Experten betonen hohe entwicklungspolitische Bedeutung der Diaspora
Berlin: (hib/HAU) Die "Diaspora" von Migranten aus Entwicklungsländern hat für Einwanderungs- und Entwicklungsländer eine gleichermaßen hohe entwicklungspolitische Bedeutung. Darin waren sich die Experten während einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung am Mittwochvormittag einig. Der Verlust an Humankapital durch Auswanderung, Brain Drain genannt, sei in vielen Ländern durch Rücküberweisungen der Diaspora und die Rückwanderung von hochqualifizierten Spitzenkräften in die heimischen Volkswirtschaften in Gewinne, Brain Gain genannt, umgewandelt worden.
Professor Dieter Oberndörfer vom Arnold Bergstraesser Institut in Freiburg stellte die verschiedenen Aspekte der Diaspora heraus. Neben den Rücküberweisungen, die beispielsweise in der Türkei viermal so hoch wie die Exporterlöse seien, gebe es viele Firmengründungen durch Rückkehrer, die ihre im Ausland erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten sowie ihr Kapital dazu nutzten. In Indien habe sich ebenfalls ein leistungsstarker Markt für IT-Dienstleistungen entwickelt, vorangetrieben vor allem durch Rückkehrer aus den USA. Doch auch in armen Entwicklungsländern hätten Überweisungen der Diaspora eine existenzielle sozialpolitische Bedeutung für große Teile der Bevölkerung. Sie wirkten dort als Überlebenshilfe und zur Armutsminderung. Oberndörfer kritisierte in diesem Zusammenhang die "auf Abwehr getrimmte" Zuwanderungsgesetzgebung in Deutschland, welche die Bildung entwicklungspolitisch leistungsstarker Diasporen behindert habe. Das Mitglied des Indischen Oberhauses, L.M. Singhvi, stellte die historische Entwicklung der Migration aus der Sicht seines Landes dar. Durch die Kolonialzeit geprägt seien viele Inder vor allem aus der sozialen Unterschicht nach Großbritannien gegangen. Dort hätten sie durch hohe Arbeitsbereitschaft geholfen, das Land aus der Rezession zu führen. Damit habe man in der Fremde eine hohe Akzeptanz erlangt. Die folgende Generation habe viel Wert auf Bildung gelegt und ihre Kinder auf Schulen und Universitäten geschickt. Inder seien somit zu tragenden Stützen der britischen Gesellschaft geworden, erklärte er. In Indien selber sei damit die Motivation zur Bildung auch bei den Ärmsten der Armen gestiegen, da Wissen das wichtigste Kapital des Landes sei.
Der Präsident der Türkisch-Deutschen Industrie- und Handelskammer, Kemal Sahin, betonte den gegenseitigen Nutzen der Diaspora. Seit 1944 seien etwa 2,5 Millionen Menschen aus der Türkei ausgewandert, die jährlich 50 Milliarden Euro zurück überweisen würden. Eine besonders starke Verbindung bestehe zwischen der Türkei und Deutschland. Türkische Unternehmer beschäftigten 350.000 Mitarbeiter und investierten bisher über 7,5 Milliarden Euro in Deutschland. Auf der anderen Seite seien viele deutsche Produkte durch heimreisende Türken dort bekannt geworden, was die Exportchancen der deutschen Industrie verbessert habe. Sahin sprach sich für eine baldige Aufnahme der Türkei in die EU aus. Damit könne ein Integrations- und Investitionsschub ausgelöst werden. Auch Professor Uwe Hunger von der Universität Münster kritisierte die bisherige Einwanderungspolitik Deutschlands. In der Anwerbung von Hochqualifizierten aus dem Ausland sei man im Nachteil. Zuwanderung habe es vor allem in der unteren Bildungsschicht gegeben. Im Vergleich mit den USA sei die obere Bildungsschicht unter Einwanderern sehr dünn besetzt. Dadurch sei ein deutlicher Wettbewerbsnachteil für Deutschland entstanden.