Wortlautfassung des Interviews mit Katrin Göring-Eckardt
„Familie wird wichtiger“
Katrin Göring-Eckardt. Die grüne Vizepräsidentin des Bundestages sagt, das Wort „Feminismus“ sei mittlerweile ein Affront. Deshalb benutzt sie es gern.
Frau Präsidentin, bevor Sie in ihr Amt gewählt wurden,
hatten Sie angekündigt, ihre Position politisch ausfüllen
zu wollen. Traditionell wird das Amt überparteilich
verstanden. Steckt darin eine Kritik an ihren Vorgängern?
Natürlich gibt es den überparteilichen Teil des Amtes. Etwa wenn ich im Plenum sitze und das Wort erteile oder Abgeordnete in ihrer Redezeit beschränke. Trotzdem sollte man nicht so tun, als ob man über den Dingen steht. Das war vielleicht mal zu einer Zeit so, als Präsidenten bereits im politischen Abklingbecken waren. Ich will mit diesem Amt nicht nur repräsentieren, sondern auch politische Inhalte transportieren, beispielsweise auf ökologische und wirtschaftspolitische und vor allem auch soziale und kulturelle Themen aufmerksam machen. Da bin ich Abgeordnete wie alle anderen auch.
Einige Menschen beschäftigt die Frage, ob eine Vizepräsidentin ein japanisches Auto fahren darf. Ich habe mir als Dienstwagen ein Auto mit Hybridantrieb bestellt, dieses ist wesentlich ökologischer als herkömmliche Modelle. Die deutsche Automobilindustrie hat diese Innovation leider weitgehend verschlafen. Für mich ist das eine politische Entscheidung, weil sie hoffentlich ein Signal für die Zukunft setzt, auf moderne, Klima schonende Technologien umzustellen.
Wie hat sich durch Ihr Amt der Blick auf die Politik
verändert?
Für mich hat sich die Politik weniger durch das Amt als vielmehr durch die große Koalition verändert. Viele hatten gehofft, dass dieses Bündnis Reformen in Angriff nimmt, die zuvor aufgrund der Mehrheitsverhältnisse in Bundestag und Bundesrat unmöglich waren. Wie wir am Beispiel der Arbeitsmarktreform und der Gesundheitsreform erleben müssen, passiert nun etwas völlig anderes: Die Reformen sind nicht der große Wurf, sondern der kleinste gemeinsame Koalitionsnenner. Bei der Gesundheitsreform gab es immer wieder Nachtsitzungen, scheinbare Durchbrüche; hier eine Verhandlung, da eine Verhandlung. Das geht massiv zu Lasten der Transparenz. Nicht einmal die Abgeordneten der Koalition konnten das noch nachvollziehen. Das Ergebnis war ja auch entsprechend: Eine ganze Reihe Abgeordneter ist noch nicht einmal zur Abstimmung erschienen.
Hinzu kommt, dass es viel zu viele Gremien der großen Koalitionsparteien außerhalb des Parlamentes gibt, die wichtige Entscheidungen treffen. Das Problem ist nicht, dass sich bisweilen Fachleute treffen und in Fachkreisen die Richtung abstimmen – das muss sogar sein. Aber die Prozesse, die in der großen Koalition ablaufen, sind nicht mehr durchschaubar. Auf die Dauer ist das für den Parlamentarismus schädlich.
Stehen die kleinen Parteien in dieser Konstellation noch schlechter
da als sonst?
Es gibt keine Lager mehr. Die drei kleinen Parteien sind in ihren Politikansätzen sehr unterschiedlich und kommen meist nicht zueinander. Es ist ganz selten, dass es mal von allen Oppositionsparteien Beifall für einen ihrer Redner gibt. Eine schlagkräftige Opposition zu formieren, die Konzepte vorstellt und nicht nur Entwürfe erarbeitet, ist derzeit fast unmöglich. Auf der anderen Seite ist diese Konstellation diejenige, die gewählt worden ist. Deshalb sollte man sich nicht beschweren.
Was bedeutet das für die politische Kultur?
Oft wechseln sich nach der Hälfte der Redezeit nur noch die Redner der großen Koalition ab. Der eigentliche Sinn der Parlamentsdebatte, Rede und Gegenrede, findet nicht mehr statt.
Kürzlich haben Sie zusammen mit Parteifreunden ein
Strategiepapier entwickelt, in dem Sie die Grünen stärker
als Wertepartei platzieren wollen. Darin ist auch von der
Prekarisierung bestimmter Bevölkerungsschichten die Rede. Die
eigentlich originäre Wählerschicht der Grünen ist
die Mittelschicht. Auch sie gerät in unsichere
Verhältnisse. Wird die Mittelschicht von den Grünen
vergessen?
Wenn man sich die Fakten anschaut, ist es immer noch so, dass man mit einer guten Ausbildung auch relativ schnell wieder einen guten Job bekommt. Aber die Verunsicherung ist da. Auf der anderen Seite muss man akzeptieren, dass es in Zukunft kaum noch stetige Berufsbiografien geben wird. Bisher ist unsere Gesellschaft nicht darauf vorbereitet, dass man alle fünf, sechs Jahre etwas anderes macht, nicht nur den Job, sondern in gewissen Grenzen auch den Beruf wechselt. In den USA wird diese Art des Jobhoppings, anders als in Deutschland, als Herausforderung verstanden, weil man ständig etwas Neues lernt, seine Kompetenz erhöht. Mit der Veränderung in der Arbeitswelt verändert sich aber auch das Familienbild. Für die meisten Menschen wird die Familie immer wichtiger. In allen Umfragen ist das abzulesen.
Wie erklären Sie sich das?
Das hat mit der Frage von Bindungen und Verlässlichkeiten zu tun – gerade weil die Arbeitswelt keine Kontinuität mehr bietet. Viele Menschen sehen ihre Lebensverwirklichung wieder stärker in zwischenmenschlichen Bereichen – Männer wie Frauen gleichermaßen. Die Form spielt dabei nicht so eine große Rolle. Patchworkfamilien, gleichgeschlechtliche Paare, Alleinerziehende gehören genauso dazu.
Verbirgt sich da nicht ein Widerspruch? Vor allem junge Menschen
müssen mit ungesicherten Arbeitsverhältnissen zu Recht
kommen und gründen deshalb immer seltener Familien.
Ja, das stimmt. Wir wollen, dass junge Leute ganz schnell studieren, fast gleichzeitig Berufserfahrungen sammeln und super mobil sind. Einen Job bekommen sie deshalb aber noch lange nicht, sondern hangeln sich von Praktikum zu Praktikum. Viele 30-Jährige fragen dann: Wie soll ich in so einer Situation eine Familie gründen und mich um Kinder kümmern? Wirtschaft und Politik müssen sich sehr genau überlegen, ob diese hohen Erwartungen an Flexibilität überhaupt gut für unsere Gesellschaft sind. Wieso werden die Qualifikationen, die sich Frauen durch Familienmanagement aneignen, in der Berufswelt kaum anerkannt? Besonders Frauen die Kinder erziehen, sind erprobt im Multitasking und arbeiten sehr effektiv. Im öffentlichen Dienst geht es immer wieder um die Frage, wer in der Verwaltung eigentlich befördert wird. Wir stellen fest, dass es meistens Leute ohne kleine beziehungsweise jüngere Kinder sind. Da ist der öffentliche Dienst leider nicht besser als die Privatwirtschaft. Es wäre schön, wenn sich das ändert.
Sie haben kürzlich einen „neuen“ Feminismus
ausgerufen. Was meinen Sie damit?
Die Generation der 40-jährigen Frauen hat gedacht, dass sich für sie dieses Thema nicht mehr stellt. Jetzt stellen wir aber immer noch fest, dass es trotz hoher Qualifikation und dem Kunststück, Kinder und Job unter einen Hut zu bringen, eine Art gläserne Decke gibt, gegen die sie stoßen, wenn sie weiter aufsteigen wollen. Liegt es daran, dass Frauen keine Macht wollen? Oder liegt es an Strukturen? Außerdem muss man schon mal fragen, woher es eigentlich kommt, dass man heutzutage auch in „linken“ Kreisen über Frauenpolitik lacht und Witze macht. Allein das Wort „Feminismus" ist mittlerweile ein Affront. Gerade deshalb benutze ich es.
Sind ostdeutsche Frauen auf eine selbstverständliche Art
emanzipierter als westdeutsche Frauen?
Naja, es gibt Unterschiede in der Sozialisation. Aber auch in meiner Fibel stand Mutti vor dem Wäschekorb und Vati schraubte am Auto. Da ähneln sich die Rollenbilder. Allerdings sind wir mit der Selbstverständlichkeit aufgewachsen, dass Frauen arbeiten. Insofern haben wir ostdeutschen Frauen einen Vorteil, weil wir erlebt haben, wie unsere Mütter Beruf und Familie miteinander verbunden haben. Aber ob wir emanzipierter sind? Im Osten gab es keine Frauenbewegung und auch keine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema: Und den Abwasch haben die Frauen meist auch erledigt.
Das Interview führte Annette Rollmann