Um welche Zugehörigkeit geht es, wenn junge Muslime bewusst westlichen und islamischen Lebensstil mixen? Welche Elemente aus Orient und Okzident möchten sie verbinden, welche schließen sie von vornherein aus? Welche Elemente dominieren? Diesen Fragen spürte Julia Gerlach nicht nur in Frankfurt nach, sondern recherchierte unter anderem in Ägypten einem Phänomen hinterher, das sie als "Pop-Islam" bezeichnet. Westliche Mode, Musik oder Fernsehprogramme werden mit islamischen Vorzeichen versehen. Das ist die äußere Hülle. Aber es geht um mehr. "Pop-Islam" umschreibt eine in der islamischen Welt entstandene Jugendbewegung, die Werbung machen möchte für einen friedlichen oder ihrer Meinung nach wahren Islam. Wenn der Westen vom Islam redet, meint er meist Selbstmordattentäter und in ihrem Hass auf den Westen fanatisierte Gläubige. Pop-Muslime hassen den Westen nicht. Pop-Muslime kaufen auch Barbie-Puppen - nur, dass diese auch Kopftuch tragen.
Überhaupt: Das Kopftuch! Wer glaubt, es passt nicht in die moderne Erscheinungsform dieser Jugendlichen, der irrt sich gewaltig. Ohne Kopftuch geht es nicht für weibliche Pop-Muslime, denn, dass stellt Julia Gerlach auch fest: "Pop-Muslime sind cool in ihrem Auftreten, aber sie sind selten liberal." Das heißt zum einen: Gott steht für die jungen Gläubigen an höchster Stelle - noch über Regierung, Grundgesetz und menschlichem Willen. Sie gestalten ihr Leben in dem Sinne nach einer konservativen Lesart des Islam, als dass für sie Kopftuch, Geschlechtertrennung, Enthaltsamkeit vor der Ehe und die Befolgung der Regeln der Scharia selbstverständlich dazugehören. Aber, und das ist für die von der Autorin Befragten fast nie ein Widerspruch: Sie wenden sich entschieden gegen Zwangsehe und Ehrenmorde; sie sehen keinen Konflikt, gleichzeitig die Scharia und das deutsche Grundgesetz zu achten; sie betrachten studierende und beruflich erfolgreiche Frauen als etwas völlig Normales. Ihnen geht es darum, einen "positiven" Islam vorzuleben, indem sie sich für die Gesellschaft engagieren: Sie schmieren Butterbrote für Obdachlose in Köln oder richten ein Computer-Zentrum für arbeitslose Jugendliche in München ein. "Dafür bekomme ich einen Pluspunkt bei Allah", meinten die Befragten zu ihrer Motivation. Sie sollen, so haben sie es von dem ägyptischen Vordenker der Bewegung, Amr Khaled, übernommen, ihr Leben in die eigene Hand nehmen.
Das Spannende an ihren Gesprächspartnern sei gewesen, dass "sie alles durcheinander bringen". Pop-Muslime leben nicht in Parallelgesellschaften sondern in der Mitte der deutschen Gesellschaft. Gleichzeitig stellen sie das Konzept des säkularen Staates vor Herausforderungen. Weil sie den Islam aus einer ganzheitlichen Perspektive betrachten, existiert für sie die Trennung von Staat und Religion nicht. Und: "Sie verfolgen ein Projekt, das bei allem Trendbewusstsein und dem Bemühen um Integration auch auf eine Veränderung der Gesellschaft abzielt. Sie gehen davon aus, dass sie das richtige Weltkonzept haben und es nur eine Frage der Zeit und der richtigen PR ist, bis auch der Rest der Welt dies einsieht." Vor diesem Hintergrund warnt die Autorin zu Recht vor einer Romantisierung des Pop-Islam und plädiert für eine sehr genaue Auseinandersetzung mit ihm. Die Bauchschmerzen müssten ernst genommen werden, sie begründen aber keineswegs einen Konfrontationskurs gegenüber diesen jungen, frommen Muslimen. Im Gegenteil: Trotz Bedenken könnten die Pop-Muslime vielmehr einen wichtigen Beitrag zur Deeskalation im Kampf der Kulturen spielen, so die Autorin. Das Plädoyer für einen Dialog, für eine gegenseitige Neugier setzt die Autorin selbst sehr sachkundig um. Für Leser, die sich differenziert mit dem Islam auseinandersetzen wollen, ist Gerlachs Analyse genau das Richtige.
Dem gleichen Ansatz, nicht über, sondern mit den Einwanderern zu reden, verpflichtet sich ein anderes Buch des Verlages: Kerstin E. Finkelsteins "Eingewandert" entstand gleichsam aus ihrem Vorgängerbuch "Ausgewandert", für das sie Deutsche in aller Welt aufspürte und nach ihrem Leben in der Fremde befragte. "Man bleibt deutsch" hieß die Devise bei den meisten Ausgewanderten, und so stellte sich für Finkelstein nun die "logische Gegenfrage": "Inwieweit bleibt man auch hierzulande Ausländer?" Auf ihrer Reise quer durch die Republik befragte sie Einwanderer aller Art: Der Italiener, der seit 40 Jahren hier lebt, eine deutsche Frau geheiratet und sich nach einem erfolgreichen Leben als Gastronom zur Ruhe gesetzt hat. Er sagt: "Ich bin kein Deutscher. Ich würde nie meine italienische Staatsbürgerschaft abgeben." Die Kroatin mit deutschem Pass sagt: "Ich habe immer dafür kämpfen müssen, eine Ausländerin zu sein! Ich war immer eine ausländische Deutsche, denn schließlich habe ich ja noch eine andere Kultur." Wenig später verstrickt sie sich in Widersprüche, indem sie feststellt: "Heute wird immer betont, jeder solle seine eigene Identität behalten. Manchmal frage ich mich, warum die dann überhaupt herkommen."
Es ist ein Manko des Buches, dass solche Widersprüche unkommentiert stehen bleiben, der analytische Gegenpol zur dargestellten Subjektivität meist fehlt. Es reicht nicht, über eine Türkin zu schreiben: "Ihre Geschichte ist so schrecklich, dass selbst ich als Zuhörerin mich hilflos und bedrückt fühle." Damit kann man als Leser wenig anfangen, genau wie mit anderen, sehr unterschiedlich verteilten Einsprengseln über die Befindlichkeiten der Autorin. Sie sind nur sinnvoll, wenn sie eine bestimmte Funktion im Rahmen der Erzählung haben. Dennoch liefert Finkelstein mit ihren zahlreichen Porträts, die aufgrund ihrer Kürze eher Skizzen ähneln, ein facettenreiches Bild der Einwanderung nach Deutschland. Ergänzt mit einem historischen Überblick über die Entwicklungen bietet das Buch für jene einen Einstieg ins Thema, die sich bisher noch nicht mit der Materie beschäftigt haben.
Julia Gerlach, Zwischen Pop und Dschihad. Muslimische Jugendliche in Deutschland. Christoph Links Verlag, Berlin 2006; 256 S., 16,90 Euro.
Kerstin E. Finkelstein, Eingewandert. Deutschlands "Parallelgesellschaften". Christoph Links Verlag, Berlin 2006; 226 S., 16,90 Euro.