An der Konrad-Adenauer-Allee in Bonn steht unweit des alten Plenarsaals das Hochhaus Tulpenfeld. Heute beherbergt der weiße Zweckbau aus den 60er-Jahren die Bundesnetzagentur. Dort werden die Weichen für die Regulierung netzgebundener Industrien gestellt, zu denen die Telekommunikation und damit das superschnelle Internet gehören. Das Hochhaus Tulpenfeld ist jedoch auch mit der Geschichte meiner Partei eng verbunden. 1983 bezogen dort die erstmals in den Bundestag gewählten Grünen ihre Büros, an der Spitze Petra Kelly, Antje Vollmer, Joschka Fischer und Otto Schily, mit dabei eine abgestorbene Tanne, denn das Waldsterben war damals ein beherrschendes Thema.
Auch wenn zu dieser Zeit die ersten Computer die Berufswelt eroberten und Bill Gates oder Steve Jobs ihre Garagen längst gegen Büros im Konturen annehmenden Silicon Valley getauscht haben, brauchte es weitere zwei Jahre, bis es der Computer zu einem die Fraktionsgemüter erhitzenden Thema bei den Grünen geschafft hatte. Achim Schmillen, ein junger Fraktionsmitarbeiter, der heute Deutscher Botschafter in Chile ist, stellte seinen PC in eben diesem Hochhaus Tulpenfeld auf. Das mutmaßlich Arbeitsplatz zerstörende Potenzial dieser neuen Technologie löste eine heftige Debatte aus, an deren Ende die Fraktion beschloss, Achim Schmillens Rechner zu verbannen. Diese Anekdote bringt mich und meine Kollegen bei Bündnis 90/Die Grünen heute zum Schmunzeln, denn wir dürften nunmehr die Fraktion mit der größten Black-berry-Dichte in der ganzen Welt sein.
Als ich 1994 in den Bundestag gewählt wurde, begannen sich Mobiltelefone und Internet gerade zu etablieren. Man wurde als Handynutzer von vielen Kollegen etwas schräg angeguckt. Im 14. Stock des Hochhauses Tulpenfeld war es damals nicht möglich, ein privates Notebook ans Netz anzuschließen, und es dauerte, bis der Deutsche Bundestag über PARLAKOM die Bundestagsrechner vernetzte. Für die ersten Websites mit eigener URL konnten die Pioniere wie mein Kollege Jörg Tauss von der SPD noch Lorbeeren einheimsen. Inzwischen ist der Bundestag zwar gut ausgestattet, und Dank UMTS ist heute einiges mehr möglich.
Spätestens seit meiner Zeit als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverbraucherministerium habe ich angesichts des Dauerpendelns zwischen Berlin, Bonn, Brüssel und meinem Heimatland Hessen mein Büro auf die Größe eines Subnotebooks reduziert. Die Beamten des Ministeriums sind zunächst etwas ungläubig dem Wunsch nachgekommen, mir alle Vorlagen nur noch elektronisch zur Verfügung zu stellen. Wo andere ganze Aktenordner zur Sitzung mitschleppen mussten, hatte ich die Vorbereitung im Rechner und immer verfügbar, was es enorm erleichterte, sich in Details einzuarbeiten. Ortsunabhängiges Arbeiten ist inzwischen Realität. Von daher kann ich die E-Mails, die mich von Bürgern oder aus dem politischen Betrieb erreichen, auch direkter beantworten.
Das Internet erleichtert heute den Abgeordneten die Informationsbeschaffung und verkleinert die Informationsasymmetrie zwischen den Parlamentarien und der starken Ministerialbürokratie spürbar. Teilweise ist es möglich, in den Ausschusssitzungen via E-Mail oder Suchmaschine an Informationen zu kommen, mit denen die Regierung unter Druck gesetzt werden kann. Der triviale, aber wohl größte Vorteil des Internets liegt in der abgesenkten Schwelle der Kontaktaufnahme zwischen Bürgern und Politikern. Es wäre zu begrüßen, wenn Zeitungen und sonstige Multiplikatoren vermehrt auf Foren setzen würden. Allerdings sollten zwei Regeln gelten: Die Bürger müssen sich möglichst kurz fassen und die Abgeordneten wirklich selbst antworten.
Der Bundestag könnte selbst einen Beitrag leisten und über die Einrichtung eines Internet-Cafés noch systematischer die neuen Technologien nutzen, um seine Arbeit für die Bürger interessant zu machen. Unweit des Plenarsaals im nordwestlichen Turm befindet sich der wohl schönste Raum des ganzen Parlaments. Er war ursprünglich als Bar konzipiert worden, ist aber von den Abgeordneten nicht angenommen worden. Heute wird er mit notdürftig herein gestellten Tischen als Sitzungsraum zweckentfremdet. Dabei ist der Ort ideal für ein Internetcafé. Nach ausgewählten Debatten müssten die Redner sich dort in Chatrooms den Fragen der Bürger zum Debattenverlauf stellen. So könnte der Bundestag unter den Parlamenten weltweit nicht nur die meisten Besucher in der Kuppel, sondern auch im Netz erreichen.
Der Autor ist Abgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag.
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