G.M.B. Akash
Der bengalische Fotograf porträtiert Menschen am Rand der Gesellschaft. Und sammelt Geld für die Hilfsbedürftigen seiner Heimat.
Seit drei Monaten sind Sie in Deutschland. In dieser Zeit haben Sie Ihre Fotos aus Bangladesch vielfach der Öffentlichkeit präsentiert. Sie zeigen Menschen, die in Ihrer Gesellschaft nur einen Platz im Dunklen haben. "Randwelten" nennen Sie Ihre Ausstellung. Sind die Bilder eine Anklage?
Nein. Meine Bilder sollen aufklären, nicht anklagen. Sie sollen Emotionen wecken. Randwelten sind nicht die Randwelten meiner Gesellschaft, sondern, wie der Name sagt, jene der ganzen Welt. Überall leben Menschen am Rande, überall gibt es Not und Elend. Da nützt der erhobene Zeigefinger nichts, und nicht das Moralisieren. Ich möchte positive Veränderungen. Ich will Menschen für meine Themen sensibilisieren. Kinderarbeit, Homosexualität, Prostitution oder unmenschliche Lebens- und Arbeitsbedingungen sind keine Themen, die allein Bangladesh betreffen.
In Bangladesh ist Fotograf kein besonders angesehener Beruf. Und dennoch haben sie vor elf Jahren damit begonnen, haben sich noch dazu unpopulären Themen gewidmet. Sie studierten Betriebswirtschaft, haben aber in diesem Bereich nie gearbeitet. Was war der Auslöser für diesen Wechsel zur Fotografie?
Es stimmt, Fotografen in Bangladesh verdienen sehr wenig Geld und bis vor einigen Jahren war es auch kein Ausbildungsberuf. Deshalb gilt der Fotograf in meinem Lande nichts, wird Fotografie nicht als Kunstform gesehen. Meine Eltern haben mich sehr unterstützt, aber am Anfang haben auch sie gesagt: ,Mach das nicht!'. Ich wurde Fotograf, nachdem ich eine Ausstellung über Aids gesehen habe. Vorher dachte ich, jeder der diese Krankheit hat, ist ein Mensch, der unmoralisch lebt. Durch die Ausstellung wurde mir meine Ignoranz bewusst. Ich begriff die Macht der Bilder.
In der Tat haben Ihre Bilder Macht. Sie kommen Ihren Objekten sehr nahe. In Ihrer Serie über Homosexualität gibt es Fotos, auf denen Männer Zärtlichkeiten austauschen - und auch den Transsexuellen, den Prostituierten, den Drogenabhängigen durften Sie buchstäblich auf den Leib rücken.
Homosexualität ist in meinem Land ein Tabu, Prostitution, Drogen, Transsexualität genauso. Wir sind eine islamische Gesellschaft, und Männer die Männer lieben oder Männer, die lieber eine Frau sein würden, leben im Untergrund. Ich habe mich mit diesen Leuten angefreundet. Ein Jahr lang bin ich zu ihnen gegangen - ohne Kamera. Ich habe sie auch mit zu mir nach Hause genommen, und sogar meine Mutter hat mich manchmal zu ihnen begleitet. Erst als großes Vertrauen da war, fing ich an zu fotografieren.
Wie hat ihre Familie, wie haben ihre Freunde reagiert?
Unterschiedlich. Erst waren sie entsetzt. ,Akash, gib dich doch nicht mit diesen Leuten ab!' sagten sie immer wieder. Aber dann haben sie gesehen, was ich sehe: dass auch Menschen am Rande der Gesellschaft so sind wie sie und ich. Diese Leute haben auch Träume, sie lieben, sie hoffen.
Die Protagonisten Ihrer Fotos strahlen sehr viel Würde aus. Wer die Bilder betrachtet, hat den Eindruck, ihre Fotoobjekte sind starke Menschen. Nur selten gibt es Hoffnungslosigkeit.
Ja, ganz richtig, genau das möchte ich auch zeigen. Die Menschen in meinem Land und wahrscheinlich auch andere Menschen in ähnlichen Situationen sind sehr stark, sie geben nicht auf, sie verzweifeln nicht, sie beschweren sich nicht. Glück hängt für sie nicht von Wohlstand ab oder von guten Umständen. Sie finden sich in der Gemeinschaft, in der Freundschaft und in ihrer eigenen Identität. Die homosexuelle Szene in Bangladesh ist im Untergrund zu Hause, aber sie dort eben zu Hause. Ich stelle diese Menschen nicht als Opfer dar. Und sie selber hadern nicht.
Während man in Deutschland sehr viel mit seinem täglichen Leben hadert und sehr viele Probleme hat.
Oh ja, das stimmt. Als ich noch in Bangladesh lebte, dachte ich, in meinem Land seien sehr viele Dinge sehr schlimm. Seit ich hier bin, weiß ich, dass die Bengalen hart arbeitende Menschen sind, die sehr viel ertragen können und dennoch nicht den Lebensmut verlieren. Sie haben nichts, und beklagen sich nicht. Die Menschen hier haben alles und beklagen sich ständig.
Was ist der Grund dafür?
Die Ansprüche sind sehr hoch, während bei uns schon das tägliche Überleben ein Glück ist. In Bangladesh versuche ich mit Unterstützung von Freunden, Menschen bei der Gründung einer eigenen Existenz zu helfen. Da reichen 20 Euro, um ein ganzes Leben zu verändern. Einem Mann haben wir eine Rikscha gekauft, damit er Geld verdienen kann. Aus einem Zustand der vollkommenen Hoffnungslosigkeit ist er in eine Phase gekommen, in der er selber etwas tun kann und sich nicht mehr ausgeliefert fühlt.
Sie haben ein eigenes Hilfsprojekt auf die Beine gestellt?
So kann man das nicht nennen. Das ist ein sehr westlicher Gedanke, der eine Struktur voraussetzt. Man muss verstehen - und nur dann versteht man auch meine Bilder - dass ich aus einem Land komme, in dem vieles im Fluss ist. Menschen kommen und gehen, das Leben ist eher ein Provisorium. Man lebt jeden Tag, weil eine Planung für die Zukunft so nicht möglich ist. Was ich also mache, ist Geld zu sammeln, überall dort, wo mir jemand etwas geben will. Mal sind es Freunde, mal Kollegen, mal meine Eltern. Wer etwas übrig hat, gibt es mir und ich gebe es jenen, von denen ich glaube, dass sie Hilfe brauchen.
Ihre Fotos geben den Ausgegrenzten der Gesellschaft ein Gesicht: Menschen, die zwischen den Bahnschienen leben, Kinder, denen Züge die Hände oder die Beine abfuhren. Sie zeigen ein Kind an einer Nähmaschine, das gerade vom Aufseher mit einem Knüppel geschlagen wurde. Für dieses Foto wurden Sie 2005 Drittnominierter für den World Press Award. Und ein anderes Bild zeigt einen Jungen in einer Koranschule, der an den Füßen gefesselt ist, damit er nicht fortläuft. Nach erträglichen Lebensbedingungen sehen ihre Fotos wirklich nicht aus.
Ja, das sind die Probleme meines Landes, aber es ist keine Charakterisierung meines Landes. Zurzeit mache ich eine Fotoreihe über Obdachlosigkeit in Deutschland. Doch Sie würden nicht wollen, dass ich in meinem Land behaupte, alle Deutschen seien obdachlos.
Nein, sicherlich nicht.
Das Foto in der Koranschule entstand durch Zufall. Ich selber bin in eine Koranschule gegangen, und wollte zeigen, wie der Unterricht dort für Kinder ist. Ich wollte aufklären. Dann saß da dieser kleine Junge. Ich fotografierte ihn. Von da an war ich in Schwierigkeiten.
Nachdem das Bild in ausländischen Magazinen erschien, erhielten Sie Morddrohungen. Diese waren der Grund, warum Sie schließlich mit ihrer Frau als Stipendiat der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte nach Deutschland kamen.
Ja. Es gibt Menschen in meinem Land, denen gefiel meine Arbeit nicht. Sie haben mich bedroht und ich bekam Angst.
Fühlen Sie sich denn nun sicher?
Nein. Ich habe festgestellt, dass es nicht gut ist, meine Bilder hier zu zeigen. Ich habe sehr schlechte Erfahrungen mit der deutschen Presse gemacht. Ich war am Anfang sehr naiv. Ich war so dankbar für die Gastfreundschaft hier, ich habe mich gegen manche Fragen nicht gewehrt, obwohl sie suggestiv gestellt wurden. Ich habe nicht gesehen, dass manche Journalisten offenbar nicht verstanden, wie gefährlich meine Situation ist.
Können Sie das genauer erklären?
Ständig werde ich nach dem Fundamentalismus in Bangladesh gefragt. Aber Bangladesh ist nicht fundamentalistisch, sondern nur eine bestimmte Gruppe von Leuten dort. Ich habe das Gefühl, man will von mir hören, von Bangladesh ginge eine Gefahr aus, und auch, dass bei uns alles arm und schmutzig ist.
Sie meinen, man hat ihre Geschichte verdreht, um vorgefasste Meinungen zu verbreiten.
Ja. Seit dem 11. September 2001 gibt es eine Fundamentalismus-Paranoia im Westen. Meine Bilder, die ich hier gezeigt habe, werden missbraucht, das ist mein Gefühl. Inzwischen erhalte ich E-Mails aus Bangladesh, wo man mir vorwirft, ich beleidige mein Land. Selbst meine Eltern haben mir geschrieben: Akash, Du bringst uns in Schwierigkeiten. Erstens ist das für mich persönlich schlimm, denn es ist auch mein Land, es ist auch meine Identität, und ich will meinem Land keinen Schaden zufügen. Und zweitens macht es mein Leben gefährlicher. Ich habe Angst um meine Eltern. Und wenn ich nach Bangladesh zurückgehe, sind die Schwierigkeiten noch größer.
Gelten Sie als Nestbeschmutzer?
Ja, so ist es. Als ich noch in Bangladesh lebte, warf man mir vor, mit meinen Bildern einen falschen Eindruck zu erwecken. Aber das waren geringe Probleme, gegen die, die ich jetzt habe. Jetzt werde ich als einer gesehen, der sein Land nach außen hin diskreditiert. Ich bin ein Verräter. Ich möchte gerne, dass andere nachdenken über die Bedingungen, unter denen Kinder arbeiten, Prostituierte sich anbieten, Flüchtlinge weiterleben müssen. Ich möchte aber nicht, dass andere daraus eine Verurteilung meines Landes ableiten.
Nun sind aber diese Bedingungen Spiegel der Politik oder der allgemeinen soziokulturellen Ansichten in einem Land.
Das stimmt. Doch nehmen wir wieder das Beispiel mit den Obdachlosen. Dass es in einem reichen Land wie Deutschland Menschen ohne ein Zuhause gibt, ist auch ein Spiegel der deutschen Politik und der deutschen Gesellschaft, aber ist nicht Deutschland. Oder wenn ich hier Fotos über Prostitution machen würde, dann wäre das doch auch kein deutsches Charakteristikum.
Aber für solche Fotos würde man sie hier nicht bedrohen, müssten Sie nicht um Ihr Leben fürchten.
Ja. Ich habe Angst. Aber vielleicht sind das nur Gespenster, die aus meiner Untätigkeit wachsen. Ich habe alles hinter mir gelassen, auch das, was mich getrieben hat. In all der Sicherheit und dem Wohlstand hier fühle ich mich paralysiert.
Die Fragen stellte Andrea Jeska
Sie arbeitet als freie Journalistin unter anderem für die "Zeit" und "Brigitte". Im Oktober erscheint ihr Buch "Tschetscheniens vergessene Kinder. Hoffnung in den Trümmern eines Landes".