Marokko
Die Terrorgruppe Al-Quaida im islamischen Maghreb nutzt die soziale Unzufriedenheit. Die Angst wächst.
Die Bürger in Marokko sind sich weitgehend einig. Fragt man sie in der Medina von Fes und auf den engen Straßen rund um den Markt der Gaukler in Marrakesch, wie sie die Terrrorgefahr einschätzen, dann gehen die Meinungen nur über das Wann, nicht über das Ob auseinander. "Der große Knall wird kommen," so die überwiegende Ansicht. Ein großer Knall wie am 11. April, als in der algerischen Hauptstadt Algier bei Bombenanschlägen 30 Menschen starben und mehr als 200 verletzt wurden? Über dem Regierungspalast im Zentrum Algiers stand noch tagelang eine schwarze Rauchwolke. In der Fassade des mehrstöckigen Gebäudes, in dem Ministerpräsident Belkhadem residiert, klafft ein riesiges schwarz Loch.
Im benachbarten Marokko laufen unterdessen die Sicherheitsmaßnahmen auf Hochtouren. Innenminister Chakib Benmoussa gab jüngst die Zerschlagung zweier terroristischer Gruppen bekannt. 50 Verdächtige seien festgenommen worden, unter ihnen auch der vermeintliche Anführer eines Anschlags vor dem US-Konsulat in der Industriestadt Casablanca. Zwei Brüder hatten sich Mitte April in die Luft gesprengt und einen Polizisten mit in den Tod gerissen. Ein dritter Terrorist wurde erschossen, als er seinen Sprengstoffgürtel zünden wollte.
Das war noch nicht der von den Bürgern des Maghreb-Staates befürchtete "große Knall", aber sofort wurde die Erinnerung wach an den Mai 2003, als ebenfalls in Casablanca bei Terrorattacken auf westliche und jüdische Einrichtungen 45 Menschen getötet worden waren. Die jüngsten Ereignisse scheinen Befürchtungen von Sicherheitsexperten im Norden Afrikas zu bestätigen, dass Al-Quaida und verwandte Gruppierungen den islamistischen Terror in der gesamten Region verbreiten wollen.
Die Terrorzelle in Casablanca soll außer Anschlägen auf amerikanische Einrichtungen auch Terrorangriffe auf Kreuzfahrtschiffe und Urlauberhotels in Agadir geplant haben. Der Tourismus ist eine der wichtigsten Einnahmequellen in Marokko. Käme es zu Anschlägen auf Urlauberzentren, dann wären die Folgen für das nordafrikanische Land kaum auszudenken.
Gewaltbereite Islamisten haben sich seit einiger Zeit unter dem Namen "Al-Quaida im islamischen Maghreb" gruppiert. Auf ihr Konto geht unter anderem die Entführung von 32 europäischen Touristen im Jahre 2003 in der algerischen Sahara. Unter den Entführten waren auch Deutsche.
In Rabat dementiert Innenminister Ben-moussa eine Verbindung zu dem blutigen Anschlag in Algier. Zugleich möchte er mit der drastischen Verstärkung der Sicher-heitskräfte den Eindruck erwecken, die Lage im Griff zu haben. Neben 2.000 zusätzlichen Polizisten sollen bis Ende Juni weitere annähernd 3.000 junge Polizisten nach Abschluss ihrer Ausbildung an sicherheitsrelevanten Stellen eingesetzt werden. Der marokkanische Terrorismusforscher Mohammed Darif sieht durchaus Verbindungen zum Nachbarland; so sei erwiesen, dass marokkanische Terroristen in Algerien ausgebildet worden seien, um sich dann im Irak als lebende Bomben in die Luft zu sprengen. Die Anschläge werden von Beobachtern auch mit den Parlamentswahlen im September in Marokko in Verbindung ge-bracht.
Der Terror könnte zu einer Stärkung jener islamischen Parteien führen, die bisher Gewalt ablehnen. Noch kann von einer offenen Ablehnung der Herrschaft von König Mohammed VI., der das religiöse und staatliche Oberhaupt des Landes ist, keine Rede sein. Doch wächst der Chor der Stimmen, der die fast autokratische Position des Königs kritisiert, der nicht nur den Oberbefehl über die Streitkräfte innehat, sondern sogar die Auflösung der beiden Kammern des Parlaments per Dekret anordnen kann.
Zwar bemüht sich der König trotz seiner Jetset-Allüren - zu seinem 38. Geburtstag ließ er Popsänger und Schauspieler aus aller Welt einfliegen - um Reformen und kümmert sich mehr um den von seinem Vater, König Hassan II., vernachlässigten Norden des Landes, doch ist die Kluft zwischen der armen Bevölkerung und einer begüterten Oberschicht eher noch gewachsen.
Wer durch Marokko reist, trifft zumindest in den großen Städten von Agadir bis Marrakesch, Rabat und Casablanca auf einen ungebremsten Bauboom, dessen Ertrag aber in erster Linie den oft ausländischen Investoren zugutekommt.
Nicht weniger als 36 Paläste nennt der König sein eigen und sein zum Teil an Vertrauensleute verteilter Grundbesitz umfasst weite Gebiete des bewirtschafteten Landes. Der offen zur Schau getragene Prunk der Herrscherfamilie und die andererseits ungebremst hohe Arbeitslosigkeit könnten sich als gefährlicher Konfliktstoff erweisen, zumal dann, wenn radikale Islamisten aufkeimende Unzufriedenheit für ihre Zwecke nutzen.