Ausschuss für Tourismus
(Anhörung)/
Berlin: (hib/VOM) Die wohlhabenden und reiseerfahrenen 50- bis
64-jährigen Jungsenioren, auch "Best Ager" genannt, sind
inzwischen die größte und interessanteste Zielgruppe der
deutschen Tourismuswirtschaft. Darauf verwies Werner Sülberg,
Leiter Marktforschung der Deutsches Reisebüro GmbH, am
Mittwochnachmittag in einer öffentlichen Anhörung des
Tourismusausschusses. Die Abgeordneten wollten von Fachleuten
erfahren, wie sich der demographische Wandel auf den Tourismus
auswirkt. Die Nachfrage nach touristischen Leistungen zerfällt
nach Angaben Sülbergs immer mehr in kleine und inhomogene
Zielgruppen. Sie seien zum einen Schnäppchenjäger, zum
anderen Luxusshopper, die nicht mehr nur ihren Grundbedarf decken
wollten, sondern für die Emotionen und Erlebnisse im
Mittelpunkt stünden. Er und andere der geladenen
Sachverständigen machten aber auch darauf aufmerksam, dass die
Tourismusmärkte nicht zwangsläufig expandieren. Die
Bevölkerungszahl und teilweise auch die Einkommen schrumpfen,
die Märkte werden stagnieren. Damit einher geht eine steigende
Lebenserwartung bei gleichzeitiger niedriger Geburtenrate, wie Tilo
Braune vom Deutschen Tourismusverband unterstrich. Braune
räumte auf mit alten Klischees wie den über
50-jährigen Harley-Davidson-Fahrern, dem Doppelherz oder
Kukident. Individuelle Angebote seien zunehmend gefragt. Professor
Felizitas Romeiß-Stracke vom Büro für Sozial- und
Freizeitforschung in München sagte, die Best Ager wollten
Begriffe wie "seniorengerecht" oder "behindertengerecht", aber auch
"barrierefrei" nicht hören. In diesem Sinne riet Johann W.
Wagner, erster Vorsitzender der Marketingkooperation der
Städte Schleswig-Holsteins, davon ab, von Seniorentellern,
"Forever young" oder Seniorenresidenzen zu sprechen. Dagegen
empfahl er den Restaurants, halbe Portionen anzubieten, die nicht
Seniorenteller heißen. Die Werbung müsse begreifen, dass
der Servicegedanke bei den Best Agern bedient werden müsse.
Norbert Tödter von der Deutschen Zentrale für Tourismus
prognostizierte, dass die deutschen Tourismusanbieter Marktanteile
verlieren könnten, weil sich zwischen 2015 und 2020 ein
anderes "Grundreiseverhalten" einstellen könnte. Schon jetzt
gebe es eine Stagnation der nicht mehr steigerbaren
Reiseintensität von 75 Prozent. Der Markt werde für die
über 55-Jährigen in Deutschland Chancen bieten, so
Tödter. Allerdings sei es Zeit, eine Diskussion um neue
Produkte zu führen. Tödter kündigte den
Höhepunkt des Best-Ager-Tourismus für die Jahre von 2015
und 2025 an. Schon jetzt verreise diese Altersgruppe am
häufigsten, berichtete Ulrich Reinhardt vom BAT
Freizeit-Forschungsinstitut. Während Familien mit Kindern im
Schnitt 17.500 Euro jährlich zur Verfügung hätten,
seien es bei Rentnern 19.000 und bei den Jungsenioren sogar 20.000
Euro. Beim demographischem Wandel muss nach Auffassung von Thomas
Petermann, dem stellvertretenden Leiter des Büros für
Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag, die Abnahme
der deutschen Bevölkerung bei gleichzeitiger Zunahme der
ausländischen Bevölkerung in Deutschland
berücksichtigt werden. Seine These lautete, dass der nach 2015
einsetzende Bevölkerungsrückgang bis 2030 und dann bis
2050 zu einem deutlichen Einbruch der Zahl der Urlaubsreisen
führen werde. Unwahrscheinlich sei, so Petermann, dass dies
durch eine Steigerung der Reiseintensität ausgeglichen werden
könne. Einen Wertewandel prophezeite Professor Harald
Pechlaner von der Universität Eichstätt: statt konkreter
Urlaubsziele würden künftig immer häufiger
Wohlfühlkonzepte nachgefragt. Er sah den Urlaub der Zukunft
eng verknüpft mit dem Alltag. Die Alterung der Gesellschaft
erfordere neue Formen des Tourismus. Die Probleme weniger
begüterter Menschen in einer ostdeutschen Großstadt
umschrieb die Chemnitzer Bürgermeisterin Heidemarie Lüth.
Gemeinsame Reisen von Großeltern und Enkeln wären
für sie ein Segment, das es noch zu erschließen gilt.
Aus ihrer Erfahrung berichtete sie, dass die Stadt Chemnitz
Ferienfahrten für Kinder bezuschusse, diese Mittel aber gar
nicht abgerufen würden, weil die Eltern den Eigenanteil nicht
aufbringen könnten. Rüdiger Leidner, Vorstandsmitglied
der Nationalen Koordinierungsstelle "Tourismus für Alle"
(NatKo), wies auf den wachsenden Anteil von Reisenden mit
"Aktivitätseinschränkungen" hin. Diese stellten hohe
Anforderungen an die Servicequalität der Anbieter. Bei der
NatKo handelt es sich um einen Zusammenschluss von
Behinderten-Selbsthilfeverbänden.