ist das wirklich ein Megaproblem.
Die vorliegenden Anträge aller Fraktionen zeigen den immer noch vorhandenen großen Handlungsbedarf in der Gleichstellungspolitik. Besonders am Internationalen Frauentag lohnt sich ein Blick ins Grundgesetz,
und zwar auf Art. 3, in dem der Staat die Selbstverpflichtung eingeht, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern, Herr Präsident, zu fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken. Das gilt auch - so sage ich das als Liberale - für Männer.
Das setzt allerdings auch einen gesellschaftlichen Wandel im weiblichen und männlichen Rollenverständnis voraus, der sich bisher weder in der Wirtschaft noch im privaten Bereich noch hier im Deutschen Bundestag widerspiegelt. Die Wertschätzung der besonderen Talente von Frauen, verbunden mit mehr Freiheit, das persönliche Leben zu gestalten, ist der Schlüssel zu einer liberalen Bürgergesellschaft.
Meine Damen und Herren, gestern haben wir in einer Aktuellen Stunde im Bundestag das größte Hemmnis für die Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt diskutiert: die fehlende Betreuung der Kinder. Nach dem Auslaufen des Elterngeldes - das ist meine Kritik an der Großen Koalition - werden die Betroffenen in einer Betreuungsfalle landen. Kurios bei dieser Diskussion finde ich allerdings, dass sich alle, auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund, mit Zahlen zum Bedarf an Kinderbetreuungsplätzen geradezu überbieten: 500 000, 750 000. Meine Herren und meine Damen, junge Familien berauschen sich nicht an Zahlen, sondern an einem Krippenplatz für ihr Kind, und zwar jetzt und nicht erst 2010 oder 2013.
Deshalb gehören mehr Wettbewerb und mehr Privatisierungen auf den Kinderbetreuungsmarkt.
Im Zusammenhang mit der Berufsausbildung junger Mütter fehlen noch viele Rahmenbedingungen: Teilzeitumschulung, Unterstützung von Studentinnen mit Kindern durch ein ?Baby-BAföG“, ein modulares Ausbildungssystem, bessere Berufsberatung und Information, aber - das sage ich ganz deutlich in Richtung der jungen Frauen - natürlich brauchen die Frauen selbst auch Mut, und sie müssen Eigeninitiative aufbringen.
Auch im öffentlichen Dienst, der aufgrund der Arbeitsplatzsicherheit eigentlich beste Rahmenbedingungen für die Karriere von Frauen bereithält - der Erste Erfahrungsbericht der Bundesregierung zum Bundesgleichstellungsgesetz, der heute mitberaten wird, liegt endlich vor -, sind die Ergebnisse bescheiden: In den Dienststellen der Bundesverwaltung liegt der Frauenanteil bei 45 Prozent. Bei der Teilzeit liegt der Frauenanteil - Frau Humme, Sie haben das gelesen - bei 91 Prozent. Sogar im öffentlichen Dienst ist das Einkommen von Frauen um 20 Prozent niedriger als das der Männer. Mit der im Gesetz verankerten Quotenregelung ist natürlich auch kein Staat zu machen. Wir müssen lesen:
Die einzelfallbezogene Quote hat bisher keine signifikante praktische Bedeutung erlangt.
Die FDP-Bundestagsfraktion fordert die Bundesregierung dazu auf, erfolgreichere Initiativen und Fahrpläne zu entwickeln, damit der nächste Erfahrungsbericht zum Bundesgleichstellungsgesetz - 2009 - bessere Ergebnisse vorweist.
Ich komme zum Schluss. Alle Arbeitsmarktdaten zeigen, dass Frauen, ob in der Wirtschaft oder im öffentlichen Dienst, von einer echten Teilhabe und Chancengleichheit noch meilenweit entfernt sind.
Das muss für uns Politikerinnen und Politiker Ansporn sein, mit intelligenten und kreativen Lösungen und Initiativen von hier aus für eine echte Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu sorgen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun die Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen.
Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der aktuellen Debatte lesen wir viele Überschriften. Sie reichen von ?Die gescheiterte Emanzipation“ bis zu ?Der neue konservative Feminismus“. Das Thema bewegt, und das ist gut so.
Es hilft aber auch, auf die nüchternen Zahlen zu schauen, beispielsweise auf die Zahl der Frauen in Führungspositionen: Dort sind Frauen viel zu selten zu finden. Schauen wir auf die Einkommensunterschiede, die eben schon angesprochen worden sind - für gleiche Arbeit ungleicher Lohn -, oder auf die Lage der Frauen im Alter: Ein Drittel der Männer über 65 bezieht Sozialhilfe, aber zwei Drittel der Frauen. Diese Zahlen dürfen uns nicht unbeschäftigt lassen.
Es gibt aber genauso aussagekräftige Zahlen für den Erfolg der Frauenbewegung: Frauen haben die Bildung erobert. 1970 waren 23 Prozent der Studierenden an Hochschulen oder Universitäten Frauen, heute sind es mehr als die Hälfte. Mädchen lernen erfolgreich. Sie profitieren von Schule. Sie investieren in ihre Ausbildung und wollen sie beruflich nutzen. Der Anteil von Frauen in den Landes- und Bundesparlamenten ist seit 1980 sprunghaft gestiegen. Heute haben wir mit Angela Merkel die erste Bundeskanzlerin unseres Landes. Darauf sind wir stolz. Das ist auch ein Erfolg der Frauen.
In diesen Zahlen und Tatsachen liegt aber auch die große Herausforderung unserer Zeit. Im Grundgesetz steht:
Männer und Frauen sind gleichberechtigt.
Aus gutem Grund, aber erst Jahre später, ist dies durch den Satz ergänzt worden:
Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
Mit anderen Worten: Zwischen dem Anspruch des Grundgesetzes und der Wirklichkeit klafft immer noch eine breite Lücke.
Deshalb stehen für mich drei Kernanliegen im Mittelpunkt einer modernen Gleichstellungspolitik:
Erste Säule. Gleiche Teilhabe von Frauen und Männern am Erwerbsleben.
Es kann nicht so bleiben, dass Frauen zwar bis zum 30. Lebensjahr im gleichen Maße wie Männer in Führungspositionen sind, danach aber erbarmungslos an die gläserne Decke stoßen. Das Verhältnis verschiebt sich dann so, dass mehr als drei Viertel aller Führungspositionen von Männern besetzt sind. Dies kann nicht so bleiben. Wir brauchen diese talentierten Frauen ebenso wie die talentierten Männer, und zwar mit gleichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt.
Wir müssen auch vor unserer eigenen Haustür kehren; das sage ich hier ganz deutlich. Nicht nur in der Wirtschaft und in der Wissenschaft sind Frauen trotz gleicher Qualifikationen in den Führungspositionen weiter erheblich unterrepräsentiert, sondern auch in der öffentlichen Verwaltung. Das zeigt der von der Bundesregierung am 7. Dezember 2006 vorgelegte Erfahrungsbericht zum Bundesgleichstellungsgesetz. Der Anteil der Frauen an den Referatsleitungen in den obersten Bundesbehörden ist von 2000 bis 2005 von 13,5 auf 20 Prozent gestiegen. Aber das reicht nicht. Auch der Anteil der Abteilungsleiterinnen stieg 2006 auf nur 15 Prozent nach rund 9 Prozent im Jahr 2000.
- Ich höre gerade von der Seite: Schneller als bisher. Das ist richtig. Dennoch müssen wir uns selber sagen: Wir kommen voran, aber es liegt noch eine erhebliche Wegstrecke vor uns. Das dürfen wir nicht vergessen. Wir wollen zügig weitermarschieren.
Deshalb will ich positiv sagen: Die Große Koalition hat wieder eine Bastion gestürmt. Endlich sind 2006 im Auswärtigen Amt und im Bundesinnenministerium erstmals Frauen zu Abteilungsleiterinnen ernannt worden.
Auch die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit ist ein ausdrückliches Ziel des Bundesgleichstellungsgesetzes. Die eben erwähnte gläserne Decke für Frauen ist auch deshalb so schwer zu durchdringen, weil viele Mütter und immer mehr engagierte Väter nicht bereit sind, die Familie für den Beruf oder den Beruf für die Familie zu opfern. Recht haben sie. Wir brauchen beides!
Deshalb ist für mich die zweite Säule moderner Gleichstellungspolitik die Erweiterung der Rollen. Wir brauchen keine Rollenklischees mehr. Das sage ich ganz ausdrücklich. Gleichstellung ist keine Einbahnstraße. So, wie für Frauen gilt, dass sie zu Recht um die Erweiterung ihrer Rolle kämpfen, gilt das genauso für Männer. Männer sind nicht nur Menschen, die im Beruf stehen. Männer haben ein Recht darauf, aktive Väter zu sein,
und auch ihre Fragen nach Vereinbarkeit von Beruf und Familie gehören in den Mittelpunkt.
Dies sage ich auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels. Wenn immer weniger junge Menschen immer mehr älteren Menschen gegenüberstehen, dann stellt sich die Frage, mit der die European Women’s Lobby zum Internationalen Frauentag 2007 antritt - der Herr Bundestagspräsident möge mir verzeihen, dass ich die Frage im Wortlaut stelle -: ?Who cares?“ Das Spannende an ?Who cares?“ ist, dass man die Frage im deutschen Kontext, Herr Bundestagspräsident, im doppelten Sinne des Wortes auslegen kann. Man kann mit einem Schulterzucken sagen: Wen kümmerts? Man kann sie aber auch übersetzen mit ?Wer kümmert sich?“ - um Kindererziehung, um hilfsbedürftige Menschen, um Pflege und Begleitung älterer Angehöriger. Wie wir ?Who cares?“ auslegen werden, ob wir die Frage mit einem humanen Akzent auslegen, hängt auch damit zusammen, ob Fürsorge nur eine weibliche Rolle bleibt, das heißt eine Rolle der Töchter, oder auch eine akzeptierte, engagierte männliche Rolle, eine Rolle der Söhne, wird.
Die dritte Säule unserer Gleichstellungspolitik - das ist ebenfalls eine wichtige Säule - bezieht sich auf die Unterstützung von Frauen, die Gewalt erfahren. Das beginnt bei dem Thema häusliche Gewalt. Dabei sind wir einen großen Schritt vorangekommen. Ich merke dies gerade im internationalen Kontext, wenn ich das sagen darf; denn mit der Einführung des Paradigmas ?Wer schlägt, muss gehen“ im Rahmen des Gewaltschutzgesetzes wurde Enormes in diesem Land bewegt. Dennoch gibt es nach wie vor häusliche Gewalt. Der Bogen beim Thema ?Schutz vor Gewalt“ spannt sich dann weiter bis hin zu Zwangsverheiratung oder Zwangsprostitution. Das heißt, eine ganz grundlegende Anforderung an Gleichberechtigung ist die Garantie, leben zu können ohne Angst vor Bedrohung und ohne Angst vor Gewalt. Deshalb ist Gewaltschutzpolitik auch im 21. Jahrhundert wesentlicher Bestandteil von Gleichstellungspolitik.
Ich werde Ihnen dazu noch in diesem Jahr den neuen Aktionsplan gegen Gewalt vorlegen, der in den nächsten Wochen zwischen meinem Haus und den anderen Ressorts abgestimmt wird.
Meine Damen und Herren, Rollen erweitern, Perspektiven gewinnen, Gleichstellung verwirklichen - das ist das Motto meines Ministeriums zu seinem 20. Geburtstag. Wir haben in den letzten Jahren viel erreicht, aber mindestens ebenso viel liegt noch vor uns. Ich freue mich auf die gemeinsame Arbeit.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Karin Binder, Fraktion Die Linke.
Karin Binder (DIE LINKE):
Herr Präsident! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Balkonen! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es ist nun ein Jahr her, dass wir von der Linken und die anderen Oppositionsparteien Anträge zur Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt eingebracht haben. Heute, genau ein Jahr später, liegen nun dieselben Anträge zur abschließenden Beratung wieder auf dem Tisch. Ist das nicht oberpeinlich?
In diesem Jahr hat sich bzw. haben wir an der Situation der Frauen in Deutschland nichts wesentlich geändert. Es gibt zum Beispiel noch immer kein umfassendes Antidiskriminierungsgesetz; stattdessen müssen wir uns mit einer Lightversion namens Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz abfinden. Wir haben noch immer kein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft, obwohl einige meiner Vorrednerinnen, auch die Ministerin, genügend Gründe dafür in ihren Redebeiträgen geliefert haben. Frauen bekommen immer noch nachweislich um 20 Prozent niedrigere Gehälter als ihre männlichen Kollegen in Deutschland. Bei Arbeiterinnen sieht es noch verheerender aus: Sie haben laut Bericht des Statistischen Bundesamtes von 2006 im Schnitt 26 Prozent weniger. Sie bekommen auch eine wesentlich niedrigere Rente als ihre männlichen Kollegen.
Im Jahr 2004 bezogen Männer in Deutschland im Durchschnitt eine Versichertenrente in Höhe von 1 000 Euro. Ihre Kolleginnen dagegen erhielten gerade einmal im Schnitt zwischen 382 und 712 Euro. Die Bandbreite der Zahlen entsteht durch die Unterschiede zwischen Arbeiterinnen und Angestellten wie auch durch das Ost-West-Gefälle. Mehr Informationen können Sie ebenfalls dem Bericht des Statistischen Bundesamtes entnehmen. - Das bedeutet für viele Frauen schon heute Altersarmut. Daran wird auch das Familiensplitting nichts ändern, Frau Humme; denn damit werden ebenfalls wieder die Besserverdienenden bedient.
Dann kommt noch die Rente mit 67. Von den derzeit nicht einmal 700 Euro gibt es dann auch noch Abzüge dafür, dass frau mit 65 in Rente gehen möchte. Aber dummerweise war sie eben keine 45 Jahre sozialversichert beschäftigt. Pech! Die SPD jedenfalls weicht keinen Schritt zurück. Ist es nicht so, Frau Humme?
Vor diesem Hintergrund soll also morgen die Rente mit 67 beschlossen werden. Ich halte dies für einen verfassungsrechtlich bedenklichen Vorgang.
Nach Meinung zahlreicher Experten, auch in der Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales, führt dies zu einer weiteren Benachteiligung von Frauen, vor allem durch die 45er-Regelung. Auch deshalb werden wir von der Linken dieses Gesetz ablehnen.
Eine Ursache für diese Problematik liegt in den unterbrochenen Erwerbsbiografien vieler Frauen. Daran wird sich wahrscheinlich auch in absehbarer Zeit nicht wirklich etwas ändern, trotz der Bemühungen, die Frau von der Leyen in Sachen Kinderbetreuung derzeit an den Tag legt. Die Realitäten in Deutschland sehen nämlich so aus: insbesondere im Südwesten fehlende Kinderbetreuungsplätze, bundesweit fehlende Ausbildungsplätze, hohe Arbeitslosigkeit, sinkende Reallöhne und eine wachsende Zahl prekärer Beschäftigungsverhältnisse. Dies alles trifft Frauen in besonderem Maße. Zwar mag die Beschäftigungsquote von Frauen inzwischen gestiegen sein; aber immer mehr Frauen arbeiten heute in nicht versicherten, prekären Beschäftigungsverhältnissen. Das bedeutet: keine Vorsorge, keine Ansprüche auf Arbeitslosengeld oder gar Rente; noch mehr Altersarmut ist vorprogrammiert.
Dazu kommt, dass knapp 21 Prozent aller abhängig Beschäftigten in Deutschland im Niedriglohnbereich arbeiten, sagt das IAT in Nordrhein-Westfalen. Weit über die Hälfte davon sind Frauen. Bestimmt erstaunt niemanden, dass insbesondere Jüngere, Geringqualifizierte und Migrantinnen betroffen sind. Zwei Drittel der Vollzeitbeschäftigten mit Niedriglöhnen sind weiblich. Dass Teilzeitbeschäftigte und Minijobberinnen überdurchschnittlich von diesen niedrigen Stundenlöhnen betroffen sind, wundert sicher ebenfalls niemanden.
Es mag zynisch erscheinen, aber der Niedriglohnsektor ist eine Frauendomäne. Das liegt auch an dem hohen Beschäftigungsanteil der Frauen in Dienstleistungsberufen. Dort sind die Niedriglöhne besonders verbreitet. Betroffen sind vor allem Berufe, die überwiegend von Frauen ausgeübt werden. 98 Arzthelferinnen zum Beispiel steht ein Arzthelfer gegenüber; bei Friseurinnen ist das Verhältnis vier zu eins. Eine ausgelernte Friseurin in Sachsen bekommt gerade einmal skandalöse 3,82 Euro. Aber es gibt noch schlimmere Beispiele.
Ein gesetzlicher Mindestlohn von 8 Euro, wie wir ihn fordern, käme all denen zugute, deren derzeitige Tariflöhne viel zu niedrig sind, um von ihrer eigenen Arbeit leben zu können.
Ein existenzsichernder gesetzlicher Mindestlohn würde auch den Frauen in vielen Berufsgruppen helfen, die bisher ohne tarifliche Absicherung arbeiten müssen. Dies trifft vor allem die inzwischen zahlreichen, meist weiblichen Beschäftigten in Teilzeit- und Minijobs; ich erwähnte es bereits. Wer in einem Minijob arbeitet, tut dies häufig unterhalb von tariflichen Konditionen und überwiegend zu einem Niedriglohn.
Am Thema Niedriglohn zeigt sich: Die frauenpolitische Forderung nach gleichem Lohn für gleichwertige Arbeit, die Frauen wie Männern gleichermaßen ein existenzsicherndes Einkommen garantieren soll, ist immer noch aktuell.
Das Erreichen eines flächendeckenden einheitlichen gesetzlichen Mindestlohns ist deshalb nur ein Schritt von vielen, aber immerhin ein Schritt. Aus diesem Grund ist unsere Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn auch eine gleichstellungspolitische Forderung, eine Forderung nach mehr Geschlechtergerechtigkeit.
Ich danke Ihnen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Zum Schluss dieses Tagesordnungspunktes - -
- Entschuldigung!
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob in den Reaktionen die Empörung oder die Erleichterung überwiegt;
aber ich will Ihnen doch wenigstens zur Rechtfertigung des Missverständnisses
die Rednerliste zeigen.
Ich merke mir jedenfalls für die Zukunft, durch welche Art von irreführenden Hinweisen Bewegung in die Debatten zu bringen ist.
Frau Kollegin Schewe-Gerigk, nun haben Sie das Wort und hoffentlich die nötige Aufmerksamkeit für die Behandlung des Themas.
Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ja, nach diesem Vorwort ganz sicherlich. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident! Verehrte Frau Ministerin, ich freue mich sehr, dass Sie heute an dieser Debatte teilnehmen. Ich habe mich auch sehr darüber gefreut, dass Sie die Erfolge der rot-grünen Frauenpolitik hier ausdrücklich gewürdigt haben: die höhere Beteiligung in Führungspositionen in den Ministerien, das Gewaltschutzgesetz. Das war wirklich sehr schön.
Aber jetzt muss ich mit den Freundlichkeiten leider aufhören.
Ich habe während Ihrer Rede darauf gewartet, dass Sie sagen, was Sie nun tun wollen und was Sie vorschlagen. Die Große Koalition ist angetreten, große Probleme zu lösen. Sie liegen in der Tat vor der eigenen Tür. Das gilt nicht nur für den Klimaschutz und die soziale Sicherung, sondern gerade auch für den Bereich der Gleichstellungspolitik.
Kürzlich gaben 86 Prozent der Frauen in einer Emnid-Umfrage an, die Gleichberechtigung sei nicht erreicht. Passend zum 20. Jubiläum des Frauenministeriums sagt das nun auch erstmalig nach eineinhalb Regierungsjahren die Kanzlerin. Da kann ich nur sagen: Gratulation! Denn in ihren ersten 100 Reden als Regierungschefin hat die Kanzlerin das Wort Gleichberechtigung peinlich vermieden.
Peinlich war das offensichtlich den Abgeordneten von CDU/CSU und SPD. Den Vorwurf, dass sie zu diesem Thema nichts zu sagen hätten, wollten sie nicht auf sich sitzen lassen. Auf den Tag genau ein Jahr ist vergangen seit der Einbringung unseres grünen Antrages zur Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt. Heute legen auch Sie einen Antrag vor. Auf fast neun Seiten beschreiben Sie detailliert die Benachteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, Studien zusammenzufassen, ist nicht die vornehmste Aufgabe der Politik. Ich frage mich, wo da Ihr politischer Part bleibt.
Ich zitiere einmal aus Ihrem Antrag. Sie wollen ermutigen, Sie wollen prüfen, Sie wollen hinwirken, Sie wollen werben. Meine Tochter würde das so beschreiben: ?Hallo! Haben die eigentlich erkannt, dass sie in der Regierung sind?“
Sie sollen umsetzen, Sie sollen verpflichten, Sie sollen erlassen. Das ist Ihre Aufgabe. Das würde den Frauen in diesem Land weiterhelfen.
Nehmen wir das Beispiel Privatwirtschaft. In Ihrem Antrag steht, dass Sie die Wirtschaft zu Aktivitäten ermuntern wollen. Was heißt das eigentlich? Ist das eine brillante Formulierung dafür, dass Sie weiterhin nichts tun wollen und trotzdem hoffen, dass sich in der Privatwirtschaft endlich etwas bewegt? Ich finde, das ist nicht nur frauen-, sondern auch wirtschaftsfeindlich; denn die Männerdominanz in der Wirtschaft hat sich in Deutschland wahrlich als Innovationshemmnis erwiesen.
Schauen wir uns den Bericht zum Bundesgleichstellungsgesetz an; er zeigt in die richtige Richtung. Der steigende Anteil von Frauen auch in höheren Positionen ist Ergebnis des Gesetzes. Genau so könnte es sich mit gesetzlichen Regelungen in der Privatwirtschaft entwickeln. Damit könnte Deutschland endlich den Anschluss an die Volkswirtschaften erreichen, die durch eine höhere Frauenerwerbstätigkeit deutlich innovativer sind als andere.
Wir brauchen aber auch Anreize. Ich nenne als Beispiel die bevorzugte Vergabe öffentlicher Aufträge an Firmen, die sich für Chancengleichheit einsetzen. Kommen Sie mir bitte nicht wieder damit, das gehe nicht, das könne man gesetzlich nicht regeln. Eine europäische Richtlinie eröffnet diesen Spielraum. Ohne den Rückenwind aus Europa sähe es bei uns geschlechterpolitisch ziemlich finster aus.
Immerhin: In der Familienpolitik gibt es dank Ihrer Anstrengungen, Frau Ministerin von der Leyen, Bewegung, wenn auch mancher CDUler so tut, als würde die Zwangseinweisung der Säuglinge aus dem Kreißsaal direkt in die Kinderkrippe bevorstehen. Aber in der Frauenpolitik halten Sie, verehrte Frau Ministerin, einen Dornröschenschlaf. Sie schweigen, wenn Ihr Kollege Müntefering eine neue abschlagfreie Rente plant, die Frauen offensichtlich diskriminiert. Sie tun nichts für die Frauen, die trotz aller Qualifikation an die gläserne Decke stoßen. Sie berichten zwar darüber, aber Sie unternehmen nichts. Sie tun nichts für die Frauen, die trotz Vollzeitarbeit ihre eigene Existenz kaum sichern können. Sie tun überhaupt nichts für die, die Schutz vor Zwangsverheiratung benötigen. In eineinhalb Jahren hat es hier von Ihnen keine Vorschläge gegeben. Wir haben jede Menge Anträge eingebracht, die aber alle abgelehnt wurden. Eigene Initiativen der Regierungsfraktionen? - Fehlanzeige. Lösung großer Problem? - Fehlanzeige.
Ich möchte heute einen Punkt unseres Antrages in den Mittelpunkt stellen. Das ist die Lohnungleichheit zwischen Frauen und Männern. Wir gehören zu den wenigen Ländern in der EU, in denen sich die Schere zwischen Männer- und Frauenlöhnen nicht etwa schließt, sondern noch weiter öffnet, und das, obwohl uns doch dieses Jahr ein Jubiläum ins Haus steht. Vor 50 Jahren wurden die Römischen Verträge mit dem Grundsatz der Lohngleichheit unterzeichnet. Das geschah damals nicht aus Gründen der Gerechtigkeit, sondern weil die französische Regierung Lohndumping durch die berüchtigten Leichtlohngruppen für Frauen in Deutschland fürchtete. Diese haben wir nun endlich abgeschafft. Aber nach 50 Jahren beträgt die Differenz laut EU-Kommissar Spidla, wie er gestern vorgetragen hat, immer noch 22 Prozent. Das ist wahrlich kein Ruhmesblatt.
Interessanterweise sind die Gehaltsunterschiede umso größer, je höher die Position ist - und das angesichts dessen, dass wir beim Anteil an weiblichen Führungskräften sehr weit hinten liegen. Es gibt in Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten nur 4 Prozent weibliche Führungskräfte; das heißt, 96 Prozent aller Führungskräfte sind männlich. Meine Herren, sind diese alle so viel besser qualifiziert? Das scheint mir sehr unwahrscheinlich zu sein. Von den DAX-notierten Unternehmen ganz zu schweigen: Hier gibt es im Vorstand eine 100-prozentige Männerquote. Da waren wir schon einmal weiter. Es gab nämlich einmal eine Frau im Vorstand; aber inzwischen ist sie nicht mehr da.
Die Bundeskanzlerin hat das gestern einen Skandal genannt und bestätigt, dass wir von einer Gleichberechtigung weit entfernt sind. Ich sage nur: Schön, dass das jetzt auch bei ihr angekommen ist; sie war ja auch einmal Frauenministerin.
Diesen Erkenntnisgewinn sollte sie in politisches Handeln umsetzen. Wie wäre es denn zum Beispiel mit einer Initiative für mehr Lohngerechtigkeit innerhalb der EU? Die Ratspräsidentschaft, die Deutschland gerade übernommen hat, bietet sich für eine solche Initiative geradezu an.
Die schlechtere Bezahlung von Frauen, obwohl sie oft genug besser qualifiziert sind als ihre männlichen Kollegen, ist ein großes Problem. Dessen Lösung stünde der ersten Kanzlerin Deutschlands gut zu Gesicht. Also, tun Sie endlich etwas!
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nun, liebe Kolleginnen und Kollegen, beginnt die zweite Runde der vereinbarten Debatte zur Frauenpolitik. Sie wird durch die Kollegin Elke Ferner von der SPD-Fraktion eröffnet.
Elke Ferner (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! 96 Jahre nach dem ersten Internationalen Frauentag und mehr als zwei Jahrzehnte nach Beginn der neuen Frauenbewegung ist zwar vieles in Bewegung gekommen. Vieles hat sich wirklich verbessert; Frau Humme und andere haben eben darauf hingewiesen. Insbesondere die Rechtsposition der Frauen hat sich verbessert. Aber es ist auch richtig: Vieles muss noch bewegt werden.
Auch im 21. Jahrhundert kann frau sich manchmal nicht des Eindrucks erwehren, dass es auch eine Bewegung gibt, die in eine andere Richtung, in eine falsche Richtung, geht. Dass beispielsweise eine erfolgreiche Journalistin wie Frau Herman die Frauen, die in ihrer überwiegenden Mehrheit nicht nur erfolgreich im Beruf, sondern auch Mutter sein wollen, an den öffentlichen Pranger stellt, geht für meine Begriffe wirklich in die falsche Richtung.
Ob das Motiv nun der inneren Überzeugung entspricht oder ob es nur eine plumpe Vermarktungsstrategie für ein neu erschienenes Buch ist, lasse ich einfach einmal dahingestellt.
Auch dass beispielsweise die stellvertretende Landesvorsitzende der sogenannten Linkspartei im Saarland Christa Müller, die Ehefrau des Fraktionsvorsitzenden von der Linken, einem erzkonservativen Bischof mit pseudowissenschaftlichen Erkenntnissen hilfreich zur Seite springt, geht in die falsche Richtung.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Elke Ferner (SPD):
Gerne.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Bitte schön.
Monika Knoche (DIE LINKE):
Verehrte Frau Ferner, darf ich Sie fragen, ob Sie zur Kenntnis nehmen möchten, dass die Position der Ehegattin des Vorsitzenden nicht die Position der Fraktion Die Linke und auch nicht die der Partei ist und dass es vor allen Dingen einem entwickelten frauenpolitischen Verständnis entspricht, eine eheliche Beziehung nicht mit einer geistigen und politischen Übereinstimmung gleichzusetzen? Eine Ehe einzugehen, bedeutet nicht, dass Meinungsgleichheit bestehen muss. Auch Meinungsdifferenz in Ehen wissen wir Frauen sehr zu schätzen. Das trifft in diesem Fall zu. Möchten Sie das bitte zur Kenntnis nehmen?
Elke Ferner (SPD):
Ich nehme gerne zur Kenntnis, dass Ihre Parteikollegin Christa Müller zu Beginn dieser Woche in einer Zeitung mit vier großen Buchstaben erklärt hat, dass sie für die WASG und die Linkspartei im Saarland spricht, wenn sie beispielsweise ein Erziehungsgehalt fordert, was von einigen aus Ihrer Partei zu Recht als Herdprämie für Frauen kritisiert wird. Ich gebe Ihnen recht, dass es, wenn man miteinander verheiratet ist, natürlich auch weiterhin möglich sein muss, unterschiedliche politische Auffassungen zu vertreten.
Ich vermisse allerdings eine öffentliche Aussage Ihres Fraktionsvorsitzenden zum Thema Gleichstellungspolitik, zum Thema ?Vereinbarkeit von Familie und Beruf“.
Als Mitglied der saarländischen SPD und langjährige Vorsitzende der saarländischen Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen, und zwar zu der Zeit, als Ihr Fraktionsvorsitzender Landesvorsitzender der SPD und saarländischer Ministerpräsident gewesen ist, kann ich Ihnen sagen, dass er nun gerade nicht derjenige gewesen ist, der an der Spitze der Frauenbewegung gestanden hat, sondern eher zum Jagen getragen werden musste.
Dass sich ausgerechnet einige Frauen, die auf der Sonnenseite des Lebens stehen und sich nicht damit herumplagen müssen, wie sie ihr Einkommen und den Lebensunterhalt ihrer Kinder sichern, jetzt gegen die Frauen wenden, die das - ob freiwillig oder unfreiwillig - jeden Tag tun, geht ein gutes Stück zu weit. Ich kann für beide, sowohl für Christa Müller als auch für Frau Herman, nur hoffen, dass die Väter ihrer Kinder zur Stelle sind, um die Kinder zu betreuen, wenn sie selbst durch die Talkshows tingeln, damit die Kinder nicht einen dauerhaften Schaden nehmen.
Christa Müller hat zu Beginn dieser Woche auch gesagt: Feministinnen fordern nur Sachen, die ihnen gefallen. - Ich muss sagen, diese Frau hat entweder die Frauenbewegung der 70er-, 80er- und 90er-Jahre nicht wahrgenommen oder versucht wieder, eine dicke Schlagzeile zu ergattern. Die Frauenbewegung in Deutschland wollte nie einen bloßen Rollentausch, eine Diskriminierung mit umgekehrten Vorzeichen, nie. Wir haben immer gesagt, wir wollen, dass Frauen das bekommen, was ihnen zusteht - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die Hälfte der Führungspositionen in Staat, Wissenschaft und Wirtschaft, die Hälfte der Verantwortung für die Familie, die Hälfte der Kindererziehung, die Hälfte der Hausarbeit und die Hälfte des Ehrenamtes werden die Frauen freiwillig und mit Vergnügen den Männern überlassen; sie wollen nur endlich die Hälfte bekommen, die sie bisher nicht haben.
Ich begrüße sehr, dass die Bundeskanzlerin zu Beginn dieser Woche gesagt hat, es sei ein Skandal, dass in den deutschen DAX-Unternehmen keine einzige Frau im Vorstand ist. Ich füge hinzu: Wenn es nicht die Arbeitnehmer- und Arbeitnehmerinnenvertretungen in den Aufsichtsräten gäbe, dann sähe es in den Aufsichtsräten noch düsterer aus, als es ohnehin der Fall ist. - Ich sage aber auch: Den Zustand nur zu beklagen, ohne Maßnahmen zu ergreifen, damit sich daran etwas ändert, reicht nicht aus. Wir wären gut beraten, insbesondere weil wir die Ergebnisse der zweiten Bilanz kennen, Frau Ministerin, und weil wir wissen, dass es dort im Schneckentempo vorangegangen ist - das zeigt auch, dass das Bundesgleichstellungsgesetz zwar nicht so schnell gewirkt hat,
wie wir es eigentlich gern wollten, aber deutlich schneller gewirkt hat als das, was in der Privatwirtschaft mit der freiwilligen Vereinbarung gemacht worden ist -,
verbindliche Zielvorgaben für die Privatwirtschaft zu machen. Ohne diese Zielvorgaben wird nicht nur diese Frauengeneration, sondern werden auch die nächsten Frauengenerationen unter der gläsernen Decke hängen bleiben.
Es ist richtig - das ist eben schon gesagt worden -: Die Wirtschaft erweist sich einen Bärendienst, wenn sie die bestausgebildete Frauengeneration nicht in den beruflichen Aufstieg einbezieht, Frauen den Berufszugang erschwert und sie zum Teil an betrieblicher Qualifizierung nicht beteiligt. Ich hoffe, dass die Arbeitgeberseite und die Wirtschaft aufwachen. Denn vor dem Hintergrund eines zurückgehenden Erwerbstätigenpotenzials wird die Wirtschaft darauf angewiesen sein, das Erwerbspotenzial sowohl der Frauen als auch der Älteren deutlich besser auszuschöpfen, wenn sie wettbewerbsfähig bleiben will. Ich bin aber nach wie vor davon überzeugt, dass es ohne Zielvorgaben nicht gehen wird; denn Freiwilligkeit - das haben wir bereits gesehen - hat nicht funktioniert.
Ich freue mich auch darüber, dass es in unserem Land eine Diskussion über die Frage gibt, wie man die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern kann, die leider immer noch in erster Linie ein Problem der Mütter ist. Wir haben ein Konzept vorgelegt. Ich freue mich, dass Frau von der Leyen auf die SPD-Linie eingeschwenkt ist
und jetzt einen deutlich stärkeren Ausbau der Kinderbetreuung fordert. Ich füge aber hinzu, Frau von der Leyen: Es reicht nicht aus, Vorschläge über die Anzahl der Plätze zu unterbreiten. Man muss auch dafür sorgen, dass man dafür die Mehrheiten in seiner eigenen Partei und Fraktion hat und dass das Ganze finanzierbar ist. Nur dann kann es umgesetzt werden.
Wir haben unsere Vorschläge gemacht. Ich hoffe, dass die Union in Kürze sagen wird, wie sie das Ganze finanzieren will.
Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken hat recht, wenn er sagt: Es
haben sich offenbar jene in der Union durchgesetzt, welche die Realität junger Familien immer noch nicht wahrhaben wollen und sich hinter der Forderung verstecken, man müsse erst den Bedarf feststellen.
Wer zunächst den Bedarf feststellen lassen will, der lebt meiner Meinung nach nicht mehr in dieser Welt. Die Wartelisten in den Tageseinrichtungen und die Wünsche der Eltern nach Ganztagsschulen sprechen doch eine deutliche Sprache. Man braucht doch nicht mehr danach zu fragen, ob wir mehr Plätze brauchen. Stattdessen müssen wir dafür sorgen, dass die Zahl der Plätze steigt.
Ich wünsche mir, dass wir nicht nur am Internationalen Frauentag, sondern jeden Tag alles dafür unternehmen, die immer noch vorhandene strukturelle Diskriminierung und Benachteiligung von Frauen in unserer Gesellschaft zu überwinden. Das muss überall, nicht nur im Frauenressort, in der Bundesregierung oder im Parlament passieren. Ich freue mich auf den Wettstreit um die besten Konzepte.
Ihnen allen wünsche ich einen schönen Internationalen Frauentag.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Sibylle Laurischk für die FDP-Fraktion.
Sibylle Laurischk (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der 96. Internationale Frauentag ist sicher kein Grund zur Trauer, aber auch kein Jubeltag. Die andauernden und nachhaltigen Benachteiligungen von Frauen sind von meinen Vorrednerinnen ausführlich dargestellt worden. Von einer echten, alle Lebensbereiche durchdringenden Gleichberechtigung der Geschlechter in Deutschland kann nicht die Rede sein. Dennoch: Die Zukunft unserer Gesellschaft liegt in den Händen der Frauen; uns Frauen gehört die Zukunft.
Ich zolle der Familienministerin Respekt für ihr Vorhaben, insbesondere den Männern ein anderes, vielfältigeres Rollenbild abzuringen. Die Honorierung von Vätermonaten beim Elterngeld ist dafür ein aktuelles Beispiel. Ich hoffe, Frau Ministerin, dass Sie im Familienministerium auch Abteilungsleiterinnen haben.
Interessant sind die Reflexe auf diese Entwicklung. Es gibt Kreise, die das Abendland in Gefahr und Frauen zu Gebärmaschinen herabgewürdigt sehen, wenn Sie neben Kindern auch die Teilhabe an beruflicher Entwicklung umsetzen wollen. Aber Sie, die Herren von der CDU/CSU-Fraktion, werden Frau Ministerin von der Leyen schon nicht zu übermütig werden lassen, sicher auch zum Wohlgefallen Ihres Koalitionspartners, dem die Ministerin auf diesem Feld bislang kaum Luft zum Atmen gelassen hat. Die SPD kann jetzt aufatmen, die Frauen nicht. - Die frauenpolitische Baustelle dieser Koalition bleibt offen. Da hilft auch der 20. Geburtstag des Frauenministeriums nicht; hierzu übrigens meinen herzlichen Glückwunsch.
Bezeichnend ist schon, dass uns erst in letzter Minute ein gemeinsamer Antrag der Koalition zu diesem heutigen Tagesordnungspunkt vorgelegt wird. Ein Gesetzentwurf zur Zwangsheirat bleibt uns wohl endgültig vorenthalten. Die Unterhaltsrechtsreform, wiewohl seit Monaten im Justizministerium fertiggestellt, ist überfällig. Die gravierend ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen ist eine ständige Entmutigung der erwerbstätigen Frauen und nicht hinnehmbar. Gewalt gegen Frauen ist für viele Alltag; verlässlich finanzierte Frauenhäuser und Unterkünfte für Frauen in Not gibt es immer noch nicht. In jeder einzelnen Kommune kämpfen die Frauen um jeden Cent zur Finanzierung.
An meine Kolleginnen und Kollegen von den Grünen gerichtet möchte ich sagen, dass Ihr Antrag ?Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt verwirklichen - Innovationshemmnis Männerdominanz beenden“ etwas dick aufträgt. Zum Dominieren braucht es zwei. Frauen duldsam darzustellen, halten wir nicht für den richtigen Weg.
Unser Antrag zeigt, dass wir die Chancen der Wirtschaft durch die Beteiligung von Frauen in Führungspositionen sehen. Darüber hinaus sehen wir die Chance, dass die Wirtschaft dies erkennt. Dabei hat die Wirtschaft ebenfalls zwei Seiten, auch die der Arbeitnehmervertreter. Ein Beispiel ist dabei, dass unter den Gewerkschaftsbossen keine Frau zu finden ist.
Es ist uns Liberalen fremd, homogene Gruppen einheitlich grauer Anzugträger als Träger von Innovation und Entwicklung zu sehen. Vielfalt führt zu produktiven Ergebnissen. Insofern muss die Überschrift unseres Antrags ergänzt werden: Frauenpolitik ist nicht nur ein gesellschaftlicher, sondern auch ein wirtschaftlicher Erfolgsfaktor.
Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung wird das Know-how gut ausgebildeter Frauen für die Unternehmen unverzichtbar werden. Tatsächlich bedeutet die Entwicklung einer modernen, gleichberechtigten Gesellschaft nicht nur eine Veränderung der Frauen hin zu mehr Verantwortung und Eigenverantwortung, sondern auch die Veränderung der Männer, deren Alltag vielfältiger wird - und das ist gut so.
Bei der Integration von Migrantinnen, die dem Islam angehören, wird von ihren Vätern, Männern, Brüdern, Cousins ein ganz besonders großer Kultursprung nach vorne verlangt. Wir müssen diese Frauen und Mädchen unterstützen, wo wir nur können; denn über die Integration der Frauen und Mädchen gelingt auch die der gesamten Community. Die absehbare weitere Ausgrenzung gerade von Migrantinnen, die geschieden sind, muss entschlossen abgelehnt werden. Ich erinnere hier an einen sehr unglücklichen Antrag aus Niedersachsen. Abschiebung kann für sie nicht die Antwort sein.
An der Diskussion der vergangenen Wochen hat mich doch gestört, wie wenig dynamisch die Öffentlichkeit die Rolle der Frau in der Gesellschaft sieht. Hier das Karriereweib, dort die biedere Hausfrau und Mutter: Die Zwischentöne fehlen fast vollständig. Tatsächlich sind Lebensläufe von Frauen vielfältiger. Lebensläufe sind lebensphasenbezogen. Da kann es auch eine Phase geben, die ?Hausfrau und Mutter“ heißt. Die Frau will dann nicht unbedingt lebenslänglich Hausfrau und Mutter sein, aber eben doch für einen bestimmten Zeitraum. Ich will nicht der konservativen Aufgabenverteilung das Wort reden, aber doch diejenigen Frauen würdigen, die unter Hintanstellung eigener beruflicher Ambitionen vieles im Alltag für die Gemeinschaft leisten.
Wenn es allerdings an die Besetzung der Vorstände geht, sind es meist doch die Männer, die den Vorstand eines Vereins oder einer Partei bilden, getreu dem uns Frauen fremden Motto: einmal im Leben Vorstand sein.
Der Schlüssel zu mehr Verantwortung von Frauen außerhalb von Familie in Beruf und Gesellschaft ist die Verbesserung der Zeitverteilungsmöglichkeiten. So muss es auch einer jungen Mutter eines kleinen Kindes möglich gemacht werden, in Teilzeit eine berufliche Ausbildung zu absolvieren. In den Unternehmen muss der Gedanke der Lebensarbeitszeitkonten stärker mit Leben gefüllt werden, damit eine erwerbsarbeitsfreie Zeit für Familien- oder Fortbildungsphasen angespart werden kann, nicht zu reden von der Möglichkeit des Sabbaticals. Die Einbindung von Menschen mit Familienverantwortung wird immer bedeuten, Flexibilität zu ermöglichen; denn Familie ist ein lebendiger Organismus mit wechselndem Einsatzbedarf. Die Frauen sind dabei auch gefragt: Ohne lebenslanges Lernen, die ständige Bereitschaft, sich Neuem zu öffnen und Kenntnisse, Fähigkeiten und Kompetenzen zu erweitern, wird es nicht gehen.
Zum Schluss komme ich zum Alter. Die Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre wird ganz besonders Frauen treffen, die wegen ihrer Übernahme von Familienverantwortung eben nicht eine ununterbrochene Erwerbsbiografie aufweisen können. Sehr geehrte Frau Ministerin, bitte nutzen Sie die Zeit der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, um Ihre Roadmap zur Gleichstellung der Geschlechter umzusetzen und sich für Deutschland europäischen Rückenwind zu verschaffen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Dr. Möllring ist die nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion.
Dr. Eva Möllring (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ?Warum willst du dir das denn antun?“ wurde ich gefragt, als ich für den Deutschen Bundestag kandidierte. Als verheiratete Frau und Mutter könne ich doch ein Leben zwischen Teilzeitarbeit, Haushalt, Ehrenamt und Tennisplatz führen. Dieses Beispiel zeigt, welche Vorbehalte Frauen auch heute noch auf dem Arbeitsmarkt erleben und wie ganz selbstverständlich mit zweierlei Maß gemessen wird.
In der aktuellen Diskussion über Kinderbetreuung fällt immer wieder das Argument - auch eben gerade -, dass Frauen auf das Einkommen angewiesen seien. Das ist richtig, aber es diskriminiert gleichzeitig Mütter mit berufstätigen Ehemännern. Wer würde einen Mann darauf verweisen, Haus und Kinder zu hüten, bloß weil er zum Beispiel mit einer Lehrerin verheiratet ist? Deshalb will ich hier klar sagen - ich hoffe, darin sind wir uns einig -: Als Frau beruflich tätig zu sein, kann nicht den Sonderfall für Bedürftige darstellen. Vielmehr müssen alle Frauen, die das wollen, die Chance haben, beruflich zu arbeiten.
Deshalb brauchen wir ein breites Angebot flexibler Kinderbetreuungsmöglichkeiten: für Kinder in jedem Alter und für sehr unterschiedliche berufliche Bedürfnisse. Ich bin froh, dass diese Regierung endlich die Aufmerksamkeit hergestellt hat, die nötig ist, damit diese Angebotspalette geschaffen wird.
Unsere Wirtschaft ist gut beraten, wenn sie die berufliche Kompetenz von Männern und Frauen so gut wie möglich einsetzt und nutzt; das haben viele Unternehmen schon verstanden. Nur, in unseren Köpfen spuken noch viele alte Bilder herum: der Chefarzt, der Professor, der Physiker und der Geschäftsführer zwischen vielen schwarzen Anzügen beim IHK-Empfang.
Andererseits: die Friseurin, die Verkäuferin, die Arzthelferin und die Putzfrau. Das sind unsere Bilder, unsere Schubladen. Sie bestimmen unser Denken, und sie werden zu kleinen Geistern in unserem Hinterkopf. Ich wünsche uns manchmal ein handliches Lasso in der Hosentasche, um diese Geister wegzufangen.
Herr Präsident, das hat übrigens etwas mit Gender-Mainstreaming zu tun.
Es wird höchste Zeit, dass wir diese alten Denkschemata überwinden - im Interesse vieler Frauen und auch im Interesse der Wirtschaft unseres Landes. Denn ein Drittel der pharmazeutischen Industrie kann offene Stellen nicht mehr adäquat besetzen, wir brauchen 22 000 Ingenieure, und wir brauchen viele Fachkräfte im Informatikbereich; darüber sind sich alle, auch die Wirtschaftsverbände und Herr Minister Müntefering, einig. Wir müssen wettbewerbsfähig sein; wir konkurrieren um die besten Köpfe. Was liegt da näher, als das Potenzial unserer Frauen zu erschließen, indem wir sie qualifiziert ausbilden?
Die Anzahl der Studentinnen in den technischen Fächern ist angestiegen. Aber ihr Anteil liegt nach wie vor bei 9 Prozent, bei 16 Prozent, bei 20 Prozent. Warum studieren Frauen nicht Physik, Maschinenbau, Informatik und Elektrotechnik? - Auch weil ihnen die Vorbilder fehlen und das Selbstvertrauen und die Akzeptanz in diesen Berufen. Deshalb ist es wichtig, dass wir junge Mädchen in diesen technischen Fähigkeiten früh motivieren und bestätigen und dass sich das in der Schule fortsetzt, wie es die Finnen mit großem Erfolg vormachen. Es ist ein guter Weg, dass wir in neuen Studiengängen technische Fähigkeiten mit sprachlichen und kommunikativen Elementen verbinden. Auf diese Weise gelingt es uns, diese Ausbildung zukunftsfähig zu machen und gleichzeitig Frauen für diese Berufe zu gewinnen.
Das ist der richtige Weg. Große Erfolge erzielen wir auch mit speziellen Frauenstudiengängen in den technischen Bereichen, wie wir es schon lange aus den USA kennen. Diese Angebote sollten wir weiterentwickeln.
Denn - ich sage es noch einmal - Frauen verdienen in Deutschland in Vollzeitstellen inzwischen 23 Prozent weniger als Männer, bezogen auf den Stundenlohn sogar 26 Prozent. Das ist der letzte Platz in Europa. Die beiden entscheidenden Ursachen dafür sind die Berufswahl und die Tatsache, dass Frauen seltener in Führungspositionen kommen. Im mittleren Management beträgt der Frauenanteil circa 20 Prozent. In den Vorständen der 100 größten deutschen Unternehmen sitzen 685 Männer - und vier Frauen. Es gibt also die gläserne Decke, auch weil viele Arbeitnehmerinnen ihre Entwicklung nicht strategisch planen, weniger kämpfen und bescheidener auftreten - nicht alle, aber einige - und weil manch ein Personalchef unbewusst doch noch alte Rollenmuster im Kopf hat. Deshalb ist es wichtig, dass Unternehmen sich das Potenzial und die Einsatzmöglichkeiten ihrer Mitarbeiterinnen klar vor Augen führen. Wir sind gefragt, diese Entwicklung zu unterstützen, anzuschieben. Wir haben in unserem breitgefächerten Antrag viele Vorschläge und Maßnahmen erwähnt und vorgestellt. Dazu gehört ein freiwilliger Lohntest, den wir zur Verfügung stellen, und dazu gehört auch die Fortschreibung der Vereinbarung mit der Wirtschaft, entsprechende Zielmarken ins Auge zu fassen.
Ich kann in der verbleibenden Zeit nicht mehr alles aufzählen. Aber ich will sagen: Ich würde mich sehr freuen, wenn die Bundesregierung unsere Ideen aufnimmt und das Europäische Jahr der Chancengleichheit nutzt, um die Chancen der Frauen im Beruf voranzutreiben. Dann sind wir auf einem guten Weg.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile das Wort der Kollegin Monika Knoche, Fraktion Die Linke.
Monika Knoche (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine verehrten Herren und Damen! Nichts ist passender, als am Internationalen Frauentag über Frauen, Frieden und Sicherheit, also über die UN-Resolution 1325, zu sprechen. Die Voraussetzungen scheinen günstig. Deutschland hat mit seiner Bundeskanzlerin die, so heißt es, derzeit mächtigste Frau der Welt.
Aber werden die Frauen der Welt davon profitieren? Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft schließt im Europäischen Jahr der Chancengleichheit diesbezüglich einen expliziten Gestaltungsauftrag in der Außenpolitik ein.
Da das Thema Naher Osten auf der Agenda der EU steht, will ich Ihnen sagen: Im Dezember letzten Jahres hat eine Frauendelegation der Linksfraktion eine Reise nach Israel und in die palästinensischen Gebiete gemacht. Wir haben dort Frauen kennengelernt, die als ?Frauen in Schwarz“ aktiv sind und mit großem Engagement ununterbrochen für die Anerkennung der Eigenstaatlichkeit der palästinensischen Gebiete werben. Wir haben Frauen kennengelernt, die sich in zivilen Projekten engagieren, um den innergesellschaftlichen Dialog zu verbessern, die mit palästinensischen Frauen zusammenarbeiten und die an die Grenzübergänge gehen, um die Folgen der Besatzung irgendwie zu lindern. Wir haben palästinensische Frauen kennengelernt, die sich nicht scheuen - das will in der dortigen Gesellschaft wirklich etwas heißen -, öffentlich die Zunahme sexueller Gewalt gegen Frauen in den Familien anzuprangern, und diese Entwicklung in einen Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg zu bringen.
Wir haben diese Frauen als Akteurinnen kennengelernt, die außerordentlich kompetent sind. Sie sollten in die Verhandlungen im Rahmen des Nahostprozesses einbezogen werden. Diese Forderung muss vom Nahostquartett umgesetzt werden. Die hoffnungsvollen Entwicklungen um die Vereinbarung von Mekka zeigen, dass Frauen nach wie vor ausgeschlossen sind, wenn es um Befriedungsstrategien geht.
Wie wir wissen, gibt es auch im Iran, einem weiteren großen Konfliktfeld, Frauen, die mit großem Mut für die Erhaltung und den Ausbau der Frauenrechte in der dortigen Gesellschaft demonstrieren.
Diese außenpolitischen Entwicklungen müssen wir als Frauen außerordentlich goutieren. Sie müssen in unsere Außenpolitik einfließen.
Morgen, meine Herren und Damen, wird der Einsatz von Tornados in Afghanistan beschlossen. Schon jetzt ist klar: Die Zivilbevölkerung wird leiden. Sie wird Tote zu beklagen haben. Ich frage Sie: Wie kann man einer Frühjahrsoffensive Geleitschutz geben, wenn offenkundig ist, dass die Taliban mit ihrem frauenverachtenden Menschenbild erstarkt aus dieser Militäroffensive hervorgehen werden?
Es wird damit gerechnet, dass der Krieg gegen die Taliban noch 15 Jahre dauern wird. Was bedeutet das für die Frauen? Um den Frauen zu helfen, muss die ganze Kraft in zivile, nichtmilitärische Politik gesteckt werden. Es ist Fakt, dass Parlamentarierinnen in Afghanistan mit Gewalt bedroht werden, weil sie sich gegen die Warlords in Regierung und Parlament wenden. Da darf der Westen doch nicht konditionslos die Karzai-Regierung stützen!
Wir müssen unsere Glaubwürdigkeit bewahren und das Erstarken islamischer Dogmatiker mit dem Krieg gegen den Terror in Verbindung bringen. Hier besteht nämlich ein ursächlicher Zusammenhang.
Als Linke möchte ich nicht, dass die UN-Resolution 1325 zu einem Feigenblatt verkommt; denn dafür ist sie wirklich zu wertvoll. Deshalb bin ich den Regierungsfraktionen sehr verbunden, dass sie ihren Antrag zur Umsetzung dieser Resolution am heutigen Tag auf die Tagesordnung gesetzt haben. Er beinhaltet unter anderem die Forderungen nach sozialer Sicherheit und Freiheit von sexueller Gewalt. Wenn wir das für richtig erachten, dann müssen wir in unserer Konzeption auch die Binnenflüchtlinge berücksichtigen. Das macht erforderlich, ein Asylrecht für Frauen zu schaffen, die Opfer systematischer sexueller Gewalt geworden sind.
Diese UN-Resolution kann unseres Erachtens nicht neben einer militarisierten Außenpolitik stehen oder bestehen. Sie muss die Außenpolitik verändern. Dadurch, dass der umfassende Sicherheitsbegriff im Weißbuch der Bundeswehr verändert wird, werden in der deutschen Politik Wege beschritten, die die Umsetzung der UN-Resolution unter Umständen ad absurdum führen können. Wir dürfen nicht eine ?kleine“ Frauenpolitik nebenbei machen, deren Ziele in der ?großen“ Außenpolitik konterkariert werden. Das ist nicht glaubwürdig.
Wir fordern deshalb, dass die UN-Resolution in einen nationalen Aktionsplan umgesetzt wird, wie das beispielsweise in Norwegen und einigen anderen skandinavischen Ländern der Fall ist. Dort spricht man im Zusammenhang mit dieser Resolution von einem ?living document“ - einem lebendigen Dokument -, das dafür sorgt, dass die betriebene Politik immer wieder in den Kontext zu den Zielen der UN-Resolution gestellt wird. Ich hoffe sehr, dass sich unsere Frau Bundeskanzlerin Merkel dieses Verständnis von Frauenpolitik erkennbar zu eigen macht und es als Vorsitzende der EU-Ratspräsidentschaft offensiv nach außen vertritt. Unseres Erachtens hat die Bundeskanzlerin bisher versäumt, sich als Frau zur Frauenpolitik in einem emanzipatorischen Sinn in der Außenpolitik zu äußern
und die Errungenschaften der Frauenpolitik offensiv zu vertreten.
Ich darf sagen - auch das dürfte der Frau Kanzlerin bewusst sein -: Ohne eine emanzipatorische Frauenbewegung wäre sie wahrscheinlich nicht Kanzlerin geworden.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Kerstin Müller ist die nächste Rednerin für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Ich freue mich, dass wir heute am Internationalen Frauentag den Blick nicht nur auf die nationale Situation von Frauen richten, sondern auch auf ihre weltweite Lage, und dass wir die Gelegenheit nutzen, über die UN-Sicherheitsratsresolution 1325, die viel zu wenig bekannt ist und Beachtung findet, zu diskutieren. Bevor ich dazu komme, möchte ich kurz auf die Situation im Iran hinweisen. Am Sonntag, den 4. März, wurden 33 Frauen im Iran festgenommen, weil sie sich in einer Unterschriftenkampagne für Gleichberechtigung und die Durchsetzung der Menschenrechte eingesetzt hatten. Sie wurden im berüchtigten Gefängnis Evin inhaftiert. Ich fordere die Freilassung aller dieser Frauen, die sich für die Menschenrechte und die Gleichberechtigung eingesetzt haben. Sie haben unsere volle Solidarität.
Das ist ?Frauen, Frieden und Sicherheit“ konkret, also genau das, was mit der UN-Sicherheitsratsresolution 1325 beabsichtigt ist. Sie ist ein Meilenstein auf dem Weg zu einer geschlechtersensiblen Friedens- und Sicherheitspolitik. Zum ersten Mal in der Geschichte der Vereinten Nationen wurde im Oktober 2000 damit eine völkerrechtlich verbindliche Vorgabe zur Beteiligung von Frauen an Entscheidungen über Krieg und Frieden, aber auch in Nachkriegssituationen beschlossen. Gerade Frauen sind von Kriegen und gewaltsamen Konflikten in besonderem Maße betroffen. Ich nenne als Beispiele: 80 Prozent der Flüchtlinge sind Frauen und Kinder. Sie sind Kindersoldatinnen und Opfer sexueller Gewalt. Ich erwähne nur Ruanda, den Kosovo, Bosnien oder die aktuelle Krisenregion Darfur. Das zeigt: Es war überfällig - das war leider viele Jahre nicht selbstverständlich -, dass Verbrechen sexualisierter Gewalt nun endlich vor dem Internationalen Strafgerichtshof geahndet werden.
Frauen haben beim Wiederaufbau von krisen- und kriegszerrütteten Gesellschaften immens wichtige Erfahrungen einzubringen. Leider orientieren sich unsere Wiederaufbaukonzepte noch immer sehr stark an den Interessen von Männern, während das Wissen von Frauen kaum berücksichtigt wird.
Der Blick auf diese verschiedenen Rollen von Frauen, sowohl Opfer von Krieg und Gewalt als auch Friedensakteurinnen und Gestalterinnen zu sein, ist das zentrale Thema der Sicherheitsratsresolution 1325. Ich möchte heute am Internationalen Frauentag vor allen Dingen den vielen internationalen Frauen-NGOs danken, deren Beharrlichkeit, Initiativen und Veranstaltungen diese Resolution erst ermöglicht haben.
Wir haben unter Rot-Grün entscheidend dazu beigetragen, dass Deutschland in der zivilen Konfliktprävention - zum Beispiel mit dem Aktionsplan ?zivile Krisenprävention“ oder mit der Gründung des Zentrums für internationale Friedenseinsätze, des ZIF, auch durch dessen integrierten Genderansatz - eine Vorreiterrolle einnimmt. Gerade im Bereich des zivilen Krisenmanagements sind internationale Polizeimissionen der UN und OSZE ein wichtiges Element. Auch hier muss die Umsetzung der Resolution 1325 in der Ausbildung und Vorbereitung der deutschen Kontingente verwirklicht werden. Gleiches gilt, wenn wir Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten in Auslandseinsätze schicken.
Die hohen Erwartungen an die Resolution haben sich noch nicht erfüllt. Die Verantwortung für die Umsetzung - das ist im internationalen Recht im Zusammenhang mit UN-Resolutionen so vorgesehen - liegt bei uns, den Mitgliedstaaten. Wir müssen dafür sorgen, dass die Resolution mit Leben gefüllt wird.
Insofern haben Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, einen guten Antrag vorgelegt. Ich denke, wir sind uns in vielen Fragen einig. Er greift aber an einer Stelle eindeutig zu kurz: Sie beschränken sich vor allem auf Absichtserklärungen. Aber wir haben auf nationaler Ebene die Erfahrung gemacht - das hat die Ministerin bereits angesprochen -, dass Absichtserklärungen nicht ausreichen.
Wir brauchen verbindliche Regelungen, damit die Resolution 1325 umgesetzt wird. Wir brauchen messbare Ziele, Forschrittsberichte und Zeitvorgaben. Diesen nationalen Erfahrungen sollten wir auch im Hinblick auf die internationale Ebene bei der Umsetzung der Resolution 1325 Rechnung tragen.
Wir fordern deshalb in unserem Antrag die Bundesregierung auf, einen nationalen Aktionsplan vorzulegen. Dabei geht es nicht um mehr Bürokratie; vielmehr greifen wir damit eine Forderung von Kofi Annan auf. Viele Länder - zum Beispiel Großbritannien, Norwegen, Kanada und die Schweiz - haben bereits Aktionspläne vorgelegt. Warum ist das bei uns noch nicht geschehen? In einen solchen nationalen Aktionsplan müssen konkrete Maßnahmen zur Prävention von Kriegen, zur Beteiligung von Frauen, zum Schutz vor sexualisierter Gewalt, aber auch zur geschlechtersensiblen Vorbereitung der Akteurinnen und Akteure, die in den Krisenregionen eingesetzt werden, aufgenommen werden. Wir haben in unserem Antrag dazu konkrete Vorschläge formuliert.
Ich würde mich sehr freuen, wenn wir uns in den Beratungen der Anträge fraktionsübergreifend verständigen würden, in welchen Punkten wir übereinstimmen und welche Vorschläge als sinnvoll erachtet werden. Gerade am Internationalen Frauentag, an dem wir die internationale Solidarität mit allen Frauen weltweit deutlich machen sollten, halte ich das für eine Chance, uns darüber zu verständigen, welche konkreten Maßnahmen im Sinne der Resolution 1325 wir als Deutscher Bundestag für die Frauen in der Welt beschließen können.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun die Kollegin Angelika Graf für die SPD-Fraktion.
Angelika Graf (Rosenheim) (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 25. März werden die Römischen Verträge 50 Jahre alt, und in den Mitgliedstaaten der EU wird heuer das Europäische Jahr der Chancengleichheit begangen. Das passt gut zusammen, und es passt auch zum Internationalen Frauentag; denn zu den zentralen Aussagen der Römischen Verträge gehörten - Sie verzeihen, Herr Präsident - der Gender-Aspekt und der Grundsatz ?Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“.
Wie kann die Forderung nach Chancengleichheit und Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt besser beschrieben werden als mit der Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit? Das hieße nämlich auch: gleiche Ansprüche auf Weiterbildung, auf eine auskömmliche Rente, auf Teilhabe am sozialen und gesellschaftlichen Leben und im Ernstfall auf ein Arbeitslosengeld in einer vernünftigen Höhe. Ich bedaure aber, dass ich immer noch im Konjunktiv über dieses Thema sprechen muss. Das haben meine Vorrednerinnen bereits angesprochen.
Es gab große Anstrengungen in der Regierungszeit von Rot-Grün, um mehr Chancengleichheit für Frauen zu erreichen. Auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, welches wir nach langen Geburtswehen schon in dieser Legislaturperiode gemeinsam auf den Weg gebracht haben, war, denke ich, ein sehr wichtiger Schritt. Dennoch stelle ich fest: Der Fortschritt ist eine Schnecke.
Das zeigen schon - die Frau Ministerin und Frau Dr. Möllring haben das bereits angesprochen - die Zahl der Hochschulprofessuren oder - noch schlimmer - ein Blick in die Managementetagen deutscher Unternehmen. Dort sind Frauen immer noch ?Mangelware“. Vielleicht sollten wir gemeinsam mit den Unternehmen und den Unternehmern einmal einen Blick über den Zaun wagen. In Norwegen wurde vor kurzem eine Frauenquote für Aufsichtsräte verabschiedet.
Dass der Niedriglohnsektor im Gegensatz zu diesen Hochlohnbereichen weiblich ist, ist ein weiteres bekanntes Phänomen, das hier auch schon angesprochen worden ist. Ich denke, unser Ringen um Mindestlöhne macht deutlich, dass wir auch da den Schutz der Frauen - denn die Frauen würden mit Mindestlöhnen vor Ausbeutung und Lohndumping geschützt - in den Vordergrund stellen wollen. Mindestlöhne würden ihnen auch das Gefühl geben, dass ihre Arbeit etwas wert ist, würden ihnen im wörtlichen Sinne ein Selbstwertgefühl vermitteln.
Chancengleichheit durch Bildung und Equal Pay ist weltweit eines der Fundamente, auf denen sich das Selbstbewusstsein von Frauen gründet. Dieses Selbstbewusstsein brauchen Frauen auf der ganzen Welt, um ihren Platz im Leben zu finden und zu verteidigen. Eine selbstbewusste, gut ausgebildete Frau wird weniger oft ein Opfer von Gewalt und Zwang. Sie lässt sich nicht kujonieren, weder vom Chef noch vom Partner, lässt sich weniger leicht mit einem eventuell drohenden Arbeitsplatzverlust erpressen und kann mit Konflikten besser umgehen, weil sie weiß, was ihr eigener Wert ist. Sie wird nicht gezwungen, bei einem prügelnden Partner zu bleiben, weil sie weiß, dass sie sich und die Kinder notfalls auch allein durchs Leben bringen kann. Eine selbstbewusste Frau mit Migrationshintergrund wird sich leichter tun, sich in unserer Gesellschaft zu integrieren. Eine selbstbewusste Seniorin kann sich gegen Diskriminierungen im Alltagsleben oder entwürdigende Behandlung in einem Heim eher zur Wehr setzen als eine Frau, die sich ihr Leben lang untergeordnet hat.
Aufgabe unserer Menschenrechts- und Entwicklungspolitik ist es, in den Ländern, in denen wir tätig sind, in genau diesem Sinne Frauen fit zu machen und ihnen mehr Selbstwertgefühl zu geben. Wir müssen sie befähigen, den Kampf zum Beispiel gegen familiäre Gewaltstrukturen, die oft in einem unheiligen Zusammenhang mit militärischer Gewalt und Korruption stehen, aufzunehmen.
Der Koalitionsantrag zur UN-Resolution 1325 macht eines sehr deutlich: Frauen sind nicht nur Opfer von Gewalt, wie dies Kerstin Müller gerade beschrieben hat, sondern sie sind glaubwürdige und wichtige Mitgestalterinnen von Friedensprozessen und oft Garanten für die Nachhaltigkeit positiver Entwicklungen.
Ich möchte mich in diesem Zusammenhang herzlichen bei all den mutigen Frauen bedanken, die in diversen Konfliktherden unter schwierigsten Bedingungen eine ganz wichtige Deeskalationsarbeit leisten,
die dafür sorgen, dass mit mehr Bildung und eigenständiger Verantwortung auch das Selbstbewusstsein der Frauen steigt, und die Frauen zu ihrem Recht verhelfen - wie zum Beispiel die Hilfsorganisation medica mondiale in Afghanistan, die sich dafür einsetzt, dass Frauen einen fairen Prozess bekommen; denn nichts untergräbt den Selbstbehauptungswillen und das Selbstvertrauen der Frauen, die Opfer geworden sind, so sehr wie die Straflosigkeit der Täter.
Chancengleichheit in der Entwicklungs- und Menschenrechtspolitik hat - da schließt sich der Kreis - neben dem frauenpolitischen auch ein wirtschaftspolitisches Gesicht. Das wissen kluge Unternehmer und kluge Banker. Vor circa zehn Jahren hatte ich in Bangladesch die Möglichkeit, mit dem - damals noch relativ unbekannten - heutigen Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus zu sprechen und mir von ihm das Prinzip der Kleinkredite seiner Grameenbank erklären zu lassen. Er gab Kredite nur an Frauen, weil er wusste, dass sie das Geld nicht für irgendwelchen Schnickschnack ausgeben oder verspielen wie die Männer,
sondern mit dem Geld wirtschaften und für sich und ihre Familien eine Existenz aufbauen.
Ich habe den Stolz dieser Frauen über das Erreichte gesehen und erlebt, mit welcher Achtung sie von ihrer Familie behandelt worden sind. Ich freue mich über den Nobelpreis für Herrn Yunus; denn er hat in Bangladesch einen großen Schritt zu mehr Chancengleichheit möglich gemacht. Das ist, so denke ich, ganz im Sinne des Internationalen Frauentages und der UN-Resolution 1325.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Kollegin Gerda Hasselfeldt ist die nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion.
Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es sieht so aus, als ob in dieser Debatte als Redner ausschließlich Frauen auftreten. Ich möchte deshalb ausdrücklich anerkennend erwähnen, dass eine ganze Reihe von Kollegen an dieser Debatte von Beginn an teilgenommen haben und auch ausharren.
Ich möchte dafür ausdrücklich danksagen. Sie, liebe Kollegen, dokumentieren damit nämlich, dass eine Diskussion über Frauen in unserem Land nicht nur die Frauen betrifft, sondern uns alle, also die ganze Gesellschaft.
In der Tat ist es so, dass viele Veränderungen in unserer Gesellschaft, beispielsweise die demografische Entwicklung, im Endeffekt auf die Veränderung der Situation der Frauen zurückzuführen sind. Frauen sind heute ganz selbstverständlich in bewährten Positionen im beruflichen Bereich. Sie haben in aller Regel einen grandiosen Start nach einer erfolgreichen Schulbildung und nach einer beruflichen Ausbildung. Frauen sind heute aus vielen beruflichen Branchen und aus unserem Leben überhaupt nicht mehr wegzudenken. Nebenbei sind sie die Stützen im Ehrenamt und, nicht zu vergessen, die Stützen in den Familien.
Ich glaube, auch dieser Internationale Frauentag ist ein Anlass, allen Frauen in diesem Land dafür Anerkennung, Respekt und Dankbarkeit auszudrücken.
Es wäre aber zu einseitig, daraus zu schließen:Es ist alles in Ordnung. Im Laufe dieser Debatte sind schon viele Defizite angesprochen worden. Ich will mich auf drei konzentrieren.
Erstens. Uns allen muss bewusst sein, dass die Tatsache, dass Frauen auch bei gleicher Qualifikation weniger als die Männer verdienen, nicht hingenommen werden kann.
Es muss der Grundsatz gelten: Gleiche Qualifikation bedeutet auch gleiche Bezahlung. Für die Mädchen und Frauen muss das natürlich bedeuten - das ist vorhin angesprochen worden -, dass sie den Bedingungen am Arbeitsmarkt bei der Berufswahl und beim Einstieg ins Berufsleben ein bisschen mehr Rechnung tragen müssen, als es bislang der Fall ist, und dass sie vielleicht auch ein bisschen mehr Selbstbewusstsein zeigen müssen.
Zweitens. Frauen sind in Führungspositionen zu gering vertreten; auch das ist angesprochen worden. In den Vorständen der DAX-Unternehmen gibt es keine einzige Frau. Was weibliche Unternehmensvorstandsmitglieder in Deutschland insgesamt angeht, befinden wir uns europaweit an 21. Stelle. Dafür mag es so manche Gründe geben, zum Beispiel solche, die mit der Biografie von Frauen zu tun haben. Aber es gibt mindestens genauso viele Gründe, die dafürsprechen, mehr Frauen in Führungspositionen zu verankern. Wir alle wissen, dass gerade Frauen neben der fachlichen viele andere Qualifikationen mitbringen, die von Männern so manchmal nicht an den Tag gelegt werden.
Ich brauche das gar nicht alles aufzuzählen. Ich möchte nur ein Beispiel nennen. Wir müssen gar nicht in die Ferne schauen, wenn wir nach einem Vorbild suchen: Die Bundeskanzlerin lebt als ?Führungskraft in der Bundesregierung“, wenn ich das einmal so sagen darf, gerade diese Eigenschaften in hervorragender Weise vor. Sie ist uns Frauen nicht nur im politischen, sondern auch im beruflichen Bereich ein Vorbild, und daran sollten wir uns alle ein Beispiel nehmen.
Drittens. In meinen Augen ist es so, dass die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit im Wesentlichen immer noch eine Angelegenheit der Frauen ist.
Sie sind es, die Teilzeit arbeiten, wenn Kinder zur Welt gekommen sind. Sie sind es, die auf ihre Berufstätigkeit entweder ganz oder teilweise verzichten und damit Einkommenseinbußen sowie eine schlechtere soziale Absicherung in Kauf nehmen.
Ich glaube allerdings, dass die Bereicherung - sie können die Entwicklung der Kinder verfolgen und auf die Erziehung der Kinder unmittelbar Einfluss nehmen - verstärkt auch die Väter erfahren sollen.
An diesem Beispiel wird deutlich: Es geht nicht nur um die Situation der Frauen in diesem Land, wenn verbesserte Kinderbetreuung gefordert wird, sondern es geht um die Situation der Familie und der Gesellschaft als Ganzes. Wenn von diesem Frauentag heute das Signal ausgeht, dass eine Beschäftigung mit den Frauenthemen nicht nur eine Angelegenheit von Frauen für Frauen, sondern eine Angelegenheit von uns allen ist, dann sind wir ein Stück weitergekommen; dann brauchen wir auch nicht für alles, was wir beklagen, eine gesetzliche Regelung,
sondern können mit vielem ein Vorbild sein oder ein Beispiel geben, um die Situation für die Frauen und für die gesamte Gesellschaft zu verbessern.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun die Kollegin Christel Riemann-Hanewinckel für die SPD-Fraktion.
Christel Riemann-Hanewinckel (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Noch einmal zurück auf die internationale Ebene. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat im Oktober 2000, also vor fast sieben Jahren, einstimmig die Resolution 1325 verabschiedet. Diese Resolution befasst sich mit den speziellen und vor allem überproportionalen Auswirkungen von Konflikten und Krisen auf Frauen. Sie fordert, Frauen und Mädchen in bewaffneten Konflikten vor jeglicher und vor allem vor sexueller Gewalt zu schützen. Die Resolution 1325 hebt auch die wichtige Rolle von Frauen bei der Verhütung und Lösung von Konflikten, bei der Friedenskonsolidierung und beim Wiederaufbau hervor.
Die Verabschiedung der Resolution war damals ein Meilenstein und löste eine internationale Debatte aus. Wir haben durch diese Resolution einen internationalen Rahmen für eine geschlechtersensible Friedens- und Sicherheitspolitik. Seitdem stehen Frauen zum ersten Mal nicht nur als Opfer, sondern vor allem als Friedensakteurinnen im Mittelpunkt.
Damit Frieden und Entwicklung nachhaltig sein können, fordert die Resolution 1325, dass bei allen Maßnahmen die Auswirkungen auf Frauen und Männer beachtet werden müssen. Herr Präsident, das ist eine einfache Formulierung für das etwas umständliche Wort ?Gender-Mainstreaming“. Alle Maßnahmen müssen daraufhin überprüft werden, wie sie auf Frauen und Männer jeweils wirken.
Deutschland hat in der Folge die Resolution 1325 durch verschiedene Aktionspläne bzw. Konzepte umzusetzen versucht. Die notwendige Grundlage dafür war allerdings, dass sich in der 14. Legislaturperiode die Bundesregierung in ihrer Geschäftsordnung zur Umsetzung des Gender-Mainstreamings verpflichtet hat.
International wirksam ist der Aktionsplan zur zivilen Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung. Das zentrale Thema in diesem Aktionsplan ist der Schutz von Frauen vor geschlechtsbezogener Gewalt auf der internationalen Ebene. Gleichzeitig muss aber den Frauen auf allen Ebenen die gleichberechtigte Teilhabe an der Friedenskonsolidierung und am Wiederaufbau ermöglicht werden. Das hört sich so einfach an, aber die, die in den verschiedenen Ländern waren oder Informationen darüber haben, wissen, wie schwer es für die Frauen ist, ihren Anteil, der notwendig und wichtig ist, zu erbringen.
Es gibt daneben das überregionale Konzept zur Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und Friedensförderung in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Das ist ganz wichtig für alle die Projekte, die wir von Deutschland aus in anderen Ländern mit auf den Weg bringen.
Außerdem hat sich Deutschland intensiv dafür eingesetzt, dass die Geschlechterperspektive in die Mandate von Friedensmissionen aufgenommen wurde.
Am vergangenen Sonntag und Montag, wenn ich mich recht erinnere, wurde der Film ?Die Flucht“ gesendet. Vielleicht haben manche von Ihnen diesen Film gesehen. Darüber will ich aber gar nicht reden. Nach dem zweiten Teil gab es eine Dokumentation. In dieser Dokumentation wurde ein ehemaliger russischer Offizier gefragt, warum sich die russischen Soldaten so verhalten hätten, zum Beispiel Frauen vergewaltigt hätten, ob es Rache war oder was auch immer sonst. Der ehemalige russische Offizier sagte, an einer Vergewaltigung sterbe man nicht, und außerdem müsse man verstehen, dass Männer nach wochenlangen Kämpfen ein physiologisches Bedürfnis hätten. Das sagt ein ehemaliger Offizier 62 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. In diesen 62 Jahren haben wir weltweit über viele Krisenherde und Kriege reden müssen und wieder und wieder über die ungeheuere Gewalt, die Frauen allein dadurch angetan wird, dass systematische Vergewaltigungen als Mittel der Kriegsführung eingesetzt werden.
Frauen sind weder Objekte noch Beute noch sind sie weniger Menschen als Männer. Menschenrechte sind unteilbar.
Sie gelten für Männer und Frauen, für Mädchen und Jungen. Das scheint aber noch lange nicht Allgemeingut zu sein; deshalb ist die Geschlechterperspektive notwendig und richtig, und zwar nicht nur in Krisengebieten, sondern zu allen Zeiten und an allen Orten.
Wir haben in Deutschland - dazu haben wir hier verschiedentlich schon Ausführungen gehört - einen ?Aktionsplan der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen“ verabschiedet. Dieser Aktionsplan ist bis 2005 umgesetzt worden. Ein wichtiger Punkt, um Verhaltensweisen zu ändern, ist danach vor allen Dingen, dass die Gewalt, die Frauen angetan wird, enttabuisiert wird, dass endlich darüber geredet wird und dass diese Delikte offiziell werden. Ein weiterer wichtiger Punkt war und ist die Benennung des Unrechtes. Wir wissen inzwischen, dass nur durch Veränderung von Strukturen - dazu gehört die Strafbarkeit der Gewalt - Veränderungen im Sinne der Frauen möglich sind.
Wir alle wissen, dass Regierungen und Parlamente all das allein nicht umsetzen können. Sie brauchen notwendigerweise die enge Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft und den Nichtregierungsorganisationen. Da aller guten Dinge drei sind, möchte ich an dieser Stelle noch einmal allen Frauen und Männern, die in Deutschland oder in anderen Ländern tätig sind, und allen internationalen Nichtregierungsorganisationen für ihr Engagement und ihre Arbeit danken.
Die hohen Erwartungen an die Resolution 1325 haben sich noch nicht erfüllt. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat 2005 in einer Erklärung nochmals betont, wie wichtig und dringlich es ist, diese Resolution wirksam umzusetzen. Die internationale Gemeinschaft hat auf dem Weltgipfel 2005 ihre Entschlossenheit betont, die Resolution umzusetzen. Es gibt also vielfältige internationale Appelle. Die Konferenz des UN-Weltbevölkerungsfonds hat 2006 den sogenannten Brüsseler Aktionsplan gegen sexuelle Gewalt initiiert, der sich ausdrücklich auf die Resolution 1325 bezieht. Damit ist eine Dynamik in die geschlechtersensible Friedens- und Sicherheitspolitik gekommen. Durch den Antrag der Koalition zur Resolution des Sicherheitsrates wird diese Resolution hier bei uns im Parlament und damit auch in Deutschland endlich aus dem Dornröschenschlaf geweckt.
Eine zentrale Forderung der Resolution ist - Kerstin Müller hat es vorhin schon angesprochen - nach wie vor nicht erfüllt: Deutschland hat keinen nationalen Aktionsplan. Das liegt auch an uns. Seit 2000, seit fast sieben Jahren, gibt es diese Resolution. Das Parlament hat diese Resolution bisher aber kaum zur Kenntnis genommen und in den letzten Jahren keinen Aktionsplan von der Bundesregierung gefordert. Kritisch muss ich sagen: Auch die rot-grüne Bundesregierung hat diesen Aktionsplan nicht auf den Weg gebracht.
Deshalb schlagen wir der jetzigen Bundesregierung vor bzw. fordern sie auf, den Bericht, der 2004 an die Vereinten Nationen geliefert worden ist, als Grundlage zu nehmen, ihn innerhalb eines halben Jahres fortzuschreiben und dem Parlament vorzulegen. Dann können wir gemeinsam über eine Strategie nachdenken, miteinander darüber reden und befinden, wie die Resolution 1325 in Deutschland umgesetzt werden soll.
In diesem Sinne bitte ich Sie, dem Antrag der Koalition, der heute schon zur Verabschiedung auf der Tagesordnung steht, zuzustimmen, damit wir an dieser Stelle nicht nur einen Schritt, sondern hoffentlich mehrere Schritte gemeinsam weiterkommen.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun die Kollegin Ute Granold, CDU/CSU-Fraktion.
Ute Granold (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Ministerin! Am heutigen Weltfrauentag diskutieren wir an dieser Stelle über die Situation der Frauen - nicht nur bei uns in Deutschland, sondern weltweit. Wir beleuchten die Situation aus den verschiedensten Blickwinkeln. Ich beschränke mich auf die Resolution 1325, die schon von mehreren Kolleginnen angesprochen wurde.
Lassen Sie mich zunächst sagen, dass ich mich freue, dass eine ganze Reihe von Männern anwesend ist. Jetzt ist ein grüner Mann da, bislang war keiner da. Es würde mich freuen, wenn dort mehr anwesend wären.
Es würde mich auch freuen, wenn mehr Frauen vom Kabinett anwesend wären. Unsere CDU-Frauen sind da. Leider Gottes fehlen die Kolleginnen von der SPD. Vielleicht ist das Kabinett beim nächsten Weltfrauentag komplett anwesend. Denn die Situation der Frauen ist ein Thema, das alle Ressorts betrifft. Insofern hätte der eine oder andere wichtige Punkte aus der Debatte dort in die Arbeit einfließen können. Ich denke, es werden beim nächsten Mal mehr anwesend sein.
Die internationale Situation der Frauen ist aus zwei Blickwinkeln zu beleuchten: die Rolle der Frauen zum einen bei der Prävention, zum anderen bei der Konfliktlösung bei kriegerischen Auseinandersetzungen. Hier müssen wir sehen, dass Frauen keine Außenseiterrolle, sondern eine echte Teilhabe haben, dass sie bei der Konfliktlösung mitreden können. Es geht aber auch um den Schutz der Frauen vor sexueller Gewalt und anderen Gewalttaten in Krisen und kriegerischen Auseinandersetzungen.
Die Kollegen haben es im Vorfeld schon gesagt: Es geht um die Resolution des UN-Sicherheitsrates aus dem Jahr 2000, in der es um Frauen, Frieden und Sicherheit geht. Hierbei müssen wir konsequent handeln und bestehende Missstände aufzeigen. Die Resolution wird völlig zu Recht als Meilenstein behandelt. Deshalb haben wir von der Koalition aus dem Menschenrechtsausschuss, der bei diesem Thema federführend ist, einen Antrag entwickelt, der hier im Hause sehr positiv aufgenommen wurde. Der Antrag der Grünen, Frau Müller, kommt ein bisschen spät. Wir wollen heute abstimmen. Wir hatten schon darüber gesprochen. Ich denke, die Resolution sollte jetzt zügig umgesetzt werden.
Deutschland gehört zu den Freunden in New York, die sich der Resolution angeschlossen haben und diese unterstützen. Die Bundesregierung hat der Gleichstellungspolitik in ihrem Koalitionsvertrag einen hohen Stellenwert gegeben, um die Gleichbehandlung durchzusetzen und Nachteile auszugleichen. Wir sahen und sehen das als eine Querschnittsaufgabe an, die in allen Bereichen ressortiert. Insofern, denke ich, können wir sehr flexibel auf aktuelle Krisen hier bei uns, aber auch weltweit reagieren.
Die Bundeswehr wurde angesprochen. Sie hat die Präventionspolitik und die Menschenrechtspolitik in ihr Ausbildungspaket eingebunden. Die jungen Soldatinnen und Soldaten - natürlich auch die älteren - gehen in die Krisensituationen unserer Welt gut ausgebildet. Das ist ein guter Weg. Das sollte man hier nicht kritisieren oder als fehlend bezeichnen.
Frauen sind sehr oft sexueller Gewalt ausgeliefert, und zwar als eine gezielte Kriegsstrategie. Sie - auch ihre Familien und die Gemeinschaft - werden erniedrigt, bestraft oder auch vertrieben. Denken wir an den Balkan, denken wir an Ruanda. Gruppenvergewaltigungen und sexuelle Verstümmelungen wurden angesprochen. Oder denken wir zum Beispiel - wir waren mit dem Menschenrechtsausschuss in Ruanda - an die Tutsifrauen, die öffentlich nackt zur Schau gestellt wurden. Denken wir an die jungen Frauen in Sierra Leone, die sich erklären mussten, wenn sie Jungfrauen waren. Sie wurden dann jede Nacht von den Offizieren vergewaltigt und missbraucht. Denken wir an die vielen Kindersoldatinnen weltweit, die zwangsrekrutiert werden, die als Kämpferinnen, Köchinnen und Sexsklavinnen abgerichtet werden. Wir haben das in Uganda, in Ruanda und im Kongo gesehen. Sie kehrten nach den Auseinandersetzungen - wenn sie überhaupt zurückgekehrt sind - schwer traumatisiert zurück. Sie wurden vergewaltigt, haben Kinder oder sind aidsinfiziert.
Alle diese Situationen sehen wir nahezu tagtäglich auf unseren Bildschirmen. Hier müssen wir ein Zeichen setzen und dürfen nicht die Augen verschließen. Wir müssen uns darum kümmern, dass diesen Menschen geholfen wird.
Aber die Gewalt geht nicht nur von Soldaten und Fremden, bedauerlicherweise sogar von UN-Friedenstruppen, sondern auch von männlichen Familienangehörigen aus, und zwar dann, wenn diese nach Einsätzen in militärischen Konflikten nach Hause zurückkehren. Studien der US-Armee haben gezeigt, dass die Aggressionen, die dann noch bestehen, an die Ehefrauen und Lebensgefährtinnen in diesen Armeefamilien weitergegeben werden. Das ist kein Phänomen, das nur in Amerika auftritt, sondern es handelt sich um ein weltweites Phänomen, dass sich solche Art von Gewalt noch lange Zeit auf die Familien und die Kinder auswirkt.
In einer Studie der Weltgesundheitsorganisation wurde auch festgestellt, dass in Konfliktregionen die Gewalt mittlerweile dadurch relativiert wird, dass die Verbreitung von Waffen schon fast als normal angesehen wird und Gewaltbereitschaft kein Thema mehr ist, das diskutiert wird, sondern hingenommen wird. Diese Gewaltbereitschaft, die weit über die Dauer der Konflikte hinaus bestehen bleibt, bringt sehr viel Leid über die Menschen.
Es ist auch festzustellen, dass die Gewalt, die insbesondere Frauen erfahren - sexuelle Gewalt, aber auch andere Gewalt -, häufig nicht geahndet wird, weil die Justiz nicht funktioniert. Entweder gibt es gar keine entsprechenden Strukturen oder die Justiz ist geschwächt.
Frauen sind nicht allein Opfer, sondern auch Handelnde. Sie sind eine Stütze, wenn die kriegerischen Auseinandersetzungen vorbei sind. Sie kümmern sich um die Familie und den Wiederaufbau der Gesellschaft. Sie nehmen von daher eine wichtige stabilisierende Funktion wahr.
Die Anliegen der Resolution brauche ich nicht weiter auszuführen, da sie bekannt sind; meine Vorrednerin hat sie gerade schon dargestellt. Wir wollen mit unserem Antrag erreichen, dass auf EU-Ebene, aber auch auf UN-Ebene eine neue Dynamik zur Umsetzung der Resolution entsteht.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin!
Ute Granold (CDU/CSU):
Hierfür müssen die Aktionspläne der EU wirksam umgesetzt werden. Dabei besteht über die EU-Ratspräsidentschaft die Möglichkeit, das Thema erneut auf die Agenda zu setzen.
In diesem Sinne bitte ich Sie, insbesondere Sie von den Grünen, deren Antrag wichtige Dinge beinhaltet, aber größtenteils deckungsgleich mit unserem Antrag ist, heute unserem Antrag zuzustimmen.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Zum Schluss dieser Debatte erhält die Kollegin Ursula Heinen für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Ursula Heinen (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte zum diesjährigen Weltfrauentag
zeigt uns, wie ich glaube, sehr deutlich, in wie vielen Bereichen tatsächlich Handlungsbedarf besteht, bis wir von gleichen Rechten und Chancen für Männer und Frauen in unserem Land, aber auch international sprechen können. Wir haben gerade sehr intensiv über die internationale Politik und die internationale Situation von Frauen diskutiert. Es ist aber nicht so, dass hier in Deutschland alles so schön ist, wie wir uns das wünschen würden.
Aus diesem Grund haben wir in den Koalitions-, aber auch in den Oppositionsfraktionen gesagt, dass wir uns mit dem Thema, wie es mit der Chancengerechtigkeit im Erwerbsleben - ob die Herstellung von Chancengleichheit wirklich möglich ist, ist eine sehr philosophische Frage - tatsächlich aussieht, beschäftigen müssen. Wir erleben da, dass Frauen mit wesentlich mehr Hürden zu kämpfen haben als Männer. Das führt zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen bei den Verdienst- und Karrieremöglichkeiten.
Fangen wir einmal mit der Erwerbstätigenquote an. Sie liegt in Deutschland noch nicht einmal bei 60 Prozent. Das ist ein sehr niedriger Wert im europäischen Vergleich. In Ländern wie Dänemark oder Schweden liegen die Frauenbeschäftigungsquoten bei über 70 Prozent.
Eva Möllring hat von der Lohnschere gesprochen. 1995 verdienten die Frauen ?nur“ 21 Prozent weniger als die Männer, heute sind es 23 Prozent weniger. Mit den Gründen, woran das liegt, müssen wir uns auseinandersetzen. Wenn wir nur die Stundenlöhne betrachten, kommen wir auf einen Unterschied von 26 Prozent.
Ein Grund ist sicherlich die Ausbildungs- und Berufswahl. Die jungen Frauen konzentrieren sich bei ihrer Ausbildungs- und Berufswahl im Grunde auf zehn Ausbildungsberufe: Bürokauffrau, Kauffrau im Einzelhandel, Arzthelferin, Friseurin, zahnmedizinische Fachangestellte, Industriekauffrau, Fachverkäuferin im Nahrungsmittelhandwerk, Kauffrau für Bürokommunikation, Verkäuferin und Hotelfachfrau. Das sind die Berufe, die junge Mädchen wählen. Aber das sind eben auch die Berufe, die im Schnitt schlechter bezahlt werden als die vergleichbaren - in Anführungsstriche zu setzenden - ?Männer-“ oder ?Jungenberufe“.
Wir haben das Problem des geringen Anteils von Frauen in Führungspositionen. Da gilt die einfache Regel: Je größer das Unternehmen, desto geringer der Anteil von Frauen in Führungspositionen, bis hin zu den DAX-Unternehmensvorständen, in denen keine einzige Frau sitzt. Ich finde es für ein hochentwickeltes Land wie die Bundesrepublik Deutschland ein Armutszeugnis, wenn wir es nicht schaffen, zu erreichen, dass Frauen in Unternehmen auch in den Toppositionen zu finden sind.
Wir müssen klar die kleinen und mittelständischen Unternehmen loben, die es tatsächlich schaffen, Frauen und Männer zusammenzubringen bzw. die Qualifikationen von Frauen für ihre Bedürfnisse stärker zu nutzen, als das die großen Unternehmen tun.
Im Hochschulbereich sieht es so aus: Bei den Juniorprofessoren beträgt der Anteil der Frauen noch 30 Prozent; bei den C-4-Stellen liegt er gerade noch bei 10 Prozent. Wir sind froh, dass wir mit Annette Schavan eine Bildungs- und Forschungsministerin haben, die sich dieses Themas annimmt und uns dabei unterstützt, zu erreichen, dass die Frauen im Bildungsbereich und in der Forschung besser anerkannt werden, als das bislang der Fall gewesen ist.
Jetzt kommen wir zu einem ganz entscheidenden Thema, nämlich zu der Frage der familienfreundlichen Arbeitswelt. Das ist das Kernproblem. Wir haben die Vereinbarkeit von Familie und Beruf tatsächlich noch nicht. An den Frauen - Gerda Hasselfeldt hat es erwähnt - hängt die Organisation der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Nur wenn die Unternehmen sich darauf einstellen, familienfreundlichere Arbeitsplätze einzurichten, haben wir eine Chance, dass es besser wird.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat in Unternehmen eine Umfrage über freiwillige Regelungen, die die Zusammenarbeit vereinfachen, durchgeführt. Dabei ist herausgekommen, dass gerade einmal 8,4 Prozent der Unternehmen über flexible Arbeitszeitgestaltung verfügen. Nur 4,6 Prozent bieten tatsächlich Teilzeitarbeit an. Teleheimarbeit gibt es nur bei 2,9 Prozent der Unternehmen. Das sind große Probleme, die wir haben und an denen wir arbeiten müssen.
Lassen Sie mich zum Schluss am Weltfrauentag eines sagen: Erst einmal danke ich allen Kolleginnen, die mitgekämpft haben, dass es uns wesentlich besser geht und dass wir auf das Thema aufmerksam machen. Es ist, auch in den eigenen politischen Parteien, nicht immer leicht, die Frauenthemen in den Mittelpunkt zu rücken, Hartmut Koschyk.
Aber ich denke, dass wir auf einem guten Weg sind. Schließlich sollten wir heute am Weltfrauentag all den Frauenministerinnen danken, die wir in diesem Land hatten: angefangen bei Rita Süssmuth über Claudia Nolte, Angela Merkel, Dr. Christine Bergmann und Renate Schmidt bis hin zu Ursula von der Leyen, die einen nicht immer ganz einfachen Kampf führt, aber schon viel für die Sache der Frauen in unserem Land erreicht hat.
Danke schön.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe auf der Drucksache 16/4499 zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD mit dem Titel ?UN-Resolution 1325 - Frauen, Frieden und Sicherheit - konsequent umsetzen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/3501 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Dann ist diese Beschlussempfehlung bei Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.
Beim Tagesordnungspunkt 3 b geht es um die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf der Drucksache 16/4524. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/712 mit dem Titel ?Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt verwirklichen - Innovationshemmnis Männerdominanz beenden“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit Mehrheit angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/832 mit dem Titel ?Frauenpolitik - Gesellschaftlicher Erfolgsfaktor“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/833 mit dem Titel ?Gleichstellungsgebot des Grundgesetzes auf dem Arbeitsmarkt durchsetzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/3776, 16/4558 und 16/4555 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 c sowie Zusatzpunkt 4 auf:
4. a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Christel Happach-Kasan, Hans-Michael Goldmann, Dr. Edmund Peter Geisen, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Gentechnikgesetzes
- Drucksache 16/4143 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Höfken, Bärbel Höhn, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Schutz von Mensch und Umwelt bei Freisetzungsexperimenten gewährleisten
- Drucksache 16/4556 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken, Cornelia Behm, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Bei gentechnisch veränderten Pflanzen nationales Recht auf Einfuhrverbote und Schutzmaßnahmen nutzen
- Drucksachen 16/1176, 16/4574 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Max Lehmer
Elvira Drobinski-Weiß
Hans-Michael Goldmann
Dr. Kirsten Tackmann
Ulrike Höfken
ZP 4 Beratung des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) gemäß § 56 a der Geschäftsordnung
Technikfolgenabschätzung (TA)
TA-Projekt: Grüne Gentechnik - transgene Pflanzen der 2. und 3. Generation
- Drucksache 16/1211 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache wiederum eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich bitte, den aufgrund des neuen Tagesordnungspunktes nahe liegenden Schichtwechsel erstens möglichst geräuschlos und zweitens möglichst zügig zu vollziehen, damit die Redner die nötige Aufmerksamkeit finden.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst der Kollegin Dr. Christel Happach-Kasan für die FDP-Fraktion.
Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kunst des Buchdruckens wurde zuerst in China entwickelt. Johannes Gutenberg - wir müssen uns das eingestehen - kam erst 500 Jahre später. In China setzte sich die Buchdruckerkunst nicht durch; sie fand keinen Markt. Warum? Weil die Menschen nicht lesen konnten. Genauso geht es zurzeit der Grünen Gentechnik. Die Menschen verstehen ihre Vorteile nicht. Das Bild, das ich Ihnen gezeichnet habe, ist stimmig. Es stammt aus einer Rede des SPD-Europa-Abgeordneten Rolf Linkohr.
Weiter führt er aus: ?Doch mit jeder Protestbewegung verlor Deutschland Zeit und Kompetenz in Schlüsselbereichen der Technik.“ Genau dies wollen wir als FDP verhindern.
Der Grünen Gentechnik wird mit Zweifeln begegnet. Das ist bei Innovationen nicht ungewöhnlich; aber in Deutschland ist es besonders stark ausgeprägt. Eine Studie der Deutschen Telekom Stiftung hat ergeben, dass das gesellschaftliche Klima in Deutschland besonders innovationsfeindlich ist. Unter zwölf Nationen nehmen wir Platz 10 ein. Es ist eine politische Aufgabe, in Kenntnis der gesellschaftlichen Erfordernisse dieser Innovationsscheu zu begegnen.
Wir als FDP nehmen die vorhandenen Zweifel gegenüber der Grünen Gentechnik ernst.
Zweifel ernst zu nehmen, heißt nicht, Ängste zu bestätigen, für die es keinen nachvollziehbaren Grund gibt.
Zweifel ernst zu nehmen, heißt, Aufklärungsarbeit zu leisten. Das tun wir.
Wenn wir den Kern der Zweifel gegenüber der Grünen Gentechnik einmal genauer untersuchen, dann stoßen wir ausschließlich auf theoretische Überlegungen, aber nicht auf Tatsachen. Es gibt keine Tatsachen, die gegen den Anbau von gentechnisch veränderten Sorten sprechen.
Zugelassene gentechnisch veränderte Sorten sind sicher und vielfach anderen Sorten überlegen. Sie sind somit gentechnisch verbessert.
Herr Kollege Kelber, wenn Sie Zweifel an der Arbeit der Zulassungsbehörden der Bundesrepublik Deutschland und an der EFSA haben, dann sind Sie als Regierungspartei gefordert, etwas an der Struktur der Behörden und am gesetzlichen Verfahren zu ändern. Sie können aber nicht einfach nur herummotzen.
Es ist im Übrigen nicht überraschend, dass kontinuierlich seit elf Jahren von Jahr zu Jahr mehr gentechnisch verbesserte Pflanzen angebaut werden. Inzwischen geschieht dies auf über 100 Millionen Hektar. Dies entspricht dreimal der Ackerfläche von Deutschland.
Nehmen Sie zur Kenntnis: Gentechnisch veränderte Pflanzen sind ein Erfolgsmodell. Wir von der FDP wollen die Nutzung gentechnisch veränderter Pflanzen für Verbraucherinnen und Verbraucher genauso wie für Landwirte.
Deswegen legen wir eine Novelle zum Gentechnikgesetz vor. Unser Gesetzentwurf schafft Rechtssicherheit; das ist das erste Gebot. Die Forschung wird erleichtert; das fordern Sie von der Koalition. Die Bürokratie wird abgebaut; auch das fordern Sie. Die Felder der Landwirte, die in den Regionen des Maiszünslers Bt-Mais anbauen wollen, werden geschützt. Auch das steht in Ihrem Eckpunktepapier.
Gleichzeitig wird der hohe Schutz von Natur und Umwelt erhalten.
Nutzen für die Umwelt bringt die Stärkekartoffel; Umweltminister Gabriel hat es hier im Plenum gesagt. Nutzen für Natur und Umwelt bietet der Bt-Mais, so das Bayerische Umweltministerium. Schauen wir in die Schwellenländer: Dort helfen gentechnisch veränderte Pflanzen, die Armut zu mindern.
- Ja, es ist so. Nehmen Sie die Ergebnisse der Universität Hohenheim zur Kenntnis! Dann wissen Sie es.
Die Verzögerung der Zulassung der Stärkekartoffel ist ärgerlich, aber sachlich unbegründet.
- Sie ist sachlich unbegründet. Sie wissen, der np-II-Marker ist bewährt und in vielen anderen Konstrukten ebenfalls enthalten. Eine Verzögerung ist sachlich völlig unbegründet.
- Ich habe alle Studien gelesen. Es ist schlicht falsch, was Sie da behaupten.
Sie machen Stimmung, und Sie werden Ihrer Aufgabe nicht gerecht.
- Die WTO hat etwas zu Kanamycin gesagt.
- Ich weiß, die WHO hat etwas dazu gesagt. Trotzdem ist die Kritik nicht gerechtfertigt.
- Nehmen Sie doch einfach einmal Studien zur Kenntnis. Sie wissen ganz genau, dass wir auf 100 Millionen Hektar Flächen, auf denen gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut wurden, keinerlei Schwierigkeiten und keinerlei Probleme gehabt haben, die über andere Probleme hinausgehen. Das wissen Sie. Nehmen Sie es endlich zur Kenntnis!
Nehmen Sie auch zur Kenntnis, dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft Ihr Eckpunktepapier massiv kritisiert hat! Nehmen Sie weiterhin zur Kenntnis, dass die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie die Grüne Gentechnik befürwortet. Hubertus Schmoldt sagte - orientieren Sie sich bitte schön auch einmal an der Weisheit der Gewerkschaften -:
Die Gentechnik, also auch die grüne Gentechnik, zählt zu den ganz wichtigen Zukunftsbranchen. Deutschland darf hier international den Anschluss nicht verlieren ...
Hubertus Schmoldt weiß, dass Deutschland schon einmal eine Zukunftschance in den Wind geschlagen hat. Das war die Sache mit dem Humaninsulin. 1982 wurde es zugelassen; aber erst 1998 wurde die entsprechende Fabrik eingeweiht. Im selben Jahr sagten die Grünen in ihrem Programm:
Gentechnologie ist eine genetische Umweltverschmutzung.
Das ist totaler Quatsch, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen.
Innovationen sind wie Äpfel; sie bleiben nicht ewig frisch. Deutschland hat seine führende Position in der Pharmazie verloren. Dies hat seine Ursache auch in der mangelnden Weitsicht politischer Entscheidungsträger, zum Beispiel in der eines Joseph Fischer.
Der Staatssekretär im Forschungsministerium fordert auf öffentlichen Veranstaltungen ?politische Führung“, das Werben um Akzeptanz für die Grüne Gentechnik. Aber wo bleibt die politische Führung dieser Bundesregierung, wenn es zum Beispiel um Freisetzungsversuche in Gatersleben geht, die forschungspolitisch sinnvoll sind? Wo bleiben Ihre Richtigstellungen, wenn Verbände absoluten Unsinn behaupten? Ich vermisse diese. Sie reden viel und handeln überhaupt nicht.
Bei der Grünen Gentechnik sitzen CSU und Grüne in einem Boot. Lakritz und Spinat traut vereint an der Pinne; das kann nicht gut gehen. Diese Fahrt führt ins Schilf. Die flammenden Plädoyers der CSU zur Grünen Gentechnik haben wir alle noch im Ohr, zum Beispiel die Forderung von Gerda Hasselfeldt
nach einer Novellierung des Gentechnikgesetzes sofort nach Übernahme der Regierung.
Franz Müntefering hat hier im Parlament gesagt, es sei unfair, die Politik an Wahlversprechen zu messen. Da hat er für die CSU gleich mitgesprochen. Doch genau diese Schnoddrigkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen von CSU und der SPD,
wenn also Aussagen vor der Wahl nach der Wahl vergessen sind, untergräbt die Glaubwürdigkeit der Politik.
?Wir können es uns nicht mehr leisten, die Gentechnik wie eine heiße Kartoffel vor uns herzuschieben“, sagte der SPD-Vorsitzende Kurt Beck auf dem Braunschweiger Kreisbauerntag. Er hat selten so viel Beifall von Bauern bekommen wie auf diesem Kreisbauerntag. Hören Sie ihm zu!
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Frau Kollegin, ich muss Sie an Ihre Redezeit erinnern.
Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Ich komme zum Schluss.
Der Umgang mit Innovationen ist eine Herausforderung für eine alternde Gesellschaft. Innovationsfeindliche Politik ist immer auch mittelstandsfeindlich. Denn mit den jungen Akademikerinnen und Akademikern verlassen Menschen das Land, deren Wissen uns fehlt, die hier Aufträge vergeben und den Mittelstand tragen könnten.
Ich bin froh, dass die FDP-Bundestagsfraktion mit der Vorlage ihres Gesetzentwurfes Bewegung in die Debatte gebracht hat. Ohne unseren Antrag gäbe es heute noch kein Eckpunktepapier der Bundesregierung. Ich fordere die Regierung auf, zu handeln, wie sie es den Menschen im Koalitionsvertrag versprochen hat: für mehr Anwendung der Grünen Gentechnik in Forschung und Landwirtschaft. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Peter Paziorek.
Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz:
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, verehrte Kollegin Happach-Kasan, ob ich es eben richtig verstanden habe; aber ich meine, in Ihrem letzten Satz hätten Sie gesagt, die Bundesregierung habe noch kein Eckpunktepapier vorgelegt.
- Ach so. - Also zur Klarstellung: Die Bundesregierung hat am 28. Februar 2007 das Eckpunktepapier zur weiteren Novellierung des Gentechnikrechts verabschiedet. Dieses Eckpunktepapier stellt einen ausgewogenen Kompromiss dar, der die unterschiedlichen Bewertungen aus politischer und wissenschaftlicher Sicht aufgreift.
Ich glaube, dass dieses Eckpunktepapier damit auch eine politische Antwort auf diese Bewertungen gibt. Die Bundesregierung hat im Vorfeld der Verabschiedung dieses Eckpunktepapiers einen breiten Dialogprozess durchgeführt. Alle Interessengruppen sind angesprochen worden, ganz bewusst auch, um die Risiken, aber auch die Chancen der Gentechnik in einem solchen Eckpunktepapier aufzugreifen.
Was muss bei einem solchen Abwägungsprozess berücksichtigt werden? Ich stelle diese Frage, Frau Happach-Kasan, ganz bewusst an den Anfang meiner Ausführungen. Denn wir müssen natürlich aufpassen. Sie haben in der Begründung zu Ihrem Gesetzentwurf einen zentralen Satz geschrieben, den ich in dieser Form nicht unterschreiben möchte. Er lautet: Über die Einführung der Gentechnik entscheidet der Markt.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob der Markt allein die Kriterien in ausreichendem Umfang zur Verfügung stellt, um die Gentechnik wirklich verantwortungsbewusst einzuführen. In diesem Punkt gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen uns und Ihnen.
Was sind also solche Abwägungskriterien?
- Ich will gerade den Prozess darstellen, Herr Goldmann. Sie haben das auch angesprochen.
Wir müssen die Bedenken der Bevölkerung hinsichtlich der Einführung der Gentechnik ernst nehmen. Auf der anderen Seite erklären viele Forschungseinrichtungen, dass gentechnisch veränderte Pflanzen interessante Perspektiven bieten können. In diesem Zusammenhang werden die Bereiche Ernährung, Gesundheit und nachwachsende Rohstoffe angesprochen. In Bezug auf die nachwachsenden Rohstoffe stellt sich zum Beispiel die Frage, ob der Energiegehalt verbessert werden kann. Wenn wir von Energiesicherheit sprechen, ist das eine spannende Frage. Gibt es darauf eine Antwort?
Im Bereich der Umweltpolitik stellt sich zum Beispiel die Frage, ob man mittels der Gentechnik Pflanzen entwickeln kann, die uns helfen, die Probleme bezüglich der Belastung der Böden zu lösen.
Mit anderen Worten: Es gibt in der Tat interessante Perspektiven in diesem Bereich. Andererseits weiß niemand, ob diese Chancen Realität werden können. Keiner in diesem Saal will die Frage nach den Risiken vom Tisch wischen. Deshalb muss man auch das ernst nehmen.
Wenn Chancen und Risiken gegeben sind, stellt sich doch die spannende Frage, welcher Weg gefunden werden muss, um diese offenen Fragen zu beantworten. Ich möchte im Folgenden Antworten zu drei Punkten geben, nämlich Forschung, Wahlfreiheit der Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Haftung und Transparenz.
Ich sage ganz offen: Wer so an diese Fragen herangeht, nämlich Chancen und Risiken zu sehen, der muss ein grundsätzliches Ja zur Forschung sagen, ein Ja zur Sicherheitsforschung und natürlich auch ein Ja zur Entwicklungsforschung, um die Chancen auszuloten.
Das bedeutet, wir brauchen auch Freisetzungen. Freisetzung bedeutet, nicht nur im Labor, sondern auch in der Praxis zu schauen, ob das tatsächlich zu realisieren ist.
Wenn ich mir den Antrag anschaue, den die Fraktion des Bündnises 90/Die Grünen vorgelegt hat, stelle ich fest, dass dieser einen Grundtenor hat: überhaupt keine Freisetzung, also auch keine Forschung draußen. Ich muss klar und deutlich sagen: Dieser Antrag geht von dem Grundsatz aus, dass man die Chancen überhaupt nicht sehen will. Auch eine solche Position muss man, wenn man verantwortungsvolle Politik macht, ablehnen. Es wäre völlig falsch, schon jetzt alles abzuschreiben.
Deshalb, meine ich, müsste der Ansatz so gestaltet werden, wie es die Koalition und die Bundesregierung in ihrem Beschluss vom 28. Februar festgelegt haben. Wir brauchen Forschung unter Sicherheitsaspekten, darüber hinaus brauchen wir Forschung im Bereich der Entwicklung. Die dazugehörigen Verfahren müssen pragmatisch umgesetzt werden. Die Bundesregierung hat sich im Eckpunktepapier dafür ausgesprochen, ein weiteres Gesetz zur Änderung des Gentechnikrechtes auf den Weg zu bringen, um zum Beispiel Verfahren der Freisetzung, in denen genügend Sicherheitserfahrungen vorliegen, einfach auszugestalten.
Mein zweites Stichwort, das für das Papier wesentlich ist, ist der Grundsatz der langfristigen Einhaltung der Wahlfreiheit der Verbraucherinnen und Verbraucher. Ziel unserer Politik muss bleiben, allen tatsächlich die Möglichkeit einzuräumen, auf gentechnikfreie Lebensmittel zurückzugreifen. Jeder muss selbst entscheiden können, was er kaufen will. Wenn das so angepackt wird, bedeutet das für die Produktion und Anwendung, dass ganz bestimmte Koexistenzregeln verabschiedet werden müssen; denn erst wenn die Koexistenz dieser Bereiche möglich ist, kann der Verbraucher davon ausgehen, dass er tatsächlich wählen kann. Ich glaube, hierfür haben wir einen guten Ansatz gefunden.
Wir werden jetzt daran gehen, die gute fachliche Praxis bei der Erzeugung gentechnisch veränderter Pflanzen in einer Rechtsordnung zu definieren. Hier stellt sich die spannende Frage der Mindestabstände. Wir gehen davon aus, dass der Mindestabstand bei den beiden Anbauarten von Mais 150 Meter betragen soll. Aufgrund wissenschaftlicher Untersuchungen ist dieser Abstand ausreichend, um für die nötige Sicherheit zu sorgen. Ich denke, dass wir damit dem Bedürfnis nach Wahlfreiheit verantwortungsbewusst nachkommen.
Der dritte Schwerpunkt des Eckpunktepapiers umfasst die Regelungen für Transparenz und Haftung. Der Leitsatz des Eckpunktepapiers lautet: Die Betroffenen informieren und Transparenz sichern. Die Betroffenen wollen wissen, wann sie mit der Gentechnik in Berührung kommen. Allerdings ist es - das muss man deutlich sagen - in der Vergangenheit immer wieder zur Zerstörung von Feldern mit gentechnisch veränderten Pflanzen gekommen. Manche Felder, die zu Forschungszwecken angelegt wurden, sind bewusst zerstört worden. Das ist nicht richtig. So kann man nicht zur Ausgewogenheit kommen. Die rechtlichen Probleme, die damit verbunden sind, will ich hier gar nicht erwähnen.
Die Nachbarn der GVO-Verwender werden vom Anbau informiert. Im Standortregister soll in Zukunft nur noch die Gemarkung angegeben werden. Ich sage das so deutlich, weil dieser Aspekt in der Öffentlichkeit bisher noch nicht berücksichtigt worden ist. Jeder soll allerdings die Möglichkeit erhalten, beim BVL eine Anfrage über das konkrete Grundstück zu stellen, solange bei ihm nicht Tatsachen den Verdacht begründen, dass die Anfrage einer Feldzerstörung dienen soll. Mit anderen Worten: Die Offenheit in dieser Frage ist gegeben. Wir wollen alles tun, damit es zukünftig nicht zu Feldzerstörungen kommt. Das muss an dieser Stelle politisch deutlich herausgestellt werden.
- Ihr Zuruf ist sehr interessant, Frau Höhn. Wenn sich Ihr Zwischenruf ?Wenn Sie keine anderen Probleme haben!“ auf meine Ausführungen bezieht,
dann, muss ich sagen, haben Sie den falschen Ansatz.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höhn?
Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz:
Ja, natürlich gern, schließlich habe ich sie direkt angesprochen.
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Paziorek, ich möchte klarstellen, dass sich mein Zwischenruf nicht auf Sie bezog, sondern auf den Kollegen Kelber.
Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz:
Das nehme ich zur Kenntnis.
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich habe deutlich und klar gesagt, dass ich Feldzerstörungen für nicht in Ordnung halte. Das war in der Vergangenheit meine Position und wird auch in Zukunft meine Position sein.
Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz:
Ich nehme das zur Kenntnis, danke.
Ein anderer Aspekt der Transparenz ist die Kennzeichnung. Auf der Grundlage des Eckpunktepapiers streben wir die Kennzeichnung aller Produkte an, die unter Einsatz gentechnisch veränderter Organismen hergestellt worden sind. Damit würde einer von der Verbraucherseite erhobenen Forderung nach mehr Transparenz auch bei tierischen Produkten Rechnung getragen werden. Das ist unsere Absicht. Es wäre vielleicht an dieser Stelle schön, wenn Sie, Frau Höhn, das nachher in Ihrem Redebeitrag auch einmal lobend erwähnen würden. Es ist ganz klar, dass wir in dem Eckpunktepapier eine solche Beschlusslage vorgenommen haben.
Eines sage ich aber auch deutlich: Diese Fragen müssen europaweit gelöst werden. Es hätte keinen Zweck, wenn wir diese Fragen nur national in Deutschland regeln würden. Aufgrund der Offenheit der Märkte würde das nachher wieder ausgeklinkt werden.
Wir wollen natürlich die Haftungsregelung präzisieren. Gerade das ist in der Presseberichterstattung der letzten Tage ein ziemlich oft zitierter Punkt gewesen. Hier muss man klar und deutlich sagen: Dazu gibt es in der öffentlichen Diskussion viele Missverständnisse. Die Haftungsfragen bei den Mangelfolgeschäden können nur im Rahmen der Rechtsprechung, zum Beispiel auch der obersten deutschen Gerichte, präzisiert werden. Das heißt also: All das, was - auch von der rot-grünen Vorgängerregierung - mit der sogenannten gesamtschuldnerischen Haftung in dieser Frage vereinbart wurde, hat zwar den Personenkreis der möglichen Haftenden geklärt - mit all den umstrittenen Diskussionen hier im Bundestag -, hat aber nicht ein neues Rechtsinstitut geschaffen, mit dem weitere Haftungstatbestände bei Mangelfolgeschäden entwickelt werden könnten. Mit anderen Worten: Hier wird sehr oft eine andere rechtliche Position bei dem Begriff Haftung unterschoben, die in der Diskussion bis jetzt nie eine rechtliche Relevanz gehabt hat.
Um das noch einmal mit Öffentlichkeitswirkung nach außen klarzustellen, haben wir in dem Eckpunktepapier gesagt: Wir werden uns dieses Thema noch einmal vornehmen und werden dazu auch einen Fachkongress durchführen, um - ich habe am Anfang gesagt, es gibt große Bedenken in der Öffentlichkeit - Informationsprozesse zu dieser Frage in Gang zu setzen und die Öffentlichkeit über den Streitstand zu informieren und sie mitzunehmen. Dadurch soll deutlich gemacht werden, was überhaupt dahintersteckt, wenn hier die Haftungsfrage kontrovers diskutiert wird.
Wenn man das so zusammenfasst, dann muss ich sagen: Dieses Eckpunktepapier, dieser Beschluss der Bundesregierung ist ein verantwortungsbewusster Umgang mit der öffentlichen Diskussion, aber auch mit den öffentlichen Kriterien der Chancen und der Risiken. Dieses Papier stellt wirklich einen Ausgleich dar. Ich glaube, wir können deshalb abschließend sagen: Wir sind hier mit diesem Eckpunktepapier auf einem richtigen Weg; denn es werden die Interessen von Umweltschutz, Gesundheitsschutz, Verbraucherinformation und Forschungsförderung berücksichtigt. Damit wird dieses Papier auch den Vorgaben des Koalitionsvertrages gerecht, die Gentechnik weiter zu fördern, aber mit Augenmaß.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann für die Fraktion Die Linke.
Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Die vorliegenden Drucksachen zu dieser Debatte weisen mit einer Ausnahme auf das eigentliche zentrale Problem der Agrogentechnik hin, nämlich dass gesundheitlichen und ökologischen Risiken ein sehr strittiger Nutzen gegenübersteht. Nur der Gesetzentwurf von der FDP blendet diese Tatsache aus und setzt auf grenzenlosen Fortschritt. Aber das kennen wir. Daher möchte ich mich mit dem Minister auseinandersetzen - Herr Paziorek, da müssen Sie jetzt einmal durch.
Es hat schon etwas Tragikomisches, liebe Kolleginnen und Kollegen: Da bin ich als Linke einmal in meinem Leben ausnahmsweise der gleichen Meinung wie der CSU-Generalsekretär, wie eine Bevölkerungsmehrheit in Bayern und wie die katholische Kirche - ich habe zwar andere Gründe für die Ablehnung der Gentechnik, aber immerhin -, und ausgerechnet dann verweigert der zuständige Minister die Gefolgschaft und lässt in der vergangenen Woche das Eckpunktepapier zur Agrogentechnikförderung, von dem schon die Rede war, im Kabinett absegnen.
Um die Tragik noch zuzuspitzen: Die SPD-Ministerinnen und -Minister lassen bei dieser Gelegenheit auch noch ihre eigene Fraktion im Stich. Dabei wäre das Positionspapier der SPD-Fraktion vom Januar 2007 allemal besser gewesen als das Seehofer’sche Lobbypapier.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie werden heldenhaften Widerstand aufbringen müssen, aber Sie haben die Chance, Ihre Vertrauenswürdigkeit wiederherzustellen.
Aber machen wir doch einmal einen Glaubwürdigkeitscheck beim Minister: Er betont immer wieder, dass die sogenannte Koexistenz zwischen Anwendern und Nichtanwendern der Agrogentechnik selbstverständlich garantiert werden müsse, als Anwendungsvoraussetzung geradezu. Es lohnt sich also ein prüfender Blick.
Bei der so genannten Koexistenz geht es zum Beispiel darum, mit welchen Maßnahmen man die Auskreuzungen in das Erntegut des Nachbarn verhindern kann. Ich denke zwar, dass es beim Mais andere, wichtigere Verschleppungswege gibt, wie Resterntegut auf dem Acker, Transport- und Verarbeitungswege usw. Aber zu diesen Hauptrisiken sagt das Eckpunktepapier gar nichts; bleiben wir deswegen bei den Auskreuzungsgefahren. Wir hatten im Oktober 2006 zu diesem Thema eine Anhörung im Bundestagsausschuss. Einer der Experten war Dr. Rühl von der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft; das ist die Agrarressortforschungseinrichtung, die die Politikberatung der Bundesregierung bei diesem Thema leistet. Er stellte klar, dass für eine Festlegung des Sicherheitsabstands zwischen Feldern, auf denen gentechnisch veränderter Mais angebaut wird, und solchen, auf denen konventioneller Mais angebaut wird, aus seiner Sicht zurzeit noch keine ausreichende Datenbasis verfügbar ist.
Ich persönlich würde ohnehin auf internationale Erfahrungen verweisen, die dagegen sprechen, dass es so etwas wie eine dauerhafte Koexistenz geben kann. Aber ich will jetzt Dr. Rühl wortwörtlich zitieren:
Dafür brauchen wir mehrjährige Feldversuche. Aus ein- oder zweijährigen Versuchen lässt sich ... relativ schlecht etwas Abgesichertes ableiten.
Das sagt also die fachlich zuständige Bundesforschungsanstalt zu den Voraussetzungen von politischen Entscheidungen, die der Herr Minister jetzt kühn fällt. Die gerade begonnene FAL-Studie ist auf fünf Jahre angelegt; wir werden die Ergebnisse also erst 2010 vorliegen haben. Die einzig logische Konsequenz müsste dann doch darin bestehen, im Sinne des Vorsorgeprinzips ein Moratorium zu verhängen, die Feldversuche zeitweilig auszusetzen.
Stattdessen übt sich der Minister kühn im Abschätzen: Er nimmt den fiktiven Wert von 100 Metern Abstand, bei dem angrenzender Mais ?nur noch ein bisschen“ verunreinigt werde. Anstatt die technische Nachweisgrenze von 5 auf 100 000 Körner zum Maßstab zu machen, legt er fest, dass 9 von 1 000 Körnern in konventionellem Mais gentechnisch verändert sein dürfen, ohne dass dafür jemand haftbar gemacht werden könnte. Großzügig legt er seinerseits einen Sicherheitsabstand von 50 Metern oben drauf, sodass er auf 150 Meter Abstand kommt. Diese ministerielle Herleitung hat mindestens einen Haken: Sie widerspricht schlicht den Expertenempfehlungen. Ich zitiere wieder, was Dr. Rühl von der FAL in der Anhörung gesagt hat:
150 Meter beim Mais ist definitiv keine Garantie dafür, dass ab diesem Punkt urplötzlich das Ganze bei Null ist.
Die EU schreibt ausdrücklich vor, dass Auskreuzungen nur dann zulässig sind, wenn sie technisch unvermeidbar oder zufällig sind. Aber wie kann etwas zufällig sein, wenn die Bundesforschungsanstalt klar sagt, dass auch jenseits der 150 Meter mit Auskreuzungen gerechnet werden muss?
Um einen weiteren Beleg für die Willkürlichkeit der Seehofer’schen Abstandsregelung zu nennen: Der Sicherheitsabstand soll erstens nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen angepasst werden, darf aber zweitens die Nutzung der Agrogentechnik ausdrücklich nicht verhindern. Eine so dreiste politische Vorgabe für wissenschaftliche Untersuchungen habe ich noch nicht erlebt.
Aus meiner Sicht wird die Seehofer’sche Koexistenzgarantie damit schleichend zu einer Kontaminationsgarantie.
Der Super-GAU, den wir 2006 hatten - dass gentechnisch veränderter Reis aus einem kleinen Versuchsanbau in den USA weltweit Kontaminationen verursacht hat -, muss doch jede Illusion von einer Kontrollierbarkeit der Agrogentechnik zunichte gemacht haben. Die Behauptung, Koexistenz sei auf Dauer möglich, ist daher Etikettenschwindel und Wählertäuschung.
Die SPD-Fraktion hat angesichts dieser Situation einen vernünftigen Vorschlag gemacht, den wir unterstützen: Die Bundesregierung soll sich auf europäischer Ebene dafür einsetzen, dass es möglich wird, gentechnikfreie Zonen, Regionen bzw. Länder einzurichten. Unsere Ratspräsidentschaft bietet dazu eine gute Gelegenheit. Damit gäbe man zumindest den Menschen, die diese Risikotechnologie nicht wollen, eine Chance, sich zur Wehr zu setzen. Eine Alternative wäre, dass der Minister endlich im Sinne der Mehrheit Politik macht. Aber da bin ich wenig hoffnungsvoll.
Recht herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort hat nun der Kollege Ulrich Kelber für die SPD-Fraktion.
Ulrich Kelber (SPD):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte den Gesetzentwurf der FDP zur Gentechnik in Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion kurz charakterisieren:
Erstens. Die FDP hat Angst vor Fachargumenten, weil diese auch einmal gegen die Nutzung von Gentechnikpflanzen ausfallen könnten. Anders ist nicht zu erklären, dass die FDP die Rechte der Fachbehörden aushebeln will, mögliche Warner also mundtot machen will.
Zweitens. Der Gesetzentwurf der FDP gefährdet Hunderttausende Arbeitsplätze in der gentechnikfreien Landwirtschaft und Lebensmittelbranche, also 99 Prozent der gesamten Arbeitsplätze; denn diese stehen in Konkurrenz mit ausländischen Anbietern. Durch die von der FDP gegenüber dem Entwurf der Regierung geforderten kürzeren Vorwarnzeiten hätten Landwirte, wenn ein Nachbar gentechnisch veränderte Pflanzen anbaut, nicht mehr die Möglichkeit, mit anderen Lieferbedingungen, mit anderen Anbauarten zu reagieren. Auf die Landwirte, die keine Gentechnikpflanzen anbauen, können damit Mehrkosten zukommen, die sie in ihrer Konkurrenzfähigkeit gefährden. Gleichzeitig will die FDP die Haftung der Gentechnikanbauer gegenüber möglicherweise geschädigten Nachbarn unter das im Bürgerlichen Gesetzbuch übliche Haftungsniveau senken.
Drittens. Der Gesetzentwurf der FDP atmet in jeder Zeile Misstrauen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern.
Es schadet der Glaubwürdigkeit des Staates und übrigens auch der Glaubwürdigkeit der Gentechniknutzer, wenn die Bürger in Zukunft nicht mehr vom Staat erfahren, auf welchen Flächen Gentechnik zum Einsatz kommt, sondern wenn sie es dem Internet entnehmen müssen.
Wenn Sie nur die Gemarkung zulassen wollen, aber viele der wirtschaftlich Berechtigten die Gesamtinformation bekommen, dann wird sie von dort ins öffentliche Internet gelangen. Dann fragt sich der Bürger: Warum verheimlicht der Staat etwas, was ich woanders erfahren kann? Es schadet der Glaubwürdigkeit, wenn wir diesen Weg gehen, und das ohne Not. Denn seit der Einführung des flurstückgenauen Katasters ist die Zahl der zu verurteilenden Feldzerstörungen sogar zurückgegangen. Es gibt also gar keinen Grund, diesen Weg zu gehen.
Viertens. Die FDP will den Schutz der Öffentlichkeit vor Fehlverhalten beim Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen verringern. Sie schlägt vor, die Bußgelder zu senken.
Fünftens. Die FDP will - das ist der wichtigste Punkt - auch Ernten, die mit experimentellen, für den Anbau als Lebensmittel nicht zugelassenen Pflanzen verschmutzt sind, da auf dem Nachbarfeld ein Versuchsanbau stattgefunden hat, für den Verzehr freigeben.
Das ist Ihr Vorschlag. Sie möchten die Menschen zu Versuchskaninchen machen, und das ohne eindeutige Kenntnisse im Hinblick auf die Langzeitwirkungen.
Diese Forderung entbehrt jedes gesunden Menschenverstandes und jeglicher wissenschaftlicher Basis.
Was ist im Hinblick auf die Gesetzesnovelle der Stand der Dinge? Wir haben einen Kabinettsbeschluss über die Eckpunkte der Reform gefasst. Es war absolut sinnvoll, dass der Bundesminister zunächst einmal eine Abstimmung zwischen den verschiedenen Ressorts durchgeführt hat.
Er hat seine Kolleginnen und Kollegen im Finanzministerium, im Justizministerium und im Gesundheitsministerium gefragt, welche Meinung ihr jeweiliges Ressort zu seinen Vorschlägen hat.
Es ist auch richtig, dass dann der Finanzminister abklärt, was aus finanzieller Sicht zu beachten ist. Von Bedeutung ist darüber hinaus, dass auch das Justizministerium beteiligt wird. Ich freue mich, wenn ein SPD-geführtes Justizministerium zum Beispiel sagt, dass es mit Einschränkungen bei der Haftung nicht einverstanden ist, und wenn dies dann auch in der geänderten Fassung der Eckpunkte seinen Ausdruck findet. Genau so sollte die Ressortabstimmung stattfinden.
Jetzt ist der Deutsche Bundestag gefordert, diese Gesetzesnovelle zu beraten. Man muss ganz offen sagen: Es gibt Punkte, über die wir in der Koalition noch diskutieren müssen, da wir noch uneins sind. Diese Aspekte wird jetzt der Bundestag, der Gesetzgeber, klären müssen. Einer dieser Bereiche betrifft die Transparenz. Wir möchten im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher eine Verbesserung der Transparenz, die für sie nutzbar ist. Deswegen sind wir für eine Kennzeichnung aller tierischen Produkte wie Milch und Fleisch, wenn die Tiere mit gentechnikveränderten Pflanzen gefüttert wurden.
Wir sind nicht für die sogenannte Prozesskennzeichnung, die lediglich dazu führt, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher verwirrt werden und keine klare Unterscheidung zwischen den Produkten mehr möglich ist. Wir werden in dieser Frage den klaren Beschluss unseres Parteitags umsetzen.
Wie deutlich geworden ist, sind wir nach wie vor für die Beibehaltung des flurstückgenauen öffentlichen Standortregisters. Es gibt keinen Grund, dies aufzugeben.
Der Schwerpunkt der Diskussion innerhalb der Koalition betrifft die Frage: Wie schützen wir die gentechnikfreie Landwirtschaft, wenn es zum vermehrten Einsatz gentechnisch veränderter Organismen kommt? Die Grundsatzentscheidung über den Einsatz von GVOs ist durch europäisches Recht gefallen; das ist nicht die Aufgabe dieser Novelle. Jeder kann hierzu eine private Meinung haben; viele von uns haben sie auch in der Öffentlichkeit deutlich gemacht. Es muss darum gehen: Wie schützen wir die gentechnikfrei arbeitenden Landwirte vor zusätzlichen Kosten, wenn der Markt von ihnen zum Beispiel Tests auf Gentechnikfreiheit fordert? Wie schützen wir sie vor höheren Kosten, wenn mehr GVOs eingesetzt werden, weil sie unterschiedliche Maschinen für Ernte, Lagerung und Verarbeitung brauchen? Wie schützen wir sie vor Absatzproblemen, wenn der Lebensmittelhandel und die weiterverarbeitende Industrie höhere Grenzwerte einfordern als die, die im Haftungsrecht vorgegeben sind?
Ich freue mich, dass wir uns innerhalb der Koalition darauf geeinigt haben, dass dies die existenzielle Frage dieser Gesetzesnovelle ist. Damit hängt natürlich auch die Wahlfreiheit der Verbraucherinnen und Verbraucher eng zusammen. Wir werden eine gemeinsame Fachtagung durchführen, um sinnvolle Regelungen zu finden. Die Fragen der Abstandswerte, der Haftungsgrenzwerte, die verbindlichen gentechnikfreien Regionen und alle anderen Punkte müssen sich an dieser Problematik orientieren. Dann kann man sie quantifizieren.
Ich möchte eine kritische Bemerkung machen: Der vielstimmige Chor aus den Reihen des Koalitionspartners macht die Kompromisssuche natürlich nicht leichter. In Bayern tobt CSU-Generalsekretär Söder durch die Gegend und macht Vorschläge, für die ich durchaus eine gewisse persönliche Sympathie habe, die aber schlicht EU-rechtswidrig sind. Wir können nicht einfach für 10 Jahre aussteigen. Schließlich haben wir vor einigen Jahren dem europäischen Recht zugestimmt, das nun verbindlich ist. Hier in Berlin gibt es aber CSU-Kollegen - sie sitzen heute in vorderer Reihe und werden wahrscheinlich noch sprechen -, die am liebsten den FDP-Gesetzentwurf unterstützen würden.
In Bayern mag es klappen, für jeden etwas zu haben. Aber im Deutschen Bundestag wird sich die CSU irgendwann einmal entscheiden müssen; denn hier schauen die Menschen etwas genauer hin.
Wir haben heute schon bei Ihrem ersten Redner, meine Damen und Herren von der FDP, gemerkt, dass Sie als seriöser Ansprechpartner in der Gentechnik leider ausfallen.
Bei Ihnen gibt es ein gefährliches Gemisch aus Ideologie und Lobbyismus, das nicht dem Schutz der Menschen dient.
Ich freue mich, dass wir heute, nach über drei Monaten, wieder etwas von Ihnen, meine Damen und Herren von der Linken, zu diesem Thema gehört haben. Als ich mich gestern auf meine Rede vorbereitet habe, habe ich festgestellt, dass Ihre letzte Äußerung zu diesem Thema von Dezember letzten Jahres stammt.
Bleibt noch unser ehemaliger Koalitionspartner, die Grünen. Wir haben gemeinsam vor ein paar Jahren ein gutes Gesetz gemacht. Immerhin sind die Haftungsregelungen so wegweisend, dass sie nun Grundlage für die vom Minister vorgeschlagene Neuregelung sind. Aber, meine Damen und Herren von der FDP, auch die Wirtschaft lehnt die von Ihnen vorgeschlagenen Änderungen ab; das ist spannend festzustellen.
Meine Damen und Herren vom Bündnis/90 Die Grünen, Sie wissen genauso gut wie ich, dass das alte Recht weder die gentechnikfreie Landwirtschaft noch die Verbraucherinnen und Verbraucher vor allen aktuellen Entwicklungen schützt, zum Beispiel dann nicht, wenn die Schwellenwerte für die Abnahme von Erntegut geringer sind als die gesetzlichen Kennzeichnungsschwellenwerte. Daher ist es unehrlich, in der Öffentlichkeit zu fordern: Verzichtet auf die Novelle! Das bedeutete einen Verzicht auf den Schutz der gentechnikfreien Landwirtschaft. Wir brauchen aber eine richtungweisende Novelle.
Eines ist ganz klar: 80 Prozent der Menschen wollen keine Agrogentechnik auf ihrem Teller. Auch Landwirte und Handel lehnen diese mit breiter Mehrheit ab. Aber alle wollen, dass die Forschung fortgesetzt wird und dass die Biotechnologie stärker gefördert wird. Das will auch die Mehrheit im Deutschen Bundestag. Wir werden dafür sorgen, dass es Wahlfreiheit gibt und dass man vom Fortschritt profitiert.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nun erteile ich das Wort der Kollegin Ulrike Höfken für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Kelber, es ist gut, das noch zwei Anträge der Grünen vorliegen, aus denen Sie ersehen können, was man über das Gesetz hinaus tun kann.
Meine Damen und Herren von der FDP, für Sie spricht das, was Sie auf Ihrem Deckblatt zur Einladung zu Ihrem Kongress ?Grüne Gentechnik“ geschrieben haben: ?Wir danken unseren Sponsoren: KWS, Syngenta, VCI, Lembke“, also den vier großen Agrogentechnikvertretern.
Dazu könnte man sagen: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Die FDP tritt für die Freiheit des Verkaufens ein, während wir, die Grünen, für die Freiheit des Lebens und die Wahlfreiheit der Verbraucher eintreten.
Frau Happach-Kasan, wenn Sie sich unser Programm anschauen, werden Sie feststellen, dass wir die Gentechnik sehr differenziert sehen. Wir unterscheiden zwischen geschlossenen Systemen, die nach unserer Meinung beherrschbar sind, und offenen Systemen, den Freisetzungen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Happach-Kasan?
Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ja.
Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU):
Bitte sehr, Frau Happach-Kasan.
Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Liebe Kollegin Höfken, ich finde es gut, dass Sie die Unterscheidung zwischen geschlossenen und offenen Systemen angesprochen haben. Aber wir alle erinnern uns sicherlich noch an den Fall des Humaninsulins, zugelassen 1982. 14 Jahre hat die Genehmigung der Produktionsstätte gedauert, weil damals unter anderem der grüne Umweltminister Joseph Fischer in Hessen tätig war. 1998 wurde die Produktionsphase eingeleitet. Sagen Sie uns doch einmal, wie Sie im Jahr 2000, 18 Jahre nach der Zulassung von Humaninsulin, dazu gekommen sind, zwischen geschlossenen und offenen System zu unterscheiden! Sagen Sie uns einmal, warum Sie erst so spät eine solche Innovation für die Menschen, die an Diabetes erkrankt sind, sozusagen als hoffähig anerkannt haben! Meinen Sie nicht, dass ein bisschen mehr Zukunftszugewandtheit auch für eine grüne Partei ein sinnvoller Weg in die Zukunft wäre?
Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Wir sind zukunftsgewandt, aber nicht blauäugig.
Interessant ist doch, wann die Gentechnikgesetze entstanden sind. Wir haben doch erst von der alten Bundesregierung, an der Sie beteiligt waren, die Gentechnikgesetze bekommen, als die entsprechenden Aktivitäten in vieler Hinsicht schon längst liefen.
Ich denke, es muss so funktionieren: Erst müssen ein vernünftiger Schutzstandard und die notwendige Regulierung geschaffen werden; dann kann man in die Vollen gehen. Das berücksichtigen wir sowohl bei den geschlossenen Systemen als auch bei den Freisetzungen. Dabei kommen wir zu unterschiedlichen Schlüssen, nämlich das man unter den entsprechenden Voraussetzungen das eine tun kann, das andere aber nicht.
Zu Ihrem Gesetzentwurf: Die FDP bedankt sich bei ihren Sponsoren mit einer Eins-zu-eins-Umsetzung ihrer Interessen, nämlich einer völligen Befreiung der Forschung von Verantwortung und Sorgfalt. Der Gesetzentwurf gipfelt - Frau Tackmann hat es schon erwähnt - in der völlig rechtswidrigen Forderung, dass jede verseuchte Lebensmittelpflanze, die neben einem Forschungsfeld aufgewachsen ist, auf den Tellern und im Futtertrog landen soll. Das muss man sich einmal vorstellen. Und jedes gentechnisch veränderte Produkt soll im Futtermittel- und Lebensmittelbereich von jeglicher Überprüfung befreit werden - das Thema Umwelt kommt erst gar nicht vor -, wenn es erst einmal für Forschungsexperimente genehmigt wurde. Die Verbraucher sollen sich halt nicht so anstellen: An etwas Schweineimpfstoff in der Erbsensuppe oder etwas Cholera-Gen im Kartoffelsalat ist doch noch keiner gestorben.
Und wenn doch: dann für die Freiheit der Forschung, deren Vertreter - wie Professor Winnacker, der kürzlich wieder für ?Das Parlament“ geschrieben hat; er ist unter anderem Aufsichtsratmitglied bei Bayer - auch gleichzeitig Wirtschaftsvertreter sind. Die Forschung wird mit Milliarden gepäppelt. Vor einer solchen ?freien“ Forschung muss man sich fürchten.
Herr Seehofer ist heute nicht anwesend. Dann kriegt der Staatssekretär die Prügel ab. Die Forderungen der FDP finde ich nicht so schlimm; sie ist schließlich keine Regierungspartei. Viel schlimmer ist - das sage ich an die Kollegen der SPD gewandt -, dass diese Ideologie von Kanzlerin Merkel und Minister Seehofer in die Praxis umgesetzt wird. Herr Seehofer wird Genhofer genannt. Ein Blick in das Eckpunktepapier zeigt, dass es sich dabei um einen fleischgewordenen Etikettenschwindel handelt.
Herr Seehofer ist eigentlich ein netter Kerl, aber man muss sich fragen, warum das, was sich im Eckpunktepapier schwarz auf weiß findet, in keiner Weise dem entspricht, was in Worten geäußert wird. Hier würden keine, auch nicht die geringsten, Risiken für Mensch und Umwelt eingegangen,
hat Herr Seehofer zur Forschung festgestellt. Auskreuzungen, sagte er, müssten die Ausnahme sein.
Was aber ist für die Umsetzung vorgesehen? Die Verunreinigung wird danach zur Regel. Die Haftung wird massiv heruntergefahren. Wer Schaden erleidet, hat weniger Rechte. Und das wird als ?gute fachliche Praxis“ definiert: Lächerliche Abstandsregelungen sind das eine; das Schlimmste ist aber, dass die Verschmutzung bis zu einem Schwellenwert von 0,9 Prozent - dem Kennzeichnungsschwellenwert, der nie dazu vorgesehen war - nun ungehemmt möglich ist. Das darf nicht sein, und es ist meines Erachtens mit EU-Recht nicht vereinbar.
Transparenz wird nicht gesichert, sondern eingeschränkt. Beim Standortregister - das ist offenbar nicht in Ihrem Sinne, Herr Kelber - sind ebenfalls Einschränkungen vorgesehen. Was die Forschung angeht, folgt man im Prinzip der FDP. Als ?Lizenz zur Verseuchung“ für Bayer, BASF und Monsanto wird das Eckpunktepapier von den Umweltverbänden und den Bundesverbänden für ökologischen Landbau bezeichnet, und die Steuerzahler sollen auch noch dafür haften. Stark vereinfachte Verfahren sollen die Beteiligung der Öffentlichkeit und die Überprüfungsmöglichkeiten einschränken. Das kann doch nicht sein.
Dieser Widerspruch zu den öffentlichen Äußerungen spricht für sich. Aber es ist noch nicht zu spät, das Vertrauen der Verbraucher zurückzugewinnen.
Ich verweise noch einmal auf unsere Anträge. Herr Seehofer hält die Aussaat von Raps nicht für vorstellbar. GVO-Raps sei nicht mit der Koexistenz vereinbar. Dann nehmen Sie das bitte auch in die gute fachliche Praxis mit auf! Das vereinfachte Verfahren darf nicht zur Regel werden. Stoppen Sie das!
Pharma- und Industriepflanzen, wie Kartoffeln und Erbsen, gehören nicht ins Freiland. Das sollte auch nicht durch ein vereinfachtes Verfahren ermöglicht werden. GVO-Weizen darf nicht neben einer Genbank angebaut werden. Stoppen Sie das!
MON 810 ist übrigens die einzige von Herrn Seehofer in Deutschland zum kommerziellen Anbau zugelassene Sorte.
- Nein, das war nicht seine Vorgängerin, sondern - das hat Minister Seehofer wohl auch übersehen - er hat in seiner Zeit als Gesundheitsminister höchstpersönlich diese Zulassung erteilt. MON 810 ist, wenn er überhaupt eine Zulassung hat - was wir bezweifeln -, nur für Futtermittel und industrielle Zwecke zugelassen. Was passiert jetzt? Das Zeug ist im Honig. So etwas kann man doch nicht zulassen. Also auch zurückziehen!
Man kann das noch weiterführen. In der nächsten Woche wird Greenpeace eine Studie zu MON 863 vorstellen. Hier liegen neue Erkenntnisse vor. Daraus müssen Konsequenzen gezogen werden. Das Mindeste wäre, dass das Zulassungsverfahren auf der EU-Ebene verbessert wird. Das hat die Kommission zugesagt, und das haben auch Sie verlangt. Also tun Sie es! Die nationalen Einfuhrverbotsmöglichkeiten müssen genutzt werden. Das ist rechtlich möglich. Es sollte auch, wie wir vorschlagen, eine Datenbank eingerichtet werden, in der die ganzen Genkonstrukte aufgeführt werden, damit man wenigstens in der Kontrolle nachvollziehen kann, was da so alles kreucht und fleucht.
Wir sagen das vor dem Hintergrund nicht der Chancen, sondern der Risiken, die sich zeigen. Genreis - um dieses Beispiel zu erwähnen -, der im Rahmen eines Forschungsexperiments der Firma Bayer ausgekreuzt ist, hat in den USA einen Schaden von 80 bis 100 Millionen Dollar verursacht, in Deutschland von 10 Millionen. Das sagt die Industrie. Wo ist denn das Geld? Wer wird denn dafür haftbar gemacht? Keiner. Bei Bt 10 ist es genau das Gleiche. Auch hier gibt es eine Verunreinigung durch ein Forschungsexperiment. Denken Sie auch an die Genzucchini, die in Rheinland-Pfalz ausgesetzt wurden. Da entsteht ein Riesenschaden. Das steht völlig im Missverhältnis zu dem, was sich bisher als Chancen geboten hat.
Ich nenne das Stichwort Argentinien. Dort waren wir zusammen, Frau Happach-Kasan. In diesem Land herrscht das Chaos, weil Monsanto inzwischen Lizenzgebühren verlangt, die die Bauern nicht zahlen wollen und können. Inzwischen herrscht ein Riesendurcheinander darüber, was eigentlich angebaut wird. Keiner weiß, was da eigentlich auf den Feldern steht. Die ganze Effizienz der bisherigen züchterischen Leistung steht in Argentinien auf dem Spiel, so wie es jetzt betrieben wird. Es wird nämlich einfach wild nachgebaut.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Angesichts dieser Situation sage ich: Die Rede, die Uli Kelber heute gehalten hat, muss er angesichts des Eckpunktepapiers dieser Bundesregierung noch einmal halten. § 1 des Gentechnikgesetzes besagt, dass die Regierung die Verpflichtung hat, Menschen, Umwelt und Sachen zu schützen. Dann tun Sie das auch, wie es die Mehrheit der Bevölkerung verlangt!
Schönen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Max Lehmer für die CDU/CSU-Fraktion.
Dr. Max Lehmer (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße es ausdrücklich, dass die Bundesregierung das Eckpunktepapier zur weiteren Novellierung des Gentechnikrechts nun im Kabinett verabschiedet hat, und zwar einstimmig. Ich meine ebenfalls, dass damit ein guter Kompromiss gefunden wurde. Er schafft den Rahmen für die noch festzulegenden Details der anstehenden Gentechnikrechtsnovelle, über die es, Herr Kelber, mit Sicherheit noch Diskussionen gibt. Ich möchte ganz klar darauf hinweisen, dass es die Divergenzen, die Sie einer Partei in die Schuhe schieben, in allen Fraktionen dieses Hauses gibt. Das habe ich in meinen vielen Gesprächen erleben können. Sie sind in jeder politischen Gruppe vorhanden.
- Setzen Sie sich mit den Aussagen Ihres Parteivorsitzenden oder Ihres Umweltministers im Zusammenhang mit der Zukunftsperspektive für die Gentechnik auseinander! Dann können wir weiter diskutieren.
Ich gehe davon aus, dass die Novellierung des Gentechnikrechts zügig angegangen werden kann und dies möglichst rasch zu klaren Verhältnissen für alle Beteiligten führt. Es muss gelingen, einerseits die berechtigten Sorgen und Wünsche von Verbrauchern und auch von Landwirten sowie den Schutz der Umwelt zu berücksichtigen, andererseits muss es ermöglicht werden, die großen Potenziale der Grünen Gentechnik für die Lebensbereiche Ernährung, Energie und Gesundheit nutzbar zu machen, auch wenn dies nachdrücklich und sehr oft unsachlich von vielen bestritten wird.
Ich möchte nun kurz auf wichtige Einzelpunkte eines künftigen Gentechnikgesetzes näher eingehen. Die Förderung der Forschungsvorhaben in diesem wichtigen Zukunftsbereich ist - diese Auffassung teilen alle - ein hochrangiges Ziel. Ein besonders technologieabhängiges Land wie Deutschland muss durch intensive und zielgerichtete Forschung und Entwicklung auch in dem zukunftsweisenden Bereich der Grünen Gentechnik eine führende Rolle einnehmen und den derzeitig hohen Standard auf jeden Fall sichern.
Dabei ist es selbstverständlich - das war und ist auf allen anderen Forschungsfeldern genauso -, dass neben der Entwicklungsforschung die Sicherheitsforschung mit gleicher Intensität vorangetrieben wird.
Darauf haben die Menschen, die diese Technologie nutzen wollen und auch werden, einen Anspruch. Diesbezüglich darf es doch um Himmels willen keine Divergenzen geben.
Forschung, insbesondere die unabhängige wissenschaftliche Forschung, ist ein wichtiger Garant dafür, selbstständig und unabhängig zu bleiben und damit globalen Monopolisierungen entgegenwirken zu können. Das ist ein ganz wichtiger Punkt; denn viele Menschen haben in diesem Zusammenhang Ängste und Probleme. Gerade für die in Deutschland mittelständisch ausgerichtete Pflanzenzüchtung ist das ein wichtiger Gesichtspunkt. Wir müssen auf jeden Fall auf höchstem Niveau weitermachen, auf Augenhöhe mit den globalen Wettbewerbern bleiben und auf diesem Gebiet die Führerschaft behalten.
Ich weise in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Notwendigkeit von Freilandversuchen hin. Nur mit diesen können Fragen der Koexistenz und Fragen der Auswirkungen auf die Ökologie beantwortet werden. Wie denn sonst?
Bei allen Unterschieden in der Einstellung zur Gentechnik muss doch klar sein, dass Feldzerstörungen keine Kavaliersdelikte sind, sondern Straftaten.
Forschung muss in unserem Lande nach den gültigen strengen gesetzlichen Regelungen, zum Beispiel zur Zulassung von Freilandversuchen, ablaufen, und sie muss auch frei und ungestört durchgeführt werden können. Frau Höhn, Sie bezeichnen Freilandversuche im Zusammenhang mit Feldzerstörungen als ?provokante Versuchsanstellungen“. Das macht mir Sorgen.
Es geht doch wohl um die Freiheit und um die Selbstständigkeit von Wissenschaft und Forschung in Deutschland.
Oder liege ich da falsch?
Eine große Sorge ist für mich die teilweise ablehnende Haltung der Bevölkerung gegenüber der Grünen Gentechnik. Darüber müssen wir diskutieren. Wir müssen die Sorgen, Ängste und Bedenken ernst nehmen und - jetzt kommt es - Vorurteile wissenschaftlich fundiert abzubauen versuchen.
Frau Höfken, mit den von Ihnen dargestellten Szenarien können Sie dies nicht erreichen. Da ich Ihre Diktion einfach nicht anders interpretieren kann, unterstelle ich Ihnen, dass Sie es auch gar nicht wollen.
Sie wollen Ängste aufrechterhalten
und diese moderne Technologie bewusst von vornherein diskriminieren.
Das kann nicht das Ziel einer fachlich objektiven und zukunftsorientierten Wissenschaftspolitik sein.
Anstatt Ängste zu schüren, wie es leider allzu oft geschieht, ist die Arbeit zu leisten, objektiv aufzuklären, wozu ich alle Beteiligten ausdrücklich aufrufen möchte. Ich fordere ausdrücklich auch die Bundesregierung auf, über die vielen kompetenten Bundesinstitutionen entsprechende Kommunikationskonzepte zu entwickeln.
In diesen Institutionen gibt es einen Fundus an Wissen und Informationen, der nicht oder zumindest zu wenig genutzt und transparent gemacht wird. Nur Aufklärung und volle Transparenz können das notwendige Vertrauen schaffen - nur das!
Eine klare Kennzeichnungsregelung ist ebenfalls eine vertrauensbildende Maßnahme und eine wichtige Voraussetzung für die Wahlfreiheit. Herr Kelber, da stimmen wir völlig überein. Ich bin für eine prozessorientierte Kennzeichnung, das heißt, die Angabe darüber
- lassen Sie uns doch arbeiten! -, ob GVOs in einem Produktionsprozess eingesetzt worden sind - wie beim ökologischen Landbau -, und zwar unabhängig davon, ob GVOs im Endprodukt nachgewiesen werden können oder nicht. Bei den tierischen Produkten ist das ja nicht nachweisbar; aber sie werden in der Produktionskette eingesetzt.
Ich bin dafür, dass wir die prozessorientierte Kennzeichnung festschreiben, damit die Bürger wissen, an welcher Stelle der Produktionskette GVOs eingesetzt worden sind.
Aber ganz wichtig ist dabei die Feststellung: Das Vorhandensein von GVOs allein hat nichts mit einem Gesundheitsrisiko zu tun. Das muss einmal ganz klar gesagt werden.
Ich möchte eindeutig klarstellen: GVO-frei wird es nicht geben können. Das gibt es schon heute nicht. Die sachgerechte Kennzeichnung kann nur Aufschluss darüber geben, ob GVOs bei der Herstellung eines Produkts eingesetzt wurden und welcher Anteil toleriert werden soll; darüber müssen wir diskutieren.
Der Nichteinsatz von Pflanzenschutzmitteln beim ökologischen Landbau garantiert auch keine Rückstandsfreiheit.
Da wird nur angegeben: Wir haben ohne Pflanzenschutzmittel gearbeitet. Jeder weiß: Es sind Schwermetalle nachweisbar, und es sind Pflanzenschutzmittelrückstände vorhanden unabhängig davon, in welcher Konzentration. Rückstandsfrei sind sie nicht.
Nun zum entscheidenden Punkt einer gesetzlichen Neuregelung der Koexistenz. Ein Nebeneinander verschiedener Produktionsformen auf dem Acker muss auch in Zukunft - wie in der Vergangenheit - gewährleistet werden. Die Wahlfreiheit für den Landwirt und den Verbraucher muss garantiert werden können. Dazu sind klare Anbauregeln nach guter landwirtschaftlicher Praxis zu definieren, wie sie auch in anderen Produktionsbereichen selbstverständlich sind. Es ist klarzustellen: Koexistenz kann nur auf der Basis gegenseitig anzuerkennender Schwellenwerte realisiert werden; sonst nicht.
Die Haftungsfrage ist im Zusammenhang mit GVO einer der entscheidenden Punkte. Da schließe ich mich vollinhaltlich dem an, was der Staatssekretär schon ausgeführt hat. Die rechtlichen Feinheiten dazu werden in einer Arbeitsgruppe noch ausgearbeitet. Wir erwarten, dass die Wirtschaftsverbände der Pflanzenzucht- und Biotechnologieunternehmen eine Selbstverpflichtung eingehen, die die Landwirte von Haftungsrisiken für Schäden, die trotz Einhaltung der guten fachlichen Praxis nicht vollständig auszuschließen sind, entlastet.
Weiterhin muss der offene Tatbestand der Haftungsnorm des § 36 a Gentechnikgesetz durch eine abschließende Aufzählung präzisiert werden. Wir können hier keine kumulative Haftung schaffen.
Zu den Fragen der Sicherheit. Ich betone immer wieder: Oberstes Ziel ist die Sicherheit von Mensch, Tier und Umwelt. Das ist auch die Basis aller Regelwerke, die es in der EU, in Deutschland und anderswo gibt. Nur wenn diesbezüglich keine Gefahr zu erwarten ist, darf der GVO freigesetzt bzw. in Verkehr gebracht werden. Das ist bereits jetzt die absolute Vorgabe, und das wird auch in Zukunft durch das jeweilige Zulassungsverfahren gewährleistet bleiben.
Nun zum Anlass der heutigen Debatte, zu den Vorlagen von FDP und Grünen. Etliche Punkte des vorgelegten Gesetzentwurfs der FDP-Fraktion sind in dem beschlossenen Eckpunktepapier aufgegriffen; ich brauche sie nicht zu wiederholen.
Der Entwurf der FDP enthält also durchaus akzeptable Forderungen. Es kann nicht alles Unsinn sein, was in einem Gesetzentwurf vorgeschlagen wird. Diese Gesetzesinitiative ist aber - das muss ich Ihnen sagen - falsch getimt. Soeben haben wir das Eckpunktepapier fertiggestellt.
Jetzt müssen Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, der Regierungskoalition schon die Chance lassen, sich auf die gesetzlichen Formulierungen zu verständigen. Ich teile mit Ihnen die Hoffnung, dass dies schnell geschehen wird.
Über den Antrag der Grünen haben wir in dieser Woche schon im Ausschuss diskutiert. Es ist für mich eine Selbstverständlichkeit, Frau Höfken, dass von Freisetzungsexperimenten mit gentechnisch veränderten Pflanzen keine Gefährdung von Mensch und Umwelt ausgehen darf.
Das ist ja schon vor der Zulassung zu prüfen.
Das muss derjenige, der die Zulassung beantragt, über eine neutrale Stelle nachgewiesen haben.
Ich verstehe nicht, warum Sie das in einem Versuchsprozess so oft nachgewiesen haben wollen. Der Schutz von Mensch und Umwelt ist oberstes Ziel aller gesetzlichen Regelungen zur Grünen Gentechnik.
In ihrem zweiten Antrag, nämlich zu den Einfuhrverboten und Schutzmaßnahmen, versuchen die Grünen mit verschiedenen Winkelzügen, die mehrfach bestätigte Zulassung der verschiedenen MON-Generationen erneut auf die politische Bühne zu heben.
Es gibt nach meiner Meinung keine Grundlage dafür, die Bewertung dieser Maissorten zu revidieren.
Sie haben vor Monaten schon einmal gesagt, Frau Höfken, dass es neue Erkenntnisse gibt. Auch eine gewissenhafte Recherche gibt das nicht her. Insgesamt hat der Antrag offensichtlich das Ziel, Grüne Gentechnik zu verhindern. Dem können und wollen wir uns nicht anschließen.
Lassen Sie mich zum Schluss, Frau Präsidentin, bitte noch kurz die Grüne Gentechnik in einen globalen Zusammenhang stellen. Es ist wichtig, denke ich, dass das einmal deutlich gesagt wird.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Allerdings sehr kurz, Herr Kollege.
Dr. Max Lehmer (CDU/CSU):
Nach Aussagen führender Wissenschaftler müssen wir uns in diesem Jahrhundert drei großen globalen Herausforderungen stellen: der Ernährungssicherung, der Energieversorgung und der Gesundheit. Die Fakten hierzu sind bekannt und sehr ernüchternd. Die Weltbevölkerung wächst exponentiell, das heißt 2050 werden über 9 Milliarden Menschen diese Erde bevölkern.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, jetzt müssen Sie aber wirklich zum Schluss kommen.
Dr. Max Lehmer (CDU/CSU):
Diese zu ernähren, mit Energie zu versorgen und gesund zu erhalten, erfordert erhebliche Anstrengungen auf allen Gebieten. Die Pflanze als Organismus ist von zentraler Bedeutung, weil mit ihr diese beiden Ziele, Ernährungssicherung und Energiegewinnung, erreicht werden können.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Dr. Max Lehmer (CDU/CSU):
Ich bin sofort fertig. - Die Anbauflächen gehen zurück.
Das erfordert, dass man die Leistungsfähigkeit der Pflanzen steigert, um diese große Herausforderung meistern zu können.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Die nächste Rednerin ist die Kollegin Cornelia Pieper für die FDP-Fraktion.
Cornelia Pieper (FDP):
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe die Debatte gerade genau verfolgt
und kann dem Kollegen Dr. Lehmer im Namen der FDP-Fraktion nur zustimmen. Er hat wissenschaftlich fundierte Argumente vorgetragen und sachlich geredet. Das habe ich bei den vorhergehenden Rednern der Linken sowie bei einigen von der SPD und den Grünen vermisst.
Ich ergreife heute als Forschungspolitikerin in dieser Debatte das Wort, weil ich den dringenden Appell an die Bundesregierung richten möchte: Reißen Sie die ideologischen Hürden bei der Behandlung dieses so wichtigen Zukunfts- und Forschungsthemas nieder. Unsere Gesetzesinitiative zeigt Ihnen den richtigen Weg. Ich hoffe sehr, dass die Bundesregierung nicht nur mit einem Eckpunktepapier, sondern sehr schnell mit einem eigenen Gesetzentwurf zu Potte kommt.
Die Große Koalition hat in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben, das Gentechnikgesetz so zu verändern, dass Forschung zur Grünen Gentechnik in Deutschland auch mittels Freilandversuchen wieder ermöglicht wird, damit die Chancen einer späteren wirtschaftlichen Nutzung nicht vertan werden. Doch noch immer stehen die Signale für die sogenannte Grüne Biotechnologie auf Rot, obwohl die Kanzlerin immer wieder fordert, auch in der Forschung mehr Freiheit zu wagen.
Auf der einen Seite ist es doch so, dass die Bundesregierungen die Forschung für die Grüne Biotechnologie und die biologische Sicherheit gentechnisch veränderter Pflanzen seit einem Jahrzehnt mit verschiedenen Programmen und durch gezielte Initiativen fördert. In diesem Zusammenhang sind die Initiativen des BMBF lobend zu erwähnen. Allein um die Gefahren, die von gentechnisch veränderten Pflanzen für Mensch und Umwelt ausgehen, zu erforschen, hat die Bundesregierung hohe finanzielle Beiträge geleistet.
Auf der anderen Seite steht eine Front von Gegnern von Freisetzungsversuchen, die bis in die CSU hineinreicht. Die Wortmeldungen von Herrn Söder gegen das Eckpunktepapier seines Parteikollegen Seehofer zeigen mir doch das in den Parteien dieser Bundesregierung nach grünem Muster vorhandene ideologische Spektrum.
Ich finde es befremdlich, wenn der Bundeslandwirtschaftsminister für die Bundesregierung ein Eckpunktepapier vorstellt und Herr Söder, der dieser Bundesregierung ja auch angehört,
in dieser Woche im ?Tagesspiegel“ mit den Worten zitiert wird:
Ich bleibe ein grundsätzlicher Skeptiker der grünen Gentechnik. Beim kommerziellen Anbau wäre ein Moratorium das beste.
Da ich auch andere Stimmen aus der Koalition kenne, frage ich mich: Was wollen Sie eigentlich? Bitte zeigen Sie endlich klar auf, wohin Sie gehen wollen.
Ich frage mich auch, wo heute eigentlich der Bundeslandwirtschaftsminister, Herr Seehofer, ist. Was macht der Bundeslandwirtschaftsminister am Internationalen Frauentag,
wenn im Bundestag über ein Gentechnikgesetzt diskutiert wird? Er gehört eigentlich hierher. Wenn der Verbraucherschutz- und Landwirtschaftsminister den Standort Deutschland mit der Biotechnologie stärken will, wenn er Forschungsfreiheit will, muss er auch für dieses Gentechnikgesetz hier, im Bundestag, eintreten.
Der vorliegende Bericht meines Ausschusses, des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, ?Grüne Gentechnik - transgene Pflanzen der 2. und 3. Generation“ öffnet vielleicht den Tunnelblick des einen oder anderen Kollegen. Ja, wir müssen immer wieder sagen: Es geht nicht allein um gentechnisch veränderte Pflanzen, es geht um viel mehr. Allein bei der Umsetzung der von allen hier im Haus geforderten Biomassestrategie kann auf gentechnische Züchtungsmethoden nicht verzichtet werden. Sie braucht die Bewährung auf dem Acker.
Ich will an Staatssekretär Paziorek gerichtet sagen: Es ist nicht so, dass Biotechnologie in der Bevölkerung nur verpönt wird. Gerade hinsichtlich alternativer Energiearten und Biokraftstoffen
oder auch hinsichtlich der Roten Biotechnologie gibt es große Chancen für den Innovationsstandort Deutschland und eine außerordentlich große Akzeptanz in der Bevölkerung.
Deswegen finde ich es von Ihnen, Frau Kollegin Höfken, unverantwortlich, dass Sie immer wieder die Ängste schüren und nicht auf die Chancen der Gentechnik hinweisen, vor allen Dingen was die Gesundheit und den zukünftigen Forschungsstandort Deutschland betrifft.
Ich glaube, dass wir hier durchaus darauf achten sollten, auch in Zukunft den Standort Deutschland - so sagen Sie es sonst ja immer - nicht schlechtzureden, sondern alles daran zu setzen, eine Politik der Vernunft zu machen, so wie es Herr Dr. Lehmer gezeigt hat. Dazu bekenne ich mich. Man sollte in so einer Debatte wissenschaftlich fundierte Argumente vortragen und keine populistische, demagogische Debatte führen, wenn es um Biotechnologie und Gentechnik geht.
Wir Liberale sagen: Wir stehen für eine Politik der Vernunft und für die Forschungsfreiheit in Deutschland.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Für die SPD-Fraktion erteile ich nun das Wort dem Kollegen René Röspel.
René Röspel (SPD):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wieder einmal liegt uns ein FDP-Antrag vor, in dem gefordert wird, das Gentechnikgesetz zu verändern. Wir haben es bei vormaligen Diskussionen schon gesehen: Eines der tragenden Argumente der FDP ist - wie in vielen anderen Bereichen auch -: Im Ausland passiert etwas und wir dürfen den Anschluss nicht verpassen. Sie schreiben, dass
weltweit auf mehr als 90 Mio. ha
gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut werden...
Der Biotech-Brief der Deutschen Industrievereinigung Biotechnologie - Frau Happach-Kasan, Sie erwähnen es ja - korrigiert diese Zahl:
Der Anbau gentechnisch veränderter (GV-)Pflanzen hat 2006 erneut deutlich zugelegt. Die weltweite Anbaufläche belief sich auf 102 Mio. Hektar. ... Gegenüber 2005 entspricht dies einem Zuwachs von 13 Prozent.
In der Tat, da geht das Ausland wirklich streng voran.
Ich habe noch eine Meldung: In China sind erstmals mehr als 30 Millionen Autos zugelassen. Das entspricht gegenüber dem Jahr 2005 sogar einem Zuwachs von 24 Prozent. Wenn sie so weiterwachsen, werden sie in 5 Jahren 100 Millionen Autos zugelassen haben.
Die Frage lautet also: Ist Wachstum allein die gute Nachricht oder muss man nicht vielleicht ein bisschen hinter die Kulissen schauen? Auch der Biotech-Brief glaubt übrigens nicht, dass allein die Zahl die Nachricht ist, und schiebt deswegen einige positive Beispiele Grüner Gentechnik nach. Es wird geschrieben, dass auf den Philippinen der Ertrag bei gentechnisch verändertem Mais um etwa 13 Prozent höher lag als der beim konventionellen Mais. Für Indien wird geschrieben, dass die Erträge gentechnisch veränderter Baumwolle deutlich gesteigert werden konnten. Das sind gute Nachrichten.
Sie zitieren übrigens die Daten der ISAAA. Das ist eine Organisation, die von namhaften Firmen wie AgrEvo, Bayer, DuPont, Monsanto, Novartis und anderen finanziert wird. Das sind die Konzerne, die mit der Entwicklung und dem Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen Geld verdienen oder verdienen wollen. Das ist zunächst nicht schlimm.
Nun kann man sagen, dass die Fakten auf dem Tisch liegen. Dann erlebt man als engagierter Parlamentarier aber auch andere Stunden. Ich wurde vom EED, dem Evangelischen Entwicklungsdienst, besucht - er ist meines Wissens überwiegend von der Kirche finanziert -, der ein paar Gäste mitbrachte. Das waren Bauern aus Georgien, Argentinien, Brasilien, Tansania und Indien. Das sind die Menschen, die gentechnisch veränderte Pflanzen gekauft haben. Diese Gäste erzählten auf einmal etwas ganz anderes. Sie erzählten von den Fehlschlägen mit gentechnisch veränderten Pflanzen. Sie erzählten von den Ernteausfällen, die sie nach dem Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen haben. Sie erzählten, dass der Einsatz von Schädlingsbekämpfungsmitteln gestiegen statt - wie von den Konzernen versprochen - gesunken ist. Sie erzählten, dass sie auf einmal niedrigere statt höhere Erträge haben. Sie erzählen von den vernichteten bäuerlichen Existenzen, weil eine nicht gelungene Ernte in den Schwellen- und Entwicklungsländern schlimmere Folgen nach sich zieht, als wir uns vorstellen können.
Wem glaubt man denn jetzt?
Da fand ich es interessant, dass sich das Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie in Golm dieses Themas in der Studie ?BT-Baumwolle in Indien - Wirtschaftlicher Durchbruch oder Versagen auf der ganzen Linie?“ auch einmal angenommen hat. Genau da wird auch gefragt:
Wie passen diese äußerst widersprüchlichen Sichtweisen
- positive Darstellung auf der einen Seite und persönliche Erfahrungen, die etwas ganz anderes berichten, auf der anderen Seite -
zusammen?
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Happach-Kasan?
René Röspel (SPD):
Gern.
Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Kollege Röspel, wir haben ja schon öfter miteinander über die Frage der Grünen Gentechnik diskutiert. Es ist immer sehr gut, wenn man einen solchen Dialog fortsetzt. Ich möchte Sie fragen, ob Sie außer den Einzelbeispielen, die der EED Ihnen präsentiert hat - der EED hat ja eine ideologisch sehr gefestigte Position gegenüber der Grünen Gentechnik; er lehnt sie nämlich ganz konkret ab, das muss man einfach so sagen -,
auch wissenschaftliche Erkenntnisse kennen. Professor Martin Quaim von der Universität Hohenheim, der sich insbesondere mit den Ergebnissen des Anbaus gentechnisch veränderter Pflanzen in den Schwellenländern beschäftigt, hat dazu zum Beispiel genaue Ausführungen gemacht. Kennen Sie diese Ausführungen? Kennen Sie auch seine Untersuchung zu der Frage, welcher Anteil des Gewinns den Firmen zukommt, zum Beispiel Monsanto, und welcher Anteil den Landwirten zukommt? Der Untersuchung kann man beispielsweise entnehmen, dass gerade in China und in Indien der Anteil, der den Landwirten zukommt, sehr hoch ist, nämlich 70 bis 80 Prozent, und in Argentinien - das korrespondiert mit dem, was Frau Höfken gesagt hat - der Gewinnanteil der Landwirte nur 10 Prozent ausmacht. Kennen Sie diese Untersuchung und in welcher Weise berücksichtigen Sie sie bei Ihren Ausführungen?
René Röspel (SPD):
Ich danke Ihnen für Ihre Frage. Ich kenne diese Untersuchung. Sie gibt mir Gelegenheit, jetzt gleich noch einmal aus der Veröffentlichung ?BT-Baumwolle in Indien“ vom Juli 2006 auf der Internetseite des Max-Planck-Instituts für Molekulare Physiologie in Golm zu zitieren, das nicht als ausgewiesen unwissenschaftlich oder ideologisch behaftet bekannt ist. Dort wird genau diese Problematik aufgenommen. Es gibt nämlich Ergebnisse, die die eine Sichtweise stützen, und Ergebnisse, die die andere Sichtweise stützen. Hier steht zu den Erträgen von gentechnisch veränderter Baumwolle in einigen Staaten Indiens geschrieben:
Durchschnittlich wurden in einigen Staaten
mit Bt-Baumwolle zwischen 45 % (2002) und 63 % (2003) höhere Erträge erzielt.
Das sind die positiven Botschaften, über die auch in den Biotech-Briefen berichtet wird. Auf der anderen Seite gibt es die Erfahrungen aus anderen Regionen und anderen Bereichen - in der Hohenheimer Studie wurde leider wieder nur ein bestimmter Teil angeschaut -, dass die Erträge deutlich geringer sind. So stand in einem Staat am Ende ein um durchschnittlich 40 Prozent geringerer Reingewinn bei der Ernte von gentechnisch veränderten Pflanzen. Genau darauf will ich hinweisen.
Wenn man sich die Literaturangaben im Biotech-Brief und aus den Publikationen von Hohenheim anschaut sowie weitere Literatur und wissenschaftliche Arbeiten zu diesem Thema sortiert, dann entwickeln sich zwei Stapel. Es ist eben nicht so, wie Sie vorhin sagten, dass es bewiesen ist, dass es keine Probleme gibt. Vielmehr liegen auf einem Stapel die positiven Aussagen, auf dem anderen Stapel die negativen Aussagen, wobei die Aussagen in beiden Stapeln, meistens jedenfalls, wissenschaftlich begründet sind. Am Ende dieses Stapelaufhäufens muss doch mindestens ein Zweifel stehen, wer denn nun recht hat. Übrigens kann das das MPI Golm auch nicht endgültig auflösen. Es entstehen eben diese unterschiedlichen Aussagen aus dem Anhören Betroffener und aus dem Lesen wissenschaftlicher Arbeiten. Die negativen Aussagen sind ja auch wissenschaftlich fundiert; das muss man in der Tat zur Kenntnis nehmen.
Wenn man dann auch noch die Aussagen zu der Frage sortiert, welche Auswirkungen eigentlich die Ausbringung gentechnisch veränderter Pflanzen hat - da haben wir einen Erfahrungszeitraum von zehn Jahren; der ist in einem Bereich, wo die Evolution Millionen Jahre gebraucht hat, wirklich so kurz, dass er eigentlich kaum relevant ist -, dann entstehen neue Stapel: einerseits ein Stapel, in dem wissenschaftlich begründete Hinweise enthalten sind auf Resistenzentwicklungen nach Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen, auf die Schädigung der Nichtzielorganismen, also der sogenannten Nützlinge, auf Auswirkungen auf die Böden und auf Auskreuzungen, die insbesondere beim Raps relativ deutlich machen, dass dieser kaum koexistenzfähig ist. Auf der anderen Seite gibt es den Stapel mit den Gegengutachten. Auch da bleiben schlicht und einfach Zweifel.
Wir haben glücklicherweise beim Bundestag mit dem Büro für Technikfolgenabschätzung ein Instrument, das uns helfen kann, diese Zweifel aufzuarbeiten. Auf den guten Bericht, der übrigens sehr ernüchternd endet, was die Bilanzierung der gentechnisch veränderten Pflanzen der zweiten und dritten Generation anbelangt, kann ich aus zeitlichen Gründen nicht eingehen.
Immer wieder kommt das Argument: Aber schaffen wir nicht Arbeitsplätze, wenn wir Gentechnik einführen? - Auch dazu gibt es viel Literatur. Ich habe sie einmal gesichtet und auch bei der Bundesregierung angefragt. Vom Bundesministerium für Forschung habe ich eine interessante Auskunft bekommen: In Deutschland beschäftigen knapp 50 Unternehmen im Bereich der Grünen Biotechnologie circa 1 200 Mitarbeiter. - Wenn wir großzügig rechnen und die Menschen hinzuzählen, die in den jeweiligen Abteilungen in den großen Konzernen arbeiten, kommen wir in Deutschland vielleicht auf 10 000 Mitarbeiter. Im ökologischen Landbau sind mittlerweile, Tendenz übrigens steigend, 150 000 Menschen beschäftigt.
Wir haben also das 15-fache an Arbeitsplätzen in einem Bereich, der auf gentechnikfreien Anbau dringend angewiesen ist.
Bei einer Abwägung dieser Arbeitsplatzzahlen würden wir sicherlich schnell zu der Auffassung kommen, dass wir vernünftige Regelungen brauchen.
Willy Brandt hat vor über 40 Jahren - in Bonn, lieber Herr Kelber - einmal gesagt: ?Der Himmel über der Ruhr muss wieder blau werden.“ Damals hat er sich mit der sichtbaren Umweltverschmutzung befasst, mit dem Ruß durch die Stahlerzeugung; den kenne ich als Ruhrgebietsmensch. Der Erfolg ist sichtbar: Der Himmel ist blau geworden. Was man damals nicht sehen konnte, waren die unsichtbaren Gefahren. Da gab es keine Zweifel. Es gab auch keine Kenntnis, dass das farb- und geruchlose Kohlendioxid sich im Laufe von Jahrzehnten ansammeln und irgendwann eine Klimakatastrophe auslösen könnte.
Wenn man bei einem Thema Zweifel hat - die hatte man damals nicht, deshalb ist das auch kein Vorwurf; aber heute muss man Zweifel haben, wenn man mit offenen Augen durch die Landschaft geht -, dann gibt es zwei Möglichkeiten, zu verfahren: Man kann mutig vorangehen und das Risiko in der Hoffnung eingehen, dass es gut gehen möge, oder man kann Alternativen suchen, forschen und abwägen, inwieweit man vorangehen kann. Bei Fragestellungen, bei denen man sich schadlos irren kann, weil man die Entscheidung zurückrufen kann, ist der erste Weg akzeptabel - mutig und risikobereit vorangehen. Bei Entscheidungen aber, die nicht mehr rückholbar sind - und das ist die große Frage, ob es bei den gentechnisch veränderten Pflanzen nicht um eine solche geht; wie sollen sie zurückgeholt werden, wenn sie einmal ausgebracht sind? -, gerät der erste Weg zum Lottospiel, und das ist politisch nicht verantwortbar. In diesem Fall ist der zweite Weg - risikoabwägend und absichernd vorzugehen - der bessere.
Wir sind als SPD-Fraktion der Auffassung, dass wir den Weg gehen müssen, das Risiko richtig zu bewerten. Wir wollen das im Sinne des Schutzes von Umwelt und Mensch auch tun.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Eva Bulling-Schröter für die Fraktion Die Linke.
Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Mehrheit in diesem Land will kein Genfood. Ich denke, das sollten Sie sich noch einmal auf der Zunge zergehen lassen. In meinem Heimatland Bayern vergeht keine Woche, in der nicht mindestens eine Veranstaltung oder Demonstration zu diesem Thema stattfindet, Ende des Monats wieder in Pfaffenhofen, dem Produktionsstandort der Firma Hipp, die sich sehr detailliert zu den Risiken und zu ihrer Ablehnung geäußert hat.
Frau Happach-Kasan, ich sage Ihnen nur eines: Die Menschen haben sehr wohl verstanden, und sie wollen, dass die Politik endlich versteht. Das ist, denke ich, der richtige Weg.
Herr Kelber, Sie haben von Presseerklärungen gesprochen. Stimmt; da haben wir vielleicht ein bisschen wenig gemacht. Aber Presseerklärungen sind nicht alles. Wir unterstützen die Initiativen vor Ort, und davon haben diese manchmal mehr.
Aber jetzt zu den Anträgen aus den Reihen der Opposition und dem TAB-Gentechnikbericht. Zum Antrag der FDP zur Änderung des Gentechnikgesetzes gibt es eigentlich nicht viel zu sagen. Jedes gesprochene Wort wäre eine unverhältnismäßige Aufwertung dieses industriehörigen und verbraucherfeindlichen Vorschlages.
Jetzt zum Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag. Um es kurz zu fassen: Er ist ein Nackenschlag für alle, die große Hoffnungen in die Anwendung der Agrogentechnik haben. Die Gefahren für Mensch und Umwelt nehmen in der zweiten und dritten Generation eben nicht ab, sondern zu. Der wirtschaftliche Nutzen ist fraglich. Ich kann mich noch an das Gejammere der Industrie während unserer Anhörung erinnern.
Der Bt-Mais MON810 steht europaweit in der Kritik. Wir begrüßen hier die Maßnahmen der Länder Österreich und Ungarn.
Beide Staaten haben aus berechtigten Zweifeln Konsequenzen gezogen und Regelungen geschaffen, die den Anbau von MON810 behindern. Erst wenn alle Unklarheiten beseitigt sind - falls das überhaupt möglich ist -, könnte der transgene Mais dort angebaut werden. Ich bin gespannt auf das Greenpeace-Gutachten.
Die Linke fordert hier grundsätzliche Lösungen. Es muss europaweit die Möglichkeit geben, sich regional und national gegen den Anbau transgener Kulturpflanzen auszusprechen.
Es kann nicht sein, dass eine Region, die diese Pflanzen nicht will, durch europarechtliche Regelungen zum Anbau gezwungen wird. Anbauverbote und Einfuhrbeschränkungen sollten jedem europäischen Staat zur Verfügung stehen. Gentechnikfreiheit bietet gerade den europäischen Landwirtinnen und Landwirten echte Vermarktungschancen. Diese gilt es nicht zu zerstören. Auch Sie wollen das doch nicht.
Thema Koexistenz. Die Grünen fordern im Antrag eine europaweite Regelung - ein guter Vorschlag. Wir fordern allerdings Klarheit, was unter Koexistenz eigentlich zu verstehen ist. Der Begriff wird genauso gedehnt und missbraucht wie der Begriff Nachhaltigkeit seit Rio. Folgt man der Logik von FDP, CDU/CSU und Monsanto, dann heißt Koexistenz, dass es quasi ein Recht auf Kontamination des Nachbarn bis zu einem Anteil von 0,9 Prozent gibt. Das ist auf keinen Fall zu akzeptieren.
Koexistenz bedeutet für die Linke ein Nebeneinander ohne jegliche Kontamination, Verschleppung oder Vermischung. Landwirtinnen und Landwirte der gentechnikfreien Produktion haben ein Recht auf ein Nebeneinander. Ein vermischtes Miteinander muss verhindert werden.
Nur so ist die viel zitierte Wahlfreiheit der Kundinnen und Kunden überhaupt möglich. Wer zahlt schon für ein als gentechnikfrei gekennzeichnetes Produkt, wenn es bis zu 0,9 Prozent Gentechnik enthalten kann?
Die Nachweisgrenze liegt heute bei 0,005 Prozent. Ich wiederhole: bei 0,005 Prozent. Daran muss man sich orientieren. Können BASF, Monsanto und ihre Freunde aus der Politik nicht garantieren, dass ihre Pflanzen nicht in andere Kulturen auskreuzen - egal, wie groß ein Sicherheitsabstand auch sein mag -, dann sollten sie diese auch nicht anbauen dürfen. Gentechnik muss sicher sein oder sich vom Acker machen! Das verstehe ich unter Koexistenz. Das bedeutet ein wirkliches Nebeneinander.
Ganz kurz noch zu den Freisetzungsexperimenten. Grundsätzlich sieht die Fraktion Die Linke Forschung an transgenen Pflanzen in Bezug auf Auskreuzungen, Verschleppung und sonstige Kontamination genau so kritisch wie beim kommerziellen Anbau.
Wir teilen die Kritik vor allem in Bezug auf Haftung, Referenzmaterial und Forschungsbedarf. Der Aspekt ?Bienen und Gentechnik“ muss noch mehr im Vordergrund stehen.
Forschung im offenen System ist immer risikobehaftet; eine hundertprozentige Sicherheit kann es nicht geben. Wir brauchen den Schutz von Mensch und Tier. Die Rolle der grünen Gentechnik in diesem Zusammenhang ist sehr fraglich.
Noch eine Bemerkung zu den Ausführungen von Frau Pieper: Sie hat gesagt, es gehe um mehr. Das stimmt: Es geht um die Verantwortung, um Verbraucherrechte und auf der anderen Seite um Millionengewinne von großen Konzernen. Sie haben die Wahl.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Elvira Drobinski-Weiß für die SPD-Fraktion.
Elvira Drobinski-Weiß (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren von der FDP, Sie haben uns heute hier den Entwurf für ein Gentechnikgesetz vorgelegt, das unserem obersten Ziel, nämlich dem Schutz von Mensch und Umwelt, und dem Vorsorgegrundsatz widerspricht, das die Koexistenzfragen ausschließlich zulasten der gentechnikfreien Lebensmittelproduktion und damit zulasten der Wahlfreiheit der Verbraucher regelt, das gegen EU-Recht verstößt, das auf Geheimniskrämerei statt auf Transparenz setzt und das damit nicht geeignet ist, das Vertrauen und die Akzeptanz der Verbraucherinnen und Verbraucher gegenüber der Grünen Gentechnik zu fördern.
Ich nenne es deshalb ein Akzeptanzverhinderungsgesetz. Damit erweisen Sie der Lebensmittelwirtschaft, aber auch der Biotechnologiebranche und der Forschung einen Bärendienst.
Dass Sie als Erstes die ethischen Werte aus dem Gentechnikgesetz streichen wollen, spricht für sich selbst. Dass Sie damit nichts Konkretes verbinden können, glaube ich gern. Aber der wiederholte Versuch, den Begriff des Inverkehrbringens umzudefinieren und die Weitergabe von Auskreuzungsprodukten aus Freisetzungsversuchen ohne entsprechende Genehmigung zu ermöglichen, macht mich langsam wütend.
Dass die EU-Kommission inzwischen mehrfach bestätigt hat, dass solche Produkte nicht weitergegeben werden dürfen, kann doch auch Ihnen, meine Damen und Herren von der FDP, nicht entgangen sein. Das ist nicht nur ein Verstoß gegen EU-Recht. Das widerspricht auch dem Vorsorgegrundsatz und dem obersten Ziel, dem Schutz des Menschen und der Umwelt.
Beinahe schon amüsant finde ich Ihre Erklärung, dass von kleinteiligen, parzellierten Anbaumaßnahmen auf Versuchsfeldern keine Auswirkungen auf die Nachbarschaft ausgehen können. Da kann man nur hoffen, dass die GVOs auch wissen, dass sie sich auf kleinen Versuchsfeldern befinden, und sich daran halten, dass sie deshalb nicht auskreuzen dürfen.
Ein wirkliches Highlight aber ist die Passage in der Begründung zu Nr. 8. Dort heißt es, dass eine gentechnische Veränderung auch durch Kreuzung, natürliche Rekombination oder andere Arten der Vermehrung übertragen werden kann. Eine derartige Übertragung könne aber - ich zitiere -
nur dann zur Entstehung eines gentechnisch veränderten Organismus führen, wenn die Übertragung absichtlich bewirkt wird, also das Ergebnis einer Herstellung ist.
Da zufällige Auskreuzungen nicht das Ergebnis eines ?finalen menschlichen Steuerungsprozesses“ sind - dieses Wortmonster stammt aus dem Gesetzentwurf der FDP -, handelt es sich nach Ihrer Definition dann auch nicht um gentechnische Veränderungen. Das ist zwar eine sehr kreative Definition; aber es ist der blanke Unsinn.
Die Probleme der Koexistenz der verschiedenen Anbauformen lassen sich nicht mit Ihrem Ansatz lösen, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Hier offenbart sich, dass Sie keine Lösungen anzubieten haben.
In der letzten Woche bin ich auf einer sehr interessanten Veranstaltung zur Weißen Biotechnologie gewesen. Ein enormes Potenzial zum Schutz von Umwelt und Ressourcen und zur Schaffung von Arbeitsplätzen steckt in diesem Bereich, welches bisher viel zu wenig genutzt wird - und das, obwohl Deutschland in Sachen Forschung und Technik die Nummer eins in Europa und weltweit die Nummer zwei gleich hinter den USA ist. Zum wiederholten Male habe ich dort gehört, dass die Zurückhaltung in diesem Bereich nichts mit dem Gentechnikgesetz zu tun hat, sondern mit mangelnder Investitionsbereitschaft. Das ist umso erstaunlicher, als die Weiße Gentechnik im Gegensatz zur Grünen Gentechnik nicht mit Akzeptanzproblemen zu kämpfen hat.
Im Unterschied zur Anwendung in der Medizin, also zu der der Roten Gentechnik, und zur Anwendung von gentechnisch veränderten Mikroorganismen in der Industrie, also zu der der Weißen Gentechnik, findet die Anwendung in der Landwirtschaft - hier geht es um die Grüne Gentechnik - nicht im Labor, sondern im offenen System, im Freiland statt. Deshalb muss hier verantwortungsvoll und mit besonderer Vorsicht vorgegangen werden.
Auf dieser Veranstaltung wies ein Teilnehmer zu Recht darauf hin, dass diese besondere Vorsicht beim Umgang mit der Gentechnik im Freiland und der Schutz der biologischen Vielfalt vor gentechnisch veränderten Organismen enorm wichtig sind, damit die Gentechnik weiter für die Biotechnologie genutzt werden kann. Die Möglichkeiten der Biotechnologie speisen sich aus der biologischen Vielfalt.
Auch deshalb setzen wir konsequent auf die Vermeidung von GVO-Verunreinigungen. Das fängt beim Saatgut an: Kennzeichnung ab Nachweisgrenze. Wo Gentechnik drin ist, soll das auch draufstehen.
Das geht weiter mit Sicherheitsmaßnahmen beim Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen, die die Verhinderung von Verunreinigungen zum Ziel haben und nicht die Einhaltung eines Kennzeichnungsschwellenwertes von 0,9 Prozent. Beim Anbau von gentechnisch verändertem Mais halten wir aus Vorsorgegründen einen Sicherheitsabstand von 300 Metern zu konventionell und ökologisch bewirtschafteten Flächen für nötig. Damit liegen wir sogar unterhalb des europäischen Durchschnitts, der für ökologisch bewirtschaftete Flächen bei rund 330 Metern liegt.
Wichtig ist, dass auch für Schäden unterhalb des Kennzeichnungsschwellenwertes von 0,9 Prozent ein Ausgleich möglich sein muss. Wir wollen nicht, dass die Geschädigten auf den Kosten sitzen bleiben, wenn ihre Produkte nicht oder nur zu einem geringeren Preis verkauft werden können, weil sie GVO-Anteile enthalten.
Das ist ein Erfordernis der Realität am Markt. Die Abnehmer sichern sich ab: Sie verlangen von ihren Zulieferern Nachweise über die GVO-Freiheit ihrer Produkte oder über die Einhaltung von Grenzwerten deutlich unter 0,9 Prozent.
Testmessungen werden also Standard werden. Solche Tests sollten nicht zulasten der GVO-freien Anwender gehen; sie sollten vielmehr den GVO-Anwendern vorgeschrieben werden. Im Umfeld der GVO-Anbauflächen vorgenommen, können solche Tests sicherstellen, dass GVO-Verunreinigungen direkt auf dem Acker erkannt werden und nicht erst im Laufe der Produktion oder am Ende der Warenkette.
Kolleginnen und Kollegen, der Schutz vor GVO-Einträgen und das frühzeitige Erkennen von Verunreinigungen sind von enormer Bedeutung für die Verbraucher und für die Lebensmittelbranche. Wir dürfen hier keinen Vertrauensverlust riskieren. Daran hängen auch viele Arbeitsplätze. Der Kollege Röspel hat schon darauf hingewiesen.
Wie wichtig es ist, dass auch die Wirtschaft davor geschützt wird, zeigt ein aktuelles Beispiel aus den USA. Dort wurde ein herkömmlicher Reis der Firma BASF vom Markt genommen, weil er GVO-Material eines Liberty-Link-Reises der Firma Bayer enthielt. Die Entfernung dieses Reises vom Markt wird nach Angaben eines Sprechers von BASF zu Umsatzausfällen in Millionenhöhe führen.
Es gibt also gute Gründe, auch im Interesse der Wirtschaft und der Biotechnologiebranche sehr vorsichtig mit der Grünen Gentechnik umzugehen. Der Gesetzentwurf der FDP wird dem in keiner Weise gerecht. Wir lehnen ihn ab.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort hat die Kollegin Bärbel Höhn für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir führen gerade eine sehr engagierte und sehr kontroverse Debatte. Das hat seinen Grund. Es geht nicht um irgendeine Lappalie, sondern um ein entscheidendes Thema. Es geht um die Frage - diese steht zur Entscheidung an -: Können wir in Deutschland und in Europa auch in Zukunft gentechnikfrei produzieren, ja oder nein?
Das ist eine entscheidende Frage, meine Damen und Herren. Wenn wir bei dieser Technik falsche Entscheidungen treffen, dann gibt es kein Zurück mehr. Dass das nicht nur eine Theorie, sondern die Praxis ist, sehen wir in Kanada. Das große Kanada - schauen Sie einmal auf die Karte, wie groß Kanada und wie klein Deutschland ist! - kann heutzutage keinen gentechnikfreien Raps mehr liefern. Weil dort falsche Entscheidungen getroffen worden sind, gibt es in Kanada die Koexistenz beim Raps nicht mehr.
Diese Erfahrungen müssen wir weltweit machen. Übrigens profitieren unsere Rapsbauern momentan davon. Raps wird ja nicht nur für die Energiegewinnung verwendet. Die Tatsache, dass gentechnikfreier Raps zunehmend in der Lebensmittelproduktion eingesetzt wird, führt dazu, dass für gentechnikfreien Raps heute ein höherer Preis erzielt wird als zu der Zeit, als dieser noch nicht so knapp war. Es handelt sich also um einen Wettbewerbsvorteil für die Bauern in Deutschland.
Im Hinblick auf die Frage, ob wir in Zukunft noch gentechnikfrei werden produzieren können, ist der Abstand von entscheidender Bedeutung. Frau Happach-Kasan, Sie sagen - ich erinnere mich sehr genau an eine Presseerklärung vom Juni letzten Jahres -, bei Mais - was natürlich etwas anderes ist als Raps - reicht ein Abstand von nur 70 Metern, weil damit der Grenzwert der EU von 0,9 Prozent eingehalten werden kann. Sie legen einen Abstand fest, mit dem die Kontamination der Nachbarfelder in möglichst großem Ausmaß stattfinden kann. Für Sie ist der Grenzwert ein Türöffner für die Gentechnik in Deutschland. Uns reicht ein solcher Abstand nicht.
Denn der Grenzwert von 0,9 Prozent hat einen Zusatz, den Sie offensichtlich nicht beachten. Ihre Position, den Abstand auf 70 Meter zu bemessen, ist EU-rechtswidrig. Im Zusatz heißt es nämlich, dass 0,9 Prozent ohne eigenes Verschulden eingehalten werden müssen. Mit Ihrer Abstandsbemessung führen Sie eine Verschuldung herbei und stellen die 0,9 Prozent als Normalfall dar.
Herr Seehofer will jetzt einen Abstand von 150 Metern. Dazu sage ich Ihnen: 150 Meter Abstand sind zu wenig, weil auch damit eine bewusste Kontamination von Nachbarfeldern in Kauf genommen wird. Das darf nicht sein.
In solchen Zusammenhängen orientiere ich mich immer an der Wirtschaft. Ich weiß, dass Monsanto seinen Vertragsbauern einen Abstand zu den Biofeldern von 300 Metern vorschreibt. Die Bauern müssen sich zur Einhaltung dieses Abstands schriftlich verpflichten. Ich frage daher: Warum fällt die Bundesregierung hinter den Abstand, den Monsanto für nötig hält, zurück? Ich habe für dieses Vorgehen kein Verständnis, insbesondere deshalb nicht, weil die meisten anderen Länder der EU mehr als 150 Meter vorschreiben. Richten Sie sich nach den Vorgaben der anderen Länder und nehmen Sie sich an deren Vorsorgeprinzip ein Beispiel! Sie wollen nämlich so ihre Bevölkerung schützen.
Ich möchte noch kurz auf die Freisetzungsversuche eingehen. Davon handelt auch unser Antrag. Herr Lehmer, ich halte das, was Sie hier veranstaltet haben, für unzulässig. Ich behaupte - das wiederhole hier sehr deutlich -: Momentan lassen Sie Freisetzungsversuche zu, die provokativ sind.
Wenn Sie aus dieser meiner Bemerkung schließen - was Sie eben getan haben -, ich würde Menschen zu Feldzerstörungen auffordern, dann muss ich sagen: Das ist unzulässig; denn das ist ein Totschlagargument. Jede Kritik an Freisetzungsversuchen wird von Ihnen sofort mit der Aufforderung zur Felderzerstörung gleichgesetzt. Diese Argumentation lasse ich nicht zu. Man muss Kritik an diesen Freisetzungsversuchen äußern dürfen, und das tun wir.
Wenn Sie Freisetzungsversuche von gentechnisch veränderten Kartoffeln mit pharmakologischer Wirkung zulassen, dann lassen Sie die Anpflanzung von Medikamenten zu und nichts anderes. In den USA und Kanada wird diskutiert, solche Versuche nur in geschlossenen Systemen und strikt getrennt von der Umwelt und der Lebensmittelkette zu ermöglichen. Warum wollen Sie hierzu den freien Feldversuch? Das geht nicht.
Am Ende meiner Rede sage ich: Die Argumente von Ihnen allen, insbesondere von Ihnen, Frau Happach-Kasan, finde ich unterirdisch. Sie, wie auch Herr Lehmer, präsentieren sich als Vertreter der Gentechnologie, von Genfirmen und achten nicht auf die Interessen der Bevölkerung. Das ist nicht im Sinne Ihres Mandats im Deutschen Bundestag.
Danke schön.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Kollege Peter Bleser für die Fraktion der CDU/CSU.
Peter Bleser (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was ist Grüne Gentechnik?
Grüne Gentechnik ist im Grunde nichts anderes als eine andere Form der Züchtung, die schneller, gezielter und breiter in der Anwendung ist.
Seit Jahrtausenden finden in der Natur Mutationen statt. Pflanzen haben sich verändert, um sich den neuen Bedingungen anzupassen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höhn?
Peter Bleser (CDU/CSU):
Auf Sie, Frau Höhn, komme ich gleich zu sprechen.
1980 hat das Max-Planck-Institut zum ersten Mal in Deutschland einen Gentechnikversuch durchgeführt, der gelungen ist.
Mithilfe eines Agrobakteriums wurde ein anderes Gen in eine Zelle eingebracht. 1996 begann in den Vereinigten Staaten von Amerika der kommerzielle Anbau. Heute werden weltweit 100 Millionen Hektar Land gentechnisch bestellt. 10,3 Millionen Landwirte bauen in 22 Ländern solche Pflanzen an.
Der Zuwachs ist rasant. Es sind 2006 12 Millionen Hektar mehr als im Jahr davor. Allein in Indien wird auf 3,8 Millionen Hektar Land Baumwolle angepflanzt, die gentechnisch verändert ist. In Deutschland haben wir gerade einmal 1 000 Hektar. Jetzt können wir natürlich sagen: 10,2 Millionen Bauern irren. Wir können auch sagen: 22 Länderregierungen irren.
Wir können uns aber auch fragen: Soll am deutschen Wesen die Welt genesen?
Oder kann es sein, dass wir uns hier ein Stück verrennen, zumindest in Teilen dieses Parlamentes und in der Öffentlichkeit?
Wir müssen den Menschen draußen einmal erklären, was überhaupt stattfindet. Da wird eine Maissorte gezüchtet, die den Schädling Maiszünsler abhält und eine chemische Behandlung erübrigt.
Da wird eine Baumwolle gezüchtet, die schon in der Pflanze die Färbung ermöglicht und damit später intensive chemische Prozesse vermeiden hilft. Da wird zum Beispiel aktuell in Mecklenburg-Vorpommern ein Freisetzungsversuch durchgeführt, bei dem es gelingen soll, Choleraimpfstoffe in Kartoffeln zu erzeugen.
Auch in den Vereinigten Staaten, wo man mit pflanzenschutzresistenten Sorten begonnen hat, hat man dies ja nicht ohne Grund getan. Das Ziel war, pfluglos arbeiten zu können und damit die Bodenerosion zu vermeiden. Das war doch der Grund, warum diese Technologie dort genutzt wird.
In der Forschung geht es ja weiter. Wir haben erste Ansätze für energiehaltigere Pflanzen - im Rahmen der Klimadiskussion eine ganz entscheidende Entwicklung. Wir haben den Versuch, Proteinanteile in den Pflanzen zu erhöhen. Proteinmangel ist ein Problem in vielen Ländern dieser Erde. Wir haben einen Versuch mit Kartoffeln, bei dem wir den Stärkegehalt und die Form der Stärke verändern, was dazu führt, dass wir kompostierbare Materialien schaffen können. Das sind alles Dinge, die sehr hoffnungsvoll sind, die der Umwelt nutzen, die der Welternährung nutzen, die der Gesundheit nutzen. Wir müssen den Menschen doch einmal sagen, was das Ziel dieser Technologie ist.
Es geht hierbei nicht nur um wirtschaftlichen Profit.
Ich weiß natürlich auch, dass 72 Prozent der Bevölkerung - von mir aus auch 80 Prozent - Ängste gegenüber dieser neuen Technologie haben.
Man muss diese Ängste ernst nehmen, und man muss sie auch entkräften. Dabei muss man sehr solide vorgehen. Das darf aber nicht ideologisch sein, Frau Höhn, sondern das muss man mit wissenschaftlichen, belastbaren Erkenntnissen machen,
die auch Bestand haben und nicht irgendwelchen politischen Zielen untergeordnet werden. Eine ideologische Instrumentalisierung dieser verheißungsvollen Technologie wird uns in Deutschland nicht weiterführen.
Dieses Parlament hat 1984 übrigens eine Enquete-Kommission eingesetzt, die sich genau mit diesen Fragen der Gentechnik beschäftigt hat. 1987 wurde das Ergebnis dieser Kommission vorgelegt, und diese Technologie wurde begrüßt. Aufgrund dieser Arbeiten ist übrigens das strenge System entstanden, das bei uns auch heute noch - auch durch die Europäische Union - etabliert ist, nämlich sehr strenge Voraussetzungen und Sicherheitsvorschriften in Form von Stufen, vom Labor über Gewächshäuser bis zu Freisetzungsversuchen. Das dient doch nur der Sicherheit und nicht dem Gegenteil, wie hier viele unterstellen.
2001 ist die Freisetzungsrichtlinie in Brüssel beschlossen worden. Da waren wir nicht an der Regierung, Frau Höhn und Frau Höfken. Künast und andere haben diesen Beschluss mit herbeigeführt.
2004 hat hier eine andere Koalition die Umsetzung der europäischen Freisetzungsrichtlinie beschlossen. Auch das muss man den Menschen sagen. Aufgrund dieser Rechtsetzung findet heute gentechnisch veränderter Anbau in Deutschland statt. Wir gehen jetzt daran - das ist sehr zu loben und hervorzuheben -, dieses Recht so zu verändern, dass es praktikabler wird und dass die Sicherheit für Anbauer und Verbraucher besser wird, nicht schlechter.
Das ist unser Ansatz. Deswegen wollen wir uns hier auf der Grundlage des im Kabinett verabschiedeten Eckpunktepapiers in den nächsten Wochen zusammensetzen.
Herr Kollege Kelber, da stimme ich mit Ihnen voll überein: Die Linie ist jetzt festgelegt. Wir müssen uns mit den Fragen, die Sie angesprochen haben, auseinandersetzen. Ich bin der festen Überzeugung: Wenn wir nach der Maxime vorgehen, niemandem etwas vorzuschreiben, sondern den Rahmen so zu setzen, dass die Verbraucher die Entscheidungsmöglichkeit behalten, gentechnisch veränderte Produkte zu kaufen oder nicht, und dass die Anbauer die Entscheidungsmöglichkeit behalten, gentechnisch veränderte Pflanzen anzubauen oder nicht,
dann können wir einen Konsens finden, der in der Bevölkerung verstanden wird.
Dass es da unterschiedliche Einschätzungen gibt, Kollege Kelber, ist völlig normal. Ich bin da der gleichen Meinung wie Ihr Kollege Rainer Wend, der sagt: 150 Meter Abstand sind bei guter fachlicher Praxis satt ausreichend.
- Diese Meinung können Sie akzeptieren oder nicht. - Für mich ist entscheidend, dass diese Grenzen, wenn Nachbarn diese Produkte anbauen, im Sinne der Praktikabilität auch unterschritten werden können.
Der FDP geht es auch um die Ächtung der Zerstörung von Feldern, insbesondere von Versuchsfeldern. Ich kann das nur nachdrücklich unterstützen. Wir müssen gemeinsam gegen die vorgehen, die hier Recht brechen wollen. Frau Höhn, ich bin sehr dankbar, dass auch Sie sich hier in dieser Form positioniert haben.
Wir müssen diese Forschung ermöglichen, um die Rechtssicherheit und die Sicherheit für das Produkt, die wir alle wünschen, herzustellen.
Ich will wie mein Kollege Lehmer die Bundesregierung, aber auch uns im Parlament, ebenso die Wirtschaft und die Medien auffordern, einen Zusammenhang, der so komplex ist, wie es diese Technologie nun einmal ist, so darzustellen, dass die Bevölkerung versteht, worum es geht,
dass ihr die Ängste genommen werden und dass der Bevölkerung auch die Chance gegeben werden kann, die Vorteile - die eindeutig vorhanden sind - zu nutzen.
Ich komme zum Schluss. Wir wollen einen Rechtsrahmen setzen, der Wahlfreiheit und Koexistenz ermöglicht. Wir wollen die Forschung hier halten; denn nur wo die Forschung ist, werden auch die dazugehörigen Unternehmen langfristig bleiben. Verhalten wir uns so, dass uns zukünftige Generationen nicht den Vorwurf machen können, eine tolle Chance vertan zu haben! Das sollte unser Anspruch sein.
Herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Dr. Matthias Miersch für die SPD-Fraktion.
Dr. Matthias Miersch (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Schluss sprechen zwei Praktiker: der Kollege Bleser aus landwirtschaftlicher Sicht, ich aus juristischer Sicht. Wir haben uns seit Jahren mit der Problematik auseinandersetzen können. Lassen Sie mich vorweg sagen: Ich glaube, es ist unstreitig, dass wir hier in die Zukunft blicken und tatsächlich sichere Regelungen auf diesem Gebiet erreichen wollen.
Wir haben im Koalitionsvertrag in diesem Zusammenhang zwei feste Grundwerte vereinbart, nämlich den Grundsatz der Koexistenz und den Grundsatz der Wahlfreiheit.
Ich meine, dass sich alle Regelungen und alle Novellierungen des Gentechnikgesetzes an diesen Grundwerten messen lassen müssen.
Es ist manchmal ratsam, im Rahmen einer Gesetzesberatung die bisherige Praxis zu betrachten und sie auszuwerten.
Da müssen wir uns vor allem zwei Bereiche vornehmen - denn vieles von dem, was wir lesen, sind nur Hypothesen, und bewiesen ist nichts -: Der erste Bereich ist der Forschungsbereich. Wird die Forschung behindert, wie es manchmal heißt? Der zweite Bereich ist die tatsächliche Praxis.
Bei der Forschung geht es primär um die Freisetzungsversuche. Ich will jedem, der sagt, dass das Gentechnikgesetz hier zu eng sei, empfehlen, die bisherige Rechtsprechung zur Kenntnis zu nehmen. Gerichte hier in Berlin - die zuständigen Behörden saßen hier - haben sich mit Klagen von Menschen beschäftigt, die versucht haben, Freisetzungen auf rechtlichem Wege zu verhindern. Diese Bürger sind mit ihrer Klage fast nicht über die Stufe der Zulässigkeit hinausgekommen. Mir sind jedenfalls nur ganz wenige Verfahren bekannt, die auf diese Art und Weise infrage gestellt werden konnten.
Auch gehört dazu, dass wir uns anschauen, ob einige der beabsichtigten Freisetzungsversuche eigentlich dem Koexistenzgedanken entsprechen, den wir ja zusammen vereinbart haben. Ich will dabei ganz konkret auf den aktuellen Freisetzungsversuch in Gatersleben eingehen. Worum geht es? Es geht um die Freisetzung von gentechnisch verändertem Weizen, und zwar in der Nachbarschaft einer Genbank, in der jahrhundertealte Sorten erhalten und zur Erhaltung freigesetzt werden bzw. in Freilandanbauen gesichert werden. In dieser Nachbarschaft wird der Freisetzungsversuch stattfinden. Ich finde es bedenklich - das sage ich an dieser Stelle auch an die Adresse des Ministeriums -, dass es in einem Brief des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit an das entsprechende Institut heißt:
Unabhängig von der Erteilung der Freisetzungsgenehmigung halte ich es aufgrund der vielen Einwendungen mit Bezug auf die räumliche Nähe zur Genbank für geboten, den Standort für die Vermehrung der Genbankakzessionen zu verlagern.
Hier wird verlangt, dass jahrhundertealtes Kulturgut dem Forschungsdrang weichen soll. Das widerspricht aus meiner Sicht klar dem Grundsatz der Koexistenz.
Ich halte es für unangemessen und der Sache nicht dienlich, wenn man sich genau diesen Bereichen zuwendet. Warum sucht man sich nicht andere Gebiete, die es zweifellos gibt? Warum lässt man es hier auf den Crash ankommen? Das verstehe ich, ehrlich gesagt, nicht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nun ein Blick in die Praxis - der Kollege Bleser kennt die Befürchtung vieler Berufskolleginnen und -kollegen; ich bin mir allerdings nicht immer sicher, ob die Spitze des Deutschen Bauernverbandes hier wirklich für die Mehrheit der Landwirte spricht -:
Wenn man sich damit beschäftigt, welche Probleme ein Landwirt schon heute hat, wenn er Schädigungen an seinem Saatgut geltend machen will, dann stellt man fest, dass er vor juristischen Hürden steht, die fast nicht zu überwinden sind. Halten wir uns nur einmal vor Augen, was es bedeutet, wenn in einer Stadt oder einem Dorf ein Landwirt gegen einen anderen Landwirt prozessieren muss.
In einem solchen Fall geht es um die Fragen: War dein Saatgut zuerst ?verseucht“? Ist das vielleicht durch falschen Umgang mit Maschinen geschehen? Hast du das also selbst und auf deinem eigenen Hof verursacht? All diese Fragen sind juristisch hochproblematisch. Das kann zur Folge haben, dass die Landwirte, die auf jahrhundertealte Technik zurückgreifen, plötzlich ins Hintertreffen geraten. Das kann niemand wollen.
Ich nenne an dieser Stelle immer das unter Landwirten bekannte Beispiel Farino. Als es darum ging, Schädigungen des Saatgutes geltend zu machen und Schadenersatz einzufordern, ist ein großer Teil der betroffenen Landwirte gescheitert. Ich will nicht, dass wir in Fragen der Gentechnik etwas Ähnliches erleben. Wenn wir also Gesetze novellieren, dann müssen wir diese Gegebenheiten in der Praxis zur Kenntnis nehmen und Antworten darauf finden, wie wir damit umgehen. In der Nachbarschaft von GVO-Feldern muss es vorsorgliche Proben geben. Die Landwirte müssen sich also überlegen, ob das, was sie ernten, kennzeichnungspflichtig ist, oder nicht. Wie gehen wir mit Flächen um, die hochsensibel sind, weil dort beispielsweise Saatgutvermehrung betrieben wird? Das muss meines Erachtens geklärt werden, wenn wir diese Diskussion ernst nehmen.
Nun zu Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP. Sie fordern, die Transparenz einzuschränken. Ich glaube, Transparenz ist die Grundlage von Akzeptanz. Sehen Sie sich doch einmal an, was wir im Deutschen Bundestag gerade im Zusammenhang mit der Beteiligung der Öffentlichkeit machen. Ich nenne nur das Stichwort: Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetz. Das, was Sie vorschlagen, ist das genaue Gegenteil dessen. Ihre Vorschläge sind aus meiner Sicht europarechtswidrig.
Man muss sich die Situation vor Ort genau ansehen - hier ist Bayern ein gutes Beispiel -: Die Landwirte und die Verbraucherinnen und Verbraucher tun sich zusammen, nehmen die Sache in die Hand und entscheiden selbst, was sie vor Ort wollen und was nicht. Ich glaube, es wäre gut, die deutsche EU-Ratspräsidentschaft dazu zu nutzen, um die Frage der Bürgerbeteiligung, beispielsweise im Hinblick auf die Entscheidung über gentechnikfreie Regionen, in die Diskussion auf europäischer Ebene einzubringen.
Es würde uns gut anstehen, diese Diskussion sachgerecht und vor allen Dingen vor dem Hintergrund der Erfahrungen zu führen, die wir in der Praxis sammeln. Dann kann das Gentechnikgesetz in einem positiven Sinne novelliert werden. Dazu sind Sie alle herzlich eingeladen.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Ich schließe die Aussprache.
Bezüglich der Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b und hinsichtlich des Zusatzpunktes 4 wird interfraktionell die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/4143 und 16/1211 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf Drucksache 16/4556 - Tagesordnungspunkt 4 b - soll an dieselben Ausschüsse wie die Vorlage auf Drucksache 16/4143 überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, dass ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 4c: Dabei geht es um die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz auf Drucksache 16/4574 zu dem Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel ?Bei gentechnischen veränderten Pflanzen nationales Recht auf Einfuhrverbote und Schutzmaßnahmen nutzen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/1176 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlussempfehlung bei Gegenstimmen der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 85. Sitzung - wird am
Freitag, den 9. März 2007,
an dieser Stelle veröffentlicht.]