Zeuge: Keine Kenntnis von El-Masris Entführung
Berlin: (hib/KOS) Erst Ende August 2004 und damit rund drei Monate nach dem Abschluss der Entführung Khaled El-Masris wurde Johann Michael Stocker, seinerzeit in der deutschen Botschaft in Skopje für Rechts- und Konsularfragen zuständig, nach seinen Angaben über diese von der CIA bewerkstelligte rechtswidrige Verschleppung des Deutsch-Libanesen von Mazedonien nach Afghanistan informiert. Bei einer öffentlichen Sitzung des Untersuchungsausschusses am Donnerstag erklärte der Zeuge, er habe Anfang 2004 nichts erfahren vom Kenntnisstand eines Bediensteten des Bundesnachrichtendienstes (BND), der in einer mazedonischen Behördenkantine über die Verhaftung eines Deutschen unterrichtet worden war und dieses Wissen im BND nicht weitergeleitet haben will. Auch sei er, so Stocker, im Januar 2004 "zu keinem Zeitpunkt" von einem damals in dem Balkanland tätigen Telekom-Manager angesprochen worden, der die Botschaft telefonisch auf die Festnahme eines Deutschen hingewiesen haben will. Der Ausschuss recherchiert, ob deutsche Stellen bis hin zur Regierung frühzeitig über das Kidnapping El-Masris, der fälschlicherweise unter Terrorverdacht geraten war, informiert und in diese Aktion involviert waren. Am Nachmittag sollten u.a. Vertreter des Bundeskriminalamts und des BND als Zeugen gehört werden.
Laut Stocker ist es prinzipiell möglich, dass der Telekom-Manager über das "Bereitschaftshandy" der Botschaft auch mit einem der drei BND-Residenten verbunden gewesen sein könnte. Die BND-Repräsentanten seien in den Bereitschaftsplan der diplomatischen Vertretung integriert gewesen, der eine Telefonnummer für Anrufe außerhalb der Dienstzeiten vorsieht. Üblicherweise, so der Zeuge, schalteten die Betreffenden das "Bereitschaftshandy" während der Dienstzeit aus, prinzipiell könne es aber in Betrieb bleiben. Der Telekom-Manager hatte angegeben, ein Mann habe ihm bei seinem Anruf mitgeteilt, die Verhaftung eines Deutschen sei bereits bekannt. Stocker erläuterte den Abgeordneten, mit den nach dem Ende der Verschleppung El-Masris anlaufenden Ermittlungen seitens der diplomatischen Vertretung sei er selbst nur sporadisch und am Rande befasst worden, da dies Sache der Botschaftsspitze gewesen sei. Nach den Schilderungen des Zeugen reagierte das mazedonische Außenministerium auf ein deutsches Rechtshilfeersuchungen zur Aufklärung der Affäre El-Masri trotz mehrfachen Insistierens der Botschaft nur sehr schleppend. Im Kollegenkreis der diplomatischen Vertretung habe man vermutet, die Regierung in Skopje habe "wohl etwas zu verbergen".
Laut Stefan Niefenecker vom Polizeipräsidium Schwaben in Augsburg, das nach der Anzeige El-Masris vom Juni 2004 im Auftrag der Staatsanwaltschaft München mit den Ermittlungen in diesem Fall befasst war, zeigte man sich in seiner Dienststelle "beeindruckt", mit welchem Detailwissen über das Neu-Ulmer Multikulturhaus und die dortige islamistische Szene der Deutsch-Libanese bei seinen Verhören in Afghanistan konfrontiert worden war. Da seien etwa Namen aufgetaucht, "die auch wir kannten", und man habe sich "gewundert", dass die US-Stellen dies wussten. Der Zeuge erklärte, er könne sich nicht vorstellen, dass ein Beamter der Einsatzgruppe Donau solche Informationen an die amerikanische Seite weitergeleitet habe. In dieser Einheit kooperieren verschiedene Polizeibehörden. Niefenecker gab vor dem Ausschuss an, über Nachforschungen von Mitarbeitern US-amerikanischer Dienste im Raum Neu-Ulm/Ulm vor und während der Entführung El-Masris keine Kenntnis zu haben. Über die Kontakte zwischen deutschen und US-Stellen im einzelnen wollte der Ausschuss in nichtöffentlicher Sitzung beraten. Laut Niefenecker hat bei diesen Kontakten die Person El-Masri keine Rolle gespielt.
Inzwischen zeichnet sich nach Angaben des Ausschussvorsitzenden Siegfried Kauder (CDU) und der Obleute der einzelnen Fraktionen ab, dass der frühere Kanzleramtschef und heutige Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) vermutlich noch vor Jahresende als Zeuge zum Fall El-Masri befragt wird. Es sei eine "zeitnahe Vernehmung" geplant, so Kauder. Möglicherweise werden zuvor, wie SPD-Obmann Thomas Oppermann sagte, noch der ehemalige Außenminister Joschka Fischer (Grüne) und Ex-Innenminister Otto Schily (SPD) gehört. Max Stadler will erreichen, dass Steinmeier nicht nur zu El-Masri, sondern auch zur mehrjährigen Inhaftierung von Murat Kurnaz in Guantanamo gehört wird. Bei El-Masri wie bei dem in Bremen aufgewachsenen Türken gehe es um die Frage, so der FDP-Politiker, ob sich die seinerzeitige Bundesregierung im nötigen Maße für deren Freilassung eingesetzt habe. Kurnaz war unter vermutlich falschem Terrorverdacht von US-Stellen verhaftet worden. Er erhebt den Vorwurf, Anfang 2001 in Afghanistan auch von Bundeswehrangehörigen misshandelt worden zu sein.