Im Maßregelvollzug werden psychisch kranke oder suchtkranke Straftäter untergebracht. So jedenfalls sieht es das Strafgesetzbuch vor. In den zumeist psychiatrisch-forensischen Fachkrankenhäusern oder Abteilungen psychiatrischer Kliniken soll der kranke Straftäter therapiert werden. Ein Ziel, welches angesichts der Überbelegung, entstanden durch die Zunahme der Einweisungen und der Rückgang von Entlassungen, kaum noch zu erreichen ist. Der Maßregelvollzug, so die Einschätzung der geladenen Experten während einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses am 28. Februar ist auf dem Weg zu einer Sicherungsverwahranstalt. Dem gilt es entgegenzuwirken.
Sowohl die Bundesregierung als auch der Bundesrat haben daher Gesetzentwürfe vorgelegt, mit denen aus ihrer Sicht sowohl die knappen Ressourcen von Justiz- und Maßregelvollzug effektiver genutzt werden sollen, als auch bestehende Sicherheitslücken geschlossen werden können. Nach Meinung der Experten gehen beiden Vorlagen durchaus in die richtige Richtung. Sie enthielten, so sagte beispielsweise Professor Norbert Leygraf, Direktor des Instituts für Forensische Psychiatrie der Universität Essen, aus wissenschaftlicher sowie praktischer Sicht, einige erfreuliche Regelungen. Andere seien ausgesprochen problematisch.
Weitgehend begrüßt wird die Umkehr der Vollstreckungsreihenfolge. Bisher werde die Maßregel grundsätzlich vor einer eventuell parallel verhängten Strafe vollzogen. Das sei nicht sinnvoll, sagte Klaus Hoffmann, Chefarzt der Abteilung Forensische Psychiatrie und Psychotherapie Reichenau. Die Unterbringung im Maßregelvollzug sei nicht mit der Behandlung einer Infektion gleichzusetzen, die vor Haftantritt ausgeheilt werden solle. Eine erfolgreiche Behandlung müsse die Entlassung zur Folge haben und nicht in die Verbüßung einer eventuellen Reststrafe münden. Laut Gesetzesvorlage soll es daher künftig erlaubt sein, bei Tätern, die über einen Zeitraum von einem Jahr "ohne angemessenen Erfolg" im Maßregelvollzug behandelt wurden, die Freiheitsstrafe ganz oder teilweise vorzuziehen. Mit einer Umkehr der Vollstreckungsreihenfolge könne nach Auffassung der Bundesregierung auch vermieden werden, dass kostenintensive Therapieplätze blockiert werden. Handle es sich bei der untergebrachten Person um einen Ausländer, der in naher Zukunft ausgewiesen werden kann, soll laut Entwurf ebenfalls die Verbüßung der Freiheitsstrafe vorgezogen werden. Aus der Sicht von Professor Rüdiger Müller-Isberner vom Zentrum für Soziale Psychiatrie Haina ist dies durchaus sinnvoll. Man wisse nicht, was den Ausreisepflichtigen in seinem Heimatland erwarte und könne ihn daher auch nicht darauf vorbereiten.
Müller-Isberner sieht jedoch das Hauptproblem in der zu großzügigen Auslegung des psychiatrischen Maßregelvollzuges als Sicherungsinstrument. Dies mache ihn zur Verwahranstalt für schwierige Kriminelle, worunter Kranke zu leiden hätten.
Entschieden abgelehnt wurde der Vorschlag des Bundesrates, Maßregelvollzugsunterbringung für Straftäter anzuordnen, bei denen eine verminderte Schuldfähigkeit nicht auszuschließen sei. Eine positive Annahme verminderter Schuldfähigkeit sei unbedingt erforderlich, sagte Professor Heinz Schöch von der Universität München. Anderenfalls drohe eine unabsehbare Zunahme der Unterzubringenden.
Heftige Kollegenschelte übte die Frankfurter Strafverteidigerin Gabriele Steck-Bromme. Aus ihrer Sicht gingen die Gesetzesänderungen an der eigentlichen Problematik vorbei. Grund für die starke Belegung der forensischen Psychiatrie sei häufig die mangelnde Bereitschaft von Juristen, sich ernsthaft mit der komplexen Materie zu beschäftigen. Nur wer ein psychiatrisches Gutachten verstehe, könne seine Mängel erkennen, so die Sachverständige.