Alles, was wir über die Welt, in der wir leben, erfahren, wissen wir aus den Massenmedien." Prägnanter als die Aussage des Soziologen Niklas Luhmann kann eine Definition unserer Mediengesellschaft kaum ausfallen. Wer jedoch sind diese Menschen, die uns Wichtiges und häufig auch weniger Wichtiges über unsere Welt erzählen, uns ins Bild setzen, uns Afrika ebenso näher bringen wie Gesundheitsreform, Mehrwertsteuerhöhung und EU-Ratspräsidentschaft? Über die "Souffleure der Mediengesellschaft", die täglich unsere mediale Welt erschaffen, Orientierung geben oder Verwirrung stiften war bisher nur wenig Stichhaltiges bekannt. Diese Lücke haben Siegfried Weischenberg, Maja Malik und Armin Scholl nun geschlossen. In ihrem auf der Studie "Journalismus in Deutschland II" basierenden Buch "Die Souffleure der Mediengesellschaft", zeichnen die Kommunikationswissenschaftler ein akkurates und hintergründiges Bild des deutschen Journalismus und seiner Protagonisten. Sie gehen dem gerne als "vierte Gewalt" im Staat bezeichneten Mediensystem auf den Grund, schauen hinter die Kulissen, befassen sich mit Ausbildung, Wissen und Selbstverständnis der Journalisten und analysieren die Wirkzusammenhänge des Systems. "Die Souffleure der Mediengesellschaft" ist die äußerst gelungene, detailreiche und scharfsinnige Zusammenfassung dieser Studie, die nicht nur im Schrank jedes ernstzunehmenden Journalisten stehen sollte, sondern auch Medienkonsumenten - und das sind wir alle - viel über die Welt hinter der Nachricht oder den Fernsehbildern verrät.
In den Mittelpunkt der Untersuchung haben Weischenberg, der seit 2000 das renommierte Hamburger Institut für Journalistik und Kommunikationswissenschaft und das Zentrum für Medienkommunikation leitet, und seine Kollegen Fragen um Macht und Einfluss von Journalisten und ihrem diesen gegenüberstehenden Selbstverständnis gestellt. 1.500 der insgesamt 48.000 hauptberuflichen Journalisten in Deutschland wurden für die Studie "Journalismus in Deutschland II" befragt. Weischenbergs erste Studie zum Thema aus dem Jahr 1993 dient als Referenzpunkt und ermöglicht neben dem zeitlichen Vergleich auch eine internationale Einordnung.
Mit dem im reichhaltigen Anhang dokumentierten Fragebogen haben die Forscher neben Basisdaten wie Ausbildung, Arbeitszeit und -belastung und Berufszufriedenheit auch Daten zum Umgang mit Presseerklärungen, Möglichkeiten zur Recherche, zur persönlichen politischen Einstellung und zu Einflussfaktoren auf das journalistische System erhoben.
Der deutsche Durchschnittsjournalist ist demnach männlich, knapp 41 Jahre alt, stammt aus der Mittelschicht, lebt in einer festen Partnerschaft, ist kinderlos, hat die Hochschulausbildung und ein Volontariat abgeschlossen, arbeitet bei Printmedien und verdient rund 2.300 Euro netto im Monat. Diese quantitative Wirklichkeit des deutschen Journalismus gibt zwar den Massenmedien ein Durchschnittsgesicht, ist aber eher ein Randaspekt der Analyse. Weischenbergs wichtigste Erkenntnisse sind struktureller Art: Deut- lich weniger hauptberufliche Journalisten als 1993 produzieren heute ein deutlich größeres Medienangebot, eine größere Zahl an "Gelegenheitsjournalisten" bedingt eine teilweise Deprofessionalisierung der Branche, immer mehr Journalisten berichten nicht mehr aus der Distanz, sondern treten selbst als Experten oder Allwissende vor die Kameras.
Dankeswerterweise verzichten die Forscher auf jegliche qualitativ-moralische Vergleiche zwischen Journalismus von damals und heute. Stattdessen lassen sie die mühsam zusammengetragenen Zahlen sprechen. Genau das macht "Souffleure der Mediengesellschaft" zu einer lesenswerten, weil gehaltvollen, empirischen Analyse der deutschen Medienlandschaft und ihrer Protagonisten.
Siegfried Weischenberg, Maja Malik, Armin Scholl, Die Souffleure der Mediengesellschaft. Report über die Journalisten in Deutschland. UVK Verlagsgesellschaft, Konstanz 2006; 315 S., 19,90 Euro.