Ein Job außerhalb des Rampenlichts
Blickpunkt Bundestag beginnt mit diesem Heft eine Serie über die Parlamentarischen Geschäftsführer der Bundestagsfraktionen. Nach der allgemeinen Einführung kommen in den nächsten Ausgaben jeweils die Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer der fünf Fraktionen zu Wort.
Die Parlamentarischen Geschäftsführer gehören zu den einflussreichsten Akteuren im Deutschen Bundestag
Sie fahren nicht im schweren Dienstwagen mit Stander. Ihnen folgen weder Akten tragende Referenten noch diskrete Leibwächter. Kein Dienstsiegel signalisiert Bedeutung und Einfluss. Statussymbole der Macht sind bei ihnen nicht zu finden. Man kennt sie höchstens von den Fernsehübertragungen aus dem Bundestag: Jene Damen und Herren Abgeordneten, die bei wichtigen Abstimmungen rote, blaue oder weiße Plastikkarten in den hochgestreckten Händen halten und darauf achten, dass die Mitglieder ihrer Fraktionen in der Hitze des Gefechts nicht die Stimmkarte verwechseln. Doch ansonsten sind die Parlamentarischen Geschäftsführer, die hier als Stimmführer ihrer Fraktion agieren, weitgehend unbekannte Wesen.
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Stimmführerschaft: Die Parlamentarischen Geschäftsführer signalisieren ihrer Fraktion das Abstimmungsverhalten, hier Peter Ramsauer, CDU/CSU (vorne rechts). |
Zu Unrecht. Denn die Parlamentarischen Geschäftsführer gehören zu den bedeutsamen und einflussreichen Akteuren des Parlaments. In ihren Fraktionen gelten sie als "Stabschef" und "Mädchen für alles", die nicht nur für Präsenz und Geschlossenheit sorgen, sondern auch die mannigfachen Steuerungs- und Koordinationsaufgaben organisieren, die bei einem Zusammenschluss von bis zu 300 Abgeordneten zu leisten sind. Im Parlament fungieren sie als Manager der Verfahrensabläufe, ohne deren Einflussnahme und Absprachen der Bundestag seiner Arbeit nur unzureichend nachkommen könnte. Und im fraktionsexternen Kräftefeld spielen sie die nicht minder wichtige Rolle als Mittler ihrer Fraktion zu Regierung, Länderkammer, Partei und Verbänden. Parlamentarische Geschäftsführer beherrschen damit die Klaviatur des gesamtparlamentarischen Spektrums und personifizieren die zunehmende Professionalisierung und Differenzierung der Parlamentsarbeit mit allen Vor- und Nachteilen. Kein Wunder, dass sie bisweilen der Ruf verfolgt, "Graue Eminenzen" und "Oberstrippenzieher" ihrer Fraktionen zu sein.
Dies freilich wäre ein einseitiges Urteil, das wohl auch darauf beruhte, dass die Arbeit Parlamentarischer Geschäftsführer nicht im Rampenlicht auf offener Bühne, sondern zumeist informell, geräuschlos und ohne schriftliche Fixierung erfolgt. Parlamentarische Geschäftsführer bewegen sich gewissermaßen bewusst in einer unkontrollierten Zone; das erweckt leicht Misstrauen. Dabei sind mit den Parlamentarischen Geschäftsführern keine geheimen Mächte am Werk. Schließlich sind sie von ihren Fraktionen gewählt, ihre Arbeitsbereiche offen gelegt, ihre Tätigkeiten zumindest einer nachträglichen Kontrolle unterworfen.
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Absprache mit anderen Fraktionen: Unionsgeschäftsführer Hans-Peter Repnik (links) im Gespräch mit SPD-Fraktionschef Peter Struck. |
Wie nicht jeder Bundesminister in seiner politischen Gewichtung dem anderen gleicht, hängt auch der Einfluss Parlamentarischer Geschäftsführer - von denen es in den großen Fraktionen je fünf, in den kleineren jeweils drei gibt - von verschiedenen Faktoren ab: Ob sie einer großen Regierungs- oder einer kleinen Oppositionspartei angehören; welche Spielräume ihnen der Fraktionsvorsitzende lässt; welche Tätigkeitsfelder ihnen fraktionsintern zugeordnet sind.
Formal schon durch den Titel herausgestellt, sind es die Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer, denen hierarchisch wie funktionell eine hohe Bedeutung zukommt. Was schon daraus ersichtlich wird, dass sie - zumindest in den Fraktionen SPD und Union - höhere Bezüge bekommen als die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden.
Die fraktionsinterne Tätigkeit Parlamentarischer Geschäftsführer - die sich von der Vorbereitung der Sitzungen der Fraktionsgremien, der Mitwirkung bei der Besetzung von Fraktions- und Parlamentsausschüssen über die Personal- und Finanzhoheit bis zur Rolle als Frühwarnsystem und Kummerkasten erstreckt - ist weitgehend akzeptiert. Dagegen entzünden sich an der dominanten Rolle vor allem der Ersten Geschäftsführer bei der Festlegung der parlamentarischen Abläufe zumindest parlamentsintern immer wieder heftige Diskussionen. Die Kritik entzündet sich an der These, die Geschäftsführer machten sogar dem Ältestenrat als angeblich zentralem Koordinierungs- und Lenkungsorgan des Bundestages Konkurrenz, sowie am teilweise gängigen Bild vom Parlamentarischen Geschäftsführer als Einpeitscher und Vollzieher eines angeb-lichen Fraktionszwanges
Parlamentarische Geschäftsführer agieren zwischen notwendiger Effizienz und wünschenswerter Transparenz. Damit bewegen sie sich im Spannungsfeld zweier grundlegender Aufgaben eines parlamentarischen Regierungssystems: Für Handlungsfähigkeit und Geschlossenheit der Fraktionen im gewollten Dualismus zwischen Regierungsmehrheit und Opposition sorgen sowie einen möglichst reibungslosen Ablauf des gesamtparlamentarischen Geschehens gewährleisten. Andererseits sollen sie aber auch den Abgeordneten, Arbeitsgruppen, Ausschüssen sowie dem Plenum Freiräume erhalten, ohne die das Parlament seine Aufgabe als nationales Meinungs- und Diskussionsforum nicht erfüllen könnte. Es liegt auf der Hand, dass Parlamentarische Geschäftsführer ihre Tätigkeit zumeist anders beurteilen als die von ihr Betroffenen. Was sie selbst als notwendige Koordination und Beitrag zur Effizienz erachten, wird von anderen als autoritärer Stil, übertriebene Dominanz und persönliche Einengung gewertet. Letztlich sind sich aber Abgeordnete wie Geschäftsführer darin einig, dass fraktionelle Geschlossenheit nicht über Befehl und Gehorsam, sondern nur durch ein Dauergeflecht von Vermittlung, Koordination und Kommunikation zu erreichen ist. Die "Whip"- die Peitsche - passt ebenso wenig in den Alltag des modernen Parlamentarismus wie der Fraktionszwang, den es trotz aller gegenteiliger Behauptungen schon wegen mangelnder tatsächlicher Sanktionsmöglichkeiten nicht gibt.
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Koordinierung mit der Regierung: SPD-Geschäftsführerin. Susanne Kastner bei Verteidigungsminister Rudolf Scharping auf der Regierungsbank. |
Immerhin gibt es interessante Unterschiede in der Wahrnehmung: Diejenigen, die im Bundestag selbst hierarchisch hoch stehen und politisch arriviert sind, haben ein deutlich entspannteres Verhältnis gegenüber Parlamentarischen Geschäftsführern als manch andere, insbesondere neue Abgeordnete, die sich manchmal von den Geschäftsführern bevormundet und von deren Patronage-Möglichkeiten beeinflusst sehen. Dies mag daran liegen, dass sich Arbeitsgruppen- und Ausschussvorsitzende als "Granden" der Parlamentshierarchie selbstbewusst den Parlamentarischen Geschäftsführern ebenbürtig fühlen und sich ebenfalls in der Mitverantwortung für das Funktionieren des Parlaments sehen. Parlamentarischen Neulingen missfällt dagegen das Bestreben der Geschäftsführer, alles und jedes zu regeln und unter Kontrolle zu halten. Dadurch laufe im Bundestag vieles zu glatt, wirke die Parlamentsmaschine derart geölt, dass der Anschein entstehe, auf den einzelnen Abgeordneten komme es gar nicht so sehr an.
Insgesamt wird die Arbeit der Parlamentarischen Geschäftsführer indes als notwendig und unverzichtbar gesehen. Unüberhörbar ist jedoch der Wunsch, die Geschäftsführer mögen mehr die gestalterische als die einschränkende und beschneidende Seite ihres Amtes betonen. Würden dann noch die Abgeordneten selbst die durchaus existierenden Freiräume, die ihnen Verfassung und Geschäftsordnung, aber auch ein eigenes entwickeltes Selbstbewusstsein geben könnten, stärker nutzen und der Macht der Geschäftsführer als Regulativ entgegenstellen, müssten Effizienz und Transparenz, Geschlossenheit und Kreativität nicht unbedingt Gegensätze sein.
Sönke Petersen
Der Autor, Berliner Korrespondent der Münchner "Abendzeitung", promovierte über das Thema "Parlamentarische Geschäftsführer".