"Liberalisierung nicht zu Lasten gerechtfertigter Schutzbedürfnisse"
Berlin: (hib/VOM) Die grundsätzlich wünschenswerte Liberalisierung des Dienstleistungsverkehrs und des Niederlassungsrechts in der Europäischen Union darf nicht zu Lasten gerechtfertigter Schutzbedürfnisse gehen. Dies betont die Bundesregierung in ihrer Antwort ( 15/2236) auf eine Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion ( 15/1378) zur Anerkennung von Berufsqualifikationen im Handwerk, den freien Berufen und in der Industrie. Die Liberalisierung des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs nehme in den laufenden Verhandlungen in Brüssel inzwischen ein zentrale Bedeutung ein. Dabei sei sowohl zwischen den Mitgliedstaaten untereinander als auch im Verhältnis zur Europäischen Kommission vor allem umstritten, ob und in welchem Umfang der einzelne Mitgliedstaat von einem grenzüberschreitenden Dienstleister den Nachweis seiner Qualifikation verlangen darf.
Die Kommission hat nach Darstellung der Regierung angestrebt, große Akzeptanz in den Mitgliedstaaten zu finden. Mit dem im März 2002 vorgelegten Richtlinienvorschlag könnten jedoch nicht alle Erwartungen ausreichend erfüllt werden. Keine grundsätzlichen Bedenken gebe es im Hinblick auf eine Konsolidierung der geltenden Anerkennungsrichtlinien. Schwierigkeiten bereiteten jedoch wesentliche Änderungen gegenüber dem geltenden Recht, die unter anderem die Interessen der Verbraucher und Wettbewerber nicht angemessen berücksichtigten und den Verwaltungsaufwand bei Bund und Ländern erhöhen würden. Die Richtlinien für Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker, Krankenschwestern und Krankenpfleger, für Hebammen und für Architekten, die auf den jeweiligen Beruf zugeschnittene Regelungen der Diplomanerkennung sowie des Berufszugangs und der Berufsausübung enthielten und die in der Praxis nahezu problemlos funktionierten, sollten nach Auffassung der Regierung in ihren wesentlichen Teilen erhalten bleiben. Der Richtlinienvorschlag der Kommission beziehe sich ausschließlich auf reglementierte Berufe, bei denen der Berufszugang oder die Berufsausübung durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften eines Mitgliedstaates an den Nachweis einer bestimmten Qualifikation gebunden seien. Davon sei nur eine geringe Anzahl aller Berufe erfasst, vor allem solche, bei denen aus Gründen des Allgemeininteresses, etwa des Gesundheits- und Verbraucherschutzes oder der Sicherheit, der Berufszugang oder die Berufsausübung an den Nachweis bestimmter Voraussetzungen geknüpft sei.
Jeder Mitgliedstaat muss nach Auffassung der Regierung weiterhin die Möglichkeit haben, diese Nachweise von jedem EU-Staatsbürger zu fordern, der auf seinem Gebiet tätig werden will. Bei dem gegenwärtigen Verhandlungsstand über den Richtlinienentwurf sei es verfrüht, heißt es weiter, wenn sich die Regierung auf eine Position in Einzelfragen festlegen würde. Welche Kompromisse notwendig werden, könne noch nicht abgeschätzt werden. Das Vorgehen der Regierung sei in den Verhandlungen so konzipiert, dass sie durch "überzeugende Argumente" für die deutschen Positionen wirbt, damit diese ausreichend berücksichtigt werden. Sollte das nicht zu erreichen sein, werde die deutsche Haltung anhand der konkreten Verhandlungslage entschieden. Angesichts der unterschiedlichen Probleme, die der Entwurf beinhalte, seien noch keine klaren Positionen zwischen den Mitgliedstaaten auszumachen. Es sei aber festzustellen, dass Deutschland mit seinen Auffassungen in vielen Bereichen voraussichtlich nicht isoliert sein werde.