FINANZAUSGLEICH
Peter Müllers Ausstiegsmodell trifft auf Widerspruch. Das Risiko hätte der Bund.
Einen Sieg im Schlagzeilenclinch hat Peter Müller ohne Zweifel errungen. Jetzt, wo die Beratungen über die pekuniäre Bund-Länder-Neuordnung anlaufen, muss so etwas einfach für Furore sorgen: Ausgerechnet der Minis-terpräsident des hochverschuldeten Saarlands will für einige Jahre aus dem Finanzausgleich aussteigen und in dieser Zeit auf Gelder aus reichen Ländern verzichten. Der mit Mehreinnahmen kalkulierende CDU-Politiker hofft, mit diesem "Optionsmodell", das im Gegenzug finanzschwachen Ländern einen höheren Anteil am Steueraufkommen zugesteht und dabei auf eine florierende Wirtschaft setzt, in der Föderalismuskommission II punkten zu können.
Müllers Optimismus könnte sich indes rasch wieder verflüchtigen. Der Mainzer SPD-Finanzminister Ingolf Deubel spricht von einem "Köder", das Optionsmodell habe "nicht die Spur einer Chance". Dessen baden-württembergischer CDU-Kollege Gerhard Stratthaus sieht ebenfalls "kaum Realisierungschancen". Die Schweriner SPD-Ressortchefin Sigrid Keler lehnt die Idee des Saarländers "schon vom Grundsatz her ab".
Müller wirbt geschickt für das in seinem Auftrag vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) erarbeitete Konzept.
Den Finanzausgleich mit seinen Überweisungen von Reich zu Arm prangert er als Ausdruck einer "Rikscha-Mentalität" an: "Ich sitze relativ bequem und lasse andere strampeln." Schöner könnten es auch Sponsoren wie Roland Koch, Edmund Stoiber und Günther Oettinger nicht formulieren. IW-Direktor Michael Hüther lobt das Optionsmodell als Perspektive "für finanzschwache Länder, die sich mehr Wachstum zutrauen". Freilich scheint diese Strategie auf die spezielle Situation in der Südwestecke mit überdurchschnittlichen Zuwachsraten in den vergangenen Jahren zugeschnitten zu sein. Müller und die IW-Studie kritisieren, dass von dem daraus resultierenden Steuerplus dem Saarland nur rund zehn Prozent verbleiben. Der große Rest wird innerhalb des Finanzausgleichs verrechnet. Laut Müller landen von einer Million Euro Steuern, die wegen einer guten regionalen Konjunktur zusätzlich anfallen, gerade mal 115.000 Euro bei seinem Finanzminister Peter Jacoby.
Dürfen Empfängerländer derzeit nur etwa 50 Prozent der Einkommen- und Körperschaftsteuer behalten, so läge diese Quote nach dem Optionsmodell während eines fünf- bis siebenjährigen Ausstiegs aus dem Finanzausgleich bei gut 64 Prozent. Nach IW-Kalkulationen hätte das Saarland auf dieser Basis zwischen 2000 und 2005 ein Plus von 457 Millionen Euro erzielt. In seinem Vorschlag sieht Müller einen Anreiz für darbende Länder, sich stärker um eine prosperierende Wirtschaft zu bemühen.
Allerdings funktioniert der Trick nur bei viel Wachstum. IW-Direktor Hüther: "Wachsen die Steuern langsamer als in anderen Ländern, hat der Finanzminister weniger in der Kasse." Der Saarbrücker SPD-Oppositionsführer Heiko Maas ("Riskantes Unterfangen") merkt an, dass die Saar 2006 anders als in den Vorjahren im Ländervergleich wirtschaftlich deutlich abgerutscht sei.
Bei diesem "Pferdefuß" hakt auch Ingolf Deubel ein. Müllers Modell ist für den Mainzer Finanzminister eine "Wette auf künftige Steuereinnahmen", bei der im Zweifelsfall der Bund der Verlierer sei: Blieben die Steuern hinter den Erwartungen zurück und gerate ein Land deshalb in eine Haushaltsnotlage, dann sei der Bundesfinanzminister zu Hilfen verpflichtet. Es könne nicht sein, insistiert der SPD-Politiker, dass sich Länder aus dem Finanzausgleich abseilen, wenn es ihnen gut geht, im Bedarfsfall aber Solidarität einfordern.
Auch im Ressort des Baden-Württembergers Stratthaus ist aufgefallen, dass der Bund das alleinige Risiko trägt: "Warum sollte der das tun?", fragt Sprecher Lothar Knaus. Thiess Büttner vom Ifo-Institut assistiert: "Ein echter Austritt aus dem Transfersystem müsste beinhalten, dass finanzielle Risiken nicht doch dem Bund angelastet werden können." Positiv wertet der Münchner Professor, dass Müller auf den geringen Anteil an zusätzlichen Einnahmen aufmerksam macht, der gegenwärtig einem Land bei einer günstigen Steuerentwicklung verbleibt.
Auf strikten Gegenkurs geht Sigrid Keler, die den saarländischen Vorstoß als "Einstieg in den Ausstieg aus dem System des föderalen Finanzausgleichs" attackiert. Für Ostdeutschland sei dies angesichts der anhaltenden Steuerschwäche kein geeignetes Konzept und stelle "keine Alternative" dar. In der Tat ist bei einem derart niedrigen Steuerniveau eine Kompensation ausbleibender Zuweisungen aus dem Finanzausgleich durch zusätzliche Steuereinnahmen schlicht nicht drin.
Stratthaus ortet in Müllers Modell "den Nachteil, dass es in erster Linie die westdeutschen Empfängerländer bevorzugt". Die Schwaben haben nachgerechnet: Selbst wenn der Bund gegenüber den ostdeutschen Regionen auf Einkommen- und Körperschaftsteuer verzichtete, würde dies die fehlenden Überweisungen der Zahlerländer nicht aufwiegen.
Stratthaus hat ein Gutachten des Würzburger Professors Norbert Berthold veröffentlicht, das anders als Müllers Paukenschlag kaum Wirbel provozierte: Danach soll der Finanzausgleich beibehalten werden, aber zwischen Arm und Reich nicht mehr so stark nivellieren wie heute - um Nehmer- wie Geberländer zu mehr Wirtschaftsimpulsen und so zu einem Steuerplus zu motivieren.
Ganz verzichten auf fremde Hilfen will Müller nicht: Neben dem Optionsmodell seien nicht nur strikte Ausgabendisziplin, sondern auch die "solidarische Bewältigung der Altschuldenproblematik" und die "Berücksichtigung strukturbedingter Sonderlasten" erforderlich. Das sind keine Peanuts: Das Saarland ist mit über 9 Milliarden Euro verschuldet.