"Die operativen Fähigkeiten des Parlaments besser nutzen"
BLICKPUNKT BUNDESTAG IM GESPRÄCH MIT DEM VORSITZENDEN DES AUSWÄRTIGEN AUSSCHUSSES; HANS-ULRICH KLOSE
Generell sind die Möglichkeiten zur Einflussnahme der Parlamentarierinnen und Parlamentarier ansonsten aber eher informeller Natur. Und deshalb ist eine typische Tagesordnung des Auswärtigen Ausschusses auch von einer Vielzahl von Unterrichtungen der Bundesregierung zu aktuellen außenpolitischen Themen sowie von Aussprachen mit Gästen aus anderen Ländern und internationalen Organisationen gekennzeichnet. Für die Abgeordneten ist dies oft auch eine Möglichkeit, sich bereits im Vorfeld wichtiger Entscheidungen der Regierung zu äußern und so den Verantwortlichen in der Exekutive manchen parlamentarischen Rat mit auf den Weg zu geben.
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Hans-Ulrich Klose |
Blickpunkt Bundestag: Herr Klose, 45 Jahre nach Carlo Schmid sitzt wieder ein Sozialdemokrat auf dem Stuhl des Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses. Was sind Ihre ersten Erfahrungen nach einem Dreivierteljahr, wie schätzen Sie die Möglichkeiten und Grenzen dieses Gremiums ein?
Klose: Meine Erfahrungen sind bisher rundherum positiv. Das Beratungsklima im Ausschuss ist in aller Regel so, wie ich es mir wünsche, an der Sache orientiert, selten polemisch. Ich sehe eine meiner wichtigsten Aufgaben als Vorsitzender darin, für ein solches Beratungsklima zu sorgen. Die Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt funktioniert reibungslos und gut, und auch die Präsenz der politischen Spitze im Ausschuss ist mehr als befriedigend. Ich denke, dass der Ausschuss in seiner Aufgabe, die Regierung in ihren außenpolitischen Bemühungen kritisch zu begleiten und zu beraten, erfolgreich ist.
Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1994, der Einsatz der Bundeswehr im Ausland bedürfe der konstitutiven Zustimmung des Bundestages, rückt auch der Auswärtige Ausschuss verstärkt ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Wie fällt Ihre Bilanz, besonders mit Blick auf die Kosovo-Krise, in dieser Hinsicht aus?
Es war, denke ich, eine der schwierigsten Entscheidungen, die der Ausschuss und das Parlament bisher zu treffen hatten. Denn es gab, wie Ihnen jeder Abgeordnete, wenn er darüber redet, bestätigen wird, sowohl für die Teilnahme an dieser Aktion als auch dagegen eine ganze Reihe von guten Argumenten. Und jeder Abgeordnete musste für sich häufig mühselig, bisweilen quälend entscheiden. Eine 100-Prozent-Entscheidung war das gewiss für niemanden. Immerhin glaube ich, dass wir mit dieser Entscheidung eine völkerrechtliche Weichenstellung, ich will nicht sagen vollzogen, aber vielleicht vorbereitet haben, nämlich die Frage, inwieweit jenseits formaler Aspekte auch moralische Kriterien bei außenpolitischen Entscheidungen eine Rolle spielen können. Wir Europäer hatten uns ja nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges und aller Schrecklichkeiten, die während der nationalsozialistischen Zeit passiert sind, geschworen, nicht wieder tatenlos zuzusehen, wenn Massenmord und Massenvertreibung stattfinden und wir in der Lage sind etwas zu tun.
Wir haben interveniert; ob wir erfolgreich sein werden, hängt davon ab, was man als Erfolg definiert. Es ist schon ein Erfolg, dem Regime in Belgrad gezeigt zu haben, dass es mit seiner Politik der Massenvertreibung nicht durchkommt. Ob wir dabei erfolgreich sein werden, auf Dauer ein friedliches Zusammenleben verschiedener Ethnien im Kosovo zu ermöglichen, das weiß ich nicht. Ich hoffe es, aber eine gewisse Skepsis bleibt.
Wie beurteilen Sie die Tatsache, dass für die Bereiche "Auswärtige Kulturpolitik" sowie "Menschenrechte und Humanitäre Hilfe" in dieser Wahlperiode neue Ausschüsse eingerichtet wurden, die damit zusammenhängenden Aufgaben also nicht mehr durch Unterausschüsse des Auswärtigen Ausschusses wahrgenommen werden?
Der Auswärtige Ausschuss, quer durch die Fraktionen, war über diese Koalitionsentscheidungen nicht glücklich. Ich verstehe aber, dass diese Entscheidung getroffen wurde, um einen besonderen Akzent in der Menschenrechtspolitik zu setzen und um, so schien es jedenfalls zu Beginn, den Stellenwert der auswärtigen Kulturpolitik besonders zu betonen. Inzwischen sind die Realitäten eher etwas ernüchternd. Wichtig ist, die Arbeit in beiden Ausschüssen als Teil der deutschen Außenpolitik zu sehen. Deshalb hat der Auswärtige Ausschuss sich vorbehalten, über Themen aus diesen beiden spezifischen Bereichen immer auch von sich aus und zu gegebenem Anlass zu beraten, denn in der Praxis kann man diese Bereiche nicht wirklich voneinander trennen.
Neu eingerichtet wurde in dieser Wahlperiode ein Unterausschuss "Globalisierung und Regionalisierung". Was ist darunter zu verstehen?
Zunächst einmal muss man feststellen, dass in den Ministerien für auswärtige Angelegenheiten in befreundeten Ländern seit längerem Außenpolitik unter dem Stichwort "Globale Probleme" betrieben wird. Dies hat organisatorische Konsequenzen, die sich bei uns im Auswärtigen Amt allenfalls bescheiden andeuten. Inzwischen gibt es für dieses Themenfeld aber ein eigenes Referat. Tatsache ist, dass es viele internationale Fragen gibt, die nur noch auf globaler Ebene zu regeln sind, was vielfach noch nicht geschieht. Eine Konsequenz daraus ist, dass es immer mehr regionale Zusammenschlüsse gibt. Deren Zahl ist inzwischen so groß, dass niemand mehr recht übersieht, was dort im Einzelnen geschieht. Deshalb sollen mit diesem Unterausschuss beide Bereiche abgedeckt werden. Einmal soll er die Arbeit der regionalen Zusammenschlüsse, wirtschaft-liche, soziale, technische, kulturelle usw., begleiten. Darüber hinaus sollten im Unterausschuss aus unserer Sicht, unter Beachtung internationaler Strukturen, Ansätze diskutiert werden zur Lösung globaler Probleme in den Bereichen Umwelt, internationale Kriminalität, Drogen, Migration usw. Es ist ja unübersehbar, dass in diesem Punkt der Nationalstaat überfordert ist.
Wie würden Sie das Verhältnis Ihres Ausschusses zum Ausschuss für die Angelegenheiten der EU beschreiben. Stichworte beispielsweise Mittelmeerpolitik, Erweiterung der EU – eher ein produktives Miteinander oder auch Konkurrenzdenken?
Ich vermute, dass es im Europaausschuss eine Neigung gibt, zusätzliche Kompetenzen an sich zu ziehen, da dieser Ausschuss in erster Linie mit den technischen Fragen des europäischen Prozesses und der Integration beschäftigt war. Mit dem Abschluss der Agenda-2000-Beratungen hat der Ausschuss jetzt einen großen Teil seiner politischen Funktion erfüllt und ist nun Empfänger der europäischen Papiere. Er kann aber nicht der zuständige Ausschuss für die europäische Außenpolitik sein. Diese muss unverändert beim Auswärtigen Ausschuss bleiben. So sieht es übrigens auch das Grundgesetz vor.
Anlässlich der Veröffentlichung der Ausschussprotokolle aus der 1. Wahlperiode haben Sie erklärt, aufgrund des vertraulichen Charakters der Arbeit des Ausschusses hätten viele Bürger nur eine ungenaue Vorstellung über dieses Gremium. Wie viel Transparenz verträgt parlamentarische Außenpolitik, wo ist die Grenze zu ziehen?
In der Regel würde ich es so sehen: Es gibt viel mehr Bereiche, in denen transparente Beratungen möglich wären, als man gemeinhin vorgibt. Ich glaube, manchmal übertreiben wir es mit dem Signum "Vertraulich" oder "Streng vertraulich". Es gibt natürlich solche Beratungspunkte, aber in einer offenen, pluralen, demokratischen Gesellschaft ist im Grunde jede parlamentarische Beratung offen, mit nur sehr wenigen Ausnahmen. Und so sollten wir auch die Arbeit des Auswärtigen Ausschusses anlegen. Meines Erachtens spricht für die vertrauliche Beratung im Ausschuss nicht der Gesichtspunkt von Vertrauen oder Geheimnisschutz, sondern vielmehr das Bedürfnis, sich an der Sache zu orientieren und keine Fensterreden zu halten. Das halte ich für das eigentliche Argument.
Verschiedentlich ist in der Vergangenheit angeregt worden, die Kompetenzen des Auswärtigen Ausschusses zu erweitern, etwa ihm das Recht zu geben, zu bestellende Botschafter Deutschlands im Ausland anzuhören und ihre Bestätigung von einem Votum des Ausschusses abhängig zu machen. Wie stehen Sie dazu?
Das wäre die amerikanische Vorgehensweise. Ich persönlich bin kein großer Freund dieses Verfahrens, weil ich finde, man sollte die verschiedenen Bereiche, die exekutiven und die legislativen, doch sorgfältig trennen und im Übrigen die Chancen, die in der möglichen Zusammenarbeit zwischen Exekutive und Parlament liegen, präziser sehen und nutzen. Damit will ich Folgendes sagen: Wir müssen nicht unbedingt – Parlamentarier können das in Wahrheit auch gar nicht sachgerecht – ein Votum abgeben, ob dieser oder jene Personalvorschlag für diese oder jene Botschaft angemessen ist. Im Übrigen, wie weit will man es dann treiben? Aber wir können sehr wohl aus parlamentarischer Sicht erstens gute Empfehlungen abgeben, wie in einer bestimmten außenpolitischen Frage zu verfahren ist. Zweitens könnte die Exekutive, wenn sie es denn wollte, die operativen Fähigkeiten, die ein Parlament auch haben kann, besser nutzen. Manchmal ist die Diskussion einer schwierigen politischen Frage auf der Ebene der Parlamente leichter und erfolgversprechender als auf der Ebene der Exekutive. Da finde ich, könnte die Exekutive offener sein. Bei dem zweiten Punkt sollte das Parlament sich nicht überheben.