IRAN
Porträt der Menschenrechtlerin Schirin Ebadi
Es war ein weiter Weg für Schirin Ebadi aus der Zelle Nr. 209 im Teheraner Evin-Gefängnis bis in die festlich geschmückte City Hall in Oslo, um 2003 den Friedensnobelpreis entgegenzunehmen. Schirin Ebadi wurde 1947 in Hamadan, einer von 28 Provinzen im Iran, als Tochter einer Hausfrau und eines Professors für Wirtschaftsrecht geboren; ihre Familie gehörte zur oberen Mittelschicht des Landes. Schirin, deren Name "süß" bedeutet, studierte Jura in Teheran und Frankreich.
Erstmals wurde sie in der Iraner Öffentlichkeit bekannt, als sie 1974 zur ersten Richterin ernannt wurde. Von 1975 bis 1979 arbeitete die promovierte Juristin am Gericht in Teheran. Doch mit der Ankunft des Ayatollah Ruhollah Khomeini im Februar 1979 aus seinem französischen Exil überstürzen sich die Ereignisse: alle Richterinnen, so auch Ebadi, wurden ihres Amtes enthoben. Frauen seien zu emotional und irrational, und vor allem könne es nicht angehen, dass sie, die den Männern Gehorsam schulden, über Männer richten dürften, so die Begründung. Schirin Ebadi ließ sich jedoch nicht beirren: Sie beantragte daraufhin eine Anwaltslizenz, auf die sie allerdings mehrere Jahre warten musste, und begann mit ihren publizistischen Aktivitäten zur Lage der Kinder und Frauen.
Mit wem immer man über die kleine Frau spricht, alle bezeichnen sie als mutig, hartnäckig und clever. Die Betonung liegt auf Mut - und offenbar braucht sie allen Mut, um gegen die Kleriker anzutreten. Im Sommer 2000 wagte sie sich jedoch zu weit vor: Die "Videoaffäre" sollte sie nun selbst ins berüchtigte Teheraner Evin-Gefängnis bringen. Ebadi hatte ein Videoband verbreitet, das Beziehungen zwischen der halblegalen Organisation "Gefolgsleute der Partei Gottes" und prominenten Konservativen enthüllte. Einer der bekanntesten islamischen Extremisten hatte vor laufender Kamera zugegeben, dass die Gewalt gegen die iranischen Studenten im Sommer 1999 von zwei der wichtigsten Mullahs organisiert worden war.
Die Richter beschuldigten Ebadi, das Band manipuliert zu haben, verurteilten sie zu 15 Monaten Gefängnis und belegten sie für fünf Jahre mit Berufsverbot. Doch sie hatten nicht mit der Zähigkeit Ebadis gerechnet, die während ihrer Wochen im Gefängnis keineswegs gebrochen war: "Ich presse meine Zähne aufeinander und kralle meine Finger ineinander - meine Nägel sind blau geworden wegen des Drucks. Aber nie würde ich stöhnen", schrieb die Menschenrechtlerin später.
Ebadi, das darf man nie vergessen, tritt schließlich nicht aus dem Exil für ihre Sache ein, sie beschreitet Tag für Tag den beschwerlichen Weg vor Ort. "Ich bin stolz darauf, Iranerin zu sein. Und ich werde im Iran leben, solange ich es kann", sagte sie einmal. Stolz ist sie auch darauf, dass sie stets innerhalb der gesetzlichen Richtlinien aktiv war und nie zu illegalen Mitteln griff.
Der Friedensnobelpreis, der ihre Bemühungen um Demokratie und Menschenrechte würdigte, war eine große Ehre für die Juristin, bedeutete aber auch ein Risiko. Nach der Preisverleihung erhielt sie zahlreiche Morddrohungen. Einige deshalb, weil Ebadi außerhalb des Irans auf den Hijab, das traditionelle Kopftuch, verzichtete. Von den Medien als ein Zeichen des Widerstands gewertet, erklärte sie schlicht: "Wegen der herrschenden Gesetze im Iran ist das Umbinden des Kopftuchs eine Notwendigkeit. Da ich diese Gesetze respektiere, verhülle ich mich, wenn ich im Iran bin, immer im Hijab." Und fügte dann lächelnd hinzu: "Wir sollten muslimischen Frauen nicht sagen, dass sie ihren Kopf verhüllen, sondern dass sie ihn benützen müssen."
Wichtige Themen hat sie auf ihrer Agenda: die Idee eines zeitgemäßen Islams, der Meinungs- und Religionsfreiheit garantiert, demokratische Grundbedürfnisse und eine gewisse Gleichheit der Geschlechter zulässt. Dafür kämpft Ebadi, auch wenn sie mit ihren Forderungen nach Freilassung der politischen Gefangenen, Beendigung unmenschlicher Strafen, Trennung von Politik und Religion die Wut der Konservativen immer wieder gegen sich richtet. Mehr als 98 Prozent der Iraner sind Muslime, davon rund 90 Prozent Schiiten und zehn Prozent Sunniten.
Doch trotz eines hohen Wirtschaftwachstums steigt die Arbeitslosigkeit. Kriminalität, Drogen, Prostitution und die Landflucht nehmen drastisch zu. Die Konservativen verhinderten bisher jede Initiative, die die Rechte der Frauen verbessern würde. Dabei stellen die Frauen an den Universitäten des Landes bereits die Mehrheit: 63 Prozent der Studenten sind weiblich, und noch nie in der Geschichte des Irans gab es so viele Lehrerinnen, Ärztinnen, Schriftstellerinnen und Filmemacherinnen wie jetzt.
Es ist ein langer Weg, bis Ebadi und ihre Mitstreiter die Ziele Demokratie und Gleichstellung der Frauen erreichen. Doch Ebadi sieht einzig in friedlichen Anstrengungen eine realistische Chance für einen Wandel: "Der Kampf muss im Innern eines Landes und einer Gesellschaft geführt werden. ... Kein Staat hat das Recht, einem anderen seinen Willen aufzuzwingen, und wäre es, um das Gute durchzusetzen."
Mit Vehemenz lehnt sie alle Ansinnen ab, sie zur Politikerin zu machen. Es gibt nur eines, was sie sein und was sie bleiben will: eine Verteidigerin der Menschenrechte. "Ich führe diesen Kampf seit über 20 Jahren und bin selbst verurteilt worden. Trotzdem habe ich nie die Hoffnung aufgegeben, dass im Iran eine friedliche Evolution hin zu demokratischen Grundsätzen stattfindet" , betont der Friedensnobelpreisträgerin.
Autorin des Buches "Frauen leben für den Frieden - Die Friedensnobelpreisträgerinnen von Bertha von Suttner bis Schirin Ebadi".