Auswärtiger Ausschuss
EXPERTEN: GEFAHR NUKLEARER "LECKS" IN RUSSLAND ANLASS ZUR SORGE
Berlin: (hib/BOB-aw) Als nach wie vor wichtigste Herausforderung für das Regime der nuklearen Nichtweiterverbreitung haben internationale Experten die Gefahr nuklearer "Lecks" in Russland bezeichnet.
Anlässlich einer öffentlichen Anhörung des Auswärtigen Ausschusses zum Thema "Nukleare Proliferation - Aktuelle Gefahren und Handlungsoptionen" am Mittwochnachmittag erklärte Steven E.
Miller von der Harvard Universität (USA) seiner schriftlichen Stellungnahme zufolge, Russland besitze laut Schätzungen nach wie vor 650 Tonnen waffenfähiges spaltbares Material, das an etwa 50 Standorten gelagert werde.
Trotz großer Anstrengungen, vor allem der USA, in den 90-er Jahren gebe der Sicherheitsstandard dort noch immer zu großer Sorge Anlass.
Die westlichen Industriestaaten seien deshalb aufgerufen, verstärkte Anstrengungen zu unternehmen, um die Lage zu verbessern.
Notwendig sei auch, Moskau überschüssiges spaltbares Material abzukaufen und dies entweder vom russischen Staatsgebiet zu entfernen oder es dort in einer Weise zu lagern, dass internationale Sicherheitsstandards erfüllt werden.
Einen ähnlichen Standpunkt vertrat Karl-Heinz Kamp von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Sankt Augustin bei Bonn.
Auch er bezeichnete unter anderem die "latente Instabilität des nuklearen Sektors in der ehemaligen Sowjetunion" als Herausforderung für den nuklearen Nichtweiterverbreitungsprozess.
Dem Sachverständigen zufolge haben bislang allein die USA einen wirklichen signifikanten Beitrag zur Eindämmung dieser Gefahren geleistet, obgleich Europa aufgrund seiner geografischen Nähe von den Risiken des Nuklearschmuggels oder durch "Lecks" im russischen Kernwaffensektor direkt betroffen werden könne.
Auch die deutsche Regierungspolitik widme dem Problem der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen bei weitem nicht die nötige Aufmerksamkeit und politische Energie, so Kamp.
Eine ähnliche Position vertrat während des Hearings auch Camille Grand, Dozent am Institut d’études politiques in Paris.
Er sah dabei vor allem die Europäische Union gefordert. Grand erklärte außerdem, der sicherste Weg bei der Nuklearabrüstung sei es, den zerlegten Waffensprengkopf zu zerstören und das spaltbare Material so zu bearbeiten, dass es einem zivilen Nutzen zugeführt werden könne.
Annette Schaper von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung sprach sich in diesem Zusammenhang dafür aus, die Bundesregierung solle den Export einer Hanauer Fabrik genehmigen, die in Russland aus abgerüstetem Waffenplutonium Mischoxid-Brennstäbe herstellen könne.
In der Erwartung, dass es gelinge, diese Anlage Sicherungsmaßnahmen der Internationalen Atomenergieorganisation zu unterstellen, könne dies ein wesentlicher Beitrag sein, das Problem in Russland in den Griff zu bekommen.
Robert D. Green von der Organisation "Middle Power Initiative" aus Neuseeland vertrat bei der Anhörung seinem vorbereiteten Statement zufolge die Auffassung, die Bekenntnisse der Nuklearwaffenstaaten USA; Großbritannien und Frankreich bei der jüngsten Konferenz zum Regime der nuklearen Nichtweiterverbreitung in New York seien nicht in Übereinstimmung zu bringen mit dem neuen Strategischen Konzept der NATO.
Namentlich Deutschland sei deshalb aufgefordert, gemeinsam mit anderen Nichtatommächten wie Kanada auf einen substanziellen Kurswechsel des Atlantischen Bündnisses mit Blick auf dessen nukleare Option hinzuwirken.