Randzio-Plath: Über praktische Handhabung des Stabilitätspakts nachdenken
Berlin: (hib/VOM) Im Europäischen Parlament gibt es derzeit keine Bewegung, den Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt abzuschaffen. Dies betonte die Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft und Währung des Europaparlaments, Christa Randzio-Plath (SPD), am Mittwochvormittag im Finanzausschuss. Der Ausschuss hatte die Europapolitikerin eingeladen, um mit ihr über Finanzmarktthemen in der EU zu sprechen. Es gibt nach den Worten Randzio-Plaths jedoch eine Debatte darüber, wie der Stabilitäts- und Wachstumspakt künftig angewendet werden soll. Ausgeglichene Haushalte nützten nichts, wenn die Arbeitslosenzahl in der EU noch höher wären als jetzt mit 19 Millionen. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt müsse als ein Instrument neben anderen in der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion gesehen werden, und es müsse um seine praktische Handhabung gehen, sagte die Politikerin. Die EU befinde sich in einer Phase der Schwäche im Vergleich mit anderen Weltregionen. Es gehe darum, Wachstum zu erzeugen, auch über die Binnennachfrage, und Investitionen zu finanzieren, und zwar nicht nur öffentliche, sondern auch private Investitionen. Instrumente wie die Europäische Investitionsbank müssten genutzt werden für öffentlich-private Partnerschaften bei der Finanzierung von Investitionen. Randzio-Plath betonte, es komme nicht nur auf das Haushaltsdefizit an, sondern auch der Stand der Verschuldung insgesamt müsse in die Überlegungen einbezogen werden. Das Verhältnis von Investitionen und Haushaltsdefiziten müsse zusammen gesehen werden, so die Ausschussvorsitzende. Sechs Staaten hätten inzwischen ein Problem mit den Vorgaben des Stabilitätspakts. Die Mehrheit im Europaparlament sei dafür, den Pakt strikt einzuhalten. Eine große Minderheit dringe jedoch auf eine andere Handhabung dieses Paktes. Die Debatte sei derzeit wegen der anstehenden Wahlen unterbrochen und werde wohl erst im kommenden Jahr wieder aufgenommen.
Beunruhigt zeigte sich Randzio-Plath über Hinterziehung von Mehrwertsteuern in der EU, die eine Größenordnung von 130 bis 150 Millionen Euro jährlich erreicht hätte. Die Bekämpfung von Steuerhinterziehung sei in der EU bislang nicht koordiniert worden, bedauerte sie. Große Betrugsentwicklungen bei Verbrauchssteuern auf Autos, Auto-Ersatzteile, Zigaretten oder Medikamente würden mit der EU-Erweiterung noch zunehmen. Von einer Harmonisierung der Unternehmensbesteuerung rede inzwischen niemand mehr in der EU, vielmehr gehe es nur noch um Koordinierung. Randzio-Plath verwies darauf, dass die Spanne bei der Mehrwertsteuer zwischen 15 und 25 Prozent in den letzten 15 Jahren unverändert geblieben sei. Der Versuch, wenigstens beim ermäßigten Mehrwertsteuersatz zu Annäherungen zu kommen, sei komplett gescheitert. Realistisch sei, sich über gleiche Definitionen und Bemessungsgrundlagen zu einigen. Auch die Debatte über eine Mindestbesteuerung sei unterentwickelt, weil niemand dieses Thema gerne aufgreife. Auf EU-Ebene gebe es kein politisch gewolltes, gestaltetes Steuerrecht, sondern nur ein Richterrecht. Der Europäische Gerichtshof fordere die Politik auf, hier selber gestaltend tätig zu werden und dies nicht den Richtern zu überlassen.
Zum so genannten Lamfalussy-Verfahren, bestimmte Regelungen auf dem Gebiet der Finanzmärkte von Fachgremien statt vom Parlament erarbeiten zu lassen, sagte Randzio-Plath, das Parlament sei zum Teil überfordert, auf den rasanten technologischen Wandel sofort zu reagieren. Das Parlament müsse jedoch entscheiden, was politisch und was technisch ist. Politische Fragen, die den Finanzmarkt betreffen, sollten nicht von den Beteiligten selbst beantwortet werden. Die Zeit vor der ersten Lesung im Europaparlament bezeichnete die Ausschussvorsitzende als "wichtigste Zeit der Einflussnahme". Was danach komme, könne nicht mehr berücksichtigt werden.